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Sind die Glukosewerte zu hoch, kann das sowohl bei Menschen mit Typ-1- als auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes akute Folgen haben. Der Körper kann übersäuern und extrem austrocknen. Beides muss sofort behandelt werden.
Das diabetische Koma stellt eine potenziell lebensgefährliche Entgleisung des Stoffwechsels bei Menschen mit Diabetes dar. Die Bezeichnung “Koma” ist nicht ganz und nicht immer zutreffend, da ein echtes Koma mit Bewusstlosigkeit nur in etwa 10 Prozent der Fälle vorliegt. Es gibt zwei Arten des Komas bei Diabetes: das ketoazidotische – ihm liegt eine Übersäuerung des Körpers durch Fett-Abbau zugrunde – und das hyperosmolare mit extrem hohen Blutzuckerwerten und extremer Austrocknung des Körpers. Die Diagnose wird durch Laborwerte gesichert, nachdem durch die Symptome der Verdacht geäußert wurde. Es gibt einige Auslöser.
Die Ketoazidose kommt zwar in nur maximal 9 Prozent bei Menschen mit Diabetes vor, sie ist dann aber häufig Grund für ein Einweisen ins Krankenhaus. Bei einer Ketoazidose liegt ein absoluter Insulinmangel vor, weshalb der Körper zum Decken seines Energiebedarfs statt auf Glukose auf seine Fett-Reserven zurückgreift. Beim Abbau dieser Fette entstehen Fettsäuren, die im Rahmen der Beta-Oxidation im Körper unvollständig zu sauren Ketonkörpern (Azetoazetat, Beta-Hydroxybutyrat, Azeton) abgebaut werden. Dadurch werden das Blut und der Körper mit Ketonkörpern überschwemmt, was auch die klassischen Symptome verursacht.
Die Diagnose einer Ketoazidose ist leicht stellbar: Sehr hohe Blutzuckerwerte (meist über 250 mg/dl bzw. 13,9 mmol/l) und ein zwei- bis dreifach positiver Keton-Nachweis im Urin bzw. im Blut Ketonwerte über 1,5 mmol/l bei entsprechenden Symptomen sind wegweisend. Ausnahme: Es gibt auch eine Übersäuerung bei normalen Blutzuckerwerten (“euglykämische Ketoazidose”), die unter der Therapie mit SGLT-2-Hemmern entstehen kann, die zur Therapie des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden.
Mit einer vertieften Atmung versucht der Körper, durch “Abatmen” von Kohlendioxid die Übersäuerung auszugleichen. Diese tiefe Atmung wird als Kußmaul-Atmung bezeichnet, nach dem erstbeschreibenden Arzt Adolf Kußmaul. Dieses typische Atmen kann man eigentlich nicht falsch interpretieren. Erste Warnzeichen wie der faulige, fruchtige oder süßliche Azetongeruch, der an frische grüne Äpfel oder Nagellack-Entferner erinnert, aber auch Bauchschmerzen, die an eine Entzündung des Bauchfells erinnern (“Pseudo-Peritonitis”), werden aber nicht selten fehlinterpretiert. Gedacht wird oft an eine Magenverstimmung.
Manche Menschen mit Typ-1-Diabetes lassen bei Infektionen mit Fieber und vermindertem Appetit einfach die Insulin-Injektionen weg. Problem: Durch die Infektion schüttet der Körper Stress-Hormone aus, die Blutzucker-erhöhend wirken. Dazu gehören z. B. Adrenalin, Wachstumshormon und Kortisol. Deshalb muss auf jeden Fall Insulin gespritzt werden. Geschieht dies nicht, kommt es zu einem absoluten Mangel an Insulin, was schließlich durch den Fett-Abbau zu einer Übersäuerung des Körpers und zur Entwicklung einer Ketoazidose führt.
Bei einer Ketoazidose findet man im Labor typischerweise folgende Befunde:
Eine beginnende Ketoazidose können sehr gut geschulte Menschen mit Typ-1-Diabetes oft selbst mit Insulin therapieren. Wenn durch die Insulingabe der Zucker aus dem Blut in die Zellen aufgenommen wird und der Blutzucker sinkt, wird damit auch Kalium aus dem Blut in die Zellen verschoben. Fallende Kaliumwerte im Blut sind die Folge, möglicherweise bis hin zu zu niedrigen Kaliumwerten (Hypokaliämie). Die gleichzeitige Gabe von Kalium, z. B. als Brausetablette oder andere Tabletten, ist deshalb eine der wichtigsten zusätzlichen Maßnahmen neben der Insulinzufuhr. Damit lässt sich das Risiko für gefährliche Rhythmus-Störungen des Herzens reduzieren.
