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Antonia Ahlers geht offen mit ihrem Diabetes um: Sie schreibt für ihren eigenen Blog und auch für die Diabetes-Community Blood Sugar Lounge. Typ-1-Diabetes hat sie seit über 20 Jahren. Im Interview spricht sie darüber, wie ihre Eltern mit dem Diabetes umgegangen sind, über Akzeptanz, den Austausch mit anderen – und über ihre Schwangerschaft mit Diabetes.
Zum Zeitpunkt des Interviews schließt Antonia gerade ihr Studium ab und erwartet ein Baby. Inzwischen ist ihre Tochter auf der Welt – und putzmunter. Herzlichen Glückwunsch!
Name: Antonia Ahlers Alter: 27 Jahre Diabetes seit: dem Jahr 2000 Therapie: Insulinpumpe und CGM-System Beruf: angehende Grundschullehrerin Ihre Texte auf: blood-sugar-lounge.de und zuckerbuntesleben.com |
Diabetes-Eltern-Journal (DEJ): Antonia, wie hast Du erfahren, dass Du Diabetes hast?
Antonia Ahlers: So genau weiß ich das nicht mehr, ich war ja noch recht klein. Ich weiß nur, dass meine Eltern mich mit einem Urintest aus der Apotheke selbst getestet haben.
DEJ: Also gab es schon einen Verdacht?
Antonia: Ja, und als sich der bestätigte, sind wir zum Kinderarzt gefahren. Da wurde der Blutzucker gemessen, der so hoch war, dass das Gerät keinen Wert mehr anzeigen konnte. Wir sind direkt weiter ins Hamburger Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. Das alles ist kurz nach der Einschulung passiert.
DEJ: Wie war der Neustart in der Schule?
Antonia: Das war eigentlich gar nicht so kompliziert. Ich bin ganz normal weiter zur Schule gegangen. Vormittags hatte ich eine feste Uhrzeit, zu der ich frühstücken musste – und diese Zeit lag leider im Unterricht. Aber an sich war es relativ problemlos. Soweit ich das noch in Erinnerung habe, haben sich die Lehrer auch nicht quergestellt, sondern mitgemacht und sich schulen lassen.
DEJ: Manchmal läuft das ganz anders ab – auch heute noch …
Antonia: Ja – deshalb schreibe ich darüber meine Masterarbeit. Da geht es um die Inklusion von Kindern mit Typ-1-
Diabetes in der Grundschule – wie das abläuft und welche Probleme es geben kann. Dafür habe ich eine Umfrage unter Grundschullehrern gemacht und eine unter Eltern, deren Kinder in der Grundschule sind und Diabetes haben.
DEJ: Hast Du schon Ergebnisse?
Antonia: Noch nicht so richtig. Es läuft recht unterschiedlich: Bei den einen klappt es super, bei den nächsten nicht. Ich bin noch dabei, herauszufinden, woran das liegt. Eine Schwierigkeit ist, dass es keine festen Regeln und Vorgaben gibt, auch nicht im Schulgesetz. Und es ist auch in jedem Bundesland etwas anders, z. B. bei der Bewilligung von Integrationshelfern und Pflegekräften.
Aber ich habe auch das Gefühl – ohne dass ich es schon konkret herausfiltern konnte – dass es manchmal auch ein bisschen daran liegt, wie die Eltern mit der Situation umgehen: Ob sie den Lehrern im ersten Gespräch sogar Angst machen und schildern, was alles Schlimmes passieren kann. Oder ob sie eher positiv auftreten und sagen: „Keine Panik.“
Meine Eltern waren relativ entspannt und haben gesagt: „Diabetes ist nichts Schlimmes.“ Natürlich haben sie über einige Risiken aufgeklärt, aber als Erstes betont, dass nicht viel schiefgehen kann. Was noch dazukommt: Ich konnte schon relativ schnell viel selbst machen – das können ja nicht alle. Aber mir wurde es auch zugetraut, und ich habe direkt im Krankenhaus viel gelernt. Und ich habe mich von Anfang an auch lieber selbst gespritzt.
