Sexualfunktion gestört – was tun?

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Sexualfunktion gestört – was tun?

Obwohl wir heute in einer doch sehr aufgeklärten Welt leben, gibt es immer noch Themen im Zusammenhang mit dem ­Diabetes mellitus, die gern totgeschwiegen werden. Damit sind Störungen des Urogenitaltraktes gemeint.

Betroffene sprechen nicht gern darüber, weil ihnen das Thema peinlich ist. Therapeuten hingegen fürchten, dass ein einfühlsames Gespräch über Störungen der Sexualfunktion den zeitlichen Rahmen einer Sprechstunde sprengen könnte. Die Folge davon ist, dass die Patienten leiden, obwohl es geeignete Möglichkeiten gibt, um Beschwerden und Symptome zu bessern oder gar ganz zu beheben.

Was ist genau gemeint?

Wenn man von Störungen des Urogenitaltraktes (bestehend aus den Harnorganen und den Geschlechtsorganen) spricht, sind damit zum einen Funktionsstörungen der ableitenden Harnwege, Infektionen in diesem Bereich und schließlich Störungen der Sexualfunktion bei Männern und Frauen gemeint.

Nicht mehr ganz dicht? Davon sind Männer und Frauen betroffen

Ein häufiges Problem ist die Inkontinenz, also der ungewollte Abgang von Urin. Dies betrifft Männer wie Frauen gleichermaßen. Eine Hauptursache dafür ist, dass es im Laufe der Diabeteserkrankung zu einer Wahrnehmungsstörung der Blasenfüllung kommen kann. Wenn man nicht bemerkt, dass die Blase voll ist, kommt es zur sogenannten Überlaufblase, das heißt dem ungewollten und unerwarteten Abgang von Urin. Da die Blase ständig überfüllt ist, bildet sich auch nach der Entleerung oft ein Rest von Urin in der Blase, und dieser Rest kann zu Infektionen führen.

Der ungewollte Abgang von Urin ist nicht nur lästig und unangenehm, sondern die Infektionen können auch langfristig zu Blasensteinen und zu einer Nierenschwäche führen.
Wenn die Nerven, die die Blasenentleerung steuern, irritiert sind, kommt es zu einer überaktiven Blase. Dies geht einher mit häufigem Harndrang und vor allem einer nächtlichen Harninkontinenz. Von einer Dranginkontinenz spricht man, wenn der Harndrang so plötzlich auftritt, dass man es nicht mehr rechtzeitig bis zur nächsten Toilette schafft.

All diese Probleme lassen sich mit Medikamenten bessern oder teilweise sogar heilen. Die Auswahl der richtigen Medikamente legt der Urologe fest. Wer also über solche Probleme klagt, der sollte sich vom Hausarzt so schnell wie möglich eine Überweisung zum Urologen geben lassen, damit dieser die richtige Diagnose stellen und eine entsprechende Therapie einleiten kann.

Vergrößerung der Prostata: bei Diabetes besonders häufig

Es ist erwiesen, dass Männer mit Diabetes besonders häufig eine Vergrößerung der Prostata (Vorsteherdrüse; Geschlechtsdrüse, die einen Teil des Spermas produziert), die unterhalb der Harnblase liegt, bekommen können. Dies ist eigentlich eine Erkrankung, die meist erst im höheren Lebensalter vorkommt. Bei Diabetes tritt die Vergrößerung der Vorsteherdrüse jedoch früher auf.

Die als Ursache diskutierten Mechanismen sind vielfältig und lassen sich nur schlecht beeinflussen. Daher ist es wichtig, dass Betroffene bereits im Anfangsstadium Medikamente einnehmen, die die Vergrößerung der Prostata hemmen und die dadurch verursachten Beschwerden lindern. Auch hier hilft es weiter, sich bei einem Urologen vorzustellen.

Infektionen im Urogenitalbereich – eine unangenehme Sache

Besonders ein schlecht eingestellter Diabetes führt häufig zu Infektionen im Urogenitalbereich. Brennen, Schmerzen und Jucken sind die Folge. Gefährlich werden solche Infektionen, wenn sie aufsteigen und die Nieren erfassen.

Das heißt für alle, die solche Beschwerden haben, dass sie bei diesen typischen Symptomen nicht lange zögern und ihren Hausarzt oder Nephrologen (Nierenarzt) darauf ansprechen sollten. Die Behandlung ist oft einfach, wenn sie rechtzeitig und konsequent durchgeführt wird.

