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Wenn “die Eltern komisch werden”, sprich in der Pubertät, wird es bei vielen Jugendlichen auch mit dem Diabetes schwierig. Es geht um häufige Ursachen für Blutzuckerentgleisungen.
In Deutschland gibt es ca. 30.000 Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes. Da ihre Bauchspeicheldrüse kein oder nur noch sehr wenig Insulin produziert, sind sie täglich auf von außen zugeführtes Insulin angewiesen (mit Insulinpen oder -pumpe), um den Blutzucker annähernd im Zielbereich zu halten. Dabei müssen Insulingaben, Kohlenhydratzufuhr, Bewegung usw. genau aufeinander abgestimmt werden, was nicht immer einfach ist.
Viele weitere Faktoren wie die Pubertät (Hormone), akute Erkrankungen oder Alkohol beeinflussen den Blutzucker zusätzlich und erschweren eine konstante Stoffwechseleinstellung. Abweichungen des Blutzuckers stark nach oben oder nach unten können zu schweren Entgleisungen und damit zu potentiell lebensbedrohlichen Situationen führen.
Je jünger die Kinder sind, um so mehr liegt die Diabetestherapie und die Verantwortung in den Händen ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten und der Erzieher oder Lehrer. Werden die Kinder älter und selbständiger, so geht die Verantwortung langsam auf die Kinder über. Entsprechend ihres Entwicklungsstandes können auch junge Kinder schon einzelne Aufgaben übernehmen, z. B. Messgerät auspacken, Finger zum Piksen aussuchen, Insulineinheiten im Pen einstellen usw.
Zu frühe Übertragung der alleinigen Verantwortung auf das Kind kann schnell zur Überforderung der Kinder/Jugendlichen führen: Sie sind unsicher, fühlen sich alleingelassen, wissen nicht, wie sie ihre Therapie durchführen sollen.
Da ist zum Beispiel Lena, 8 Jahre alt, Diabetes seit 2 Jahren, intensivierte Insulintherapie (ICT). Ihre Mutter möchte gern, dass Lena mehr Verantwortung übernimmt und selbständiger wird. Lena vergisst in der Schule oft, ihren Blutzucker zu messen – die anderen Kinder laufen in der großen Pause sofort nach draußen auf den Schulhof zum Spielen: “Da vergesse ich dann oft zu messen und laufe mit meinen Freunden nach draußen”, sagt Lena. “Wenn ich dann nach Hause komme, ist mein Blutzucker ganz hoch und die Mama schimpft mit mir.”
Die Pubertät ist der Zeitpunkt im Leben eines Jugendlichen, “in dem die Eltern schwierig werden” – egal ob ohne oder mit Diabetes. Dieser neue Lebensabschnitt ist für viele Jugendliche schwer zu verstehen. Ihr Aussehen verändert sich vom Kind zum Erwachsenen. Gefühle fahren Achterbahn: heute himmelhoch jauchzend, morgen zu Tode betrübt. Die Interessen wandeln sich:
Spielen zu Hause ist uncool, jetzt interessiert man sich fürs andere Geschlecht, verbringt viel Zeit in der Gruppe Gleichgesinnter, probiert neue Dinge aus (Zigaretten, Alkohol). Kommt dann noch ein Diabetes hinzu, der viel Aufmerksamkeit einfordert, dann ist die Unsicherheit noch viel größer. Es bleibt keine Zeit, sich um den Diabetes zu kümmern – er wird unwichtig, tritt in den Hintergrund.
Auf keinen Fall wollen sie auffallen durch Messen oder Spritzen – sie wollen einfach essen oder sich bewegen wie die anderen Jugendlichen auch. Da kommt es schon vor, dass Blutzuckermessungen einmal pro Tag oder gar nur alle 3 bis 4 Tage durchgeführt werden. Insulin spritzen? Vielleicht abends zu Hause, aber nicht vor den Freunden. Um Ruhe vor den nervenden Eltern zu haben, werden die Blutzuckerdokumentationen “schöngefälscht”.
Da ist zum Beispiel Alex, 16 Jahre alt, Diabetes seit 2 Jahren, ICT, HbA1c von 17,3 Prozent. “Ich möchte normal sein, mit meinen Freunden chillen, essen, wann und was ich will, da habe ich keine Zeit zu messen und zu spritzen. Außerdem ist da noch Sarah, sie interessiert sich für mich, wir waren schon zusammen auf einer Party. Wenn die sieht, dass ich mich spritzen muss, dann will die nichts mehr von mir wissen.”
Auf Partys trinkt Alex auch Alkohol, nur ein bisschen, wie er selbst sagt. “Ich weiß, dass mein Blutzucker unter Alkohol sinken kann, deshalb spritze ich nichts dafür. Meine Eltern wissen es, wenn ich Alkohol getrunken habe, dann kommen sie und messen häufiger in der Nacht. Das ist o. k. für mich.”
