- Behandlung
Dr. Jens Kröger im Interview: Immer für Menschen da – als Diabetologe und im Ehrenamt
15 Minuten

Ausgezeichnet mit der Ehrenmedaille der Deutschen Diabetes Gesellschaft – das wurde der Diabetologe Dr. Jens Kröger beim Diabetes Kongress im Mai. Gewürdigt wird damit sein jahrzehntelangen Einsatz für Menschen mit Diabetes – medizinisch und politisch, im Beruf und im Ehrenamt. Das macht sein Leben aus. Im Interview berichtet er von seinem Engagement.
Im Interview: Dr. Jens Kröger

Lehrer sollte er nicht werden, Postbeamter wollte er nicht werden – so wurde er Arzt. Das aber ist der gebürtige Bremer Dr. Jens Kröger mit Leidenschaft. Ihm war bei der Entscheidung für seinen Beruf wichtig: „Ich wollte gern mit Menschen arbeiten, mit Kommunikation.“
Durch Diabetologie Didaktik und Medizin verbunden
Im Studium hatte er nicht viel von der Diabetologie erfahren. Als Assistenzarzt im Krankenhaus fühlte er sich beim Anpassen der Insulindosen sehr unsicher – der Oberarzt musste helfen. Aber Jens Kröger bekam die Möglichkeit, sich intensiver damit zu befassen: „Als dann bereits als Assistenzarzt die Verbindung kam, mich mehr mit Diabetes zu beschäftigen, und ich die Schulung aufgebaut habe im Krankenhaus, haben sich zwei Sachen verbunden: der Wunsch, etwas Didaktisches zu machen, mit Menschen zu arbeiten, und die Medizin.“
Diabetes-Technologie zum Lösen von Problemen
Diese Begeisterung hat ihn nicht losgelassen. In seiner ehemaligen Schwerpunktpraxis in Hamburg, wie er berichtet, eine der größten diabetologischen Praxen in Deutschland, hat er viele Menschen beraten, ihnen geholfen, mit dem Diabetes gut zu leben. Ein Schwerpunkt wurde dabei die Diabetes-Technologie, denn: „Es gab immer wieder Probleme in der Diabetologie, für die es schwer war, eine gute Lösung zu finden.“
Herzensanliegen: Aufklären der Bevölkerung
Seit fast zehn Jahren ist er ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Organisation diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Auch das bedeutet viel Arbeit, aber das Aufklären der Bevölkerung über Diabetes ist ihm ein Herzensanliegen.
Diabetes-Anker (DA): Jens, ein langes Leben in der Diabetologie liegt bereits hinter dir. Was bringt jemanden wie dich, der keinen Diabetes hat, dazu, sich so auf diesem Gebiet zu engagieren?
Dr. Jens Kröger: Die Ausbildung im Studium als auch in der Assistenzarztzeit war, was den Diabetes angeht, sehr schlecht. Und wenn ich das jetzt betrachte, auch mit der Entwicklung in den letzten 40 Jahren, ist mein Gefühl: Da hat sich nicht viel verändert. Als Assistenzarzt war ich immer, wenn es darum ging, Menschen mit Typ-1-Diabetes zu betreuen, unheimlich verunsichert zum Beispiel, was Insulindosis-Anpassungen anging. Das war für mich ein Buch mit sieben Siegeln, weil die Ausbildung eben nicht gut war, es keine praktischen Erfahrungen gab. Wenn ich dann Insulindosen verändert habe als Arzt, habe ich vielleicht ein, zwei Einheiten selbst entschieden. Aber wenn es um größere Veränderungen ging, habe ich immer auf den Oberarzt gewartet.
Und ich hatte eine gute Freundin, Sabine, und Sabine hatte Typ-1-Diabetes. Sabine starb in einer schweren Unterzuckerung mit Mitte 30. Sie war Lehrerin, lebte in Schleswig-Holstein und arbeitete zusammen mit meiner Frau. Ich bekam viele Situationen mit, wo der Rettungshubschrauber nötig war. Sabine hatte alle Folgeerkrankungen des Diabetes: diabetische Retinopathie, Polyneuropathie, Nephropathie. Und Sabine wollte eines vermeiden: Sie wollte keine Verschlechterung bzw. neuen Folgeerkrankungen haben und sie wollte natürlich auch keine schweren Hypoglykämien (Unterzuckerungen; Anm. d. Red.) mehr haben – aber sie hat Hypos einfach nicht gespürt. Sie hatte eine Hypoglykämie-Unawareness (Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung; Anm. d. Red.). Häufig, wenn die Rettungssanitäter vor ihr standen, sagte Sabine – und das ist wirklich so passiert: „Warum sind Sie denn schon wieder hier, darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“ Sabine war ein unheimlich freundlicher Mensch. Sie war in der damaligen Zeit aber auch häufig ganz allein auf sich gestellt.
