Hinter die Dinge schauen: Kinder-Diabetologin und Coach Dr. Katja Schaaf im Interview

13 Minuten

Hinter die Dinge schauen: Kinder-Diabetologin und Coach Dr. Katja Schaaf im Interview | Foto: Dennis Blechner
Foto: Dennis Blechner
Hinter die Dinge schauen: Kinder-Diabetologin und Coach Dr. Katja Schaaf im Interview

Dr. Katja Schaaf brennt für ihre Aufgaben – und ist an ihnen gewachsen. Als Kinder-Diabetologin und Coach will sie Kindern und Jugendlichen nicht nur beibringen, wie Glukosewerte und Insulin zusammenhängen. Ihr ist wichtig, durch bislang Unbewusstes den ein oder anderen „Knoten“ zu lösen.

Im Interview: Dr. med. Katja Schaaf

Einfach nur als Kinder- und Jugendärztin und Diabetologin zu arbeiten, reichte Dr. Katja Schaaf nicht. Sie erkannte bei ihrer Arbeit, dass es mehr gibt als Glukosewerte und -verläufe, die man durch Insulin und Essen steuert. Da gab es noch das Unausgesprochene, das Unbewusste. „Wenn in der Diabetologie etwas ruckelig wurde bei den Glukoseverläufen, hat man auf Ernährung geguckt, auf Sport, die Hormone – und es war doch noch irgendwas, das nicht funktioniert hat. Da habe ich schnell gemerkt: Wenn man nicht weiterkam, wurden Kinder und Jugendliche noch zum Psychotherapeuten geschickt.“

Dr. Katja Schaaf (Foto: Fotostudio bildsucht)

Den ganzen Eisberg betrachten

Katja Schaaf erweiterte ihren Horizont und ihr Wissen in dieser Richtung, zum einen in die Psychosomatik. Zum anderen ließ sie sich in contextuellem Coaching fortbilden. Heute blickt sie mit ihren Diabetes-Familien, speziell den Kindern und Jugendlichen, in der Sprechstunde unter die Wasseroberfläche und betrachtet den ganzen Eisberg, nicht nur dessen Spitze, die hinausragt. „Beim contextuellen Coaching guckst du, was drunterliegt, also eher, was unbewusste Gedankenmuster sind, die dein Handeln beeinflussen. Denn 95 Prozent unserer Handlungen sind unbewusst und nur über 5 Prozent sind wir uns im Klaren.“

Eigene Grenzen reflektieren, um Menschen zu helfen

Eigentlich gehört dieses Herangehen auch zur klassischen Medizin, findet Katja Schaaf, und ergänzt: „Was dazugehört, ist auch Selbstreflexion, also bei sich selbst zu schauen. Wenn ich selbst Grenzen habe, kann ich das auch bei Patienten nicht erkennen, weil es eben auch mein blinder Fleck ist.“ Sie selbst hat durch ihren Weg auch viel gewonnen – und ist ein rundum zufriedener Mensch.

Diabetes-Anker (DA): Katja, Du bist Kinder- und Jugendärztin in einer Klinik, Diabetologin und Endokrinologin und außerdem weitergebildet in der Ernährungsmedizin und Psychosomatik. Wie war dein Weg zu dieser Vielseitigkeit?

Dr. Katja Schaaf: Das ist eine schöne Frage, weil ich mich eine Zeitlang gefühlt habe, als hätte ich einen Bauchladen, den ich vor mir rumtrage. Tatsächlich ist es so, dass der Kreis sich jetzt schließt. In der ersten Klinik, in der ich als Ärztin im Praktikum angefangen habe zu arbeiten, also noch vollkommen unerfahren war, war es in den Diensten so, dass es für die Kinder mit Diabetes einen Zettel gab, auf den ein Arzt mit Erfahrung schaute: „Der Blutzucker ist so – so viel Insulin abgeben.“

Ich habe das nicht verstanden. Ich hatte gelernt, dass Diabetes auch etwas mit Ernährung zu tun hat. Und wenn die Kinder anders essen und wenn sie erhöhte Ketone haben, kann das doch nicht nur dieser Plan sein. Ich durfte in der Klinik aber nichts machen, weil ich halt unerfahren war. So ist das Interesse entstanden. Ich finde das spannend, denn wenn du Diabetes verstehst, ist er ja relativ einfach zu behandeln.

