Warum ist extremes Übergewicht so gefährlich?

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Warum ist extremes Übergewicht so gefährlich?

Kaum ein Thema treibt den Alltag vieler Menschen so um wie das Körpergewicht – genauer meist das Übergewicht. Eine eigene Kategorie dabei ist extremes Übergewicht, weil es so gefährlich ist. Mehr dazu im aktuellen Diabetes-Kurs.

Der Fall


Stefan H. ist 47 Jahre alt, wiegt 147 kg bei einer Körpergröße von 179 cm und fühlt sich in seiner Haut nicht mehr wohl. Er ist Grundschullehrer, und selbst auf kurzen Strecken durch das Schulgebäude ist er mittlerweile kurzatmig und muss mehrmals stehen bleiben. Ebenso plagen ihn seit Monaten schon Rücken- und Hüftschmerzen.

Sein Hausarzt hatte ihm deshalb dringend geraten, Gewicht abzunehmen – auch deshalb, weil seine Großmutter Typ-2-Diabetes inklusive Folgeschäden hatte. Eine Ernährungsumstellung und etwas mehr Bewegung hatten schon mehrfach nur vorübergehend etwas gebracht. Der Arzt verschrieb Stefan H. nun ein neues Mittel, das gespritzt werden muss und eigentlich für Diabetiker mit Übergewicht gedacht, jetzt aber auch für Übergewichtige ohne Diabetes zugelassen sei. Allerdings müsse man es selbst bezahlen, die Krankenkasse übernehme bisher die Kosten nicht.

Nach 3 Monaten hatte Stefan H. ohne zu hungern erstmals 6 kg abgenommen und war motiviert, das Mittel weiter zu nehmen, obwohl er die Kosten dafür selbst tragen muss.

Die Vererbung scheint bei krankhaftem Übergewicht (Adipositas) ungefähr 60 Prozent auszumachen – die restlichen 40 Prozent haben wir Menschen tagtäglich selbst in der Hand! Auch Umweltfaktoren scheinen eine Rolle zu spielen, aber auch diese können oft von uns selbst beeinflusst werden. Adipositas tritt selten alleine auf – meist wird sie „begleitet“ von Risikofaktoren, die vor allem das Herz-Kreislauf-System betreffen:

  • Rauchen
  • Fettstoffwechselstörungen (hohes LDL-Cholesterin)
  • Hoher Blutdruck (Hypertonie)
  • Herzinsuffizienz
  • Mangelnde Bewegung
  • Auch: Vorerkrankungen in der Familie

Der Body-Mass-Index (BMI) hat sich zwar als „Gradmesser“ für Übergewicht durchgesetzt, ist aber für die Beurteilung des Risikos für Herz und Gefäße nicht so sinnvoll wie der Bauch-
umfang, der vor allem den Anteil des Bauchfettes (viszerales Fett) berücksichtigt. So unterscheidet man, je nach Verteilungstyp:

  • „Birnenform“: frauliche Fettverteilung mit Polster an Hüfte und Oberschenkel/Brust
  • „Apfelform“: männliche Fettverteilung v. a. am Bauch („Bierbauch“), im Bauchinnern.

Bei Menschen mit der „Apfelform“ ist das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und dessen Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Leberverfettung viel höher als bei Menschen mit „Birnenform“.

Gut zu wissen


BMI: Der Body-Mass-Index wird berechnet: Körpergewicht (kg) geteilt durch Körperlänge in (m²)
Beispiel:
68 kg : 1,70 m² → 68 : 2,89  =  23,53 kg/m²
Der BMI beträgt 23,53.

BMI 30 – 34,9 = Adipositas Grad I
BMI 35 – 39,9 = Adipositas Grad II
BMI >40,0 = Adipositas Grad III

Bauchumfang: Gemessen wird an der dicksten Stelle des Bauches!

Männer > 102 cm
Frauen > 88 cm
Deutliches Herzkreislaufrisiko, wenn dieser Bauchumfang überschritten wird.

Das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, erhöht sich bei Adipositas um etwa 20 Prozent je 1 kg/m² höherem BMI. Besonders hoch ist dieses Risiko, wenn das Übergewicht schon im Kindes-und Jugend­alter bestanden hat.

Das Fettgewebe

Fettgewebe ist aus einer Art Bindegewebe entstanden und tritt an den verschiedensten Stellen des menschlichen Körpers auf. Es wird meist als Fettpolster abgelagert, und zwar vor allem im Bauchraum (viszerales Fett), aber auch unter der Haut (subkutan). Unterschieden werden braunes und weißes Fett.

Das braune Fettgewebe wird primär zur Wärmeproduktion benötigt, das weiße Fettgewebe hat verschiedene Aufgaben, dient aber vor allem der Energiespeicherung. Wir wissen heute, dass das viszerale Fett sich bei starkem Übergewicht (Adipositas) entwickelt. Größe und Umfang der einzelnen Fettzellen nehmen zu, wobei gleichzeitig eine Art Entzündung auftritt, erkennbar an Entzündungszellen und bestimmten Hormonen (Interleukine), die für einen Großteil der Folgeschäden verantwortlich sind.

Adipositas und Mikrobiom

In den letzten Jahren fand sich ein starker Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms (Bakterien und Pilze, die den Darm besiedeln) und Übergewicht. Darmbakterien sind an der Herstellung bestimmter Vitamine, an der Aufnahme bestimmter Nährstoffe sowie dem Abbau von Ballaststoffen beteiligt.