„Nachdem unser Chef überzeugt war, bekamen wir unseren ersten Schulungsraum, acht Quadratmeter groß und ohne Fenster.“
Dann passierte im Krankenhaus Folgendes: Ein Kollege kam aus Mitteldeutschland, wo es bereits stationäre Diabetesschulungen gab. Er fragte mich, ob ich Lust hätte, dieses Projekt in Hamburg am Bethesda-Krankenhaus im Hamburger Osten aufzubauen. „Schulung für Menschen mit Diabetes“, das gab es damals in einem Akutkrankenhaus der Grundversorgung nicht häufig. Nachdem unser Chef überzeugt war, bekamen wir unseren ersten Schulungsraum, acht Quadratmeter groß und ohne Fenster. Zusammen mit einem kleinen Team und Hospitationen in Düsseldorf bei Prof. Berger und Prof. Dreyer in Hamburg haben wir eine strukturierte, stationäre Diabetesschulung aufgebaut. Diese wurde später von der Deutschen Diabetes Gesellschaft anerkannt und zertifiziert.
DA: Wolltest du eigentlich schon immer Arzt werden?
Dr. Kröger: Nein, ich wollte Lehrer werden. Meine Eltern haben mir damals gesagt, Lehrer wäre eine brotlose Kunst, da würde man nicht gebraucht werden. Ich wollte aber gern mit Menschen arbeiten, mit Kommunikation. Mein Vater war bei der Post und er fragte, ob ich nicht zur Post gehen wollte – da war ich ein Jahr als Postinspektoranwärter. In der Zeit erzählte mir jemand, der Zahnmediziner werden wollte, dass er schon einen Mercedes bestellt hätte. Ich war entsetzt, dass es Menschen in der Medizin gibt, die so einen Ansatz haben. Ich war sicher: Es muss andere Leute geben. Dann habe ich mich beworben fürs Medizinstudium, bin in der Wartezeit darauf erstmal nach Amerika gefahren, habe ein paar Monate dort gelebt und bekam dann einen Studienplatz.
Und als dann bereits als Assistenzarzt die Verbindung kam, mich mehr mit Diabetes und Schulungen zu beschäftigen, haben sich zwei Sachen verbunden: der Wunsch, etwas Didaktisches zu machen, mit Menschen zu arbeiten, und die Medizin. Was mich damals auch sehr fasziniert hat, waren die ersten Diabetes-Kongresse, die klein waren mit 700, 800 Leuten. Was ich toll fand, war, dass da nicht nur Ärzte waren, sondern auch Beraterinnen. Das waren einfach Diabetes-Teams, wie wir sie heute haben. Da fühlte ich mich richtig aufgehoben, das fand ich gut.
Als mir dann im Krankhaus Mittel gestrichen werden sollten und sie mir eine Beraterinnenstelle wegnehmen wollten, habe ich beschlossen, in die Niederlassung zu gehen. Denn mir ist wichtig, gemeinsam gute Arbeit abzuliefern und keine Arbeit, wo zwar dransteht „Diabetes-Klinik“, aber die Inhalte zur kurz kommen. Mir war in meinem ganzen Leben immer wichtig, dass die Arbeit für Menschen eine hohe Evidenz hat und auch den Menschen individualisiert hilft.
„Mein Ziel war immer, auch gerade den Hausärzten diabetologisches Wissen zu vermitteln.“
1997 habe ich mich dann niedergelassen als Internist und Diabetologe DDG in einer Gemeinschaftspraxis in Hamburg-Horn. Ich hatte im Krankenhaus einen Arbeitskreis aufgebaut mit niedergelassenen Ärzten, der über 25 Jahre Zeit existiert hat, also wirklich über eine lange Zeit. Mein Ziel war immer, auch gerade den Hausärzten diabetologisches Wissen zu vermitteln. Diese Zusammenarbeit zwischen mir als Spezialisten und den Hausärzten hat zum Wohle der Menschen mit Diabetes super funktioniert. Es ist dann, gerade auch in Hamburg-Bergedorf und Umgebung, bis nach Schleswig-Holstein hinein, ein Vertrauen entstanden, dass uns die KollegInnen eigentlich alle Menschen geschickt haben, die Diabetes hatten. Sie haben gesagt: „Geht zu Kröger, der hat mehr Valenzen, der hat Diabetesberaterinnen. Der macht das schon.“ Diese gute Zusammenarbeit hielt über die ganzen Jahre auch an. Da war einfach ein tiefes Vertrauen.