In der zweiten Klinik, in der ich mich beworben habe, habe ich extra darauf geachtet, dass eine Diabetologie dabei war. Dort habe ich die Weiterbildung Diabetologie abgeschlossen und hatte das Glück, einen ganz tollen Oberarzt zu haben, der mich schon früh viel hat machen lassen. Dadurch habe ich wahnsinnig viel gelernt, wir haben Schulungen gemacht und zusammen mit der Diabetesberaterin dort Schulungsmaterialien selbst erstellt.


Wenn man nicht weiterkam, wurden Kinder und Jugendliche noch zum Psychotherapeuten geschickt. Und dann habe ich geschaut, dass ich selbst noch was dazu nehme in Bezug auf die Psyche.


Dann hatte ich meinen Facharzt und die Frage war, wie es weitergeht. Zufällig berichtete eine Pharmavertreterin, dass die Uniklinik jemanden für die endokrinologische Weiterbildung sucht , der ein bisschen Erfahrung in der Diabetologie hat. Das fand ich super, denn wenn man Hormone versteht, versteht man auch den Zuckerverlauf manchmal besser. So habe ich die Endokrinologie dazu genommen.

Und Ernährungsmedizin habe ich gemacht, weil ich zwischen diesen beiden Stellen zwei Monate Auszeit hatte. Ich hätte entweder reisen können oder gucken, was ich noch dazu nehme, was mir später auch die Arbeit vereinfacht und wo ich noch mehr Verständnis entwickle. Da passt die Ernährung super rein. Es gab gerade einen Kurs quasi vor der Haustür… Dann hatte ich dieses Dreierpaket.

Aber ich habe gemerkt, dass immer noch irgendwas fehlt als Baustein. Wenn in der Diabetologie etwas ruckelig wurde bei den Glukoseverläufen, hat man auf Ernährung geguckt, auf Sport, die Hormone – und es war doch noch irgendwas, das nicht funktioniert hat. Da habe ich schnell gemerkt: Wenn man nicht weiterkam, wurden Kinder und Jugendliche noch zum Psychotherapeuten geschickt. Und dann habe ich geschaut, dass ich selbst noch was dazu nehme in Bezug auf die „Psyche“. Die psychosomatische Grundversorgung war das, was man als Zusatzbezeichnung noch machen kann. Das fand ich total wertvoll als Ergänzung.

DA: Welche Aufgaben hast du jetzt in der Klinik?

Dr. Schaaf: Ich habe meine Arbeitszeit im Elisabeth-Krankenhaus in Essen reduziert, weil ich parallel noch eine Coaching-Ausbildung gemacht habe. In der Klinik habe ich eine Oberarztstelle und habe dort eine große Ambulanz für Kinder und Jugendliche mit Diabetes und Endokrinologie aufgebaut. Nach seiner Ausbildung wurde diese Ambulanz jetzt von einem Kollegen übernommen.

Ich betreue in der Klinik zum einen ambulant Kinder und Jugendliche mit diabetologisch-endokrinologischen Krankheitsbildern, von Diagnosestellung über Therapieumstellung, Neueinstellung, zum anderen stationär Kinder, die mit einer Diabetes-Manifestation kommen oder zur Schulung. Hinzu kommt die so wichtige Ausbildung von jungen Kollegen, die in der Weiterbildung nachrücken.

DA: Du hast eben das Coaching erwähnt, das du parallel machst. Du bist auch ausgebildet in contextuellem Coaching und Business-Coaching. Was war der Auslöser dafür?