Das Darm-Mikrobiom spielt außerdem eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems und der Freisetzung bestimmter Hormone. Je nachdem, wie sich die Zusammensetzung der Bakterienarten verändert, können Adipositas, aber auch Diabetes, Bluthochdruck, Fettleber und Herzerkrankungen auftreten. So kann eine Ernährung mit vielen Kalorien und ungesunder Zusammensetzung zu Adipositas und Herzerkrankungen führen – es ist deshalb nicht egal, was und wie viel wir Menschen essen!

Risiko für Folgeerkrankungen bei Adipositas – eine Auswahl


Risiko 1- bis 2-fach erhöht
  • Karzinome
  • Zystisch veränderte Eierstöcke
  • Rückenschmerzen
  • Unfruchtbarkeit
  • Schädigungen des ungeborenen Kindes
  • Arthrose der Hüftgelenke

Risiko 2- bis 3-fach erhöht

  • Koronare Herzkrankheit
  • Bluthochdruck
  • Fettstoffwechselstörung
  • Gicht
  • Speiseröhrenentzündung durch Reflux der Magensäure
  • Arthrose der Kniegelenke

Risiko bis zu 3-fach erhöht

Menschen mit krankhaftem Übergewicht unternehmen meist erst dann etwas, wenn Beschwerden auftreten (häufig zuerst Rücken-, Knie-, Fußbeschwerden, später auch mangelnde körperliche Belastbarkeit, rasche Ermüdbarkeit, Luftnot bei körperlicher Belastung). Auf die oft sehr belastenden psychischen Problemen möchte ich hier nicht eingehen.

Medikamente

Mehrere Medikamente wurden schon vor Jahren wegen starker, z. T. gefährlicher Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen. Aktuell zugelassen sind Orlistat (hemmt die Fett -Aufnahme im Darm) und das GLP-1 Analogon Liraglutid 3 mg (Saxenda®), das als Victoza® zur Behandlung des Typ-2 -Diabetes zugelassen ist. GLP-1-Analoga hemmen vor allem die Entleerung des Magens – man ist länger satt. Sie senken den Blutzucker, indem sie die Betazellen stimulieren und bremsen den Appetit im Gehirn.

Änderung der Ernährung

Wir wissen heute, dass man seine lieb gewonnenen Ernährungsgewohnheiten nicht plötzlich auf den Kopf stellen kann – aber: Durch Lernen und Ausprobieren von Lebensmitteln, die weniger Kohlenhydrate und Kalorien enthalten, evtl. ergänzt durch Medikamente, ist auch ohne Operation manchmal eine andauernde Gewichtsreduktion möglich.

Gut zu Wissen


Brennwert von

1 g Fett: 9,3 kcal
1 g Kohlenhydrate: 4,1 kcal
1 g Eiweiß: 4,1 kcal

Um 1 kg Fettgewebe abzubauen, müssen etwa 7.000 kcal eingespart werden – bei einem täglichen Minus von nur etwa 200 – 300 kcal sind das schon etwa 1 kg/Monat.

Oft ist aber eine Lebensstiländerung unumgänglich. Man muss auch lernen, immer wieder „Nein“ zu sagen, ohne das Gefühl zu entwickeln, auf etwas verzichten zu müssen. Der Weg der Umstellung (Ernährung, Bewegung) ist, wie wir alle wissen, oft steinig. Aber wenn man ihn bewusst geht – eher erfolgreich.

Abbau von Fett durch mehr Bewegung?


  • Fettverbrennung ist nicht gleich Fettabbau!
  • Gewichtsreduktion durch Fettabbau geschieht nur durch höheren Kalorienverbrauch (negative Energiebilanz) pro Tag/Woche.
  • Bei „negativer Energiebilanz“ holt sich unser Körper die noch benötigte (quasi fehlende) Energie, indem er Fettgewebe abbaut.
  • In Ruhe verbrennt unser Körper vor allem Fett: Je höher der Grundumsatz (z. B. durch regelmäßigen Sport) ist, desto mehr Fett wird verbrannt („Schlank im Schlaf“).
  • Um den Fettabbau zu fördern, werden auch bei moderatem Ausdauertraining eher Kohlenhydrate mit einem niedrigen glykämischen Index (GI) empfohlen. Sie fördern die Fettverbrennung.
  • Auch nach dem Sport ist der Stoffwechsel für einige Stunden gesteigert – wenn man erst etwa 2 Stunden nach dem Sport wieder etwas isst, wird die Fettverbrennung noch längere Zeit hochgehalten und weiteres Fett abgebaut.
  • Empfohlen wird 3 x/Woche ein regelmäßiges Ausdauertraining mit mittlerer Intensität, je nach Ausgangstrainingszustand über mindestens 20 – 30 Minuten – wenn immer möglich, Trainingsherzfrequenz (= 50 – 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz) verwenden (z. B. 120 Schläge/min.). Und es gilt: Je länger, desto besser.

Klar ist: Adipositas ist zunehmend ein Problem in unserer Gesellschaft – oft schon bei Kindern und Jugendlichen. Eine langsame und anhaltende Gewichtsreduktion ist nicht immer möglich; ein operatives Vorgehen sollte jedoch gründlich überlegt werden.


Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg
Chefarzt Deegenbergklinik
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (3) Seite 28-30

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