DA: Als du dich niedergelassen hast, hast du eine bestehende Praxis übernommen und zur Schwerpunktpraxis umgebaut oder hast du komplett bei Null angefangen?
Dr. Kröger: Ich musste erst mal überlegen: Gehe ich nach Bremen, meine Heimat, wo ich geboren bin, zurück – da gab es noch keine ambulante diabetologische Versorgungsstruktur – oder bleibe ich in Hamburg. Meine Frau hat aber damals dafür plädiert, in Hamburg zu bleiben, wegen der sozialen Kontakte. Mein Credo war natürlich immer: Ich gehe aus der Klinik raus und habe dann mehr Zeit für die Familie. Das war völlig falsch – die Zeit wurde deutlich weniger. So habe ich mich in einer Gemeinschaftspraxis mit Kinderarzt, Allgemeinarzt und Diabetologen in Hamburg-Horn niedergelassen. Das war eine klassische Gemeinschaftspraxis für die ganze Familie und durch Jörg von Hübbenet und mich auch eine Diabetesschwerpunktpraxis.
Durch die Schließung der Schulung im Krankenhaus entstand in Hamburg-Bergedorf eine Versorgungslücke und ich bin Jahre später zusammen mit meiner Kollegin Dr. Susanne Rosenboom und einem tollen Team zurück nach Bergedorf und habe auf dem Gelände des Krankenhauses in einem ehemaligen Schwesternwohnheim eine zusätzliche reine Diabetes-Schwerpunktpraxis mit konsiliarischer Betreuung des Krankenhauses eröffnet. Das Krankenhaus war glücklich, mein Team und ich waren glücklich und viele Menschen mit Diabetes, weil so eine umfassenden stationäre und ambulante diabetologische Versorgungsstruktur entstanden war.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dass die Praxis nicht wieder so groß wird wie die Gemeinschaftspraxis in Hamburg-Horn. Weit gefehlt, die Menschen fühlten sich bei uns gut aufgehoben und kamen aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, online bis nach Neuseeland. Das Motto der Praxis hieß: Hilfe von Mensch zu Mensch. Das war mir immer ganz wichtig. Das hat eigentlich mein ganzes Leben geprägt, Hilfe von Mensch zu Mensch – also auf einer menschlichen Ebene, mit fachlichem Hintergrund.
DA: Inzwischen kennen dich viele als jemanden, der sich intensiv vor allem mit der Diabetes-Technologie auskennt und beschäftigt. Wie kamst du zu diesem Schwerpunkt?
Dr. Kröger: Ich habe mich von vornherein eigentlich mit Insulinpumpen und CGM-Systemen (Systeme zum kontinuierlichen Glukose-Messen; Anm. d. Red.) beschäftigt, weil mich das sehr fasziniert hat. Man muss ja sagen, es gab und gibt immer wieder Probleme in der Diabetologie, für die es nur unbefriedigende Lösungen gab und gibt. Vor Jahren war die Einführung der intensivierten Insulintherapie ein großer Fortschritt. Viele Menschen mit Typ-1-Diabetes hatten jedoch trotz dieser Therapieform ein Dawnphänomen (hormonell bedingter morgendlicher Blutzuckeranstig; Anm. d. Red.). Dann haben wir nach Lösungen gesucht und z.B. ältere Insuline eingesetzt, wie Semilente MC. Die Insulinpumpen konnten das Problem, wie auch andere Probleme, dann bei vielen Menschen mit Typ-1-Diabetes besser lösen. Eine technologische Unterstützung für die Menschen, die sich diese Therapieform vorstellen konnten.
Als dann CGM (kontinuierliche Glukosemessung) vor ca. 25 Jahren kam, fand ich das super faszinierend und wir haben es gemacht. Wir haben einfach das gemacht, was wir im Team für sinnvoll erachtet haben. Und ich habe nicht primär danach geguckt, ob unser zusätzlicher Aufwand bezahlt wurde oder nicht. Für mich war das immer eine Mischkalkulation, der eine Mensch brauchte mehr Unterstützung, der andere Mensch mit Diabetes weniger Unterstützung. Für mich war immer wichtig, Wege zu finden, die dem einzelnen Menschen helfen. Und da diese Praxis immer größer wurde – nicht gewollt von mir, sondern die Leute haben uns einfach die Bude eingerannt, egal von wo –, hatten wir eine Situation, wo man das auch abbilden konnte.
