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Dauerhaft zu hohe Zuckerwerte können die Nerven schädigen. Der Name dieser häufigen Folgeerkrankung: diabetische Neuropathie. Welche Therapien und Medikamente helfen, wenn die Nerven nicht in Ordnung sind? Das erfahren Sie im Diabetes-Kurs.
Xaver M. hat seit etwa 8 Jahren einen Diabetes Typ 2 und ist vom Hausarzt mit Metformin eingestellt worden. Neuerdings nimmt er außerdem Tabletten, mit denen man Zucker über den Urin verliert.
Der HbA1c-Wert liegt bei 7,6 Prozent, die Nüchtern-Blutzuckerwerte sind häufig um 140 mg/dl (7,8 mmol/l).
Seit einigen Monaten schmerzen nun seine Füße – meist beim Gehen, etwas auch in Ruhe. Sein Nachbar Peter vermutet einen Nervenschaden, das habe seine Mutter mit Diabetes auch.
Nachdem die Schmerzen immer stärker geworden sind, wendet sich Xaver M. an seinen Hausarzt, der keinen Hinweis auf einen diabetischen Nervenschaden findet. Weil der Patient seit über 30 Jahren täglich etwa 30 Zigaretten raucht, vermutet der Arzt eher eine Durchblutungsstörung der Beine. Dies bestätigt sich beim Gefäßspezialisten. Es wird deshalb im Oberschenkel jeweils eine Arterie aufgedehnt und ein Stent gesetzt. Jetzt läuft Xaver M. wieder ohne Schmerzen – aber er muss auf die Zigaretten verzichten.
Um eine Polyneuropathie (Schädigung der Nerven) zu erfassen, braucht es einer aktuellen Studie aus Kanada zufolge nur zwei bis drei Tests, z. B. das Prüfen des Vibrationsempfindens mit der Stimmgabel, das Überprüfen des Achillessehnenreflexes mit dem Reflexhammer und ggf. die Untersuchung des Schmerzempfindens mit einer Nadel. Alle Neuropathien, speziell aber auch die diabetische Polyneuropathie, kann so relativ sicher von jedem Arzt diagnostiziert werden.
Das Risiko für eine periphere Polyneuropathie (also eine Schädigung der Nerven der Beine und Arme) steigt mit dem HbA1c-Wert. Insbesondere bei Typ-1-Diabetikern sind hohe Blutzuckerwerte der entscheidende Auslöser für die periphere Polyneuropathie.
Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sind neben den hohen Blutzuckerwerten offensichtlich noch andere Faktoren wie Übergewicht (v. a. krankhaftes Übergewicht, also Adipositas), Fettstoffwechselstörungen und Entzündungen ursächlich für die Nervenschädigung. Auch eine langjährige Therapie mit Metformin kann prinzipiell über einen Vitamin-B12-Mangel eine Neuropathie verursachen.
Das Risiko für eine Polyneuropathie erhöht sich schon bei häufig erhöhten Blutzuckerwerten, ohne dass ein Diabetes vorliegt. Deshalb ist ein Prädiabetes (Vorstufe des Diabetes) mit über Jahre leicht erhöhten Blutzuckerwerten schon bedenklich. Nach Daten aus der KORA-Studie hatten in fast 24 Prozent der Fälle Menschen zwischen 61 und 82 Jahren bereits bei einer gestörten Zuckerverwertung oder erhöhten Nüchternblutzuckerwerten eine Polyneuropathie.
Eine ähnlich hohe Zahl findet man ansonsten nur bei Menschen mit bereits bekanntem Diabetes. Mit Hilfe von Gewebeproben der Haut konnte in der Deutschen Diabetes-Studie ein Verlust von Nervenfasern bereits wenige Jahre nach Diagnose eines Typ-2-Diabetes festgestellt werden.
Die typischen Beschwerden der diabetischen Polyneuropathie wie Kribbeln, Missempfinden, Ameisenlaufen, Taubheit, aber auch einschießende Schmerzen sind in der Regel auf eine Schädigung der Nerven, die die Erregung leiten, zurückzuführen und werden als neuropathischer Schmerz bezeichnet.
