Grundlegender Wandel durch Medikamente, die „das Spiel verändern“

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© Ray_Shrewsberry | Pixabay
Grundlegender Wandel durch Medikamente, die „das Spiel verändern“

Was ist wichtig in der Behandlung des Diabetes? Jahrzehntelang war der Blutzuckerspiegel das wichtigste Kriterium für einen gute Einstellung, im Fokus stand der Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c-Wert). Durch neue Medikamente für Menschen mit Typ-2-Diabetes aber “ändert sich das Spiel”. Das bedeutet konkret: Diese Medikamente senken nicht nur den Blutzucker, sondern verringern auch das Risiko für Langzeitschäden und Sterblichkeit drastisch. Wie also können Menschen mit Typ-2-Diabetes mit Hilfe der neuen Behandlungsmöglichkeiten ein Leben lang gut mit der Erkrankung leben?

Ärztinnen und Ärzte, die Menschen mit Diabetes behandeln, sind gleichzeitig auch oft Endokrinologen – also Hormon-Fachleute. Kein Wunder: Insulin ist ja auch ein Hormon. Ein wichtiges Thema auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie ist deshalb natürlich Diabetes, und Kongresspräsident ist der Diabetologe und Endokrinologe Professor Jochen Seufert. Während der Pressekonferenz kurz vor der Eröffnung des Kongresses sprach er darüber, wie Menschen mit Typ-2-Diabetes durch eine gute Behandlung ein Leben lang gut mit ihrer Erkrankung leben können.

Fazit: Bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2, die häufig gleichzeitig an einem metabolischen Syndrom leiden, zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab – also ein grundlegender Wandel: Der therapeutische Fokus liegt nun von Anfang an auch auf der Behandlung der Begleiterkrankungen und nicht nur auf der Einstellung des Blutzuckerspiegels. Langzeitschäden und Sterblichkeit konnten in Studien so drastisch reduziert werden (1-12). Möglich wird dies durch eine mehrgleisige Therapie, die auch den frühen Einsatz von sogenannten SGLT2-Inhibitoren und GLP-1 Rezeptoragonisten beinhaltet. Klinische Studien zeigen hier übereinstimmend die hohe Wirksamkeit des kombinierten Einsatzes beider Substanzgruppen. Dies gilt insbesondere bei hohen kardiovaskulären Risiken und bestehender Herz- und Niereninsuffizienz.

“Das sind Medikamente, die eben nicht nur den Blutzucker senken, sondern auch Begleiterkrankungen positiv beeinflussen”, so Professor Jochen Seufert (Freiburg

Fast jede/r Zehnte in Deutschland leidet an Typ-2-Diabetes – mit steigender Tendenz (13). Oft tritt dieser im Rahmen eines metabolischen Syndroms auf. Dann leiden die Patientinnen und Patienten auch an Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Gerinnungsstörung und niederschwelliger Entzündung. „Das ist eine toxische Kombination“, sagt Univ. Professor Dr. med. Jochen Seufert, Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Freiburg, „denn sie bildet die Grundlage für schwerwiegende Folgeerkrankungen“. Dazu gehören etwa kardiovaskuläre und mikrovaskuläre Komplikationen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen, aber auch Niereninsuffizienz, Erblindung, Nervenschädigungen und das diabetische Fußsyndrom. Aufgrund dieser Komplikationen erhöht sich auch die Sterblichkeit der Betroffenen deutlich. „Das therapeutische Ziel in der Behandlung muss deshalb auf die Verhinderung von Langzeitschäden dieses Syndroms ausgerichtet sein. Und das bedeutet Therapie ein ganzes Leben lang“, so Seufert, Präsident des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.

Das metabolische Syndrom von Anfang an mitbehandeln

Bei dieser „multifaktoriellen Therapie“ werden Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und der Diabetes mellitus Typ 2 gleichzeitig behandelt. „Dies kann heute durch den sinnvollen Einsatz von neuen Medikamenten gelingen“, sagt Seufert. Denn diese neuen Medikamente “senken eben nicht nur den Blutzucker, sondern beeinflussen auch die Begleiterkrankungen positiv”: Für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 habe sich in Studiendaten aus den letzten Jahren gezeigt, dass gerade neuere antidiabetisch wirksame Medikamente wie SGLT2-Inhibitoren und GLP-1 Rezeptoragonisten einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur Verbesserung des Stoffwechsels, sondern auch zur Gewichtsreduktion und zur Blutdruckreduktion leisten können. Dazu gehöre auch das Verhindern von Langzeitschäden und Folgekomplikationen sowie die Reduktion der Sterblichkeit.

SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten sind Gamechanger

SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten werden als Gamechanger bezeichnet, damit gemeint ist in diesem Fall, dass sich durch sie die Behandlung radikal verändert.

