Praktische Tipps – damit Bewegung und Diabetes passen

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Praktische Tipps – damit Bewegung und Diabetes passen | Foto: privat
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Praktische Tipps – damit Bewegung und Diabetes passen

Bewegung und Sport können den Blutzucker ordentlich durcheinanderbringen – so sehr, dass manche Menschen mit Diabetes darauf verzichten oder Angst vor Unterzuckerungen entwickeln. Dabei hat Bewegung langfristig einen positiven Effekt auf den Diabetes. Praktische Tipps können helfen, ein abwechslungsreiches Leben mit Bewegung, Sport und vielseitigem Essen zu leben und dabei sicher, spontan und gelassen zu sein, wie Ivo Rettig auch aus eigener Erfahrung berichtet.


Titelthema „So halten Essen und Trinken fit“
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Dieser Beitrag ist Teil des Titelthemas der Zeitschrift Diabetes-Journal, Ausgabe 9/2024. Folgende Beiträge sind ebenfalls in der Reihe zum Thema „So halten Essen und Trinken fit“ erschienen:

  • Praktische Tipps – damit Bewegung und Diabetes passen

Mit der Diagnose Diabetes, vor allem Typ 1, gibt es plötzlich viele Faktoren, die man bei Essen, Bewegung und Sport, im Urlaub, bei der Arbeit, durch Hormon-Schwankungen und sogar beim Schlafen beachten sollte. Ich habe anfangs oft nicht verstanden, warum der Blutzucker auf einmal sinkt oder steigt und mich dem Diabetes ausgeliefert gefühlt.

Über den Autor

Ivo Rettig lebt seit 20 Jahren mit Diabetes und hat bereits über 40 Länder ­bereist und dabei die Alpen zu Fuß ­allein überquert. Neben Reisen liebt er Sport sowie Essen und führt ein freies selbstbestimmtes Leben mit Diabetes. Mit Dialetics, einer Lernplattform für Menschen mit Typ-1-Diabetes, will er anderen diese Erfahrung zugänglich machen.

Nach der Diagnose meines Typ-1-Diabetes im Jahr 2003 habe ich immer wieder Sätze gehört wie: „Durch Sport und Bewegung kannst du in den Unterzucker kommen. Unterzuckerungen können lebensgefährlich sein. Lass den Sport mal lieber für eine Weile sein.“

Diesen Rat erhielt ich sicher nicht mit böser Absicht, sondern um mich zu schützen und mir das Diabetes-Management bei Bewegung und Sport Schritt für Schritt sicher beibringen zu können. Dadurch habe ich aber den Eindruck gewonnen, wegen Diabetes keinen Sport mehr machen zu können. Das wollte ich so nicht akzeptieren.

Bewegung im Alltag statt sportlichen Leistungsdrucks

Heute bin ich 34 Jahre alt, habe über 40 Länder weltweit bereist, mache fast täglich Sport, habe die Alpen zu Fuß allein überquert und fliege Gleitschirm. Den Diabetes habe ich mittlerweile zu meinem Beruf gemacht. Ich begleite andere Betroffene als Mentor und Coach auf ihrem Weg in ein Leben mit mehr Kontrolle, Sicherheit und Spontanität – so wie vor der Diagnose.

Menschen mit Diabetes müssen keinen Leistungssport für positive Effekte auf den Blut­zucker betreiben. Grundsätzlich kann Bewegung die Wirkung des Insulins bis zu 48 Stunden verbessern. Besonders kontinuierliche Bewegung über längere Zeit hat einen langanhaltenden Effekt.

Viele kennen das sicher vom Stadtbummel: Der Blutzucker fällt und man muss mit Kohlenhydraten oder der Reduktion der Insulindosis reagieren. Aber genau diesen Effekt können sich Menschen mit einer Insulintherapie zunutze machen. Es muss keine lange Wanderung sein. Bereits 15 Minuten moderate Bewegung haben einen positiven Effekt. Statt in die Bahn oder ins Auto zu steigen, lohnt es, sich einfach mal aufs Fahrrad zu schwingen oder zu laufen.

