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Blinde oder Sehbehinderte stehen in ihrem Alltag oft vor Problemen: Wer Diabetes hat, muss sich oft etwas einfallen lassen, um den Blutzucker zu messen und die richtige Insulindosis zu injizieren.
Diana Droßel steht als Blinde und Typ-1-Diabetikerin mitten im Leben. Seit 1982 ist die gelernte Krankenschwester blind und ist seit 1986 Diabetesberaterin – sie engagiert sich aktiv in der Diabetesselbsthilfe und im Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV), ist durch das Land Nordrhein-Westfalen ausgebildete Lotsin für Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen. Der Weg bis hierher war aber auch für Sie nicht einfach, denn der Verlust der Sehkraft kam plötzlich.
Mit dem Abheilen einer Hepatitis kam die diabetische Retinopathie – und ungewöhnlich schnell, innerhalb eines Jahres, der Verlust des Sehvermögens. “Jeden Morgen aufzuwachen mit der Angst, nichts mehr sehen zu können, ist zermürbend.” Nichts war in diesem Moment schlimmer als die Unsicherheit und Ungewissheit, wie lange sie noch ihr Augenlicht behalten würde. Die heute 56-Jährige war froh, als es dann endlich so weit war und sie ein neues Kapitel in ihrem Leben beginnen konnte.
Im Berufsförderungswerk (Zentrum für berufliche Bildung blinder und sehbehinderter Menschen) in Düren traf sie auf einige Diabetiker mit Sehbehinderung, dort fand sie neue Kraft. “Ich hörte die Leute lachen. Ich war in einem ganz tiefen Loch und dann habe ich mitbekommen, dass da etwas ist – die können lachen.”
Heute spricht sie Betroffenen neuen Mut zu und gibt Ratschläge, wie das Leben mit Diabetes und Augenproblemen möglich ist. “Viele neu Erkrankte sind überfordert mit der Situation und haben Überlebensängste. Dann versuche ich ihnen zu zeigen, dass es weitergehen kann.” Sie kämpft aber auch für die Barrierefreiheit der medizin-technischen Hilfsmittel, die für die Selbsttherapie benötigt werden. Denn die Schwierigkeiten, vor denen ein Sehbehinderter mit Diabetes steht, sind immens.
Erlebt man, wie selbstverständlich Blinde mit Gesten ein Touchscreen-Smartphone bedienen, sich per Sprachausgabe orientieren, so ist es verwunderlich, warum das nicht auch beim Diabetes-Management gehen soll: Blutzuckermessgeräte sind Smartgeräte mit Touchscreen, nur ohne Lautsprecher – steuern aber zum Beispiel Insulinpumpen. Sollten also herstellende Unternehmen nicht an Sehbehinderte mit Diabetes denken?
Viele Betroffene werden von gut organisierten Pflegediensten betreut – fühlen sich aber trotzdem entmündigt und bekommen weitere Folgeerkrankungen wie Dialyse, Polyneuropathie und Amputationen. Nach 4 bis 6 Jahren Tortur versterben viele; hier ist die Politik gefragt, den Menschen zu helfen, ihnen Leid zu ersparen und nebenbei auch Kosten zu senken. Im Interview mit Diana Droßel geht es um Blutzuckermessgeräte und um Alltagsprobleme:
Diana Droßel: Das Blutzuckermessgerät an sich ist nur die halbe Miete. Es muss mir in irgendeiner akustischen oder taktilen Form ausgeben können, wie das Ergebnis ist. Das Schwierigere ist, die richtige Menge Blut an die richtige Stelle zu bekommen. Darum reicht es nicht aus, dass ein Gerät sprechen kann, sondern es muss auch einen guten Teststreifen haben. Ein guter Teststreifen darf nicht zu lang sein, denn dadurch kann er federn und das Blut wegschleudern, aber auch nicht zu kurz, da ich sonst zu leicht das Blut am Gehäuse abstreife; er muss stabil aus dem Gerät ragen. Und der Teststreifen darf nur anlaufen, wenn ich genügend Blut habe.
Diana Droßel: Bei Geräten für Blinde ja. Im Moment gibt es nur das Accu-Chek Compact, das diese Anforderungen erfüllt. Und dieses Gerät gibt es offiziell gar nicht mehr. Die anderen Geräte laufen auch an, wenn nicht genug Blut vorhanden ist. Eine Ausnahme ist der GlucoTalk, aber der hat ein anderes Problem: Der hat ein so kleines Loch, wo das Blut rein muss, und der rennt sofort los, wenn er das Blut nur riecht. Dann gibt er zwar kein Ergebnis, er sagt nur “Fehler 7”, aber dann muss ich noch einmal testen. Von daher ist auch das nicht wirklich geeignet.
