Diabetes-Kurs: Bewegung als Schlüssel zum Erfolg bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes

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Diabetes-Kurs: Bewegung als Schlüssel zum Erfolg bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes

Bewegung gehört zur Behandlung des Typ-2-Diabetes wie das Umstellen der Ernährung und Medikamente. Gut ist, wenn man dann weiß, wie man am besten in den bewegten Alltag startet – und was man beachten sollte. Wichtig ist aber auch, zu wissen, welche Vorteile sie bringt.

Fast reflexartig erfahren Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes und Übergewicht gleich zu Beginn ihrer Erkrankung, dass neben dem Umstellen der Ernährung sportliche Aktivität einen Vorteil bringt, um das Risiko für Folgeerkrankungen zu reduzieren. Die Behandelnden sind sich in dieser Frage einig.

Foto: privat
Über den Autor

Dr. med. Gerhard-W. Schmeisl (Bad Kissingen) ist Internist sowie Facharzt für Diabetologie, Angiologie und Sozialmedizin und hat jahrzehntelange praktische Erfahrung in der Behandlung und Schulung von Menschen mit Diabetes in Praxis und Klinik. Er schreibt in der Rubrik Diabetes-Kurs über die Diabetes-Therapie und alles, was sonst noch mit dem Diabetes zusammenhängt.

Bewegung reduziert Risiko für Folgeerkrankungen

Vor einigen Jahren noch wurde vor allem ein Senken des Blutzucker-Langzeitwerts, des HbA1c, in den Vordergrund gestellt. Tatsächlich lassen sich vor allem Folgeschäden an den kleinen Blutgefäßen mit Netzhaut-, Nieren-, und Nervenschäden so deutlich reduzieren.

Durch regelmäßige Bewegung bzw. regelmäßiges Training lässt sich, kombiniert mit einem Umstellen der Ernährung, aber speziell das Risiko für frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Störungen der Durchblutung, Herzschwäche (Herzinsuffizienz), aber auch von Krebs drastisch reduzieren.

Die Reduktion von Fett, vor allem des Bauchfetts, aber auch des Fetts im Unterhautfettgewebe reduziert zudem drastisch das Krebsrisiko, denn die Fettzellen produzieren viele Entzündungs-Substanzen wie Interleukine und Tumor-Nekrose-Faktor Alpha und steigern so das Krebs-Risiko.

Das Fallbeispiel

Johannes K., 62 Jahre alt, 134 kg schwer, hat seit zehn Jahren Typ-2-Diabetes. Vom Hausarzt war ihm eine Reha-Maßnahme verordnet worden. Diese wurde auch genehmigt, weil Johannes K. in seinem Beruf als Kraftfahrer weiterarbeiten wollte, bis zur Rente, aktuell dazu aber körperlich nicht mehr in der Lage war. Neue Medikamente, die er zum Abnehmen spritzte, hatten nur mäßigen Erfolg gebracht, die Blutzuckerwerte jedoch positiv beeinflusst. Der HbA1c-Wert von 9,2 %, sagte der Hausarzt, sei aber doch bedenklich.

Nachdem Johannes K. in der Reha von einem multidisziplinären Team beraten und behandelt wurde, hatte er in vier Wochen 10 kg an Gewicht abgenommen. Er trainierte täglich auf dem Ergometer, führte leichtes Kraft-Training durch und ging schwimmen. Außerdem stellte er seine Ernährung komplett um.

Psychisch wirkte er positiver eingestellt und zufriedener mit sich selbst. Die Blutzuckerwerte waren fast normal. Täglich 2 bis 3 Liter Coca-Cola zu trinken, konnte er sich jetzt nicht mehr vorstellen. Telefonisch hatte er auch schon seine Frau zu Hause einbezogen. Gemeinsam wollten sie das Erlernte Stück für Stück umsetzen. Von depressiven Gedanken war auch nichts mehr zu hören.

Regelmäßige Aktivität bringt positive gesundheitliche Effekte

Durch regelmäßige körperliche Bewegung bzw. erst recht durch ein regelmäßiges Training lässt sich so bei übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes gleich mehreres positiv beeinflussen. Um sich zu motivieren, ist wichtig, sich immer wieder selbst zu fragen: „Wo werde ich in zehn Jahren sein, wenn ich so wie jetzt weitermache und nichts ändere?“

Die aktuellen neuen Medikamente, die in aller Munde sind, helfen zwar beim Reduzieren des Gewichts. Die langsame Gewichts-Reduktion mit gleichmäßiger Steigerung der Fitness geht aber nur durch regelmäßige körperliche Aktivität.

