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Wenn Außenstehende mich und meinen Mann Christoph bei unseren Unterhaltungen belauschen würden, hätten sie sicherlich schnell ziemlich viele Fragezeichen in den Augen. Und zwar nicht nur, weil wir uns im Umgang miteinander im Laufe der vergangenen elf Jahre unseren ganz eigenen Paar-Code zugelegt haben. Sondern auch, weil ich Diabetes habe und das ganze Diabetes-Drumherum unseren Sprachgebrauch beeinflusst. Damit meine ich nicht nur Begriffe wie ICT und SEA, Diafee und Diadoc, IE und KE, Basal und Bolus, mit denen unsereins zwangsläufig um sich wirft und die Christoph natürlich auch in seinen aktiven Wortschatz übernommen hat. Sondern auch Redewendungen, die für uns einfach etwas ganz anderes bedeuten, als es auf den ersten Blick scheinen mag – oder die ohne den Kontext Diabetes überhaupt keinen Sinn ergeben. Hier mal ein paar Beispiele:
fragt mich Christoph morgens manchmal, wenn ich zum Frühstücken nach unten komme. Nein, das ist kein dezenter Hinweis nach einer schönen gemeinsamen Nacht, dass es langsam Zeit ist zu gehen (wir leben ja sowieso zusammen). Er will auch nicht wissen, ob ich wegen eines Jobtermins am Vormittag in Eile bin. Sondern es geht allein darum, wie lange mein oben im Schlafzimmer gespritztes Insulin schon wirkt – und ob mir Spritz-Ess-Abstand und aktueller Glukosewert noch Zeit für unser Morgenritual lassen: mit einer dampfenden Tasse Kaffee durch den Garten zu wandeln, nach den Tomaten und Kräutern zu sehen und darüber zu fachsimpeln, wann der nächste Rasenschnitt fällig ist.
fragt Christoph abends vor dem Schlafengehen manchmal. Das Verb „lanten“ steht nicht im Duden und ist vielleicht sogar in der Diabetes-Community nicht wirklich gängig. Es bedeutet bei uns „Lantus spritzen“, irgendwie logisch, da ich als Basalinsulin immer abends um 21.30 Uhr Lantus spritze.
ist im Hause Thiel dementsprechend eine eindeutige Uhrzeitangabe, nämlich 22.15 Uhr.
frage ich meinerseits, wenn Christoph uns etwas Schönes gekocht hat – und will in dem Moment eigentlich gar nicht so genau wissen, welche Zutaten er verwendet und wie viele Gänge er vorbereitet hat. Auch die Kalorien sind mir dann erst einmal egal. Ich will erst einmal nur eine Zahl als Antwort, nämlich die Zahl der Kohlenhydrateinheiten (KE), für die ich Insulin spritzen muss.
ist eine Frage, die meine Mutter immer noch irritiert, weil wir uns nicht allzu oft im Jahr sehen und mein Diabetes ihr nicht so vertraut ist, wie es bei Christoph der Fall ist. Meine Mutter denkt dann schnell, dass ich sehr hungrig und ungeduldig bin – vielleicht sogar verärgert, weil das Essen zu spät auf den Tisch kommt. Christoph dagegen weiß natürlich, dass es dabei allein um den Spritz-Ess-Abstand geht: Wenn ich weiß, was drin ist (siehe oben) und wann es ungefähr serviert wird, kann ich meinen Bolus planen.
Mit Diabetes geht man ständig mit einem Wert irgendwo rein und kommt mit einem anderen Wert wieder raus. Im Restaurant gehe ich mit 110 mg/dl (6,1 mmol/l) ins Abendessen und komme (im Idealfall) mit 150 mg/dl (8,3 mmol/l) wieder raus. Beim Triathlon gehe ich mit 170 mg/dl (9,4 mmol/l) auf die Laufstrecke und komme mit 120 mg/dl (6,7 mmol/l) wieder raus. Abends gehe ich mit 140 mg/dl (7,8 mmol/l) ins Bett und komme mit 100 mg/dl (5,6 mmol/l) wieder raus. Für Leute mit Diabetes und ihr Umfeld ist dieses ständige Rein und Raus normal – sogar so ein Satz, wie er vor ein paar Jahren mal bei einem Diabetes-Stammtisch fiel, bei dem wir über das schlaueste Vorgehen bei indischem Essen diskutierten: „Letztes Mal bin ich mit 130 ins Curry gegangen und mit 180 wieder raus.“
Wer fremd in der Diabetesszene ist, kann mit so einem Satz vermutlich wenig anfangen – oder sieht bestenfalls einen Obdachlosen vor sich, der irgendwie auf sehr traditionelle Art durch die Welt tippelt. Eingeweihte kapieren natürlich sofort, dass ich keine Insulinpumpe trage, sondern lieber einen herkömmlichen Pen benutze, um mir mein Insulin zuzuführen.
Außenseiter denken dabei vielleicht eher an das Fläschchen Tipp-Ex oder den Rotstift, mit dem Lehrkräfte Klassenarbeiten traktieren. Für Christoph und andere Eingeweihte ist natürlich klar, dass ich damit zum Ausdruck bringen möchte, dass ich wegen eines hohen Glukosewerts Insulin spritzen muss.
Die meisten Leute gehen bei so einem Satz wohl davon aus, dass DHL oder Hermes mich unverständlich lange auf ein Paket warten lässt. Wenn Christoph hingegen mich das sagen hört, dann weiß er, dass mein Glukosewert trotz Kohlenhydraten aus unerklärlichen Gründen noch nicht nach oben steigt. Oder dass die Fett-Protein-Einheiten eines ausschweifenden Grillabends sich seltsamerweise noch nicht in der Glukosekurve bemerkbar gemacht haben und ich deshalb unschlüssig bin, ob ich mit diesem Wert schlafen gehen soll.
Wer keine Ahnung von Diabetes hat, geht wahrscheinlich davon aus, dass ich einen Ausflug in den Vergnügungspark plane – und wundert sich, warum meine Mimik so gar nicht nach Vorfreude und Begeisterung aussieht. Menschen mit Diabetes und ihre Verbündeten hingegen wissen: Heute veranstaltet meine Glukosekurve Berg- und Talfahrten, die einen enorm schlauchen können.
Welche Diabetes-Redewendungen nutzt ihr, die Außenstehende unmöglich verstehen können?
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