„Diese Möglichkeiten der sinnvollen technologischen individualisierten Unterstützung für Menschen mit Diabetes hat mich seither nicht mehr losgelassen.“
Dann saßen vor ca. 13 Jahren, 2 Jahre, bevor der FreeStyle Libre auf den deutschen Markt kam, zwei Personen vom Unternehmen Abbott bei mir und haben mir von diesem Projekt erzählt. Mir war da ziemlich klar, dass mit diesem Konzept CGM den Durchbruch für Menschen mit Diabetes schaffen wird. Ein paar Jahre zuvor war ich bei Prof. Bergenstal und Prof. Mazze in Minneapolis gewesen. In ihrer Klinik bekam jeder Menschen mit Diabetes, egal ob Typ 1 oder Typ 2, damals schon ein CGM-System und die Daten wurden in einem riesigen Computer gespeichert. Völlig faszinierend. Ich habe mich immer gefragt: Wo kommt der Bon raus, wo steht, was ich/Menschen mit Diabetes an Veränderungen machen sollten? Diese Möglichkeiten der sinnvollen technologischen individualisierten Unterstützung für Menschen mit Diabetes hat mich seither nicht mehr losgelassen.
DA: Die Zeit in Amerika, was war das für eine Zeit? Eine Hospitation?
Dr. Kröger: Das war eine Hospitation. Es war die beste Hospitation, die ich gemacht habe. Die war so intensiv und so toll, weil sie einfach einen Blick in diese Welt ermöglichte, mit all den Gedanken, was mal passieren könnte. Das hat mich damals total begeistert. Was ich immer faszinierend fand: Wenn wir heute über Ernährung sprechen, bei Typ-2-Diabetes, und wir die Möglichkeit von kontinuierlichen Glukose-Messsystemen besprechen und den Menschen zeigen, wie individualisierte Ernährung und Bewegung funktioniert – das haben die damals in Minneapolis schon gemacht. Dieses Umfassende, was CGM bedeutet, auch für Menschen mit Typ-1-Diabetes, wie es Patienten unterstützen kann, gerade im Rahmen der Hypo-Prävention.
Das war natürlich ein ganz wichtiges Thema für mich auch im Hinblick auf Sabine und viele andere Menschen mit Typ-1-Diabetes, deren Angehörige, die diese schweren Hypos erlebt haben, und Menschen mit Typ-1-Diabetes, die möglicherweise daran gestorben sind. Das war immer für mich ein wichtiger Aspekt, Möglichkeiten zu haben, zu verhindern, dass Menschen schwere Hypos bekommen, insbesondere beim Typ 1. Da sind die CGM-Systeme und vor allem auch die AID-Systeme Meilensteine in der Therapieunterstützung.
„Wir müssen immer wieder Möglichkeiten finden, Menschen mit den unterschiedlichen Formen der Diabeteserkrankung sinnvoll individualisiert zu unterstützen.“
Wir müssen immer wieder Möglichkeiten finden, Menschen mit den unterschiedlichen Formen der Diabeteserkrankung sinnvoll individualisiert zu unterstützen. Es geht nicht darum, Systeme zu haben, die toll blinken oder irgendwas haben, was technisch einen Vorteil verspricht. Wenn es den Menschen nichts bringt, wenn sie für sich keinen Gewinn daraus ziehen, dann brauchen wir sie nicht. Aber wenn es dem Einzelnen wirklich individuell hilft, dann kann und sollte man Technik einsetzen. Anhand von klinischen und Beobachtungsstudien müssen wir das belegen, denn sonst wird die häufig ablehnende Haltung der Krankenkassen noch größer.
So bin ich diesen Technikweg immer weitergegangen und wir haben die ganzen Fibeln (AGP-Fibel, AGP-Fibel Ernährung, Bewegung, AID-Fibel) geschrieben, um die Menschen mitzunehmen. Ich werde auch nie vergessen, dass mich bei der AGP-Fibel Ernährung sehr erfahrene Diabetologen angeguckt und gesagt haben: „Jens, alles vergebene Liebesmühe. Du wirst die Menschen, nicht verändern. Und auch, wenn sie diese Dinge sehen, werden sie trotzdem bestimmte Dinge, was das Management angeht, nicht verändern.“ Da habe ich gesagt, das glaube ich nicht. Und mittlerweile wissen wir auch, dass das so ist: Man nimmt die Menschen mit und kann schon gemeinsam etwas erreichen.
