Möglichkeiten und Grenzen der Adipositas-Chirurgie

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Möglichkeiten und Grenzen der Adipositas-Chirurgie

Das effektivste und nachhaltigste Therapieverfahren gegen Adipositas ist die bariatrische Chirurgie. Welches Operationsverfahren gewählt wird, muss für jeden Patienten nach umfassender medizinischer Beurteilung individuell entschieden werden – nachdem alle anderen Therapiemöglichkeiten versucht worden sind.

Die Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die durch eine Kombination von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen zustande kommt. Sie geht für die Betroffenen häufig einher mit einer reduzierten Lebensqualität, mit schwerwiegenden Folgeerkrankungen und mit einer erhöhten Sterblichkeit. Gerade Typ-2-Diabetes ist hier relevant, aber auch Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, Gelenkerkrankungen und sogar für bestimmte Krebserkrankungen.

Zur Definition von Übergewicht und Adipositas wird der Body-Mass-Index (BMI) verwendet, ein Quotient aus Körpergewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m²). Der Index ist ein indirekter Parameter für die Fettmasse des Körpers, kann aber nicht das individuelle Gesundheitsrisiko eines Betroffenen darstellen.

In Deutschland sind derzeit über die Hälfte aller erwachsenen Männer und Frauen übergewichtig (BMI > 25 kg/m²) und über ein Fünftel von ihnen ist bereits adipös (BMI > 30 kg/m²) mit weiter zunehmender Tendenz.

Erfolgreichstes und nachhaltigstes Therapieverfahren

Aus medizinischen Gründen ist bei den meisten Personen mit Adipositas eine Gewichtsreduktion erforderlich; die Standardempfehlung besteht aus einer Kombination von Ernährungsumstellung, Bewegungssteigerung und Verhaltenstherapie. Mit Hilfe dieser konservativen multimodalen Therapie kann teilweise eine vielversprechende Gewichtsreduktion erreicht werden, die jedoch meist innerhalb eines Jahres deutlich nachlässt und langfristig ganz verlorengeht.

Im Vergleich hierzu hat sich in den letzten Jahren die Adipositas-Chirurgie (auch bariatrische Chirurgie) als erfolgreichstes und nachhaltigstes Therapieverfahren erwiesen. Durch eine bariatrische Operation verbessern sich das Körpergewicht sowie die Begleiterkrankungen, die mit der Adipositas zusammenhängen: Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen etc. – und zwar deutlich effektiver als durch eine konservative Therapie. Auch sinken das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, und das Sterblichkeitsrisiko.

Erfolge bei Diabetikern

Die Adipositas-Chirurgie führt also nicht nur zu einer Reduktion des Körpergewichts, sondern verbessert auch Erkrankungen des Stoffwechsels – also wird sie inzwischen auch als metabolische Chirurgie bezeichnet. Vor allem bei der Therapie adipöser Diabetiker hat sich gezeigt, dass der Diabetes durch eine Operation erfolgreicher behandelt werden kann als durch konservative Maßnahmen.

Eine Operation sollte aber erst dann erwogen werden, wenn andere Behandlungsmaßnahmen keinen dauerhaften Erfolg erbracht haben, da derartige Eingriffe natürlich mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind.

In Deutschland werden die Kosten für eine bariatrische Operation nicht standardmäßig von den Krankenkassen übernommen. In begründeten Einzelfällen kann jedoch eine Kostenübernahme beantragt werden.

Was sind die Voraussetzungen für eine Operation?

Vor Durchführung einer Operation müssen Betroffene bereits konservative Therapieversuche unternommen haben, die jedoch nicht zu einer ausreichenden Gewichtsreduktion führten. Hierzu gehören z. B. stationäre Kuren, Diätprogramme, Bewegungstherapie, Verhaltenstherapie, medikamentöse Therapieversuche oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Der Nachweis solcher Behandlungsmaßnahmen über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten ist unbedingt erforderlich, um eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse zu erhalten.

Nur in Ausnahmefällen, z. B. wenn eine konservative Therapie bereits aussichtslos ist (BMI > 50 kg/m²), können Patienten ohne weitere Behandlungsversuche operiert werden. Um eine bestmögliche Patientensicherheit zu gewährleisten, sollten bariatrische Eingriffe immer in einem Zentrum für Adipositaschirurgie mit entsprechender Ausstattung und Erfahrung durchgeführt werden.

Stoffwechselstörungen wie Schilddrüsen- oder Nebennierenerkrankungen müssen vor einer Operation ausgeschlossen werden. Und die Patienten dürfen nicht an einer instabilen psychischen Erkrankung oder zum Beispiel an einer aktiven Krebserkrankung leiden. Vor dem Eingriff sind umfassende Informationen erforderlich wie eine ausführliche Beratung des Patienten durch einen Chirurgen sowie eine internistische und eine psychologische Beurteilung.

Die Untersuchungsergebnisse dieser Fachbereiche dienen schließlich dazu, gemeinsam mit dem Patienten ein möglichst passendes Therapiekonzept zu entwickeln. Wer sich für eine Operation entscheidet, muss sich bewusst sein, dass einelebenslange Nachsorge und womöglich Medikamenteneinnahme erforderlich sein werden.