Während der Corona-Pandemie, ausgelöst durch ein Corona-Virus mit dem Risiko, an COVID-19 zu erkranken, nahmen laut Daten einer globalen Befragung körperliche Aktivitäten um etwa 20 Prozent ab, gleichzeitig nahm die „Sitz-Zeit“ um etwa 28 Prozent zu. Internationale Smartphone-Daten belegen dies. Wer sich nicht regelmäßig aufraffte, Sport oder Bewegung in sein Leben einzubauen, wurde immer träger, meist verbunden mit Übergewicht mit den daraus resultierenden Problemen. Durch das Schließen vieler Sportstudios, Schwimmbäder und anderer Stätten für Freizeitaktivitäten kam der Lockdown gleichzeitig einem Bewegungs-Knock-Down gleich.

Zu wenig Bewegung: schlecht für Herz und Diabetes-Management

Die mangelnde Bewegung hat tatsächlich insbesondere auch bei Menschen mit schon bekanntem Diabetes zu einer Abnahme der Herz-Kreislauf-Fitness mit Verschlechterung auch der diabetischen Stoffwechsellage geführt. Eine Schwächung unseres Immunsystems ist ebenfalls durch die verminderten körperlichen Aktivitäten erfolgt. Nach dem amerikanischen Immunologen Prof. Dr. David C. Nieman ist die Corona-Pandemie ein Alarmzeichen für eine alternde, untrainierte, übergewichtige und immungeschwächte Gesellschaft.

Bewegung erlangt so immer mehr an Bedeutung als eine der wichtigsten Präventions-Maßnahmen neben allgemeinen hygienischen Maßnahmen wie Impfen usw. Anhand von Studien konnte gezeigt werden, dass regelmäßig aktive Menschen weniger stark an den Folgen einer Corona-Infektion litten und auch weniger häufig ins Krankenhaus mussten. Zu viel und zu intensiver Sport ohne ausreichende Pausen kann allerdings auch unserer Immunabwehr schaden. Auch hier gilt: Die Dosis macht den Unterschied.

Nachgewiesene Effekte von regelmäßigem Herz-Kreislauf-Training sind:
  • Rückbildung einer Fettleber auch mit der Folge normnäherer Glukosewerte,
  • Reduktion des LDL-Cholesterins, leichte Erhöhung des HDL-Cholesterins,
  • Reduktion des Blutdrucks und damitEntlastung des Herzens durch weniger Kraftaufwand,
  • Reduktion der Insulinresistenz, dadurch bessere Wirkung des Insulins und Schonung der Insulin-produzierenden Beta-Zellen,
  • Entlastung des Herzens durch langsamen Muskelauf- und Fettabbau, Reduktion der Herzfrequenz und damit auch des Verbrauchs an Sauerstoff, Steigerung der Durchblutung der Gefäße,
  • stetige Abnahme des Risikos für bestimmte Krebsarten wie Brustkrebs und Darmkrebs durch Übergewicht und auch chronische Erkrankungen der Leber wie die nicht alkoholische Fettleber-Hepatitis.

Jeder Schritt zählt: Bewegung über die Woche verteilen

Obwohl eigentlich klar ist, dass Bewegung Medizin ist und eine Art „Poly-Pill“ darstellt, wie Prof. Dr. Christine Joisten von der Deutschen Sporthochschule Köln sagt, wird das gewünschte Ziel bzw. die Empfehlung von 150 bis 300 Minuten moderater Bewegung pro Woche in der Praxis meist weit verfehlt. Laut diesen Empfehlungen und gestützt durch wissenschaftliche Untersuchungen müssen Bewegungs-Einheiten nicht am Stück durchgeführt werden, sondern verteilt über die Woche.

Jeder Schritt zählt: Auch diese „Aktivitäts-Snacks“ können nach einer Studie der britischen Diabetes-Organisation den Blutzucker effektiv senken. Es muss nicht immer gleich von Sport gesprochen werden – regelmäßige Bewegung reicht oft.

Nur eine Woche Bettruhe, z. B. bei Krankheit, führt dazu, dass unser Körper etwa 15 Prozent seiner Muskel-Masse abbaut. Genau das gilt es aber zu verhindern: Regelmäßiger Sport, auch im Alter, soll dazu führen, dass Muskeln aufgebaut werden. Denn nur die Muskeln verbrennen Fett. Nur so ist langfristig eine Reduktion des Gewichts, eine Verbesserung von Wirbelsäulen- oder Gelenkproblemen, der Osteoporose und eine normnähere Glukose-Stoffwechsellage möglich.