Dr. Schaaf: Ich habe ja die psychosomatische Grundversorgung gemacht und auch da habe ich gemerkt: Das war halt noch sehr medizinisch-kognitiv geprägt. Weil die Jugendlichen oft gekommen sind und gesagt haben, „Immer, wenn wir zu dir kommen, sind danach ein paar Themen aufgelöst“, habe ich gedacht, dass ich aber nicht ausgebildet bin dafür. Ich habe lange gesucht, was ich machen könnte, und Coaching-Ausbildungen sind sehr unterschiedlich.

Ich war dann sehr dankbar, dass ich diese Ausbildung gefunden habe. Heute gibt es die in der Form nicht mehr. Die Ausbildung hatte auch viele psychotherapeutische Aspekte und das war das, was mir damals sehr geholfen hat, weil ich tatsächlich die letzten Feinschliffe gekriegt habe, um Patienten noch einmal anders in Verantwortung zu bringen, ohne dass es wie ein nasser Waschlappen ins Gesicht ist, sondern wirklich zu schauen, wo es vielleicht noch hängt: „Was denkst du noch über die Erkrankung, über dich?“ Oft ist das unbewusst und man kann es gar nicht selbst benennen.

DA: Was ist der Unterschied zwischen Coaching und contextuellem Coaching?

Dr. Schaaf: Der Hauptunterschied liegt meiner Meinung nach darin, dass du beim contextuellen Coaching schaust, was darunterliegt, also eher, was unbewusste Gedankenmuster sind, die dein Handeln beeinflussen. Denn 95 Prozent unserer Handlungen sind unbewusst und nur über 5 Prozent sind wir uns im Klaren. Beim contextuellen Coaching schaust du unter der Wasseroberfläche, was im Eisberg wirkt. Die Titanic wäre nicht gesunken, wenn die Spitze des Eisbergs das Problem gewesen wäre, sondern die ist ja auch unten dagegen geprallt.

Und das ist auch meine Erfahrung: Wenn gerade in der Diabetologie Dinge nicht umgesetzt werden, dann ist das nicht, weil jemand nicht will, und meistens auch nicht, weil er nicht kann oder es nicht weiß. Es gibt immer eine Lücke zwischen Wissen und Tun und das habe ich dort in der Ausbildung gelernt: andere Fragen zu stellen, dass man auf das guckt, was nicht so offensichtlich ist.

DA: Warum kann die klassische Medizin das deiner Meinung nach nicht abbilden?

Dr. Schaaf: Ich glaube, sie könnte das, wenn wir zum einen als klassische Mediziner das mit in der Ausbildung hätten. Was dazugehört, ist auch Selbstreflexion, also bei sich selbst zu schauen. Wenn ich selbst Grenzen habe, kann ich das auch bei Patienten nicht erkennen, weil es eben auch mein blinder Fleck ist. In der klassischen Medizin sind wir sehr fokussiert auf die Werte. Die Glukosewerte, Verläufe und Befunde werden besprochen, aber wir haben gar nicht gelernt zu untersuchen, was vielleicht hinter den Werten liegt. Das kostet am Anfang vielleicht einmal mehr Zeit, spart aber danach Zeit.

DA: Wer profitiert besonders von contextuellem Coaching?

Dr. Schaaf: Eigentlich profitiert davon jeder, weil wir alle unsere blinden Flecken haben. Ich glaube, jeder, der wirklich etwas verändern will und bereit ist, auch mal dahin zu gucken, wo es erstmal unangenehm ist, der profitiert davon. Wenn wir an die Denkmuster gehen und sie verändern wollen, profitieren wir unglaublich.

DA: Du kommst aus der Kinder- und Jugendmedizin. Das contextuelle Coaching ist, wie ich dich jetzt verstanden habe, eigentlich für jeden geeignet. Siehst du Unterschiede zwischen den Kindern und Jugendlichen und den Erwachsenen, wenn du sie betreust?