Auch mit der neuen, umfangreichen quantitativen sensorischen Testung (QST) kann schon frühzeitig eine Polyneuropathie entdeckt werden. Durch den frühzeitigen Nachweis schon in früheren Stadien könnten auch die Beschwerden, über die Patienten häufig klagen, richtig eingeordnet und akzeptiert werden. Denn nicht selten werden solche Patienten als „psychisch auffällig“ abgetan oder nicht ernst genommen.
Etwa 30 bis 40 Prozent aller Diabetiker entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung eine Polyneuropathie, etwa 30 Prozent aller bekannten Diabetiker sind bereits davon betroffen. Durch die manchmal quälenden Beschwerden besonders nachts ist häufig die Lebensqualität extrem eingeschränkt.
Darüber hinaus gelten heute die periphere Neuropathie, aber auch die autonome Neuropathie (Neuropathie der inneren Organe wie Herz, Magen/Darm usw.) als wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie sind besonders wichtig, um das Gesamtrisiko eines Menschen mit Diabetes zu erfassen. Vor allem erhöht sich die Gefahr für eine Amputation im Rahmen eines Diabetischen Fußsyndroms durch eine periphere Polyneuropathie dramatisch. Etwa 70 Prozent aller Amputationen gehen auf die periphere Polyneuropathie zurück.
Allgemeine Maßnahmen sind:
Als nicht medikamentöse Therapien haben sich besonders physikalische Therapieverfahren bewährt wie:
Wenn all diese Maßnahmen nicht ausreichen, sollte rechtzeitig mit einer medikamentösen Therapie begonnen werden. Hier werden vor allem Antiepileptika (z. B. Pregabalin) in Kombination mit Antidepressiva (z. B. Duloxetin) eingesetzt, um den neuropathischen Schmerz zu lindern – auch wenn der Betroffene weder unter Depressionen noch unter Epilepsie leidet.
Bei stärkeren Beschwerden und insbesondere bei Menschen mit drohendem Nierenversagen helfen Opioide, durch die oft eine deutliche Schmerzreduktion bis zu 50 Prozent erreicht wird. Die unangenehmen Nebenwirkungen wie Verstopfung müssen dabei berücksichtigt werden.
Neuere Verordnungen haben dieses Problem oft nicht mehr (z. B. Palexia retard). Anti-Rheuma-Mittel (z. B. Diclofenac, Ibuprofen oder Paracetamol und auch Metamizol) helfen in der Regel bei Nervenschmerzen nicht oder nur sehr wenig. Zudem haben sie Nebenwirkungen, die beachtet werden müssen. Lokal können auch Pflaster mit Chili (Wirkstoff: Capsaicin) vorübergehend helfen – manchmal auch Infusionen von Alpha-Liponsäure oder Präparate wie Benfotiamin.
In der Kombination all dieser Maßnahmen ist oft eine Schmerzlinderung bis zu 80 Prozent erreichbar. Bereits ein leichter Rückgang der Schmerzen verbessert die Lebensqualität sehr. Technische Methoden wie Nervenstimulation, Mikroelektroden im Rücken oder Nervenblockaden können in Einzelfällen helfen.
Die Polyneuropathie ist meist keine „Spätfolge“ des Diabetes, sondern tritt häufig relativ früh auch bei nur leicht erhöhten Blutzuckerwerten auf und kann unbehandelt die Lebensqualität stark beeinträchtigen – bis hin zur Unfähigkeit zu gehen oder zu stärksten neuropathischen Schmerzen insbesondere nachts. Eine rechtzeitige Diagnose ist heutzutage immer besser möglich.
Zur Behandlung kommen konservative wie medikamentöse Therapien in Frage. In vielen Fällen können so die Lebensqualität deutlich gesteigert und die Schmerzen reduziert werden. Eine komplette Beschwerdefreiheit sollten Betroffene insbesondere nach jahrelangem Verlauf nicht erwarten. Stattdessen ist die Reduktion des Schmerzes ein realistisches Ziel bei der Behandlung einer diabetischen Polyneuropathie!
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (5) Seite 36-38
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