Die neue ISO-Norm ist vorteilhaft, da vorgeschrieben wird, dass der Teststreifen eine Volumenkontrolle haben muss und dass es sonst kein Ergebnis geben darf. In dieser ISO-Norm steht, dass Blinde und Sehbehinderte das Ergebnis lesen können müssen (Kapitel 4.4): “Lesbarkeit der gemessenen Werte”. Laut UN-Behindertenrechtskonvention bedeutet “Lesbarkeit”, eigenständig jederzeit an vorliegende Informationen zu kommen. Das muss man bei der Zulassung nach der neuen ISO-Norm beachten.
Diana Droßel: Natürlich sind für das Erreichen der “Lesbarkeit” Hilfsmittel erlaubt. Sehr große Schrift, Brillen und Lupen fallen einem direkt ein. Sehende nutzen im alltäglichen Gebrauch ein Blindenhilfsmittel, auf das sie nicht mehr verzichten wollen: Das ist die Sprachausgabe beim Navigationsgerät. Aber beim Blutzuckermessen gibt es eine vorteilhaftere, diskretere Lösung: den Akustikmodus.
Diana Droßel: Der Blutzuckerwert wird mit einem akustischen Signal, wie man es von der Turmuhr her kennt, angezeigt: Erst kommt die Hunderterstelle mit 1-mal Piepen für 100 oder 3-mal für 300. Erst nach einer kleinen Pause folgt die Zehnerstelle und nach der nächsten Pause sind die Einer dran. Gleich, welche Sprache ich verstehe: Ich erfahre den Wert.
Diana Droßel: Bei den Blutzuckermessgeräten ist es das Leichteste: Akustikmodus zuschaltbar. Dann könnten zum Beispiel auch sehende Diabetiker, die zum Augenarzt gehen und weitgetropft werden, anschließend ihren Blutzucker ablesen: Sie schalten einfach den Akustikmodus ein. Der Akustikmodus muss selbstverständlich werden, auch bei den Insulinpumpen. So wie das bei der H-Tron schon war, bei der Cozmo noch und bei der Spirit ist und bei Nachfolgern bleibt.
Auch Sprache kostet wenig, aber wenn ich Sprache in einer Pumpe habe, brauche ich auch einen guten Lautsprecher; dann haben wir keine Wasserdichtigkeit. Man könnte die Sprache aber in die Fernbedienungen integrieren. Diese sind schließlich “Mini-PCs” so wie Navis und Smartphones – und die können sprechen. Es ist keine Frage der Technik und des Geldes, sondern nur noch eine Frage des Darandenkens.
Diana Droßel: Viele Betroffene verbergen ihre Sehbehinderung, da es immer noch diesen Makel gibt, man habe etwas schlecht gemacht oder falsch. Das hört man ja noch heute: “Boah, hast du so einen schlimmen Zucker?” oder “Hast du was gegessen, was du nicht essen durftest?” Um dem zu entgehen, vertuschen viele ihr Sehproblem. Das Verstecken ist aber auch wieder für die Unternehmen interessant. Hätten die Blutzuckermessgeräte die Funktion, in den Akustikmodus umzuschalten, dann könnte ein Sehbehinderter sein Blutzuckermessgerät weiter behalten und müsste sich nicht umgewöhnen.
Diana Droßel: Ja, es rufen ganz viele Menschen voller Verzweiflung und Angst an, weil sie in der Phase der Erblindung sind. Das sind in erster Linie Menschen im berufsfähigen Alter. Aber es sind nicht nur die Überlebensängste, sondern auch die Angst vor weiteren Folgeschäden und vor dem Verlust eines selbstbestimmten Lebens.
Diana Droßel: Wir müssen die Menschen sensibilisieren, um gemeinsam eine gesetzliche Regelung für die Barrierefreiheit der medizin-technischen Hilfsmittel, die für die Selbsttherapie benötigt werden, zu erreichen.
www.dbsv.org
Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) unterstützt bei Sehbeeinträchtigungen.
www.ddh-m.de
Die Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH-M) und der DBSV kooperieren.
Das Interview führten Dr. Katrin Kraatz und Lena Schmidt.
Kontakt Diana Droßel:
Tel. 02403 – 785 202
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (10) Seite 28-31
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