Die Substanzklasse der SGLT-2-Inhibitoren – mit den Vertretern Dapagliflozin, Empagliflozin, Canagliflozin, Sotagliflozin und Ertugliflozin – sind Antidiabetika in Tablettenform (orale Einnahme). Über die Hemmung eines Natrium/Glukose-Cotransporters an der Niere führen sie zu einer vermehrten Ausscheidung von Glukose, jedoch ohne die Gefahr einer Unterzuckerung. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel schonend gesenkt, die Adipositas geht zurück und der Blutdruck fällt. „Die Studienergebnisse haben darüber hinaus auch einen echten Schutz vor Langzeitschäden an Herz und Niere, im Sinne eines Langzeit-Organschutzes, gezeigt“, so der Diabetologe und Endokrinologe (1-3).

Auch für die Medikamentengruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten mit den Vertretern Exenatid, Lixisenatid, Liraglutid, Semaglutid, Dulaglutid, Albiglutid und Efpeglenatid sind in den letzten Jahren überzeugende Studiendaten zur Reduktion von Langzeitschäden bei Diabetes mellitus Typ 2 und des metabolischen Syndroms vorgelegt worden (4-12). Diese Medikamente imitieren die Wirkung des körpereigenen Inkretin- und Darmhormons Glukagon-like Peptide 1 (GLP-1). Sie führen zu einem ausgeprägten Rückgang von Übergewicht und Adipositas, bei gleichzeitiger positiver Wirkung auf Blutzucker und Blutdruck. „Der Blutzucker-senkende Effekt ist hierbei durchaus mit Insulin zu vergleichen. Entsprechend empfehlen die nationalen und internationalen Leitlinien, GLP-1-Rezeptoragonisten vor dem Einsatz von Insulin zu erwägen“, ergänzt Seufert. Studien konnten darüber hinaus belegen, dass die Substanzgruppe das Risiko für
Langzeitschäden durch das metabolische Syndrom reduzieren kann. Besonders der Rückgang von Herzinfarkten und Schlaganfällen war ausgeprägt. GLP-1-Rezeptoragonisten müssen injiziert, also gespritzt, werden.

Langzeittherapie und Einsatz zur Gewichtsabnahme

  • Werden SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten eher von einem Diabetologen/einer Diabetologin oder vom Hausärzt/von der Hausärztin verschrieben, wurde in der Pressekonferenz gefragt. Seuferts Antwort: Die Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren sei einfach und in der Hausarztpraxis gut durchführbar. Auch für die Therapie mit GLP-1-Rezeptoragonisten, die ja gespritzt werden müssen, sei keine spezielle Expertise durch einen Facharzt nötig. Beide Medikamente seien sehr sicher, das Nebenwirkungsprofil überschaubar.
  • In einer weiteren Frage ging es um die LangzeittherapIe: Gibt es schon Studien, z. B. um langfristige Nebenwirkungen aufzudecken. Hier konnte Seufert nicht von Studien, aber von der langen klinischen Erfahrung mit beiden Medikamentengruppen berichten: “Man kann Menschen mit Typ-2-Diabetes beruhigen, dass keine neuen Nebenwirkungen auftreten.”
  • Wenn nun sowohl SGLT-2-Inhibitoren als auch GLP-1-Rezeptoragonisten auch bewirken, dass Nutzerinnen und Nutzer Gewicht verlieren – können sie dann auch nur zu diesem Zweck eingesetzt werden? Das schon, ein GLP-1-Rezeptoragonist ist auch zur Gewichtsregulierung bei Übergewicht zugelassen. Allerdings dieses Medikament dann als Lifestyle-Medikament – und muss selbst bezahlt werden.

HbA1c ist nicht mehr der einzige Zielparameter der Behandlung

„Wir beobachten einen Paradigmenwechsel – statt der vorwiegenden Fokussierung auf den Zielparameter HbA1c, der den langfristigen durchschnittlichen Zuckergehalt im Blut angibt, rückt eine Behandlungsstrategie in den Vordergrund, die auch die Begleiterkrankungen in den Blick nimmt “, fasst DGE-Mediensprecher Professor Dr. med. Stephan Petersenn aus Hamburg zusammen.

Literatur:
(1) Zinman B et al. N Engl J Med 2015;373(22):2117-28
(2) Wanner C et al. N Engl J Med 2016; 375:323-334
(3) Neal B et al. N Engl J Med 2017; 377:644-657
(4) Wiviott S et al. N Engl J Med 2019;380:347-57
(5) Pfeffer M et al. N Engl J Med. 2015; 373(23), 2247-2257
(6) Holman R et al. N Engl J Med 2017; 377:1228-1239
(7) Marso SP et al. N Engl J Med. 2016;375(4):311-22
(8) Mann JFE et al. N Engl J Med. 2017 Aug 31;377(9):839-84
(9) Marso SP er al. N Engl J Med 2017; 376:890-892
(10) Husain M et al. N Engl J Med. 2019; DOI: 10.1056/NEJMoa1901118
(11) Hernandez A et al. Lancet 2018; 392:1519–1529
(12) Gerstein HC et al. Lancet 2019; 394:121-130
(13) https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Diabetes_Surveillance/diab_surv_node.html

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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie | Redaktion

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