Regelmäßigkeit ist der Schlüssel

Der Blutzucker liebt oft Routinen. Je regelmäßiger wir uns bewegen, desto leichter kann es fallen, gleichmäßige Werte zu erreichen. Aber nicht jeder lebt sein Leben gern nach Routinen, auch ich nur begrenzt.

Daher baue ich so viel wie möglich regelmäßige Bewegung bewusst in meinen Tag ein: Ein morgendlicher Spaziergang von 15 bis 20 Minuten reduziert die von Natur aus erhöhte Insulinresistenz am Morgen. Außerdem gehe ich so viele Wege wie möglich zu Fuß oder fahre mit dem Fahrrad. Ich nehme die Treppen statt des Aufzugs. Je regelmäßiger, aber nicht zwingend intensiver die Bewegung ist, desto besser ist der Effekt.

Unterzuckerungen vorbeugen statt ­behandeln

Sinnvoll ist, wenn Unterzuckerungen bei Bewegung nicht auftreten. Vorbeugen statt behandeln ist ein zentraler Bestandteil meines Diabetes-Managements. Ernährung ist dabei ein wichtiger Faktor: Während kurzkettige Kohlenhydrate, wie Zucker, uns in akuten Phasen der Unterzuckerung helfen, spielen komplexe Kohlenhydrate, wie in Vollkornbrot und Milchprodukten, sowie Fette und Proteine eine wichtige und oft unterschätzte Rolle bei der Steuerung der Glukosewerte – gerade vor oder nach der Bewegung.

Mit der richtigen Auswahl von Energielieferanten, fest oder flüssig, schnell oder langsam wirksam, Kohlenhydrate oder Fette und Proteine, und Anpassen der Insulindosen fällt es leichter, Bewegung und Sport zu meistern.

Der Kontext ist ausschlaggebend

Unter Kontext verstehe ich alles, was vor der Bewegung stattgefunden hat: den Glukoseverlauf, den Ausgangswert, den Trendpfeil des kontinuierlichen Glukose-Monitorings (CGM), der zeigt, in welche Richtung sich die Werte bewegen werden. Dazu gehören aber auch meine Gewohnheiten und sogar, wie die Schlafqualität war. Besonders hormonelle Einflüsse wie die Zyklusphase bei Frauen, das Wachstum oder Stress wirken sich auf den Blutzucker aus. Je nach Kontext kann Bewegung oder Sport hilfreich oder besonders herausfordernd sein.

Die Intensität gezielt einsetzen

Die Intensität der Bewegung wird bestimmt durch die Dauer und die Geschwindigkeit, also wie nahe man der eigenen Belastungs-Grenze kommt. Einfluss hat aber auch, wie stark und lange der Nachbrenn-Effekt auf den Blut­zucker nach dem Sport wirkt, beeinflusst durch die bessere Insulinwirkung und das Wiederauffüllen der Zuckervorräte im Körper (Muskel-­Auffülleffekt).

Sport wird meist nur mit drohenden Unterzuckerungen in Verbindung gebracht. Dabei kann Bewegung den Blutzucker auch ansteigen lassen, wenn die Intensität sehr hoch ist. Bei Ausdauersport sinkt der Blutzucker eher, bei Krafttraining kann er auch steigen.

Die Insulinwirkung kennen und nutzen

Das aktive Insulin ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Als aktives Insulin wird das Insulin bezeichnet, das man sich gespritzt bzw. per Bolus mit der Insulinpumpe gegeben hat und das zum jeweiligen Zeitpunkt – in unserem Fall zum Beginn der Bewegung – noch im Körper wirksam ist. Die Menge des jeweils aktiven Insulins ist abhängig vom Insulintyp, ggf. dessen Dosis und dessen Wirkdauer.

Dialetics
Auf der Website www.dialetics.de von Autor Ivo Rettig sind Online-Kurse zu Sport, Bewegung, Ernährung und Reisen zu finden, außerdem Inhalte von Partnern wie Workshops und Vorträge vom T1Day in Berlin. Die Lernplattform bietet Wissen und praktische Übungen für das Diabetes-Management – von Menschen mit Diabetes für Menschen mit Diabetes, medizinisch geprüft durch Prof. Dr. Thomas Haak.

