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Wie ist das, wenn man als Typ-2-Diabetiker ohne Insulintherapie keine guten Werte mehr erreicht? Was kann Insulin – und wie steigt man am besten ein? Dr. Gerhard-W. Schmeisl erklärt es im Diabetes-Kurs.
Sie war darüber erschrocken, denn bisher war sie mit Tabletten relativ gut eingestellt (HbA1c-Wert 7,3 Prozent). Der Hausarzt erklärte ihr, sie müsse sofort Insulin bekommen, um nicht noch ein “Zucker-Koma” zu riskieren. Nach einer kurzen Schulung und Einweisung in der Praxis spritzte sie sich selbst 1-mal pro Tag ein Langzeit-Basalinsulin, eine Blutzucker-Selbstmessung wollte sie nicht durchführen.
Die regelmäßigen Kontrollen beim Hausarzt ergaben schon in den nächsten Tagen eine deutliche Besserung der Blutzuckerwerte (240 mg/dl bzw. 13,3 mmol/l) – je mehr sich ihre Bronchitis besserte.Einen Monat später, als Frau M. wieder völlig beschwerdefrei war und wie gewohnt Spaziergänge machte, konnte das Insulin tatsächlich wieder abgesetzt werden.
Rund 90 Prozent der Diabetiker in Deutschland haben einen Typ-2-Diabetes; im Gegensatz zu Typ-1-Diabetikern haben sie keinen absoluten, sondern nur einen relativen Insulinmangel: Zu Beginn der Erkrankung fehlt zwar zu gewissen Zeiten das Insulin, aber über viele Jahre wird es noch selbst produziert. Und: Häufig wirkt das Insulin bei den Betroffenen aufgrund von Übergewicht nicht besonders gut – dies nennt man Insulinresistenz.
Es gibt viele Wirkstoffe, sprich Tabletten (orale Antidiabetika), die zur Behandlung des Typ-2-Diabetes gerade am Anfang geeignet und sinnvoll sind. Mit ihnen bekommt man nach den aktuellen weltweiten Leitlinien eine möglichst gute Blutzuckereinstellung hin – unter Vermeidung schwerer Unterzuckerungen und einer weiteren Gewichtszunahme.
Typ-2-Diabetiker haben (anders als Typ-1-Diabetiker) noch funktionsfähige insulinproduzierende Zellen (Betazellen) in der Bauchspeicheldrüse – häufig noch über viele Jahre; man kann durch Bewegung, vernünftige Ernährung und, wie erwähnt, durch orale Antidiabetika unterstützt noch eine gute Blutzuckereinstellung erreichen. Der Typ-2-Diabetes ist fortschreitend, etwa 6 Prozent der insulinproduzierenden Betazellen sterben pro Jahr ab. Also muss auch ein Typ-2-Diabetiker irgendwann Insulin spritzen.
Es gibt Situationen, die zu einer Verschlechterung der Insulinwirkung oder zu einem Mehrbedarf an Insulin führen: Hierzu gehören Stress, eine anstehende Operation, ein grippaler Infekt oder eine harmlose Blasenentzündung. Diese können dazu führen, dass die Tabletten nicht mehr ausreichen – und man sollte auf Insulin eingestellt werden. Vor einer Insulintherapie sollte aber jeder berücksichtigen, dass Insulin ein Wachstumshormon ist; der zu frühe oder unkritische Einsatz kann zu Risiken führen – also sollte man folgende Punkte beachten und wissen:
Das Ziel der Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern ist u. a. eine gute Blutzuckereinstellung möglichst ohne Unterzuckerungen und ohne Gewichtszunahme. Längerfristiges Ziel ist, Diabetesfolgen zu minimieren: an den kleinen Blutgefäßen z. B. der Netzhaut, der Nerven und der Nieren – und an den großen Gefäßen mit drohendem Herzinfarkt, Schlaganfall und Amputationen.
Jedoch sollte der Blutzucker im höheren Alter nicht “auf Teufel komm raus” gesenkt werden: Große Studien konnten zeigen, dass dies sogar zu einem häufigen Auftreten von Komplikationen insbesondere am Herzen führen kann.