Dr. Schaaf: Ja, die Kinder und die Jugendlichen sind schneller, das ist total schön zu sehen. Im Grunde ist es tatsächlich so: Je älter wir werden, desto festgefahrener sind wir in unseren Gewohnheiten, in unseren Mustern und in unseren Sichtweisen über uns und übers Leben. Und die Jugendlichen und je jünger die Kinder sind, die haben das halt noch nicht so. Wenn du dir kleine Kinder anguckst, die probieren aus, die machen Fehler. Aber die sehen das nicht als Fehler, sondern sagen: „Ah, hat nicht geklappt, probiere ich wieder.“ Die sind risikobereiter, bereiter, auch was Neues auszuprobieren und sich auf unbekannte Sachen einzulassen – das verlieren die Erwachsenen ja relativ schnell.

DA: Kommen die Menschen mit konkreten Aspekten oder Fragen zu dir oder ist es eher so, dass du in der Ambulanz zum Beispiel merkst, da wäre Bedarf, und dann die Kinder und die Eltern ansprichst?

Dr. Schaaf: Es ist beides. Die Mehrheit ist aber so, dass ich durch diese Ausbildung schneller eine Diskrepanz sehe zwischen dem, was jemand sagt, und den Werten. Dann spreche ich die Kinder und Jugendlichen schneller an. Ich habe zum Beispiel eine Jugendliche mit AID-System, bei der ich in den CGM-Daten immer gesehen habe, dass die Werte ganz stabil waren und auch im angestrebten Bereich.

Und dann gab es Zacken nach oben und dann wieder Abfälle. Bei den Zacken nach oben waren manchmal Insulinabgaben verzeichnet und manchmal nicht. Und wenn Insulin abgegeben war, war das nach dem Glukoseanstieg. Was ich mir abgewöhnt habe, ist, zu sagen, was ich denke, sondern ich frage nach: „Wann gibst du dein Insulin ab?“ „Vor dem Essen.“ „Kann das sein, dass du es manchmal auch anders machst?“ „Ach ja, dann und dann…“ Als ich dann über die Werte geguckt habe, ist mir aufgefallen, dass bei Hunderter-Werten immer diese Anstiege waren und zum Teil kein Insulin abgegeben wurde.

Dann habe ich gefragt: „Gibt es irgendwas, wovor du Angst hast oder was du befürchtest?“ Sie sagte: „Ja, Unterzuckerungen.“ Und dann habe ich gedacht: Okay, das passt zu dem, was ich aus diesen Daten sehe. Dann habe ich weitergefragt: „Hast du das mal erlebt, eine Unterzuckerung?“ „Ja.“ „Wie tief warst du da?“ „52.“ „Hast du da was gespürt?“ „Nee, da ging’s mir gut.“ Dann habe ich gedacht: Dann kann es die Erfahrung nicht sein, dass man automatisch anfängt zu essen, weil man Angst hat vor einer Unterzuckerung. Daraufhin habe ich weitergefragt: „Was ist das Schlimmste, was passieren könnte in einer Unterzuckerung?“ Und dann schossen ihr die Tränen in die Augen, sie hat mich angeguckt und gesagt: „Das möchte ich nicht sagen.“ In dem Moment habe ich nur gesagt: „Weißt du was? Ich glaube, ich weiß was du denkst.“


„Das sind Momente, wo ich mich so freue, dass ich diese Ausbildung genießen durfte, weil das, glaube ich, einen Unterschied in der Beratung macht.“


„Ich weiß, was du sagen möchtest und möchte nur, dass du es einmal aussprichst, damit es einmal auf dem Tisch und raus ist.“ Und sie: „Ich möchte das nicht sagen.“ „Du, es passiert nichts. Einfach mal aussprechen.“ Dann hat sie wirklich gesagt: „Ja, dass ich dann sterbe.“ Wenn du das nicht erkennst – und das wäre mir ohne die Ausbildung, glaube ich, nicht gelungen –, dann hätte ich geschult, Insulin vorm Essen abzugeben, kein Essen ohne Insulinabgabe, in der Hypo nicht zu viel zu essen. Ich hätte das klassische Standardprogramm gefahren.

