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Wenn ich mir mein Traum-Insulin selbst anmixen dürfte, wäre es mir besonders wichtig, dass es in Sekundenschnelle wirkt, sobald mein Blutzuckerspiegel ansteigt. Dann bräuchte ich nicht mehr auf einen Spritz-Ess-Abstand zu achten, der bei mir je nach Tageszeit schon mal bei 20–30 Minuten liegen kann. Am besten erkennt mein Traum-Insulin auch von ganz allein, wann es etwas zu tun gibt – das würde mir die lästige Rechnerei ersparen, sobald Kohlenhydrate im Spiel sind. Ohne Spritzen wäre die Insulintherapie natürlich ebenfalls erheblich angenehmer. Doch vom Traum zurück in die Wirklichkeit: Woran wird aktuell in den Labors geforscht? In einer Sitzung beim diesjährigen ATTD-Kongress habe ich mir angehört, welche neuen Insuline zurzeit erprobt werden – und wie die Chancen stehen, dass sie auch funktionieren und in absehbarer Zeit auf den Markt kommen.
Für viele Menschen mit Diabetes wäre es eine erhebliche Erleichterung, müssten sie ihr Basalinsulin nur noch einmal wöchentlich statt alle 12 bis 48 Stunden spritzen. Seit vielen Jahren erprobt man daher unterschiedliche Verfahren zur Verzögerung der Insulinwirkung, wie Professor Dr. Hans de Vries vom Profil-Institut in Neuss berichtete. Nicht alle erreichen das Stadium klinischer Studien. Doch in näherer Zukunft dürften ein paar Kandidaten die Zulassung erhalten. In der Regel entfalten sie ihr Wirkmaximum erst etliche Tage nach der Injektion, und wegen der nur einmal wöchentlichen Gabe müsste man sich erst einmal an die hohen Wochendosen gewöhnen. Doch offenbar kommt es unter solchen ultralangwirksamen Insulinen noch seltener zu Hypoglykämien als bei gängigen Basalinsulinen wie Lantus.
Doch warum überhaupt spritzen? Warum kann man Insulin eigentlich nicht schlucken wie so viele andere Medikamente auch? Vom Komfort einmal ganz abgesehen muss das Hormon beim Spritzen ziemliche Umwege nehmen, bis es in der Blutbahn ankommt: Über die Kanüle eines Insulinpens bzw. den Katheter einer Insulinpumpe landet das Insulin schließlich zunächst im Unterhautfettgewebe, obwohl es bei stoffwechselgesunden Menschen zuerst über die Gefäße der Leber seine Wirkung dort entfaltet. Die Theorie ist nun, dass Insulin, das zuerst im Magen ankommt, viel schneller Richtung Leber gelangen könnte und damit auch dorthin, wo es tatsächlich zuerst gebraucht wird. Deshalb tüfteln Forschende wie Dr. Eric Zijlstra, ebenfalls vom Profil-Institut Neuss, schon lange an Insulinen, die in Tabletten- oder Kapselform geschluckt werden. Man weiß inzwischen, dass orales Insulin den Blutzucker senken kann. Doch es sind deutlich größere Insulinmengen – bis zu 58-mal mehr! – nötig als beim Spritzen ins Unterhautfettgewebe. Ob und wie gut das Insulin wirkt, kann je nach Abstand zur letzten Mahlzeit und auch deren Zusammensetzung sehr stark schwanken. Darüber hinaus muss das Insulin vor der aggressiven Magensäure geschützt werden, etwa mit einer magensaftresistenten Verkapselung. Trotz der ungelösten Herausforderungen ist Dr. Zijlstra zuversichtlich, dass die Entwicklung von oralem Insulin insgesamt weiter vorangetrieben wird.
Noch einmal weiter entfernt vom praktischen Einsatz sind „smarte“ Insuline, die quasi auf Vorrat gespritzt werden und erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn der Blutzuckerspiegel steigt. Die Idee klingt eigentlich simpel. Man sucht sich im Chemiebaukasten ein glukosesensitives Element, das die Freisetzung steuert, und bringt es irgendwie am Insulinmolekül an. Prinzipiell funktioniert das, wie Dr. Tim Heise – auch er arbeitet am Profil-Institut in Neuss – berichtete. Doch es gibt noch einen ganzen Sack voller Probleme in der Praxis: Zum einen können diese glukosesensitiven Anhängsel die Glukosekonzentration bislang noch nicht zuverlässig genug erfassen. Es gelingt zwar zum Teil, mit Erreichen der vorgesehenen Glukoseschwellenwerte rasch Insulin freizusetzen – doch wenn der Glukosespiegel wieder sinkt, muss das freigesetzte Insulin auch wieder schnell gebunden, also quasi eingefangen werden. Daran hapert es zurzeit leider noch. Ach ja, und es gibt noch ein weiteres nicht ganz unwichtiges Detail: Die glukosesensitiven Begleitsubstanzen sind häufig giftig. „Kaum hat man eines der Probleme gelöst, entsteht dadurch auch schon das nächste“, fasste Dr. Heise die aktuelle Lage zusammen. Er glaubt daher nicht, dass in naher Zukunft schon das perfekte smarte Insulin auf den Markt kommen wird.
Ich verließ die Online-Sitzung mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es toll, dass so viel an neuen Insulinen geforscht wird, damit unsere Diabetestherapie in Zukunft noch ein bisschen einfacher, angenehmer und sicherer wird. Ich bin auch sehr dankbar, dass die Forschenden in den Laboren sich durch die diversen Rückschläge nicht entmutigen lassen und immer weiter an ihren Ideen arbeiten. Doch andererseits bin ich auch ein wenig ernüchtert. Denn seit ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal von der Option eines glukosesensitiven „smarten“ Insulins gehört habe, bin ich ehrlich gesagt ein bisschen verliebt in diese Idee und hätte mich gefreut, wenn ein solches Insulin schon in Greifweite wäre.
Smarte Insuline – the next big thing!? – Auch Basti hat sich schon mit dem Thema beschäftigt!
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