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Menschen, die sich hilflos und antriebslos fühlen, haben mehr Schwierigkeiten in der Diabetes-Therapie. Mit den Glukosewerten steigt nicht nur das Risiko für eine Depression, sondern auch das Sterberisiko. Menschen mit Diabetes in schwierigen Lebenssituationen sind daher eine Hochrisikogruppe, die mehr Aufmerksamkeit benötigt.
Hinweis: Am Ende dieses Beitrags findest Du ein Kasten mit Kontaktdaten für Anlaufstellen bei akuten psychologischen Krisen.
Eine depressive Episode und ihre Schweregrade sind eigentlich ganz einfach zu diagnostizieren. „Aus den Haupt- und Zusatzsymptomen ergeben sich Diagnose und Schweregrade“, erklärte Professor Dr. Johannes Kruse von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen auf einem Symposium im Rahmen des letztjährigen Diabetes Kongresses. Treten je zwei Haupt- und Zusatzsymptome (siehe Kasten) auf, spricht man von einer leichten Depression.
Hauptsymptome
Zusatzsymptome
Bei zwei Hauptsymptomen in Kombination mit drei bis fünf Zusatzsymptomen handelt es sich um eine mittelschwere Depression. Kommen alle drei Hauptsymptome und mindestens vier Zusatzsymptome zusammen, ist von einer schweren Depression auszugehen.
Bei Menschen mit Diabetes sind depressive Symptome etwa doppelt so häufig wie in der Normalbevölkerung anzutreffen (9 bis 10 vs. 4,9 Prozent). Noch weiter verbreitet sind Anpassungsstörungen (25 Prozent) und erhöhte diabetesbezogene psychosoziale Belastungen, die bei 44 Prozent der Menschen mit Typ-1-Diabetes und bei 25 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes beobachtet werden. Als Grund hierfür nannte er die vielfältigen Herausforderungen, vor die der Diabetes Betroffene stellt, darunter Hypo- und Hyperglykämien, das komplexe Therapieregime, Hilflosigkeit und Überforderung, die Entwicklung von Folgeerkrankungen und Komplikationen, soziale Ausgrenzung und Einschränkungen in Beruf- und Privatleben.
Weitere Anhaltspunkte liefern Daten zur Begleiterkrankung Depression bei Menschen mit Diabetes, die das Medizinische Kompetenzcenter der AOK Hessen analysiert hatte: Bei 27,8 Prozent der erfassten Versicherten mit Typ-2-Diabetes wurde auch eine Depression diagnostiziert, wobei die Männer hier mit 39 Prozent in der Minderheit sind. Der Männeranteil steigt allerdings mit zunehmendem Schweregrad der Depression und liegt bei schweren Episoden bei 43 Prozent. Auch beim Typ-1-Diabetes sind begleitende Depressionen demnach weit verbreitet: Die Rate des zusätzlichen Auftretens einer Depression liegt bei 20 Prozent, doch hier ist das Geschlechterverhältnis (48 Prozent männlich, 52 Prozent weiblich) im Schnitt etwas ausgewogener, wobei sich im Altersverlauf ein mehrfach zu- und abnehmendes geschlechtsspezifisches Risiko für Depressionen zeigte. Die AOK-Daten spiegeln allerdings nur die auch tatsächlich diagnostizierten Fälle wieder, die Dunkelziffer dürfte höher sein.
Während einzelne depressive Episoden üblicherweise vier bis acht Monate andauern, sind viele Menschen mit Diabetes auch chronisch depressiv, berichtete Prof. Kruse: „Es ist oft ein fließender Übergang von Trauer zu Depression, vom Normalen ins Pathologische [„Krankhafte“; Anm. d. Red.].“ Und der Diabetes sei dabei ein entscheidender Faktor dafür, dass dieser Zustand sich dauerhaft manifestiert. Umgekehrt erhöht eine bestehende Depression – möglicherweise als Reaktion auf emotionalen Missbrauch im Kindesalter – aber auch das Risiko für einen Typ-2-Diabetes. So können risikobehaftete Lebenserfahrungen Entzündungsprozesse verstärken und z.B. Insulinresistenz, Apoptose (programmierter Zelltod) der insulinproduzierenden Beta-Zellen und Gefäßschäden begünstigen.
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In der Schulmedizin würden Psyche und Soma mit all ihren Symptomen isoliert betrachtet, so Prof. Kruse, „dabei greifen alle Elemente in einem Menschen ineinander, wir müssen sie also ganzheitlich betrachten“, betonte der Referent. Den Menschen, die sich hilflos und antriebslos fühlen, haben mehr Schwierigkeiten, ihren Diabetes zu behandeln. Die resultierenden höheren Glukosewerte wiederum erhöhen machen eine Depression wahrscheinlicher. „Das ist eine Hochrisikogruppe“, mahnte Prof. Kruse mit Blick auf eine Metaanalyse aus 2013, wonach die Sterberate bei Depression plus Diabetes um 76 Prozent höher ist als bei einem allein auftretenden Diabetes.
Umso wichtiger ist es Prof. Kruse zufolge daher, die 2013 veröffentlichte Leitlinie „Psychosoziales und Diabetes“ umzusetzen, wonach Menschen mit Diabetes regelmäßig – mindestens einmal pro Jahr und in kritischen Krankheitsphasen – auf das Vorliegen einer Depression gescreent werden sollten. Hierfür eignet sich der klassische WHO-5-Fragebogen, mit dem das psychische Wohlbefinden schnell und präzise erfasst werden kann. Das einfache Screening-Instrument umfasst nur fünf Fragen zur Selbsteinschätzung (gute Laune, Entspannung, Aktivität und Energie, Regenerationsfähigkeit durch Schlaf, Begeisterungsfähigkeit) und beansprucht deshalb nur wenige Minuten. Die jeweils erreichte Punktzahl kann einen Hinweis auf eine möglicherweise vorliegende Depression liefern.
Zur Therapie der Depression stehen in leichteren Fällen die Psychotherapie, bei höheren Schweregraden Psychotherapie in Kombination mit der Behandlung mit Psychopharmaka zur Verfügung. Auch niederschwellige psychosomatische Therapieangebote, psychotherapeutische Sprechstunden, psychosomatische Basisversorgung, Patientenschulung und Bewegung gehören zum therapeutischen Spektrum. „Es gibt mittlerweile gute Evidenz dafür, dass diese Maßnahmen die depressive Symptomatik und auch den HbA1c-Wert verbessern“, schloss Prof. Kruse seinen Vortrag.
von Antje Thiel und Gregor Hess
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