Ich habe sie angeguckt und gefragt: „Wie kommst du darauf? Hast du jemanden erlebt?“ Dann habe ich weitergefragt und es war wirklich so, dass ich erst mal diese Geschichte kaputtgemacht und gesagt habe: „Okay, dass es nicht passiert, dass man in der Unterzuckerung stirbt, kann ich dir natürlich nicht sagen, aber es passiert nur, wenn…“ Dann habe ich die Szenarien aufgelistet, die zwar unwahrscheinlich sind, aber die man so kennt: Jemand hat Alkohol getrunken, läuft am Fluss vorbei, fällt rein, wird gefunden, niedriger Blutzucker gemessen. Oder du hast wirklich das Insulin vollkommen verwechselt, hast keine Körperwahrnehmung, hast keinem Bescheid gesagt – dass sie merkt: Okay, das Szenario ist relativ unwahrscheinlich.

Sie hat mich angeguckt und gesagt: „Ich habe gerade keine Angst mehr.“ Du konntest das im Gesichtsausdruck sehen, wann dieser Switch da war. Ich habe ihr noch erzählt, welche Gegenregulation es gibt, welche Symptome und dass man selbst steuern kann, ob man sie ignoriert – was gefährlich wäre – oder nicht. Das sind Momente, wo ich mich so freue, dass ich diese Ausbildung genießen durfte, weil das, glaube ich, einen Unterschied in der Beratung macht. Heraus kam auch noch, dass die Angst durch Video auf Social Media entstanden ist, da dort jemand mit Diabetes durch Insulin und Unterzuckerung umgebracht wurde…

DA: Melden sich auch Menschen außerhalb der Ambulanz bei Dir?

Dr. Schaaf: Ja, es gibt Menschen, die mich schon mal anschreiben, einen Diabetes haben, die ein spezielles Thema haben oder denen es nicht so gut geht, die vielleicht die Diagnose noch nicht angenommen haben. Ich sage dann immer: „Ihr dürft euch darum kümmern, annehmen muss man es nicht. Hauptsache, man versorgt es.“ Damit nimmt man schon mal den Druck weg, dass ich das annehmen müsste.

Man muss nicht sagen, Diabetes ist toll oder er macht nichts in meinem Alltag – das stimmt ja nicht. Aber zu sagen, ich versorge ihn trotzdem… Das sind so die Anfragen, die ich extern kriege, also nicht von meinen Patienten. Da geht es eher um Akzeptanz, Zustimmung, vielleicht auch Abgrenzung, wenn Verwandte sehr „übergriffig“ sind, also immer vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.

Noch ein Beispiel: wenn Werte nicht zu dem passen, was jemand sagt, zum Beispiel „Ich mache immer alles, was ihr mir gesagt habt, ich setze das um“ und du siehst, es passt nicht, dann nicht hinzugehen und zu sagen „Der lügt, der macht das eh nicht“, sondern zu gucken, was der Fall sein könnte. Haben wir uns vielleicht kommunikativ irgendwo missverstanden, gab es da irgendeine Lücke? Das ist im Grunde eine niederschwellige Psychotherapie.

DA: Wenn Menschen direkt in deine Coaching-Angebote kommen, wie läuft ein Coaching dann ab?

Dr. Schaaf: Ich mache das sowohl live als auch per Zoom. Ich frage erst mal ganz genau ab, worum es geht, was die Frage ist, die derjenige an mich hat – damit es keine Arbeit ohne Auftrag wird. Das machen wir in der Medizin ganz gern, dass wir ein Problem sehen und das dann lösen wollen, aber es war eigentlich gar nicht der Wunsch des Patienten. Ich setze immer mindestens eine Stunde an, unter 90 Minuten wird es fast nie, weil ich erst mal verstehen will, was los ist, damit der Patient und ich den gleichen Film haben und wir genau wissen, worüber wir reden.

