- Behandlung
“Es hat sich enorm viel getan”
3 Minuten
30 Jahre lang hat Dr. Wolfgang Marg die Diabetes-Ambulanz in der Prof.-Hess-Kinderklinik in Bremen geleitet und in dieser Zeit rund 750 Kinder mit Diabetes betreut. Was hat sich verändert? Ist alles besser geworden? Wir haben nachgefragt.
Urinzucker-Protokolle, strenge Diätpläne, dicke Insulinspritzen aus Glas und Blutzuckermessgeräte so groß wie ein Kinder-Kassettenrekorder: Dr. Wolfgang Marg kann sich noch gut an die Zeit vor 30 Jahren erinnern. Mit viel Engagement hat er 1984 die Diabetes-Ambulanz in Bremen-Mitte aufgebaut. Seitdem hat sich Vieles verändert: bei der Blutzuckermessung, der Insulintherapie, den Hilfsmitteln, beim Essen und Trinken, in der Lebensqualität. Über seine Erfahrungen und sein Fazit aus den vielen Jahren berichtet er im Interview mit dem Diabetes-Eltern-Journal.
Diabetes-Eltern-Journal: Was war vor 30 Jahren, als Sie angefangen haben, anders – z. B. bei der Blutzuckermessung?
Dr. Wolfgang Marg: Als ich nach Bremen kam, gab es gerade einen Umbruch: Man fing an, häufiger Blutzucker zu messen. Zu Hause wurde damals mit einem Teststreifen im Urin gemessen und in der Klinik mit einem recht großen Blutzuckermessgerät. Der ganze Prozess des Messens dauerte länger als heute – ca. zwei Minuten. Die Messung im Urin ging dann allmählich zugunsten der Messung im Blut zurück; es gab zunehmend Messgeräte für zu Hause. Damit gingen auch die Urinzucker-Protokolle zurück, in denen die Ergebnisse noch mit Farben eingezeichnet wurden: Gelb hieß, der Wert war o.k.; bei dunkelblauer Farbe war der Wert zu hoch. Man konnte sich also auf einen Blick ein Bild machen. Bei den heutigen Protokollen dauert das länger.
Mit dem sekundenschnellen Messen und Abspeichern der Werte heute verschwinden die Werte aber leider auch schnell aus dem Gedächtnis. Der Weg “von der Hand in den Kopf” ist verlorengegangen.
DEJ: Wie sah damals die Insulintherapie aus? Wie hat sie sich im Laufe der Zeit entwickelt?
Mitte der 80er-Jahre gab es einen Wechsel von den festen Insulinkombinationen zur intensivierten Insulintherapie: Vorher wurde zweimal am Tag Insulin gespritzt, dann drei- bis viermal. Parallel dazu lösten Insulinpens langsam die Einmalspritzen ab. Nach und nach kamen zu den Schweineinsulinen Humaninsuline und später die Analoginsuline hinzu. Es gab also ein grundsätzliches Umdenken in der Therapie: Früher spritzte man Insulin und richtete sich dann danach. Mit der intensivierten Therapie heute kann man essen und tun, was man möchte – das Insulin wird einfach angepasst. Das ermöglicht einen viel größeren Grad an Freiheit, was natürlich schön ist. Aber einige Kinder und Jugendliche sind damit erstmal überfordert.
DEJ: Worauf mussten die Patienten damals beim Essen und Trinken achten?
Die Ernährungsqualität der Durchschnittsbevölkerung ist tendenziell eher schlechter geworden, denn das ganze Fastfood und die Softgetränke gab es früher nicht in diesem Umfang. Früher gab es strenge Diätpläne für Kinder mit Diabetes. Als es sich Ende der 80er- bis Mitte der 90er-Jahre durchgesetzt hat, vor allem auf Kohlenhydrate zu achten bzw. Broteinheiten zu berechnen, wurde alles einfacher und es gab eigentlich keine Verbote beim Essen mehr.