Zum Schutz der großen Gefäße steht bei Typ-2-Diabetikern nicht die Blutzuckereinstellung an erster Stelle: Entscheidend sind vielmehr die Blutdruckeinstellung, die Normalisierung der Blutfette und regelmäßige Bewegung im Sinne einer verbesserten Herz-Kreislauf-Fitness.
Zu Beginn der Insulintherapie bei einem Typ-2-Diabetes benötigen viele Betroffene noch keine intensivierte Insulintherapie: Diese wäre verbunden mit einem (relativ komplizierten) Insulinschema, bei dem Mahlzeiten- und Basalinsulin konsequent getrennt voneinander gegeben werden. Man sollte überlegen, welches Problem im Vordergrund steht: Sind die Blutzucker-Nüchternwerte erhöht? Oder sind die Blutzuckerwerte 2 Stunden nach den Mahlzeiten erhöht? Oder sind beide Werte erhöht? Daran orientiert sich das Vorgehen:
Sind beide Werte erhöht, spricht das eher dafür, dass der Betroffene nachts und auch tagsüber Insulin benötigt. Es geht dann nur noch darum, mit welchem Therapieschema man möglichst einfach und ohne schwere Nebenwirkungen beginnen könnte.
Vor einer Insulintherapie sollte man mit seinem Arzt überlegen – gerade als Übergewichtiger: Wäre nicht noch eine darmhormonbasierte Therapie denkbar? Gemeint sind die GLP-1-Analoga – sprich Medikamente wie Byetta, Bydureon, Trulicity, Victoza. Mit ihnen ist oft eine sehr gute Blutzuckereinstellung möglich – bei gleichzeitiger, manchmal deutlicher Gewichtsreduktion. Heute gibt es auch eine Kombinationstherapie von Basalinsulin und einem dieser GLP-1-Analoga (Medikament: Xultophy).
Zu Beginn einer Insulintherapie sollten Medikamente wie Metformin möglichst beibehalten werden – da dadurch Insulin eingespart werden kann und somit das Risiko für eine Unterzuckerung und eine weitere Gewichtszunahme reduziert werden kann. Der Beginn einer Insulintherapie richtet sich wie gesagt primär danach, ob erhöhte Nüchternwerte und/oder erhöhte Blutzuckerwerte 2 Stunden nach den Mahlzeiten im Vordergrund stehen.
Sind die Blutzucker-Nüchternwerte erhöht und lassen sie sich durch die alleinige Gabe von Metformin nach dem Abendessen nicht mehr in den Normbereich senken, ist es sinnvoll, durch eine kleine Menge Basalinsulin vor dem Schlafengehen eine Insulintherapie zu starten (NPH-Insulin, Levemir).
Zeigt sich anhand erhöhter Werte speziell auch nach den Mahlzeiten und dazwischen, dass auch tagsüber Insulin gebraucht wird, hat sich als einfachster Einstieg in die Insulintherapie die Verwendung des Langzeit-Analoginsulins Insulin glargin als sehr günstig erwiesen (Lantus, Abasaglar oder Toujeo 300 Einheiten/ml). Zum einfacheren Start gibt es ein Titrationsschema – eine Anleitung für die konkrete Insulinmenge (siehe Tabelle rechts).
Viele Typ-2-Diabetiker haben schon zu Beginn ihrer Erkrankung zu wenig Insulin zu den Mahlzeiten – Blutzuckermessungen 2 Stunden nach dem Essen können dies aufzeigen. Gerade diese erhöhten Werte nach den Mahlzeiten sind besonders für schwerwiegende Folgen am Herz-Kreislauf-System verantwortlich; also ist es sinnvoll, diese konsequent zu senken.
