Unterzuckert in der Nacht – was tun?

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Unterzuckert in der Nacht – was tun?

Viele Unterzuckerungen in der Nacht bleiben unbemerkt. Folgen haben diese nächtlichen Hypoglykämien trotzdem – zum Beispiel, weil die Schlafqualität schlechter ist, was sich am nächsten Tag negativ auf die Leistungsfähigkeit der Betroffenen auswirkt. Aber wie können nächtliche Unterzuckerungen überhaupt erkannt und vermieden werden?

Über den Blutzuckerverlauf im Schlaf ist unter Alltagsbedingungen meist wenig bekannt, und selten wird ein Patient durch eine nächtliche Unterzuckerung (Hypoglykämie) geweckt. Kontinuierliche Glukosemessungen (CGM) zeigen aber, dass niedrige Zuckerwerte während des Nachtschlafs durchaus häufig auftreten (siehe Abb. 1).

So fanden sich bei mehr als 60 Prozent der so untersuchten Menschen mit Typ-1-Diabetes und bei fast 50 Prozent der insulinbehandelten Menschen mit Typ-2-Diabetes innerhalb von 3 Tagen Glukosewerte unter 60 mg/dl (3,3 mmol/l), von denen sie nichts bemerkt haben. Nahezu 75 Prozent all dieser Phasen mit unbemerkten Glukosewerten unter 60 mg/dl (3,3 mmol/l) traten während des Nachtschlafs auf.

Vergleicht man solche unbemerkten Hypoglykämien am Tag und in der Nacht, fällt auf, dass am Tag eine Phase solch niedriger Glukosespiegel im Mittel ca. 60 Minuten dauerte und der Tiefstwert im Mittel bei etwa 50 mg/dl (2,8 mmol/l) lag, eine Hypoglykämie bei den gleichen Menschen im Schlaf aber im Mittel etwa dreimal so langeanhielt und der mittlere Tiefstwert bei 34 mg/dl (1,8 mmol/l) lag.

Gegenregulation im Schlaf

Während des Nachtschlafs ist schon bei gesunden Menschen die hormonelle Gegenregulation beeinträchtigt, wenn bei ihnen experimentell eine Unterzuckerung verursacht wird (Abbildung Seite 32). Die Schwelle für die Freisetzung von gegenregulatorischen Hormonen (Adrenalin und Noradrenalin) liegt zur gleichen Nachtzeit im Schlaf bei einem signifikant niedrigeren Blutzuckerwert als im Wachzustand.

Und: Die Gesamtmenge an freigesetztem Adrenalin und Noradrenalin während der Hypoglykämie ist im Schlaf signifikant niedriger als im Wachzustand. Dieses Phänomen einer abgeschwächten Gegenregulation im Schlaf ist bei Menschen mit Diabetes häufig stärker ausgeprägt als bei Gesunden.

Ein Adrenalinanstieg scheint aber ein wichtiger Faktor für das Erwachen während der Hypoglykämie zu sein. Es ist zu befürchten, dass dadurch vor allem Menschen, die aufgrund einer langen Diabetesdauer bei Hypoglykämien bereits am Tag eine abgeschwächte hormonelle Gegenregulation zeigen, während des Nachtschlafs besonders ausgeprägte und langandauernde Unterzuckerungen durchlaufen und aufgrund des späten und geringen Adrenalinanstiegs nur selten durch die Hypoglykämie geweckt werden.

Hunger und schlechtes Gedächtnis durch Hypoglykämie in der Nacht

Auch wenn nächtliche Hypoglykämien nicht wahrgenommen werden, können sie viele negative Auswirkungen haben:

  • Langandauernde Unterzuckerungen im Schlaf können dazu führen, dass auch am Tag die hormonelle Gegenregulation während niedriger Glukosespiegel abgeschwächt wird und Symptome einer Unterzuckerung schlechter wahrgenommen werden.
  • Untersuchungen an gesunden Menschen, bei denen experimentell eine nächtliche Unterzuckerung ausgelöst wurde, haben gezeigt, dass die Nahrungsaufnahme nach einer Hypoglykämie im Schlaf am nächsten Morgen um ca. 20 Prozent zunahm, was langfristig die Gewichtszunahme begünstigen kann.
  • In einem Test zur Gedächtnisleistung zeigte sich, dass die Erinnerungsleistung nach einer nächtlichen Unterzuckerung um etwa zwei Drittel schlechter war als nach einer Kontrollnacht ohne Unterzuckerung.
  • Auch wenn der Betroffene durch eine nächtliche Unterzuckerung nicht geweckt wird, wird doch die Schlafqualitätschlechter. Häufig ist dadurch nicht nur das Gedächtnis, sondern es sind generell die Leistungsfähigkeit und das Befinden am nächsten Tag beeinträchtigt: Etwa 23 Prozent der Befragten mit nächtlichen Unterzuckerungen gaben an, dadurch später zur Arbeit zu kommen, und 32 Prozent konnten dadurch gestellte Aufgaben nicht rechtzeitig erledigen. Häufig wird dann aus Angst (auch der Angehörigen!) vor weiteren nächtlichen Hypoglykämien die Insulindosis zu stark reduziert, was eine gute Blutzuckereinstellung verhindert.
  • Besonders ungünstig können sich nächtliche Unterzuckerungen bei Menschen auswirken, die bereits eine bekannte koronare Herzkrankheit haben. Es hat sich gezeigt, dass Herzrhythmusstörungen bei ihnen bis zu achtmal häufiger bei nächtlichen Unterzuckerungen auftreten als bei Unterzuckerungen am Tag.

Nächtliche Unterzuckerungen: Was tun?

Diese Befunde deuten darauf hin, dass nächtliche Unterzuckerungen weitaus häufiger und gefährlicher sind als bislang angenommen. Vermutlich bleiben aber viele nächtliche Unterzuckerungen vom Betroffenen und vom behandelnden Arzt unbemerkt. Besteht ein Verdacht, können eine Blutzuckermessung gegen 3 Uhr nachts und ggf. eine kontinuierliche Glukosemessung hilfreich sein. Hohe morgendliche Glukosewerte können ebenfalls ein Hinweis auf nächtliche Unterzuckerungen sein.

Werden nächtliche Hypoglykämien bestätigt, sollte erst zusammen mit dem Arzt erörtert werden, ob Behandlungsfehler oder besondere Lebensumstände (z. B. zu geringe Kohlenhydrataufnahme, zu hohe Insulindosis, intensive oder ungewohnte körperliche Aktivität, übermäßiger Alkoholkonsum) zu der Unterzuckerung geführt haben könnten.

Körperliche Aktivität und Alkohol können noch bis zu 12 Stunden später die Entstehung einer Hypoglykämie begünstigen. Es kann dann sinnvoll sein, das Basalinsulin zur Nacht zu reduzieren oder eine Spätmahlzeit einzunehmen. Ziel sollte sein, dass der Blutzucker vor dem Schlafengehen nicht unter 120 mg/dl (6,7 mmol/l) liegt.

Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten bevorzugt Substanzen eingesetzt werden, die per se kein oder nur ein sehr geringes Hypoglykämiepotential haben – also Metformin, Acarbose, DPP-4-Hemmer, GLP-1-Rezeptoragonisten, SGLT-2-Hemmer.

Ist eine Insulinbehandlung erforderlich, können kürzer wirksame Insulinanaloga (Insulin lispro, Insulin glulisin, Insulin aspart) von Vorteil sein. Da vor dem Schlafengehen applizierte NPH-Insuline ihr Wirkmaximum meist gegen 3 Uhr nachts haben, können Menschen mit nächtlichen Unterzuckerungen von der Umstellung auf die Insulinanaloga Insulin glargin, Insulin detemir oder Insulin glargin U300 profitieren. In bestimmten Fällen kann auch eine Insulinpumpentherapie von Vorteil sein. Mit diesen Maßnahmen lässt sich die Häufigkeit nächtlicher Unterzuckerungen meist deutlich reduzieren.

Schwerpunkt: Den Unterzucker im Visier

von Prof. Dr. Werner Kern
Endokrinologikum Ulm,
Keltergasse 1, 89073 Ulm
E-Mail: werner.kern@endokrinologikum.com

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (12) Seite 30-32

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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