Im Gespräch gebe ich nie Antworten vor, sondern ich frage. Ich lasse Menschen auch aussprechen, was sie nicht aussprechen wollen, denn wo es am meisten weh tut, ist oft der größte Benefit für die Veränderung. Denn dann ist es nicht mehr unbewusst. Dann ist es ausgesprochen, dann ist es bewusst geworden und dann kann man es verändern. Wenn du merkst, irgendwas stimmt noch nicht, und wenn du das aufgelöst hast, dann brauchst du nicht viel Zeit, dann reicht meist ein Termin. Ich frage mich immer, ob ich wirklich tief genug gekommen oder eher an der Oberfläche bin. Denn solange es oberflächlich bleibt, fällt derjenige immer wieder in seine unbewussten Muster zurück.

DA: Die Kosten in der Ambulanz werden, wenn du dort das contextuelle Coaching mit einsetzt, ganz klassisch über die normale Krankenkassen-Versorgung übernommen. Wenn die Menschen extra zu dir kommen ins Coaching, wer übernimmt dann die Kosten?

Dr. Schaaf: Das ist eine gute Frage. Also, in der Ambulanz ist es tatsächlich so, wie du sagst. Das schreibe ich ja nicht extra auf, das mache ich automatisch in meiner Tätigkeit mit, denn es lohnt sich, weil der Rest schneller geht, sich die Termine verschlanken. Das heißt, da ist es in der normalen Ambulanz-Pauschale mit drin, weil das ja mein Beratungsgespräch ist.

Wie ich das führe, darf ich ja entscheiden. Wenn Menschen direkt zu mir kommen, handhabe ich es unterschiedlich. Es gab Krankenkassen, die das teil- oder sogar ganz erstattet haben, weil es ja ein Gesundheitscoaching ist. Ich habe dann geschrieben, es ist ein Gesundheitscoaching im Bereich Diabetes.

Es waren oft auch Menschen, die gesagt haben, ihnen sei eine Psychotherapie empfohlen worden, sie kriegen aber gar keinen Platz, und sie hätten, ehrlich gesagt, „nur“ „XY“-Herausforderung mit der Diagnose oder im Verlauf der Akzeptanz vom Diabetes. Dann habe ich gesagt, das können wir im Coaching machen – Psychotherapie würde erstattet, Coaching nicht beziehungsweise ich weiß es nicht, sie könnten es versuchen.

Meine Wunschvorstellung wäre tatsächlich, dass Krankenkassen – und man kann ja dann wirklich nach der Qualität gucken – das Coaching als Alternative zu einer Psychotherapie erstatten. Ich glaube, das würde unserem System wahnsinnig Kosten sparen, weil die Psychotherapie sehr langwierig ist.

DA: Wie organisierst du dieses Nebeneinander von Klinik-Tätigkeit und Coaching-Tätigkeit als Unternehmerin?

Dr. Schaaf: Es wäre mir sehr schwergefallen, meine Stelle in der Klinik aufzugeben, um nur noch im Coaching-Bereich zu arbeiten. Was ich auch mache, sind zum Beispiel Kommunikationskurse für die Diabetologen DDG, die vier- bis sechsmal im Jahr stattfinden. Das ist auch etwas, wo wir Bedarf haben. Ich habe gedacht, wenn ich das Wissen, was ich aus der Coaching-Ausbildung habe, an Kollegen, an Patienten bringe und die das dann selbst umsetzen, verändert sich was.

Mein Chef in der Klinik war ganz toll und hat überlegt, wie wir alles verbinden können. So habe ich reduziert und der Kollege, den ich ausgebildet habe, macht die Ambulanz weiter. Ich vertrete immer bei Urlaub, Krankheit, Fortbildungen und das planen wir immer fürs kommende Jahr.

DA: Würdest du deinen beruflichen Weg heute wieder genauso gehen?