DA: Du bist ja inzwischen nicht mehr Vollzeit in deiner Praxis tätig, sondern machst jetzt Teilzeit quasi in einer anderen Praxis.
Dr. Kröger: Die Praxis in Bergedorf habe ich vor über vier Jahren verkauft, weil ich gemerkt habe, dass ich durch die hohe Arbeitsbelastung irgendwann sonst tot vor der Tür liege. Das Interesse für die Technik hat dann zur Gründung des Zentrums für digitale Diabetologie Hamburg geführt. Hier führen wir Studien und Forschungsprojekte durch. Beratung mache ich nur noch ausgewählt und dezidiert.
DA: Aber du hast ihn noch und er begleitet dich weiterhin, dieser Kontakt mit Menschen mit Diabetes?
Dr. Kröger: Ja. Das ist mir auch ganz wichtig, weil man von nichts sprechen kann, wenn man nicht in Kontakt mit Menschen mit Diabetes ist. Aber ich wähle sehr aus, in welcher Form ich das noch mache, sonst entspricht das auch dem persönlichen Leben nicht mehr. Irgendwann muss man auch mal einen Trennungspunkt setzen.
DA: Du bist ja auch seit vielen Jahren ehrenamtlich Vorstandsvorsitzender der Organisation diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe. Wie kam es dazu?
Dr. Kröger: Insgesamt bin ich jetzt in der ehrenamtlichen Vertretung für Menschen mit Diabetes seit über 20 Jahren. Ich war in Hamburg in der Landesgruppe der Deutschen Diabetes Gesellschaft über viele Jahre Vorstandsvorsitzender. Dann war es irgendwann so, dass ich entschieden habe, weniger ehrenamtlich zu machen und ich habe die Aufgabe bei der Hamburger Gesellschaft aufgegeben, vor allem auch wegen meiner Familie, denn Wochenenden ohne Arbeit waren sehr selten. Dann kam die Anfrage aus Berlin, ob ich nicht bei diabetesDE auf Deutschlandebene mitmachen würde. Ich erinnere mich noch sehr genau an das Gespräch im Auto, wo meine Frau neben mir saß und Dr. Hans Martin Reuter aus Jena versuchte, mich zu überzeugen, nun zu diabetesDE zu kommen, und meine Frau bei all den Argumenten immer den Kopf schüttelte.
Letztendlich habe ich aber trotzdem gesagt: Das mache ich jetzt! Weil mich die Aufgabe, auch in Deutschland etwas für Menschen mit Diabetes zu bewegen, gereizt hat. Das war 2011. Ich war zunächst Leiter des Ressorts Prävention bei diabetesDE. Und seit 2016 bin ich Vorstandsvorsitzender von der Deutschen Diabetes-Hilfe, als Prof. Thomas Danne plötzlich aufhörte. Das habe ich damals nicht kommen sehen, dass dieser Kelch irgendwann bei mir landet. Denn das war ja nochmal ein Riesenschritt. Ich hatte mich erstmal zurückgelehnt und Vorschläge gemacht, wer das denn machen könnte. Mein Handy klingelte dann in den nächsten Tagen doch sehr häufig. Nach ausführlicher familiärer Diskussion habe ich dann zugestimmt zu kandidieren und wurde einstimmig gewählt. Nächstes Jahr sind es zehn Jahre als Vorstandsvorsitzender.
DA: Was sind deine Aufgaben als Vorstandsvorsitzender bei diabetesDE?
Dr. Kröger: Von der Mitgliederversammlung (30 Menschen), dem obersten Souverän von diabetesDE, werden bis zu sieben Vorstandsmitglieder ehrenamtlich gewählt. Der Vorstand ist verantwortlich für die Aufgaben von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Wir haben uns dabei zum Ziel gesetzt, Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern zu betreiben. Des Weiteren wollen wir dafür sorgen, dass mehr Prävention, insbesondere bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, betrieben wird und dass Menschen mit Diabetes eine individualisierte, bestmögliche Versorgung bekommen.