Der einfachste Einstieg in eine Insulintherapie bei erhöhten Werten nach den Mahlzeiten ist die S.I.T. (Supplementäre Insulintherapie). Das bedeutet die Gabe kleiner feststehender Mengen Insulin kurz vor den Hauptmahlzeiten: z. B. 4 bis 6 E eines Kurzzeit-Human- bzw. Kurzzeit-Analoginsulins. Sollte eine Basalinsulingabe erforderlich sein, kann dies wie bei der konventionellen Insulintherapie (CT) mit dem Langzeit-Analoginsulin Insulin glargin, mit der zweimaligen Gabe z. B. von Insulin detemir oder auch mit Humaninsulin erfolgen.
Alternativ kann auch eine Mischinsulintherapie erfolgen – mit festen Insulinmischungen z. B. 30 Prozent Normal-, 70 Prozent Basalinsulin morgens und abends (bzw. morgens, mittags und abends). Allerdings ist es heute eher sinnvoll, Analoginsulin-Mischungen wie Humalog Mix 25 bzw. NovoMix 30 einzusetzen, da die Unterzuckerungsgefahr geringer ist. Das Mischinsulin sollte nur zu den Hauptmahlzeiten gegeben werden – z. B. auch nur mittags und abends, wenn der Betroffene z. B. nicht frühstückt!
Vor allem ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes haben in stärkerem Maße (20 bis 40 Prozent) eine eingeschränkte Nierenfunktion (Niereninsuffizienz). Bestimmte orale Antidiabetika dürfen bei einem bestimmten Ausmaß der Nierenfunktionsstörung nicht mehr gegeben werden oder müssen von der Menge her reduziert werden (wie Metformin, DPP-4-Hemmer). Die Wirkung des Insulins kann bei einer Nierenschwäche verstärkt und verlängert sein, denn Insulin wird teils über die Nieren ausgeschieden.
Eine Nierenschwäche führt andererseits durch eine zunehmende Insulinresistenz auch oft dazu, dass man mehr Insulin benötigt! Dies sollten Sie mit Ihrem Arzt regelmäßig unbedingt besprechen.
Die Einstellung eines Typ-2-Diabetikers auf Insulin kann plötzlich notwendig werden im Rahmen eines Infektes oder einer Operation. Oder eben auf lange Sicht bei langsam nachlassender Insulinausschüttung bzw. stärkerer Insulinresistenz, wobei immer eine den individuellen Möglichkeiten und dem individuellen Risiko des Betroffenen angepasste Insulintherapie durchgeführt werden sollte.
Analoginsuline erhöhen als Kurzzeit- wie auch als Basalinsulin dabei die Therapiesicherheit – mit weniger Unterzuckerungen und einer geringeren Gewichtszunahme. Kurzzeit-Analoginsuline bieten auch den Vorteil, dass sie nach dem Essen gespritzt werden können – eine bessere Anpassung an die Mahlzeiten ist so möglich.
Bei sehr übergewichtigen Patienten, die bereits eine Insulintherapie benötigen, ist noch eine Kombination eines Basalinsulins mit einem darmhormonbasierten Therapeutikum sinnvoll, da dadurch eine rasche Gewichtszunahme vermieden werden kann und der Patient ein geringeres Unterzuckerungsrisiko hat.
Aber auch Typ-2-Diabetiker benötigen mit Fortschreiten der Erkrankung immer häufiger mehr Insulin – also ist es sinnvoll, dass sich jeder Typ-2-Diabetiker diabetologisch begleiten, auch neu schulen lässt. Die Therapie kann dann gefahrlos umgestellt werden.
Natürlich können auch ältere Menschen mit Diabetes auf Insulin umgestellt werden und eine Insulintherapie ohne große Risiken erlernen. Voraussetzung ist, dass man gut geschult und vernünftig aufgeklärt wird. Ziel ist schließlich, die Lebensqualität zu verbessern – es geht nicht um eine Blutzuckerkosmetik. In manchen Fällen kann das Insulin wieder abgesetzt werden: Man sollte deshalb zunächst keine Angst vor Insulin haben – wer einen Therapieversuch macht, wird sehen, dass es ihm viel besser geht.
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologie, Diabetologie, Sozialmedizin,
Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen,
Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale, Pfaffstraße 10,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/85-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (6) Seite 30-33
5 Minuten
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