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Wie lange wir schlafen und wie wir schlafen, beeinflusst auch unseren Hormonhaushalt. Auch die Ausschüttung von Insulin und anderen Hormonen, die bei Diabetes eine Rolle spielen, verändern sich durch Schlafdauer und Schlafqualität. Der Vortrag eines Experten gibt Einblick in dieses faszinierende Geschehen – und zeigt, wie ein angemessenes Schlafverhalten sich positiv auf den Diabetes auswirken kann.
Ohne Sonne, ohne Licht gibt es keine gute Regulation der Hormone“, sagte Prof. Dr. Gerhard H. Scholz während seines Vortrags beim Kirchheim-Forum Diabetes, der die hormonale Dysbalance (Ungleichgewicht der Hormone) bei Typ-2-Diabetes betrachtete. Heute hat der Mensch seinen Schlaf-Wach-Rhythmus an äußere Einflüsse wie Uhrzeit und Arbeitszeit angepasst. Fällt dieser äußere Taktgeber weg, zeigen Menschen oft einen anderen Schlaf-Wach-Rhythmus. Verantwortlich dafür, wann wir von Natur aus müde werden oder besonders fit sind, ist unsere innere Uhr.
Den Rhythmus des Lebens gibt grundsätzlich der Wechsel von Tag und Nacht, von Licht und Dunkelheit vor. Neben diesen Faktoren spielen aber auch periodische Schwankungen der Umwelt eine Rolle, wie Gezeiten und Jahreszeiten. Um uns daran anzupassen, haben wir im Zuge der Evolution auch endogene Rhythmen entwickelt, die von unserer inneren Uhr geregelt werden. Sie ist für die präzise Steuerung unseres Schlaf-Wach-Verhaltens zuständig.
Diese interne Körperuhr ist im Zwischenhirn angesiedelt und setzt sich aus einem winzigen Zellhaufen zusammen, dem sog. suprachiasmatischen Nucleus (SCN). Dessen Nervenzellen geben rhythmisch Signale an andere Gehirnregionen ab. Treffen diese Impulse dort ein, werden Nervenreize oder Hormone durch den Körper gejagt – so steuert er die Zeiten von Ruhe und Aktivität unserer Organe.
Die Tageszeit nimmt der Körper über die Lichtintensität der Sonnenstrahlen wahr. Im SCN wird der 24-Stunden-Rhythmus vorgegeben. Er sagt, wann wir abends müde und morgens wieder munter werden. Die Nervenimpulse des SCN beeinflussen über eine gezielte Hormonausschüttung auch die unterschiedlichsten Körperfunktionen.
Faszinierend: Die Zellen in den Körperorganen enthalten eigene Uhren-Gene. Sie lassen sich über Nerven- oder Hormonsignale vom Gehirn aus aktivieren, können aber auch ein Eigenleben führen. So haben Forscher herausgefunden, dass die Leber rhythmische Aktivitätsschwankungen entwickelt. Als zentrales Stoffwechselorgan macht sie das, wenn es um die Verwertung von Nahrung zu bestimmten Zeiten geht.
„Jedes Organ hat quasi eine eigene interne Uhr. Es ist die autonome Tagesrythmik in zentralen und peripheren Geweben. Sie tickt auch ohne einen zentralen Impuls für eine ganze Weile“, so Scholz. Die „Master-Uhr“, also der SCN, synchronisiert demnach die Gewebeuhren. Voraussetzungen für die hormonale Balance sind also die Sonne und unsere Uhrengene. Bestes Beispiel: die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit. „An dieser einen Stunde kauen manche Menschen eine Woche lang. Das zeigt, wie stabil dieser Rhythmus ist“, erklärte er.
Eine stabile Tagesrhythmik hat z.B. auch das „diabetogene“ Hormon Cortisol bei Gesunden. Es wird angeregt, damit wir morgens frisch und munter mit ausreichend Zucker und gutem Blutdruck aufstehen können. Im Tagesverlauf geht das Cortisol dann zurück, abends ist es an seinem niedrigsten Punkt angelangt, und wir können schlafen. Eine neue Publikation vom Dezember 2015 zeigt: Erhöhtes abendliches Cortisol ist ein höherer Risikofaktor für Typ-2-Diabetes. Auch das „antidiabetogene“ Hormon Leptin aus dem Fettgewebe und der „Insulinsensitizer“ Adiponectin folgen bei gesunden Menschen ihrem Tagesrhythmus.
Licht, also der Schlaf-Wach-Rhythmus, bestimmt unsere Leistungsfähigkeit. „Jede Tageszeit hat ihre Aktivitätshöhepunkte, die hormonell gesteuert werden“, betonte Scholz. Neben den Rhythmen Licht und innere Uhr würde zu den Hormonen zusätzlich noch ein Mahlzeiten-Rhythmus hinzutreten.
Unser Körper gewöhnt sich in der Regel schnell an bestimmte Schlafphasen, erreicht dabei auch ein Stück weit Anpassung und Training. Doch oftmals sind Weckzeiten nicht gleich Wachzeiten. Der Körper erfährt dann eine empfindliche Störung in bestimmten Schlafphasen. Je nachdem, welche Phasen davon betroffen sind, kann es zu erheblichen Problemen kommen.