Wann kommt eine Operation in Frage?
Unter folgenden Gegebenheiten kommt eine bariatrische Operation zur Therapie der Adipositas und ihrer Begleiterkrankungen in Frage:
  • Adipositas Grad III (BMI > 40 kg/m²)
  • Adipositas Grad II (BMI 35 bis 40 kg/m²) mit Begleiterkrankungen (z. B. Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck)
  • Adipositas Grad I (BMI 30 bis 35 kg/m²) mit einem Typ-2-Diabetes, der durch konservative Therapie nicht ausreichend eingestellt werden kann (Sonderfälle)

Keine Altersgrenze

Eine Altersgrenze für die Adipositas-Chirurgie gibt es nicht, wobei die meisten Patienten zwischen 18 und 65 Jahre alt sind. Auch ein zukünftiger Kinderwunsch ist kein Hinderungsgrund für eine bariatrische Operation. Letztendlich muss für jeden Patienten individuell eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen und das für ihn geeignete Operationsverfahren ausgewählt werden.

Welche Operationsverfahren gibt es?

Im Bereich der Adipositas-Chirurgie werden die Eingriffe in der Regel minimal-invasiv mittels Bauchspiegelung und ggf. in Kombination mit einer Magenspiegelung durchgeführt. Die gängigsten Operationsverfahren werden im Folgenden vorgestellt:

Magenband

Das Magenband ist ein elastischer Silikonschlauch, der um den oberen Teil des Magens gelegt wird und diesen in einen kleinen Vormagen und den Restmagen unterteilt. Die zugeführte Nahrung sammelt sich zunächst im Vormagen und tritt nur verzögert in den Restmagen über, wodurch es zu einem Sättigungsgefühl kommt. Hierdurch wird die Nahrungsmenge, die auf einmal aufgenommen werden kann, deutlich reduziert.

Die Weite des Bandes kann variiert werden, indem die zugehörige Portkammer, die unter der Haut liegt, mit unterschiedlichen Mengen Flüssigkeit gefüllt wird. Das Magenband ist lediglich ein Hilfsmittel zur Nahrungsreduktion. Entscheidend für den Therapieerfolg ist eine langfristige Ernährungsumstellung des Patienten. Nur so kann eine dauerhafte Gewichtsreduktion erreicht werden.

In der Regel ist das Magenband gut verträglich und kann lebenslang im Körper verbleiben. Wird es entfernt, kommt es meist wieder zu einer Gewichtszunahme. Eine Verbesserung des Diabetes ist möglich, jedoch deutlich geringer als nach Anlage eines Magenbypasses oder Schlauchmagens.

Roux-Y-Magenbypass

Beim Magenbypass wird der Mageneingang mit Hilfe einer Klammernaht vom Restmagen abgetrennt und direkt mit dem Dünndarm verbunden. So gelangt die Nahrung nach Durchtritt durch den kleinen Mageneingang unmittelbar in den Dünndarm und hat für die ersten 120 bis 150 cm keinen Kontakt zu den Verdauungssekreten; diese Umgehung wird Bypass genannt.

Restmagen, Zwölffingerdarm und der obere Anteil des Dünndarms, durch den die Verdauungssekrete fließen, sind von der Nahrungspassage ausgeschlossen und werden erst nach 50 cm wieder mit dem übrigen Dünndarm verbunden. Hier treffen dann Nahrung und Verdauungssekrete aufeinander – die Verdauung kann richtig beginnen. Durch diese Neuordnung des Magen-Darm-Trakts kommt es zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme und einer Gewichtsabnahme.

Vorteile dieses Verfahrens sind ein größerer Gewichtsverlust und eine ausgeprägtere Verbesserung von Begleiterkrankungen, vor allem des Diabetes. Nach einem Magenbypass können durchschnittlich 60 Prozent des Übergewichts abgebaut werden. Bei Diabetespatienten können die Medikamente häufig deutlich reduziert oder sogar ganz abgesetzt werden.

Die Änderung der Nahrungspassage hat aber auch Nachteile: So ist z. B. eine lebenslange Einnahme von Vitaminen und Spurenelementen erforderlich, um Mangelzustände zu vermeiden. Des Weiteren kann eine Unverträglichkeit für stark zuckerhaltige Nahrungsmittel auftreten (Dumping-Syndrom).

Schlauchmagen (“Sleeve-Gastrektomie”)

Die Anlage eines Schlauchmagens ist mittlerweile die häufigste bariatrische Operation in Deutschland, während weltweit der Magenbypass noch etwas häufiger durchgeführt wird. Beim Schlauchmagen wird der größte Teil des Magens mit Hilfe eines Klammernahtgeräts abgetrennt und aus dem Körper entfernt. Zurück bleibt ein schmaler Magenschlauch.

