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Viele Menschen, die über 20 Jahre Diabetes haben, bekommen Probleme mit den Augen. Dies betrifft Typ-1- wie Typ-2-Diabetiker. Wichtig ist, Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Wie? Das erfahren Sie hier.
Peter M. hatte in den letzten Wochen schon mehrfach abends, als es langsam dunkel wurde und er mit seinem Auto von der Arbeit nach Hause fuhr, beinahe parkende Autos mit seinem eigenen Auto gerammt – nur mit Mühe konnte er gerade noch an ihnen vorbeifahren. Die Sehverschlechterung hatte er anfangs nicht ernst genommen (auch beim Lesen der Zeitung hatte er schon länger Probleme), doch jetzt wurde es gefährlich.
Ohne seiner Frau etwas zu sagen, suchte er einen Augenarzt auf, den er schon einmal vor 8 Jahren besucht hatte – anlässlich der Entdeckung seines Diabetes. Jetzige Diagnose: beginnender diabetischer Netzhautschaden; eine Laser-Therapie wurde vorgeschlagen!
Nach mehreren Fotokoagulationsterminen beim Augenarzt sieht er glücklicherweise wieder deutlich besser, tagsüber fährt er wieder Auto – in der Dämmerung und nachts lässt er es aber vernünftigerweise in der Garage stehen.
Die diabetische Retinopathie (diabetischer Netzhautschaden) ist die häufigste Komplikation bei Diabetikern an den kleinen Blutgefäßen. Laut Hammes (Dtsch. Gesundheitsbericht Diabetes 2014, Augenerkrankungen) ist sie allerdings nicht mehr die häufigste Ursache der Erblindung durch Diabetes. Diese soll auf die altersbedingte Makuladegeneration und den grünen Star zurückzuführen sein.
Bei Typ-1-Diabetikern drohen vor allem Gefäß-Neubildungen – die proliferative diabetische Retinopathie, mit Erblindungsgefahr. Bei Typ-2-Diabetikern ist es hauptsächlich die diabetische Makulopathie – eine Erkrankung, bei der die Stelle des schärfsten Sehens (gelber Fleck) betroffen ist.
Es ist der ständig erhöhte Zucker im Blut, der die Zellen der Blutgefäße (Endothel) und die Zellen der Netzhaut (Stäbchen und Zapfen) direkt schädigt; so ist es kein Wunder, dass mit der Dauer des Diabetes vor allem bei schlechter Blutzuckereinstellung auch das Risiko für Netzhautschäden zunimmt! Besonders verschlechternd wirken sich noch erhöhter Blutdruck (Hypertonie)und Rauchen aus!
Erste Zeichen dafür, dass eine Netzhautschädigung vorliegt, sind Mikroaneurysmen: kleine Aussackungen an den Blutgefäßen der Netzhaut. Sie erscheinen bei der augenärztlichen untersuchung wie kleine Trauben in der Netzhaut.
Sind größere Gebiete der Netzhaut nicht mehr mit Blut versorgt, da die kleinsten Blutgefäße (Kapillaren) verschlossen sind, versucht der Körper, den Sauerstoffmangel auszugleichen, indem er Blutgefäße neu bildet. Diese neuen Blutgefäße (Proliferationen) sind jedoch sehr brüchig, und es kann leicht zu Blutungen kommen.
Darüber hinaus wachsen diese brüchigen Gefäße häufig in den der Netzhaut anliegenden Glaskörper ein – dort können sie ebenfalls ganz leicht zu Blutungen und einer Netzhautablösung führen.
Besonders gefährlich sind eine Blutung, eine Durchblutungsstörung oder eine Ansammlung von Wasser (Ödem) an der Stelle des schärfsten Sehens: Hier gibt es kaum Blutgefäße, so dass das Licht weitgehend ungehindert auf die Netzhaut auftreffen kann.
Der eigene Organismus versucht dann, diese Stellen selbst zu “reparieren” – dies geht jedoch häufig mit Narbenbildungen und anschließender Schrumpfung einher; die Netzhaut kann hierdurch ein- bzw. abreißen – Erblindungsgefahr! Der Augenarzt sieht oft weißlich-flockige Areale im Auge, die wie Baumwoll-Flocken aussehen.