Als Vorstandsvorsitzender stehe ich dem Vorstand vor und tausche mich im Namen des Vorstandes primär mit unserer Geschäftsführerin Nicole Mattig-Fabian mehrmals wöchentlich hinsichtlich von Pressearbeit und unserer vielen Projekten aus. Das passiert auch im Bedarfsfall am Wochenende, nachts, im Urlaub… weil es immer wieder Dinge gibt, die schnell gemeinsam im Sinne von diabetesDE besprochen werden müssen, und da schwingt natürlich auch immer die Verantwortung und ggf. Haftungsfrage mit. Um hierbei erfolgreich zu sein, bedarf es einer zielorientierten Teamarbeit, denn uns werden immer wieder von verschiedenen Seiten kleine, große und Wackersteine in den Weg gelegt. Dem stellt sich unser tolles Team Anke Weber, Gaby Allrath, Vera Münzner und Lisa Baum unter der Leitung von Nicole Mattig-Fabian in Berlin zusammen mit dem ehrenamtlichen Vorstand. Ohne diese gemeinsame, vertrauensvolle und kreative Arbeit wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.
DA: : Was für Projekte habt ihr bereits auf den Weg gebracht und was habt ihr damit schon erreicht?
Dr. Kröger: Ich glaube ein Riesenerfolg ist, dass wir es geschafft haben, als gemeinnützige Organisation (NGO) für Menschen mit Diabetes bei den politischen Entscheidungsträgern anerkannt zu sein. Das war ein langer Weg. Eines unserer wichtigsten Projekte war es dann auch, zusammen mit unseren Förderorganisationen wie z.B. der Deutschen Diabetes Gesellschaft zu erreichen, dass die Nationale Diabetes-Strategie im Bundestag verabschiedet wurde. Von der Prävention bis zur Versorgung waren entscheidende Dinge für Menschen mit Diabetes festgelegt worden. Das war vor fast vier Jahren und wir waren so happy, dass wir es nach über sechs Jahren geschafft hatten, dass das Parlament die Diabetes-Strategie als sinnvoll ansah, die chronische Erkrankung Diabetes im Mittelpunkt. Als die nächste Regierung und Prof. Lauterbach als neuer Gesundheitsminister diese Strategie dann einfach in der Schublade verschwinden ließ, war mir klar, warum PolitikerInnen immer wieder Menschen im Sinne der Politikverdrossenheit verlieren.
Ein weiterer wesentlicher Punkt unserer Arbeit besteht darin, unermüdlich dafür zu werben, dass Menschen in ihrer Therapie bestmöglich unterstützt werden, und darauf hinzuweisen, was für sie hilfreich ist, was sie brauchen und wo Hürden in der Versorgung bestehen. Durch die Zusammenarbeit mit FIDAM gibt es auf der Plattform dialink für alle Menschen mit Diabetes, ihre Angehörigen und Diabetesteams die Möglichkeit, bei anonymen Umfragen ihre Meinung zu sagen. Dies stellt eine wichtige Grundlage dar, um die Meinung von Menschen miteinzubeziehen. Das Bundesgesundheitsministerium unterstützt uns jedes Jahr als Ausrichter des Weltdiabetestags am 14.11., wo wir in den letzten Jahren auf die Meilensteine im Bereich der Diabetologie eingegangen sind.
„Diese Aufklärungsarbeit schafft Brücken und unterstützt damit langfristig Menschen mit Diabetes.“
Neben der Unterstützung der Menschen mit Diabetes ist es uns aber auch wichtig, Aufklärungsarbeit in der Allgemeinbevölkerung zu betreiben, damit hier mehr Wissen besteht und Vorurteile abgebaut werden können. Dazu adressieren wir diese Themen auch in den Feuilleton-Medien, nicht nur in die Fachpresse. Wir gehen auf den verschiedenen Ebenen, in den verschiedenen Formaten, wie der jährlich stattfindenden Charity-Gala in Berlin oder der Sommertour in Travemünde oder dieses Jahr in Berlin, zu den Menschen hin und sprechen über Diabetes. Wenn die Menschen nicht selber Diabetes haben, kennen sie viele andere Menschen oder haben davon gehört. Diese Aufklärungsarbeit schafft Brücken und unterstützt damit langfristig Menschen mit Diabetes. Unsere Kampagne #SagEsLaut #SagEsSolidarisch mit vielen Menschen mit Diabetes hat mittlerweile zu einer enormen Online-Reichweite hinsichtlich von wichtigen Themen von Menschen mit Diabetes geführt.
Damit diese Themen dann auch in den Versorgungsprozess einfließen können, ist eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft, den Diabetes-Schulungs- und Beratungsberufen, dem Berufsverband der niedergelassenen Diabetologen und auch den Diabeteskliniken erforderlich. Diese Zusammenarbeit hat sich sehr erfreulich entwickelt. Wir hören zu und erfahren, wo die Problematiken für Menschen mit Diabetes liegen. Wo finde ich eine Lösung? Und das ist, glaube ich, etwas, was in den letzten Jahren immer mehr geglückt ist und was auch mein Wunsch ist, insbesondere für die Zukunft. Die Transformation von Wünschen, Erfordernissen von und für Menschen mit Diabetes in den Versorgungsprozess.