Störungen der Sexualfunktion

„Die Störung der Sexualfunktion ist definiert als: Unfähigkeit, auf sexuelle Stimulation eine entsprechende Reaktion zu erzielen und aufrechtzuerhalten, um einen erfüllten Orgasmus zu erleben.“ Diese Definition gilt für Männer und für Frauen. Sie beinhaltet den Verlust der Lust, das Ausbleiben eines Orgasmus und bei Männern die Erektionsstörungen.

Störungen der Sexualfunktion kommen bei Diabetes häufig vor

Während bei gesunden Männern 32 Prozent Probleme haben, sind es bei Männern mit Diabetes 46 Prozent. Bei Frauen ist die Spannbreite solcher Störungen weit. Sie liegt zwischen 25 und 63 Prozent bei gesunden Frauen, jedoch bei 71 Prozent der Frauen mit Typ-1-Diabetes. Während bei Männern die Erektionsstörung den Geschlechtsverkehr erkennbar stört oder ganz verhindert, fallen die Sexualfunktionsstörungen bei Frauen nur auf, wenn sie dies auch beim Arzt aussprechen.

Die häufigsten Komplikationen bei Frauen sind:

  • gestörte Erregbarkeit,
  • Verlust der Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben,
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

Bedauerlich ist, dass dieses Problem häufig totgeschwiegen wird, es wenig Forschungstätigkeit zu diesem Thema gibt und therapeutische Konzepte vielen Ärzten nicht bekannt sind.

Wege aus dem Teufelskreis

Um Sexualfunktionsstörungen bei Männern und Frauen effektiv zu behandeln, ist es notwendig, dass sich die Betroffenen hierzu äußern. Dazu müssten die Behandler aktiv über das Thema sprechen. Hilfreich sind Fragebögen, die man in Ruhe ausfüllen kann und dem Arzt bei der nächsten Sprechstunde vorlegt. In manchen Kliniken wie dem Diabetes Zentrum Mergentheim heißen diese Fragebögen beispielsweise „Auf ein Wort, unter uns – für Frauen“ oder „Auf ein Wort, unter uns – für Männer“. Hier wird abgefragt, welche Störungen vorliegen, damit der behandelnde Arzt bei der nächsten Sprechstunde gezielt darauf eingehen kann.

Auch die Diabetesberaterinnen sind gefragt, wenn in einer Schwerpunktpraxis oder einer Klinik Männer- und Frauenrunden angeboten werden. Hier wird im Kreis der Betroffenen die aktuelle Problematik diskutiert und es werden gemeinsam Lösungen erarbeitet.

Welche Lösungen gibt es?

Manche Lösungen sind ganz pragmatisch. Liegt beispielsweise bei einer Frau eine fehlende Scheidenfeuchte vor, helfen Gleitcremes auf einfache Weise weiter. Bei der Inkontinenz hilft z. B. Beckenbodengymnastik, die einfach zu erlernen ist. Auch gibt es mittlerweile elektrische Stimulationsgeräte, die den Beckenboden trainieren können.

Bei Männern hilft in vielen Fällen die Gabe von Präparaten wie Phosphodiesterase-Hemmern (Sildenafil, Vardenafil, Tadalafil, Udenafil). Besser bekannt sind die Präparate unter dem jeweiligen Handelsnamen wie Viagra, Cialis, Levitra und Duraviril. Sollte dies nichts nützen, gibt es die Therapie mit Vakuumpumpen oder Schwellkörper-Autoinjektionen mit Medikamenten, die eine Erektion hervorrufen. All diese Möglichkeiten kann man gut mit einem Diabetologen oder dem behandelnden Urologen besprechen.

Wichtiges in Kürze

Störungen des Urogenitaltraktes sind die häufigsten Komplikationen des Diabetes, sie werden jedoch am seltensten in der Sprechstunde aufgegriffen. Patienten schweigen häufig aus Scham, Therapeuten aus Zeitmangel. Wenn man jedoch die Chance nutzt, diese Probleme zu besprechen, kann dies erheblich dazu beitragen, die Lebensqualität und Lebenszufriedenheit von Betroffenen zu steigern.

Schwerpunkt „Frauen sind anders – Männer auch“

von Prof. Dr. Thomas Haak
Diabetes-Journal-Chefredakteur,
Chefarzt am Diabetes Zentrum Mergentheim,
Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim,
E-Mail: haak@diabetes-zentrum.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (10) Seite 26-28

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