Neu starten in die Bewegung – welche Sportart wann zu wem passt

Nicht alle Sportarten passen zu jedem. Ein Training auf dem Fahrrad-Ergometer oder dem Cross-Trainer eignet sich für fast alle Menschen. Insbesondere bei extrem übergewichtigen Menschen hat sich Fahrradfahren z. B. auf einem Cross-Trainer oder Ellipsoid-Trainer bewährt oder mittels einer Hand-Kurbel, anstatt zu laufen oder zu walken. Wer trotzdem laufen möchte, für den ist ergänzend in begrenztem Umfang ein mildes Krafttraining mit z. B. Hanteln mit 0,5 bis 1 kg oder Bändern sinnvoll. Damit kann zusätzlich ein Zuwachs an Muskel-Masse erreicht werden.

Auch hier ist der Schlüssel: Keine Verbote! Sinnvolle, interessante und praktikable Angebote helfen, den erneuten Zugang zu mehr Bewegung und Sport zu finden. Dies gilt speziell dann, wenn man den Nutzen bzw. die Effekte auch schon kurzfristig bemerkt. Diese können sich z. B. so zeigen:

  • Ich erlange eine bessere Beweglichkeit.
  • Ich bekomme mehr Luft unter Belastung.
  • Meine Blutzuckerwerte sind gleichmäßiger bei entsprechendem Anpassen der Medikamente.
  • Ich habe ein besseres Körpergefühl.
  • Meine psychische Situation hat sich gebessert – ich sehe vieles jetzt viel positiver.

Der beste Start in den bewegten Alltag – darauf ist zu achten

Vor allem nach langer Inaktivität ist ein langsamer Trainingsbeginn evtl. mit vorausgegangener Untersuchung extrem wichtig, eventuell auch die Begleitung durch entsprechende Sport-Therapeuten oder Fitness-Trainer. Durch ein Belastungs-EKG kann beim Hausarzt, Sportmediziner oder Kardiologen außerdem die Trainings-Herzfrequenz ermittelt werden.

Folgende Dinge sollten bei einem Beginn mit körperlichem Training beachtet werden:
  • Tägliche Übungen von 20 bis 30 Minuten sind besser als dreimal pro Woche eine bis zwei Stunden.
  • Um ein effektives Herz-Kreislauf-Training durchführen zu können und damit auch entsprechende Verbesserungen des Stoffwechsels zu erreichen, ist die Kontrolle der Herzfrequenz sinnvoll. Dabei hilft ein Schrittzähler, er fördert außerdem die Motivation.
  • Durch ein Belastungs-EKG kann in einer hausärztlichen, sportmedizinischen oder kardiologischen Praxis nach einer einfachen Formel die Trainings-Herzfrequenz ermittelt werden. Bei Menschen mit Diabetes hat sich die Karvonen-Formel (nach Marrti J. Karvonen) zum Abschätzen einer optimalen Herzfrequenz bewährt.

Ziel ist, durch eine Steigerung der Bewegung im Alltag und ein regelmäßiges Ausdauer- und Muskel-Training auch mehr Freude am Leben selbst zu erreichen. Denn Depressionen fördern eher die Trägheit. Oft beginnt so ein Teufelskreis. Bewegung sollte Freude bereiten, nur dann wird sie als „Medikament“ neben anderen verstanden und langfristig beibehalten – mit allen positiven Effekten. So fördert tägliches Gassigehen mit dem Hund z. B. sowohl die körperliche Fitness des Herrchens/Frauchens und natürlich auch des Hunds als auch das psychische Wohlbefinden.

Für Untrainierte gilt: behutsam steigern und Überlastung vermeiden

Laut einer aktuellen Studie des Uniklinikums Erlangen unter Leitung von Prof. Dr. Yurdagül Zopf kann schon eine 30-minütige körperliche Aktivität in Form eines Intervall-Ausdauer-Trainings bei stark übergewichtigen Menschen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken, damit auch oft die Arbeitsfähigkeit wiederherstellen und somit deren Lebensqualität verbessern.