Dieses Operationsverfahren ist einfacher durchführbar als der Magenbypass – und es kommt kaum zu Mangelzuständen. Andererseits scheinen die Gewichtsreduktion und die Verbesserung der Begleiterkrankungen durch einen Schlauchmagen etwas weniger effektiv zu sein als durch einen Magenbypass. Des Weiteren kann es im Laufe der Zeit oder durch falsches Essverhalten zu einer Ausdehnung des Schlauchmagens kommen, was die Wirkung der Operation deutlich reduzieren kann und teils einen erneuten Eingriff erforderlich macht.

Biliopankreatische Diversion

Bei dieser Operation wird der größte Anteil des Dünndarms von der Nahrungspassage ausgeschlossen. Nahrung und Verdauungssekrete treffen erst ca. 90 cm vor Beginn des Dickdarms aufeinander – und die verbleibende Strecke zur Nahrungsaufnahme ist entsprechend kurz, was zu erheblicher Mangelversorgung führt. Es gibt verschiedene Varianten der Operation, die zusätzlich auch immer mit einer Teilentfernung des Magens einhergehen.

Diese Verfahren ermöglichen für die operierten Patienten den größten Gewichtsverlust und die deutlichste Verbesserung des Diabetes. Andererseits verursachen sie aber auch die schwersten Komplikationen und haben das höchste Risiko einer Mangelernährung, weshalb diese Operation deutschlandweit nur bei ca. 1 Prozent der Patienten durchgeführt wird.

Magenschrittmacher

Der Magenschrittmacher ist ein neues Verfahren, das aktuell nur im Rahmen von Studien angewandt wird. Er wird ähnlich einem Herzschrittmacher unter die Haut eingebracht, und eine Stimulationselektrode wird im Bereich des Magens verankert. Hier soll durch schwache elektrische Impulse ein Sättigungsgefühl erzeugt werden, das zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme führt.

Endo-Barrier

Der Endo-Barrier ist ebenfalls eine neue Therapiemethode, zu der esnoch keine Langzeitergebnisse gibt. Es handelt sich um einen dünnen, flexiblen Schlauch, der im Rahmen einer Magenspiegelung am Beginn des Zwölffingerdarms verankert wird. Er führt dazu, dass die Nahrung aus dem Magen durch den Schlauch fließt, während die Verdauungssekrete außerhalb entlangfließen – zwischen Schlauch und Darmwand.

Erst am Ende des ca. 60 cm langen Schlauchs treffen sich Nahrung und Verdauungssekrete. Auf diese Weise sollen die Effekte eines Magenbypasses imitiert werden, ohne dass eine Operation durchgeführt wird.

Erste Ergebnisse zeigen vielversprechende Verbesserungen bei der Diabeteskontrolle, aber einen deutlich geringeren Gewichtsverlust als bei den operativen Verfahren. Ein bedeutender Nachteil ist, dass der Endo-Barrier bereits nach einem Jahr wieder entfernt werden muss.

Was passiert nach der Operation?

Neben der Auswahl eines geeigneten Operationsverfahrens ist die engagierte Mitarbeit der Patienten entscheidend für den Therapieerfolg. Ein chirurgischer Eingriff kann nicht die nachhaltige Lebensstiländerung ersetzen, sondern dient als Hilfsmittel, um eine Gewichtsreduktion und eine Verbesserung des Stoffwechsels zu erleichtern. Nur wer seine Lebensgewohnheiten an die veränderten Verhältnisse anpasst, wird langfristig von einer Adipositasoperation profitieren.

Um diese Entwicklung zu unterstützen und nach der Operation eine gesunde Gewichtsabnahme zu erreichen, sind regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen erforderlich. Auch die Veränderungen des Stoffwechsels müssen kontrolliert und womöglich entsprechende Medikamente angepasst werden (z. B. Reduktion oder Absetzen der Diabetesmedikation).

Fazit

Adipositas ist ein komplexes Krankheitsbild, das durch konservative Maßnahmen oft nur unzureichend behandelbar ist. Aktuell ist das effektivste und nachhaltigste Therapieverfahren die bariatrische/metabolische Chirurgie, die nicht nur zu einer Gewichtsreduktion, sondern auch zu einer Verbesserung der Begleiterkrankungen führt. Insbesondere kommt es durch die Chirurgie zu einem stärkeren Rückgang des Diabetes als durch konservative Therapien.

Welches Operationsverfahren gewählt wird, muss für jeden Patienten nach umfassender medizinischer Beurteilung individuell entschieden werden. Aufgrund ihres positiven Nutzen-Risiko-Profils kommen Magenbypass und Schlauchmagen besonders häufig zur Anwendung.

Schwerpunkt Adipositas-Chirurgie

von Dr. Caroline Corteville und Prof. Dr. med. Christian Jurowich
Universitätsklinik Würzburg, Klinik & Poliklinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Gefäß- und Kinderchirurgie
Zentrum Operative Medizin // Oberdürrbacher Straße 6 // 97080 Würzburg
Tel.: 09 31/2 01-3 11 72 // E-Mail: Jurowich_C@ukw.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (5) Seite 20-24

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