Mein Diabetes und ich werden Yoga-Lehrerin

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© Kirchheim-Verlag / Frank Schuppelius
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Mein Diabetes und ich werden Yoga-Lehrerin

Seit ein paar Jahren und besonders seit der COVID-Pandemie gehört Yoga für mich fest zu meinem Leben. Yoga bereitet mir viel Freude, aber auch gute Glukosewerte. Ob es an der regelmäßigen Bewegung, reduziertem Stressempfinden oder etwas ganz anderem liegt, vermag ich nicht beurteilen. Letztendlich ist mir das auch nicht so wichtig. Wichtig für mich ist einfach, dass es mir guttut. Im März 2023 war es so weit: Im Rahmen einer sechswöchigen Reise nach Mexiko buchte ich auch ein Training, um mich – wie schon länger geplant – zur Yoga-Lehrerin ausbilden zu lassen (auch genannt Yoga Teacher Training). Für mein Diabetes-Management war diese Zeit eine ganz interessante Herausforderung.

Erste Herausforderung: veränderter Tagesrhythmus, tropisches Klima und viel mehr Aktivität als sonst

Ich entschied mich für ein dreiwöchiges Yoga Teacher Training an der Pazifikküste Mexikos in der Nähe des Ferienorts Puerto Escondido. Als das Training begann, war ich bereits 3 Tage in Puerto Escondido und vorher knapp eine Woche in Mexiko Stadt gewesen. Somit hatte ich mich schon ein wenig an die wärmeren Temperaturen sowie die tropisch-feuchte Luft (welch’ willkommene Abwechslung zum Winter in Deutschland!) gewöhnt.

Unser Tag begann morgens um 6 Uhr zuerst mit einer Meditation und anschließend zwei Stunden Asana-Praxis. Frühstück gab es erst ab 9 Uhr. Während der morgendlichen 2 Stunden Yoga wurde es meist schon richtig warm, sodass ich direkt mit dem Aufstehen bei meinem Hybrid-Closed-Loop-System den Aktivitätsmodus mit erhöhtem Zielwert einstellte. Zusätzlich aß ich vor Beginn der Asana-Praxis rund 20 bis 30g Kohlenhydrate zur Vorbereitung. Später gab es Mittagessen und Abendessen sowie dazwischen eine weitere zweistündige Asana-Praxis und einen Block Theorie. In den zweiten Block Asana-Praxis am Nachmittag startete ich aufgrund des Mittagessens selten ohne aktives Insulin, was sie weitaus komplizierter im Wertemanagement machte. Während der Pausen konnten wir im Meer schwimmen oder uns mit einem Buch in den Schatten zurückziehen, bis schließlich gegen 21 Uhr alle in Richtung Bett wanderten.

Im Laufe der drei Wochen merkte ich einen deutlichen Abfall meines täglichen Insulinbedarfs sowie eine erhöhte Insulinempfindlichkeit. Trotz einiger herausfordernder Nachmittage hatte ich unfassbar ruhige Nächte und eher wenige Hypos. In den gesamten drei Wochen gab es lediglich eine Nachmittagspraxis, die ich aufgrund einer starken Unterzuckerung abbrechen musste, sonst haben meist ein paar Minuten Pause bereits geholfen. Besonders gutgetan hat meinen Werten der frühe und ausreichende Schlaf. Dieser profitierte wiederum vermutlich sehr davon, dass wir nahezu den gesamten Tag an der frischen Luft und draußen verbrachten.

Zweite Herausforderung: fremdes Essen und Hypos ohne gewohnte Hypo-Helferchen

Wir wohnten gemeinsam in einem Haus abseits von Puerto Escondido. Gekocht wurde für uns jeden Tag vegetarisch, frisch und lokal vor Ort. Wie großartig!

Die mexikanische Küche ist bekannt dafür, viele eher einfache Kohlenhydrate (z.B. aus Mais) zu haben. Außerdem ist sie eher fettig und aufgrund vieler Hülsenfrüchte recht proteinreich. Während des Yoga Teacher Trainings gab es jedoch auch viel frisches Gemüse und frisches Obst sowie Säfte. Obwohl ich mexikanisches Essen über alles liebe, waren die Gerichte für mich beim Schätzen meines Insulinbedarfs eher herausfordernd. Die Kombination von Kohlenhydraten, Proteinen und Ballaststoffen war für mich manchmal sehr schwer zu entwirren – viel lief also nach Augenmaß. Hinzu kam, dass ein Spritz-Ess-Abstand (SEA) quasi unmöglich war, da Essen für 18 Personen eben fertig ist, wenn es fertig ist, – nicht aber unbedingt, wenn mein Insulin gerade wirkt. Besonders vom SEA habe ich mich also recht schnell verabschiedet.