DA: Welche Rolle wird nach deiner Einschätzung diabetesDE in Zukunft in der Diabeteslandschaft spielen?
Dr. Kröger: Wir sind eine gemeinnützige Organisation und leben von finanzieller Unterstützung, da wir keine klassischen Mitgliederbeiträge haben, wie z.B. die klassische Selbsthilfe. Wir sind angewiesen darauf, dass wir finanziell durch Förderer, Spenden und sonstige Zuwendungen finanziell unterstützt werden, weil man unsere unabhängige Arbeit im Sinne der Menschen mit Diabetes, ihrer Angehörigen und Risikopatienten schätzt. Gerade auch nach Corona ist das nicht einfach… Wenn wir Kooperationen mit Unternehmen schließen, kommen Unternehmen aus dem Bereich der Diabetologie infrage, aber wir waren auch immer erpicht darauf, mit anderen Unternehmen außerhalb der Diabetologie in Kontakt zu kommen: Kooperationen wie mit Lidl, mit Apollo und Mestemacher, also mit Unternehmen, die per se erstmal mit Diabetes nichts zu tun haben. Diese Kooperationen waren für beide Seiten auf unterschiedlichen Ebenen sehr erfolgreich.
Bei der letzten Fußballeuropameisterschaft waren wir beratend tätig für Philipp Lahm und sein Team. Wir haben geworben für Möglichkeiten der gesunden Ernährung und der Förderung von Bewegung während der Europameisterschaft. Im Rahmen der Unterstützungs-Teams hat auch das Unternehmen Coca-Cola neben uns gesessen. Und Coca-Cola sagte dann auch gerne zu uns, „natürlich unterstützen wir auch euch gerne“, aber das passt natürlich nicht. Alle Kooperationen mit Unternehmen, die wir eingehen, müssen auch passen und werden sehr genau ausgewählt. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch nochmal bei den LeserInnen werben. Wir haben 11 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland (2 Millionen wissen nichts von ihrer Erkrankung). Über 8 Millionen Menschen könnten uns theoretisch unterstützen, indem Sie Förderer werden. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, z.B. als VerstärkerIn könnten sie uns mit 5 Euro im Monat unterstützen (https://www.diabetesde.org/foerderer). Jede Fördersumme hilft uns, vielen herzlichen Dank.
DA: Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat dich dieses Jahr für dein großes Engagement mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet – herzlichen Glückwunsch dazu! Was bedeutet das für dich?
Dr. Kröger: Es hat mich sehr gefreut, die Ehrenmedaille zu bekommen. Die Ehrenmedaille zeichnet ja Menschen aus, die sich im Sinne der Menschen mit Diabetes eingesetzt haben oder einsetzen. Mir sind individualisierte Prävention und Therapie für Menschen mit Diabetes, die von politischen Wegen unterstützt werden sollten, immer wichtig gewesen. Die Würdigung dieser Arbeit, die durch meine ehrenamtliche Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender bei diabetesDE ergänzt wurde, bildet das ab, was mir in meinem beruflichen Werdegang und als Mensch immer wichtig war. Was kann einem Schöneres passieren, als dafür ausgezeichnet zu werden.
DA: Was wünschst du dir für dein weiteres Leben, inner- und außerhalb der Diabetologie?
Dr. Kröger: Ich fange mal mit der Diabetologie an. Für mich ist einer der wesentlichen Aspekte, dass die Prävention insbesondere bei Menschen mit Typ-2-Diabetes auch politisch betrachtet wird und wir dort Möglichkeiten haben, dass wirklich Verhaltens- und Verhältnisprävention umgesetzt werden. Verhältnisse zu verändern, wie z.B. durch verpflichtende, einfach zu erkennende Nahrungsmittelkennzeichnungen, wie den Nutri-Score, sind politische Aufgaben, da sollte es eine Implementierung geben. Es soll ein Präventionsinstitut geben. Was dahintersteckt, weiß eigentlich noch keiner. Ich wünsche mir sehr, dass Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes die Therapien bekommen, die ihnen helfen. Dass auch sinnvolle Technik für Menschen mit Diabetes von Krankenkassen unterstützt wird.