Alkohol hemmt die Zuckerfreisetzung aus der Leber und erhöht daher die Hypoglykämie-Gefahr besonders nachts, wenn keine zusätzlichen Kohlenhydrate gegessen werden. Im Zusammenhang mit Alkohol funktioniert das Notfallkit (GlucaGen HypoKit) nicht. Glukagon soll die Zuckerfreisetzung aus der Leber fördern, diese ist aber durch den Alkohol gehemmt – das müssen Jugendliche und deren Eltern unbedingt wissen.
Häufigere Messungen in der Nacht sind unbedingt nötig und nach Absprache mit den Jugendlichen auch möglich. Kein Jugendlicher möchte gern mit einer schweren Unterzuckerung ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Kinder und Jugendliche mit Diabetes sollen und dürfen natürlich Sport treiben und sich bewegen. Dabei ist es nicht so einfach, Bewegung, Kohlenhydrate und Insulin in Einklang zu bringen und den Blutzucker stabil zu halten. Gerade bei Sport kann der Blutzucker durch den Zuckerverbrauch in den Muskeln leicht und schnell absinken, und es droht eine Unterzuckerung, im schlimmsten Fall eine schwere Unterzuckerung.
Auf der anderen Seite kann der Blutzucker bei Sport/Bewegung aber auch stark ansteigen: und zwar dann, wenn er zu Beginn der Bewegung schon hoch ist und ein Insulinmangel vorliegt. Wird dann noch Sport ausgeübt, steigt der Blutzucker aufgrund des Insulinmangels noch weiter, und es droht eine schwere Ketoazidose.
Ein weiterer Grund für einen Blutzuckeranstieg bei Sport ist Wettkampfsport: Aufregung und Nervosität sorgen für einen Adrenalinausstoß im Körper, und Adrenalin lässt den Blutzucker steigen. Daher sollte jedes Kind/jeder Jugendliche von seinem Diabetesteam vorab über das richtige Verhalten bei Sport/Bewegung informiert werden, um schwere Entgleisungen nach oben oder nach unten zu vermeiden bzw. diesen vorbeugen zu können.
Eine weitere große Herausforderung bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes ist das Verhalten bei akuten Erkrankungen mit Fieber, Erbrechen oder Durchfall. Auch hier kann der Blutzucker nach oben oder unten entgleisen. Fieber oder Infekte führen eher zu einem Mehrbedarf an Insulin und damit zu erhöhtem Blutzucker. Oft schon einige Tage, bevor der Infekt ausbricht, ist der Blutzucker erhöht – und viele Eltern wissen, dass sich wieder eine Erkältung/ein Infekt bei ihrem Kind ankündigt.
Auch hier heißt es nach Rücksprache mit dem behandelnden Diabetesteam,die Insulindosis genau anzupassen. Basal- und Mahlzeiteninsulin müssen meist deutlich erhöht werden, oft bis zu 200 Prozent, aber das ist bei jedem Kind anders und muss individuell angepasst werden.
Bei Übelkeit, Erbrechen und Durchfall ist es meist andersrum: Die Blutzuckerwerte sind eher niedrig. Hier ist aber unbedingt darauf zu achten, dass das Basalinsulin auf jeden Fall gegeben werden muss, meist allerdings in niedrigerer Dosis als normal. Auf keinen Fall darf das Basalinsulin ganz weggelassen werden – das kann in einer schweren Ketoazidose enden, denn der Körper benötigt auch weiterhin Insulin von außen. Das Basalinsulin ist ja zur Abdeckung der “Fastenzeit” da, d. h. der Zeit, in der nichts gegessen wird.
Das Mahlzeiteninsulin sollte erst nach dem Essen gespritzt werden, wenn sicher ist, dass das Kind die gerade gegessenen Kohlenhydrate nicht wieder erbricht. Wenn keine Kohlenhydrate gegessen werden, dann können erhöhte Werte vorsichtig mit zusätzlichem Insulin korrigiert werden. Wichtig ist aber, zu viel Insulin zu vermeiden, um eine Unterzuckerung zu verhindern.
Eine Hypoglykämie mit trink- oder essbaren Kohlenhydraten zu behandeln, wenn das Kind alles sofort wieder erbricht, ist sehr schwierig und endet nicht selten im Krankenhaus. Hier muss dann eine Zuckerlösung in die Vene gegeben werden, um den Blutzucker wieder anzuheben und stabil zu halten. Hier gilt: Lieber einmal zu früh Hilfe holen oder zum Arzt/ins Krankenhaus fahren.
Kinder und Jugendliche mit Diabetes sind täglich großen Herausforderungen ausgesetzt. Viele Faktoren wie Bewegung, Krankheit, Pubertät beeinflussen den Blutzucker und erschweren eine stabile Stoffwechseleinstellung. Es drohen Blutzuckerentgleisungen nach oben oder nach unten, die im schlimmsten Fall im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Werden Eltern und Kinder/Jugendliche von ihrem Diabetesteam gut geschult und auf solche Situationen vorbereitet, können diese lebensbedrohlichen Situationen oft vermieden bzw. zu Hause gut behandelt werden.
von Dr. med. Louisa van den Boom
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (6) Seite 22-25
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