Ich lege viel Wert auf eine gesunde Ernährung. Für die Therapie eines kranken Kindes ist es viel günstiger und einfacher, wenn es sich gesund ernährt. Eigentlich müsste jeder Mensch mit Diabetes Ernährungsspezialist werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine günstige Kombination aus Ernährung und Bewegung direkt mit dem HbA1c-Wert korreliert. Wichtig ist, dass die Eltern Vorbilder sind.
DEJ: Wie gingen Kinder, Eltern und das Umfeld früher mit Diabetes um?
Menschen mit Diabetes wurden vor ca. 30 Jahren noch stärker diskriminiert und stigmatisiert, was wohl auf das strengere und kompliziertere Diabetesmanagement zurückzuführen war. Es kam schon häufig vor, dass ein Trainer im Sportverein sagte. “Du darfst bei uns nicht mittrainieren.” Der hatte einfach Angst.
Heute hat das Wissen über Diabetes in der Bevölkerung zugenommen. Dazu kommt, dass heute viele Kinder in Schule und Kindergarten eine Besonderheit haben, wie Zöliakie, Erdnussallergie etc. Dies findet mehr Beachtung und erleichtert dem Einzelnen die Situation, z. B. bei einer Klassenfahrt. Ein großer Vorteil der modernen Diabetestherapien, vor allem der Insulinpumpe, ist auch, dass die Kinder damit nicht mehr groß auffallen.
DEJ: Ihr Fazit aus 30 Jahren Diabetes-Ambulanz?
Insgesamt hat sich enorm viel getan. Die neuen technischen Hilfsmittel sind deutlich besser geworden, erleichtern die Therapie und verbessern die Lebensqualität. Damit hat sich auch die Akzeptanz erhöht. Aber es gibt auch einige Schattenseiten, beispielsweise die schlechtere Ernährungsqualität und die oft zu schnell abgehakten Blutzuckerwerte. Für mich ist es immer wieder beeindruckend zu sehen, wie die Erkrankung des Kindes bei den Eltern Fähigkeiten weckt und zu ganz besonderem Verhalten führen kann; wie Menschen aus einer Lebenskrise heraus starke Kräfte entwickeln und Dinge umsetzen können. Meine These ist, dass eine emotional gute Bindung sehr wichtig ist: zwischen Eltern und Kind und auch zwischen Arzt und Patient.
DEJ: Was möchten Sie Eltern und Kindern aus Ihren Erfahrungen heraus mitgeben?
Sie können die Hoffnung haben, dass weitere technische und medizinische Verbesserungen kommen. Früher dachte man, das bleibt alles so. Wichtig finde ich auch, dass Eltern zu ihren Kindern ein Vertrauen entwickeln, das lange hält. Auf keinen Fall darf der Diabetes das ganze Leben bestimmen. Und Kinder sollten Verständnis dafür aufbringen, wenn die Eltern sich Sorgen machen, nachfragen – und das nicht nur als lästige Kontrolle empfinden.
Interview: Angelika Leidner
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (4) Seite 16-17
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Ähnliche Beiträge
- Aktuelles
DDG fordert verbindliche Maßnahmen zur Prävention von Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen
2 Minuten
- Bewegung
Im Banne von AID und Sarkopenie: So lief das 29. Arzt-Patienten-Seminar (APS) zu Typ-1-Diabetes und Sport
5 Minuten
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Über uns
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Community-Frage
Mit wem redest du
über deinen Diabetes?
Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.
Werde Teil unserer Community
Community-Feed
-
insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Tag, 2 Stunden
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 3 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 6 Tagen, 18 Stunden
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
-
moira antwortete vor 2 Tagen, 21 Stunden
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
-
-
hexle postete ein Update vor 1 Woche, 4 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
-
lena-schmidt antwortete vor 6 Tagen, 9 Stunden
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
-
connyhumboldt antwortete vor 21 Stunden, 25 Minuten
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
-