Dr. Schaaf: Es war ja nicht geplant, so, wie es war, aber ich glaube, es war genau richtig. Hätte ich damals schon die Möglichkeiten gekannt, hätte ich den Weg, glaube ich, bewusst gewählt.


„Ich kenne das Wort Work-Life-Balance nicht, weil das bedeuten würde, dass Arbeit und Leben getrennt sind. Aber Work ist ja auch Leben – und es gilt, seine Arbeit so zu gestalten, dass das schon Spaß ist.“


DA: Bleibt dir bei deinen vielen Aufgaben und Tätigkeiten noch Zeit für anderes?

Dr. Schaaf: Ja! Das ist auch was, warum ich dieses Coaching so mag und was ich meinen Familien immer vermittle: ein bisschen das Denken zu ändern. Zum einen mich für das, was ich mache, wirklich bewusst zu entscheiden und das gern zu machen, weil das nämlich Lebensqualität ist. Ich kenne das Wort Work-Life-Balance nicht, weil das bedeuten würde, dass Arbeit und Leben getrennt sind. Aber Work ist ja auch Leben – und es gilt, seine Arbeit so zu gestalten, dass das schon Spaß ist.

Was ich aber auch viel mache: Ich reise total gern. Meinen Sport, den ich immer gemacht habe, musste ich ein bisschen einschränken, weil ich leider vor zwei Jahren einen schweren Motorradunfall hatte. Ich bin viel in der Natur, ich lese wahnsinnig viel, ich meditiere bestimmt anderthalb Stunden am Tag.

DA: Das klingt, als seist du einfach ein zufriedener Mensch.

Dr. Schaaf: Total, bin ich wirklich. Das ist auch, warum ich das so liebe, was ich mache, weil du tatsächlich, wenn du mit den Menschen hinguckst, etwas auflöst und sie dann zur Tür rausgehen und ein anderes Leben haben. Was ich zum Beispiel auch nicht mehr mache, ist, wenn jemand zu spät zu einem Termin kommt, mich darüber zu ärgern. Denn das Ärgern bringt nichts, zu spät ist er trotzdem – was ja unterschiedliche Gründe haben kann. Mit Ärgern verderbe ich mir nur den ganzen Tag.

DA: Super! Als ich dein Logo auf deiner Website drkatjaschaaf.de sah mit dem Schaf, dessen Körper wie eine Sprech- oder Denkblase aussieht, musste ich lachen. Wie kamst du auf dieses Logo?

Dr. Schaaf: Ich gar nicht. Derjenige, der die Website gestaltet hat, hat gesagt: „Weißt du was? Du brauchst ein cooles erkennbares Logo.“ Ich wollte das Schaf erst gar nicht haben, weil ich es ein bisschen kindisch und albern fand. Mittlerweile liebe ich es.

DA: Wenn du dir konkret etwas für die Zukunft für Kinder und Jugendliche mit Diabetes wünschen dürftest, was wäre dein größter Wunsch?

Dr. Schaaf: Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass die Kommunikation sich noch mal verändert. Was Kinder und Jugendliche auch ganz oft berichten, ist Unwissenheit ihrer Mitmenschen und, dass sie auch Mobbing-Erfahrungen machen, doofe Sprüche und so.

Da wünsche ich mir, dass Menschen, die nicht wissen, wovon sie reden, sich ein bisschen mehr Fakten holen, bevor sie urteilen – und auf der anderen Seite, dass die Kinder und Jugendlichen vielleicht durch eine Art Coaching – man könnte das ja sogar als Trainingskurs machen – lernen, anders damit umzugehen, damit sie das, was im Außen passiert, nicht so auf sich beziehen. Damit sie wirklich, egal ob es jetzt Diabetes ist, egal welche Erfahrungen sie machen, das als Chance für sich umwandeln können und eine andere Lebensqualität entwickeln.

DA: Ganz herzlichen Dank, Katja!


Interview: Dr. med. Katrin Kraatz

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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