Eine weitere Herausforderung sah ich zu Beginn in der Lage unserer Unterkunft: mitten im Nirgendwo, ohne Supermärkte oder einen Kiosk in Reichweite. Bevor wir unsere Unterkunft bezogen, versuchte ich abzuschätzen, wie viel Saft und Hypo-Helfer ich wohl benötigen würde. Ich wollte bloß nicht, dass jemand extra meinetwegen in den Ort fahren musste, um Saft zu kaufen. Ich hatte meinen eigenen kleinen Vorrat an Trinkpäckchen im Zimmer und hatte immer ein paar Traubenzucker bei mir, wenn ich auf dem Gelände oder am Strand unterwegs war. Generell hatte ich eher wenige Hypos, was aber auch daran lag, dass ich bis auf nachts so gut wie immer den Aktivitätsmodus eingeschaltet hatte. Das verhinderte, dass ich zu viel unkontrollierbares, aktives Insulin im Körper hatte. Außerdem handelte ich bei sich anbahnenden Hypos recht früh und extra vorausschauend.

Das alles war nicht viel mehr Aufwand, als ich zu Hause betreiben würde, jedoch hatte ich trotz erhöhter Schwierigkeit immer noch eine Zeit im Zielbereich von 83 Prozent.

Dritte Herausforderung: wenn Kanüle und CGM-Sensor nicht so kleben, wie sie sollen

Wie man sich schon denken kann, bin ich nicht mit einem unendlichen Vorrat an Kathetern und CGM-Sensoren halb um die Welt geflogen. Statt die eigentlichen 6 Wochen Diabetes-Bedarf einzupacken, habe ich dennoch aus Vorsicht wie für 10 Wochen gepackt. Im Nachhinein die weiseste Entscheidung:

Aufgrund von Schweiß, Salzwasser, viel Duschen und Sonnencreme hatte meine Haut an sich schon sehr viel mehr zu tun, als sie es aus den Monaten Februar/März in Deutschland üblicherweise sonst so kennt. Klar, dass dabei auch die Pflaster der Kanülen und meines CGM-Sensors an ihre Grenzen kamen. Ich hatte mir extra einen großen Vorrat an Overtapes mitgenommen, jedoch war auch der nahezu aufgebraucht, als ich meinen Heimflug antrat. Ich war mit der Klebekraft sowohl der Kanülen als auch der CGM-Sensoren sehr unzufrieden und kenne es von anderen Reisen, ob mit Badefokus oder in tropisches Klima, so nicht. Einige CGM-Sensoren fielen mir regelrecht von der Haut, obwohl ich alles tat, sie wieder festzukleben. Vergeblich!

Keine Herausforderung: die anderen Yogis

Die einzige Herausforderung, die eigentlich gar keine war, waren meine Mit-Yogis. Ein bisschen Hemmungen hatte ich natürlich davor, Menschen 24 Stunden am Tag um mich herum zu haben und sie eventuell mit meinen Alarmen, Unterzuckerungen usw. zu nerven. Und auch, wenn ich inzwischen recht selbstbewusst damit umgehen kann, wenn Menschen auf Katheter oder CGM starren, wusste ich trotzdem nicht, was mich in einer Gruppe von 15 angehenden Yogalehrenden aus der ganzen Welt erwartet.

Was hat mich erwartet? Offenheit, Neugierde und Mitgefühl, wenn dann doch mal nicht alles gut lief! Ich habe sehr tolle Gespräche über mein Leben mit Diabetes, aber auch das Leben anderer mit Diabetes in den jeweiligen Heimatländern meiner Mit-Yogis geführt. Niemand hat blöd geschaut, niemanden hat es gestört, dass meine Pumpe manchmal mitten im Savasana anfing zu vibrieren.

An einem Sonntag machten einige einen Ausflug in das nahegelegene Puerto Escondido und füllten wie selbstverständlich meinen Saftvorrat auf. Wie lieb!

Und nun das, was so im Alltag als Yoga-Lehrerin mit Diabetes kommt

Jetzt im Alltag geht es besonders darum, das Erlernte und Erfahrene anzuwenden. Für mich ist das Achtsamkeit mit mir, meinen Gedanken und meinem Körper – und auch meinem Umfeld. Aber auch die Erkenntnis, welchen Einfluss diese drei Wochen auf mein Diabetes-Management hatten und was ich daraus in meinen Alltag implementieren kann. Worauf kommt es mir an, was ist vielleicht eher zweitrangig? Wo lohnt sich die Extra-Meile und womit gebe ich mich zufrieden? Fragen, die man selbstverständlich nicht allein in drei Wochen am Pazifik für sich klärt, sondern laufend und ein Leben lang. Aber es war super, um die Bedürfnisse abseits vom Alltag zu kalibrieren.

Abseits davon ist es natürlich mein Ziel, vor dem Unterrichten besonders auf die Werte zu achten, denn eine Yoga-Klasse wirkt doch eher verwirrend, undurchsichtig und alles andere als achtsam, wenn die Yoga-Lehrerin unterzuckert ist.


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