Die Frühformen der Erkrankung verlaufen oft völlig ohne Beschwerden – dies ist einer der Gründe, warum eine regelmäßige augenärztliche Kontrolluntersuchung der Netzhaut (und natürlich auch der übrigen Augenabschnitte inkl. Augendruckmessung) selbstverständlich sein sollte.
Die Augenuntersuchung sollte möglichst bei erweiterter Pupille (durch Tropfen) erfolgen. Nur so sieht der Augenarzt auch die Blutgefäße am Rande der Netzhaut, diese sind häufig anfangs betroffen! Eine Fotografie mit einer Spezialkamera (kostet meist extra!) stellt diese Gebiete auch ohne Pupillenerweiterung bildlich dar. Nach einer Untersuchung mit erweiterter Pupille darf man nicht Auto fahren – das Sehvermögen ist vorübergehend eingeschränkt.
Nächste Seite: Warnzeichen ernst nehmen +++ Risikofaktoren für Netzhautschädigungen +++ Therapieoptionen
Beginnende diabetische Netzhautveränderungen verlaufen oft sehr lange völlig symptomlos, d. h. man bemerkt selbst oft nichts davon. Gerade deshalb sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen unabdingbar. Denn: Sind die diabetischen Veränderungen schon fortgeschritten, gibt es nur noch wenige Optionen für eine Verbesserung. Vorbeugende oder auch den Netzhautschaden positiv beeinflussende Medikamente gibt es bis heute nicht.
Deshalb: Warnzeichen ernst nehmenund sofort reagieren! Warnzeichen können sein:
Eine zu schnelle Normalisierung des Blutzuckers zum Beispiel von regelmäßig 250 mg/dl auf 120 mg/dl (13,9 auf 6,7 mmol/l) kann ebenfalls der Netzhaut schaden – es treten dann manchmal Blutungen auf (die Netzhaut ist oft an den schon lange erhöhten Blutzucker gewöhnt!). Deshalb sollte der Blutzucker langsam über Tage bzw. auch Wochen gesenkt und auch erst dann z. B. eine neue Brille angepasst werden. Denn nicht immer ist an einer Sehverschlechterung ein Netzhautschaden schuld.
Wird der Blutzucker z. B. besser eingestellt, kann es ebenfalls vorübergehend zu einer Sehverschlechterung kommen: wegen des veränderten Brechungsverhaltens der Linse (und Hornhaut) durch den unterschiedlichen Wassergehalt (Änderung des Brechungswinkels des Lichtes) bei hohem bzw. niedrigem Blutzucker!
Dr. David Kubiak, Insulinpumpentreffen, April 2014 in Bad Kissingen
Die nach wie vor wichtigste Therapiemöglichkeit bei diabetischer Retinopathie/Makulopathie ist die Laserfotokoagulation; das bedeutet die Behandlung der Netzhaut mit einem hoch energetischen Lichtstrahl. Bei der Vitrektomie, also der Entfernung des Glaskörpers, werden Glaskörperblutungen bzw. Gefäßneubildungen entfernt und es wird versucht, die Netzhaut ggf. wieder anzulegen.
Die Therapie liegt also ganz in den Händen des Augenarztes. Wichtig ist aber auch die begleitende Therapie durch den Hausarzt bzw. Diabetologen bezüglich des Blutdrucks, des Blutzuckers und ggf. auch der Senkung erhöhter Blutfette.
Die Injektion von Medikamenten gegen Wachstumsfaktoren der Netzhaut-Blutgefäße direkt ins Auge kann meist nur noch marginal, aber manchmal doch sehr effektiv helfen, noch ein Restsehen zu erhalten. Folgende Medikamente stehen zur Verfügung: Avastin, Lucentis und Eylea. Die Injektionen werden von spezialisierten Augenärzten in oft mehreren Sitzungen direkt in das Auge durchgeführt – speziell beim Makulaödem und bei der feuchten Makuladegeneration.
Es ist kaum zu glauben, wie viele Menschen mit Diabetes trotz der bekannten und auch einleuchtenden Empfehlungen nicht regelmäßig zur Augevorsorge gehen – zeigen Sie im eigenen Interesse, dass es auch anders geht!
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund)
Kontakt:
Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 21-0
sowie Klinik Saale, Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 5-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (6) Seite 30-33
5 Minuten
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