Für mich ist wichtig, dass gemeinnützige, unabhängige Organisationen wie diabetesDE weiterhin gut ihre Arbeit verrichten können, gut auch unterstützt werden. Wenn wir die Versorgung weiter nach vorne bringen wollen, brauchen wir betroffene Menschen mit Diabetes und ihre Angehörigen, die sich äußern. Ich habe mich total darüber gefreut, dass jetzt unter der Führung von diabetesDE ein Arbeitskreis Politik entstanden ist, den die Menschen mit Diabetes selbst gefordert haben. Wir versuchen ja immer, Menschen mit Diabetes zu ermutigen, sich aktiv einzubringen, um politisch und auch bei den Kostenträgern etwas zu verändern. Dies wird in den nächsten Jahren bei weniger Ressourcen wichtiger denn je. Die Initiative #SagEsLaut #SagEsSolidarisch hat hier seit Jahren wertvolle Arbeit geleistet.
„Ich habe große Sorge, dass Strukturen sich verändern, sowohl auf der Klinikebene wie auch auf der Ebene der Praxen, die das, was Menschen mit Diabetes brauchen, nicht mehr oder nur eingeschränkt abbilden können.“
Ich habe große Sorge, dass Strukturen sich verändern, sowohl auf der Klinikebene wie auch auf der Ebene der Praxen, die das, was Menschen mit Diabetes brauchen, nicht mehr oder nur eingeschränkt abbilden können. Und was ich mir von den Menschen wünsche, ist auch, dass sie einmal auch realisieren, dass wir in der Versorgung von Menschen, sowohl in der Klinik als auch in den Praxen, zunehmend weniger Ressourcen haben. Es sind weniger Menschen da, die diesen Beruf machen. Es sind zunehmend Menschen da, die ihn gerne gemacht haben und die jetzt super frustriert sind wegen der Bedingungen, die sich verändert haben. Und ich habe manchmal den Eindruck, dass es zunehmend Menschen gibt, die das gar nicht erkennen und den Frust in den Praxen an den MitarbeiterInnen ablassen. Das ist nicht der richtige Weg.
DA: Es gibt ja auch ein Leben außerhalb des Diabetes. Was hast du da für Wünsche für die nächsten Jahre?
Dr. Kröger: Wir haben vor Jahren ein Wohnmobil gekauft. Für mich war der Gedanke, die Zeit, die ich nun zur Verfügung habe, mit dem Wohnmobil an schöne Orte zu fahren und das Leben zu spüren. Das ist etwas, was meine Frau und ich ausweiten wollen. Und etwas, was mir sehr am Herzen liegt: Unsere beiden Jungs sind Ärzte geworden. Und für mich ist super spannend, die beiden tollen Jungs in diesem Prozess zu begleiten. Zu sehen, wie sie Sachen auch anders machen, wie sie Dinge auch anders sehen. Wie sie vielleicht auch in der Generation Denkweisen, die wir hatten, auf eine andere Ebene bringen. Das zu begleiten, ist eine große Freude.
Und wenn dann irgendwann mal Enkelkinder kommen würden, würde ich mich auch sehr freuen. Ein weiterer Punkt ist, einfach die Welt zu erkunden, auch mehr Sport zu machen. Einmal im Jahr fahre ich mit meinem in der Diabetologie auch gut bekannten Freund Andreas Thomas Fahrrad. Wir sind von Hamburg nach Dresden gefahren, wir sind um den Bodensee gefahren. Dieses Jahr fahren wir von Passau nach Wien. Das haben wir uns vorgenommen, bis wir nicht mehr können. Ein wesentlicher Punkt, den meine Frau und ich uns auch vorgenommen haben, ist, Dinge zu machen, die wir noch nie gemacht haben. Ich glaube, eines der entscheidenden Dinge, auch wenn man älter ist, ist, dass man im Kopf fit bleibt. Wir wollen neue Wege gehen, neugierig bleiben. Das hat mich mein Leben lang begleitet und von daher ist das ein paralleler Prozess, der mit der Medizin gut zusammenpasst.
DA: Herzlichen Dank, Jens!
Interview: Dr. Katrin Kraatz
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Ähnliche Beiträge
- Aktuelles
Aufmerksam bleiben: Wenn die Technik bei der AID-Therapie ausfällt

3 Minuten
- Ernährung
Rezept für Tomatensalat mit Edamame

2 Minuten
Keine Kommentare
Über uns
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Anzeige
Recor Medical
Das Verfahren der renalen Denervierung kann helfen, den Blutdruck effektiv zu senken.