Bewegung und Sport verbessern die Wirkung des Insulins. Wenn ich Bewegung zur richtigen Zeit, zum Beispiel nach dem Essen, aktiv einsetze, kann ich Blutzucker-Schwankungen reduzieren, die Zeit im Zielbereich erhöhen und mitunter sogar Pizza oder Burger ohne zu große Blutzucker-Schwankungen genießen.

Der richtige Zeitpunkt

Die Tageszeit ist ein ebenso wichtiger, aber häufig unterschätzter Faktor beim Diabetes-­Management. Die Insulinresistenz verändert sich über den Tag und der Nachbrenneffekt kann bei Bewegung am Abend bis weit in die Nacht wirken. Das kann zu nächtlichen Unterzuckerungen führen. Deshalb ist es sinnvoll, mit geeigneten Maßnahmen vorzubeugen. Dazu zählen die Reduktion der Insulindosis und das Essen von Kohlenhydraten oder Fetten und Proteinen.

Das Mindset eines Segelschiff-Kapitäns

Viele Faktoren, die auf den Blutzucker wirken, können wir im Alltag nicht messen oder fühlen. Wir sehen es erst, wenn der Glukosewert steigt oder fällt. Das ist vergleichbar mit einem Kapitän oder einer Kapitänin, welche das Schiff bei Wind und Wetter navigieren müssen.

Wichtig ist, sich in jeder Situation auf das zu konzentrieren, was man selbst kontrollieren kann – wie eine bestmögliche Vorbereitung. Alles andere muss man so gut es geht vorhersehen und bei Bedarf bestmöglich spontan reagieren. Die Glukosewerte und Auswertungen sind dabei die Navigationskarte: Aus ihnen kann man Erfahrungen sammeln und lernen, den eigenen Körper besser zu verstehen.

Probieren geht über Studieren

Viele Menschen mit frisch diagnostiziertem Typ-1-Diabetes machen zunächst eine Sportpause, damit sie ihr Diabetes-Management lernen und ihren Körper diesbezüglich neu kennenlernen können. Wenn sie dann wieder mit Sport starten möchten, ist der Weg das Ziel. Ich rate, in kleinen Etappen anzufangen und dabei das Gelernte für die nächste Sport-Einheit zu nutzen.

Wenn man vorher und nachher alle Faktoren genau dokumentiert, hilft dies enorm. Damit lernt man viele Stellschrauben kennen, an denen man drehen kann. So lässt sich ein auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmtes Sport-Diabetes-Management erarbeiten.

Individuelle Glukoseverläufe

Während meiner Arbeit als Mentor für Menschen mit Typ-1-Diabetes in den letzten zehn Jahren habe ich so viele unterschiedliche Menschen begleitet, die alle zwei Dinge gemeinsam hatten: den Typ-1-Diabetes und den Start von etwas Neuem. Wann und wie jemand auf Bewegung reagiert, welche Ernährung hilfreich für die Glukosewerte ist, wie man mental mit Frust oder Trauer umgeht und wieder Motivation findet, haben wir immer individuell herausgearbeitet.

Alle diese Tipps begleiten mich seit mehr als 20 Jahren bei Reisen um die Welt, beim Sport, bei kulinarischen Abenteuern und dem Sonntagsspaziergang. Sie helfen mir, glatte Glukoseverläufe und eine hohe Zeit im Zielbereich zu erreichen.


Titelthema „So halten Essen und Trinken fit“
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Dieser Beitrag ist Teil des Titelthemas der Zeitschrift Diabetes-Journal, Ausgabe 9/2024. Folgende Beiträge sind ebenfalls in der Reihe zum Thema „So halten Essen und Trinken fit“ erschienen:

  • Praktische Tipps – damit Bewegung und Diabetes passen

von Ivo Rettig

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (9) Seite 27-29

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