„Schlafreduktion oder Schlafunterbrechung reduzieren die Insulinsensitivität bereits bei Gesunden“, sagte Scholz und verwies auf eine aktuelle Übersichtsarbeit, die mehrere Einzelbeobachtungen auswertete.
Das Ergebnis: Eine Schlafreduktion von 10 auf 4 Stunden verändert die hormonale Balance. Auch häufige Unterbrechungen erhöhen die Insulinresistenz. Die gute Nachricht: Man holt dieses Defizit wieder auf, sobald man an den darauf folgenden Tagen mehr schläft. Bei unregelmäßigem Schlaf hätte man zudem einen höheren Appetit auf Kohlenhydrate, was insbesondere für Diabetiker eher ungünstig sei, erläuterte er.
Typ-2-Diabetiker leiden häufig unter einem Schlafapnoe-Syndrom (SAS), das eine der häufigsten Schlafstörungen darstellt. In Deutschland sind etwas mehr als 8 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Bei einer Schlafapnoe, die meist mit einer erhöhten Tagesmüdigkeit einhergeht, kommt es während des Schlafs immer wieder zu längeren Atemstillständen (Apnoe). Zumeist sind die Atemwege verengt, aber auch bestimmte Veranlagungen oder Übergewicht können die Ursache sein. „Bitte prüfen Sie das bei Ihren Patienten!“, forderte er Scholz seine Kollegen auf. Bei fast 80 Prozent seiner Diabetespatienten liege ein Sauerstoffmangel und damit eine Störung der Sauerstoff-Balance vor.
Hinsichtlich des Einflusses der inneren Uhr auf die hormonale Dysbalance zeigt sich bei Menschen mit Typ-2-Diabetes: Langschläfer haben höhere HbA1c-Werte als Frühaufsteher. „Unser Schlafrhythmus, unsere Schlaflänge und Schlafstörungen spielen für die diabetische Stoffwechsellage eine wichtige Rolle“, sagte er. Bei Schlafstörungen nehme bei Typ-2-Diabetes die Insulinresistenz zu, aber auch die Betazell-Funktion wird gestört. Wer dagegen lange schläft und sozusagen etwas hungert, setzt Fettsäuren frei, die sich auf die Insulinsekretion auswirken – eine morgendliche Hyperglykämie ist die Folge.
Betazellen: Zellen, die das Insulin in der Bauchspeicheldrüse produzieren.
Abschließend ging er auf die Leber als Hauptverursacher des Typ-2-Diabetes ein. Das Organ stand schon vor 100 Jahren im Mittelpunkt der Forschung. „Doch erst in den letzten Jahren verstehen wir wieder, wie wichtig die Leber für den Typ 2 ist“, so Scholz. Beim Diabetes ist die Glukoseproduktion der Leber erhöht und liegt bei über 12 Gramm pro Stunde. Das heißt: Es wird zu viel Zucker über die Leber produziert.
Die Entstehung von Diabetes Typ 2 und die Leber hängen demnach eng zusammen. Experimente zeigen, dass die Leber und ihr Stoffwechsel eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob und wo der Körper Fett einlagert. Passiert das außerhalb des üblichen Fettgewebes, z.B. in der Leber selbst, kann dies zu einer verminderten Wirkung des Blutzuckerhormons und damit zur Insulinresistenz (Unempfindlichkeit der Körperzellen für Insulin) führen.
Früher ging man davon aus, dass die Fettleber eine Folge von Typ-2-Diabetes oder Adipositas ist. Neue Studien belegen das Gegenteil: Die Fettleber könnte – bereits in einem frühen Stadium – auch eine Ursache für die verminderte Insulinwirkung und damit für Typ 2 und Übergewicht sein.
Störungen der hepatischen Glukosehomöostase (Gleichgewichtszustand für Glukose in der Leber) durch eine hormonale Dysbalance bewirken eine anhaltende Glukoseproduktion der Leber – trotz Hyperglykämie (Überzuckerung) sowie eine unzureichende Kompensation der Hypoglykämie (Unterzuckerung) bei erhöhtem Glukoseverbrauch. Eine Insulinresistenz der Leber verstärkt diese Faktoren noch.
Bei Typ-2-Diabetikern trete zudem ein paradoxes Glukagonverhalten auf: Statt zu fallen, steigt das Glukagon. Scholz‘ Fazit: Die hormonale Dysbalance bei Typ-2-Diabetikern wird durch Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus begünstigt. Fehlernährung, Bewegungsmangel und Adipositas sind durch eine erhöhte Insulinresistenz, eine verzögerte bzw. dysregulierte Insulinsekretion, einen paradoxen Glukagonanstieg nach Kohlenhydrat-Aufnahme und verminderten Inkretineffekt sowie Inkretinsekretion gekennzeichnet. „Das Gute ist: Diese Situation kann durch Lebensstiländerungen beeinflusst werden“, schloss Scholz.
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