Wer gut geschult und bei klarem Bewusstsein ist, kann diesem groben Schema folgen, um eine beginnende Ketoazidose (Blut-Keton 0,6 – 1,5 mmol/l) zu behandeln:
Bei Blutketon-Werten über 1,5 mmol/l:
Wenn man sich unsicher fühlt oder wenn Angehörige bereits eine Verwirrtheit bemerken, ist ein sofortiges Einweisen in eine Klinik erforderlich. In der Klinik wird der Blutzucker über eine Insulin-Infusionspumpe (Perfusor) langsam gesenkt. Gleichzeitig werden Blutsalze (Kalium) und Flüssigkeit zugeführt und so die Übersäuerung des Bluts und damit des Körpers langsam reduziert. Bei einem zu raschen Absenken der Blutzuckerwerte kann es zu einer lebensbedrohlichen Ansammlung von Wasser im Gehirn kommen (Hirnödem).
Bei einem hyperosmolaren Koma findet man einen Koma-ähnlichen Zustand oft erst bei sehr hohen Blutzuckerwerten über 600 bis 1000 mg/dl bzw. 33,3 bis 55,6 mmol/l. Dadurch kommt es zu einem massiven Verlust an Flüssigkeit von meist mehreren Litern pro Tag. Dass bei Menschen mit Typ-2-Diabetes überhaupt derart hohe Blutzuckerwerte auftreten können, liegt vor allem daran, dass der Anstieg der Blutzuckerwerte meist sehr langsam über mehrere Tage erfolgt.
Menschen mit Typ-2-Diabetes haben je nach Dauer der Erkrankung immer noch eine geringe Rest-Produktion an Insulin durch die körpereigenen Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse. So ist immer noch auch bei steigenden Blutzuckerwerten Insulin im Körper vorhanden und der Abbau des Fetts aus dem Fettgewebe wird normalerweise gehemmt, sodass sich keine Ketoazidose entwickeln kann. Man findet deshalb üblicherweise keine Ketonkörper im Urin, selbst bei extrem hohen Blutzuckerwerten von 800 mg/dl bzw. 44,4 mmol/l oder 1000 mg/dl bzw. 55,6 mmol/l. Bei einer gleichzeitig fortschreitenden Insulin-Unempfindlichkeit (Insulinresistenz) der Gewebezellen kommt es zu einer immer schlechteren Verwertung des Zuckers bei gleichzeitig ungezügelter Zucker-Neubildung in der Leber. Gleichzeitig überwiegt der Gegenspieler des Insulins, das Hormon Glukagon. Dieses veranlasst die Leber zu einer vermehrten Abgabe von Zucker. So entsteht ein hyperosmolarer Zustand, d. h. es findet sich ein sehr hoher Anteil an gelösten Substanzen im Blut, z. B. Zucker.
Auslöser des hyperosmolaren Komas sind oft meist harmlose Infektionen:
Auslöser sind manchmal aber auch Medikamente wie Kortison, die wegen Asthmas oder einer Rheuma-Erkrankung eingenommen werden.
Vor allem wegen des extremen Verlusts an Flüssigkeit und der Verschiebung der Blutsalze ist eine Behandlung in einer Klinik dringend geboten. Die Blutsalz- und Wasser-Verschiebungen in Gehirn und Rückenmark benötigen in der Regel mehrere Tage bis zur völligen Normalisierung. Senkt man den Blutzucker zu schnell, kann es wie beschrieben zur Entwicklung einer Hirnschwellung kommen mit erhöhtem Hirndruck und Beeinträchtigung der Atmung mit möglicherweise tödlichem Ausgang. Deshalb werden in der Regel die extrem hohen Blutzuckerwerte auch in der Klinik trotzdem langsam nur um etwa 50 mg/dl bzw. 2,8 mmol/l pro Stunde bis in den Bereich um 250 mg/dl bzw. 13,9 mmol/l gesenkt.
Um das Risiko einer derartigen Entgleisung der Blutzuckerwerte zu reduzieren, sollten Menschen mit Typ-2-Diabetes insbesondere während fieberhafter Erkrankungen ihren Blutzucker selbst messen können. Dies reduziert Risiken und lässt sie selbstbestimmter handeln.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (5) Seite 28-31
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