Für alle untrainierten Menschen gilt, dass sie sich über mehrere Wochen langsam z. B. durch Spaziergänge oder Nordic Walking an ihr persönliches Limit herantasten sollten, um eine Überlastung nicht nur des Herzens, sondern auch von Bändern, Sehnen und Muskeln zu vermeiden. Regelmäßiges Gehen, z. B. beginnend mit etwa 2.000 Schritten am Tag bis hin zu 10.000 Schritten, kontrolliert durch einen Schrittzähler, hat sich laut dem Landauer Diabetologen Dr. Stephan Kress als sehr effektiv erwiesen.

Die passende Herzfrequenz fürs individuelle Ausdauer-Training ermitteln

Wenn man neu mit regelmäßigem körperlichem Training beginnt, sollte man also einige grundsätzliche Dinge beachten. Das gilt auch für die Trainings-Herzfrequenz: Das beste Ausdauertraining beginnt bei etwa 65 bis 70 Prozent des Maximalpulses. Dies ist auch die Zone, in der die Fett-Verbrennung beginnt.

Um die passende Herzfrequenz für Ausdauer-Training zu ermitteln, hat sich die Karvonen-Formel bewährt:

Trainings-Herzfrequenz =
(maximale Herzfrequenz* – Ruhepuls) × Faktor [siehe folgende Liste] + Ruhepuls
*Männer: 220, Frauen: 226

Je nach Belastungszone ist der Faktor unterschiedlich:

  • zum Stärken des Herz-Kreislauf-Systems: Faktor 0,5 – 0,6,
  • zum Verbrennen von Fett: Faktor 0,6 – 0,7,
  • aerober Bereich, führt zu einer Verbesserung der Grundlagen-Ausdauer: Faktor 0,7 – 0,8,
  • anaerober Bereich (Leistungssport), führt zur Verbesserung der Laktat-Toleranz: Faktor 0,8 – 0,9,über der anaeroben Schwelle (Leistungssport): Faktor 0,9 – 1,0.

„Wiederauffüll-Effekt” holt Zucker aus dem Blut

Je nach Belastung und Dauer kann durch Sport das Acht- bis Zehnfache des Ruhebedarfs an Energie verbraucht werden. So kann die bei Menschen mit Typ-2-Diabetes häufig vorliegende Insulinresistenz durch einen verstärkten Zuckertransport aus dem Blut in die Muskelzellen reduziert und so gleichzeitig der Glukosewert im Blut gesenkt werden.

Die durch die Muskelarbeit verursachte Reduktion des Blutzuckerwerts wird in der Regel durch die Steigerung der Zuckerfreisetzung aus der Leber kompensiert. Sowohl die Leber als auch die Muskulatur holen sich später den beim Sport dazugegebenen Zucker wieder zurück. Wer eine Therapie mit Insulin oder mit Sulfonylharnstoffen durchführt, muss das beachten, denn durch diesen „Wiederauffüll-Effekt” steigt das Risiko für eine Unterzuckerung nach dem Sport. In Absprache mit dem Diabetesteam ist ggf. die Insulin- oder Tabletten-Dosis zu reduzieren bzw. sind zusätzliche Kohlenhydrate zu essen. Dieser positive Effekt der körperlichen Aktivität auf den Zuckertransport in den Muskel hält jedoch nach Wiederauffüllen nach Ausdauertraining nur für einige Tage an.

Kombiniertes Training für die Fähigkeiten des Alltags

Ergänzt werden sollte Ausdauer-Training durch ein leichtes Schnellkraft-Training, das mit zunehmendem Alter auch Fähigkeiten für den Alltag fördert. So kann mehr Kraft beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen vorhanden sein, die Gefahr durch einen Sturz wird geringer, das Tragen von Getränke-Kästen wird einfacher.

Zusammenfassung

Im Frühjahr wollen wieder zahlreiche Menschen mit Typ-2-Diabetes ihr sich selbst zum Jahresende gegebenes Versprechen „ich mache mehr Sport“, „ich gehe ins Fitness-Studio“, „ich suche mir jemanden, der mit mir läuft“ usw. in die Tat umsetzen. Gut so!

Man sollte sich nur nicht zu viel vornehmen und auch nicht zu starke positive Effekte nach kurzer Zeit erwarten. Denn nur, wenn man langsam startet und sich immer wieder bewusst macht, dass man nur so eine positivere Entwicklung seiner Erkrankung bzw. seines Körpergewichts erlangen kann, hält man auch durch. Zwischenzeitliche Tiefs, Stillstand des Gewichts usw. sollte man mit einkalkulieren – wir Menschen sind keine Roboter. Langfristig aber ist man der Sieger!


von Dr. Gerhard-W. Schmeisl

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (5) Seite 28-33

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