DEJ: Du bist mit Einwegspritzen gestartet und hast dann Pens genutzt. Wann bist Du auf die Pumpe umgestiegen?
Antonia: Ab der 6. Klasse hatte ich für etwa drei Jahre eine Pumpe. In der Pubertät fand ich die Pumpe dann blöd. Sie hat gestört, vor allem, wenn ich im Sommer ein Kleid tragen wollte, und ich habe sie abgegeben. Jetzt habe ich seit etwa fünf Jahren wieder eine Pumpe.
DEJ: Wie hat eigentlich Dein Umfeld auf den Diabetes reagiert?
Antonia: Das familiäre Umfeld ist recht entspannt damit umgegangen. Ich habe einen viel älteren Cousin, der auch Typ-1-Diabetes hat, daher wusste man in der Familie schon ein bisschen was darüber. Selbst meine Großeltern waren immer relativ entspannt. Klar, die waren im Umgang damit nicht ganz so sicher wie meine Eltern, aber sie hatten auch keine Angst, auf mich aufzupassen.
Es war auch nie ein Problem, sich mit Freunden zu verabreden. Meine Eltern haben dann einfach ein Zettelchen geschrieben mit den wichtigsten Informationen, und bei meinem Blutzuckermessgerät hatte ich auch immer einen Zettel, auf dem z. B. stand, bei welchem Wert ich wie viel Traubenzucker nehmen soll. Damit wussten sowohl ich als auch die Eltern von Freunden Bescheid.
DEJ: Aber in der Pubertät gab es schon Probleme mit der Akzeptanz, oder?
Antonia: Damals habe ich es gar nicht so gesehen, dass ich den Diabetes nicht akzeptieren konnte oder wollte. Inzwischen kann ich das besser reflektieren. Ich habe damals öfter das Messen und Spritzen vergessen – vielleicht, weil ich den Diabetes verdrängen wollte, so sein wollte wie die anderen und ohne Einschränkungen leben wollte. Meine Eltern konnten das nicht so ganz verstehen.
DEJ: Wie kam es dann dazu, dass Du 2017 Deinen eigenen Blog zuckerbuntesleben.com gestartet hast?
Antonia: Ich habe irgendwann angefangen, mich wieder mehr mit dem Diabetes auseinanderzusetzen, mich mehr um alles zu kümmern, und bin dann in einer Facebook-Gruppe gewesen. Mit zwei der Mädels habe ich mich angefreundet, und eine der beiden hat mich zu dem Blog animiert. Über zwei Autorinnen der Blood Sugar Lounge kam ich selbst zur Lounge. So kam eins zum anderen, und ich musste mich komischerweise gar nicht groß überwinden, über meinen Diabetes zu schreiben, obwohl es doch ein paar Jahre lang so schwierig gewesen ist.
DEJ: Dir ist es wichtig, Dich mit anderen auszutauschen. Warum?
Antonia: Ich persönlich finde, durch den Austausch merkt man erst, dass man mit manchen Dingen nicht alleine dasteht. Als Kind habe ich einige Schulungen und Freizeiten mitgemacht, aber sonst hatte ich mit anderen Menschen mit Diabetes nicht so viel Kontakt. Deshalb habe ich auch gedacht: „Warum ich? Nur ich habe das, und das nervt doch alles.“ Aber wenn man sich austauscht, merkt man, dass die anderen zum Teil dieselben Probleme haben. Manchmal kann man sich dann auch gegenseitig helfen.
DEJ: Du bist schwanger; das Baby kommt im Mai. Wie ist das: Tauschen sich Diabetologe und Frauenarzt aus?
Antonia: Richtig gut im Austausch sind die beiden leider nicht, sie haben vom Fachgebiet des anderen wenig bzw. nur mittelmäßig viel Ahnung. Ich glaube aber schon, dass ein Austausch sinnvoll wäre, allein schon deshalb, weil ich dann nicht gefühlt jede zweite Woche alles doppelt erzählen müsste. Am besten wäre, wenn ich einen Arzt hätte, der sich mit beidem ganz gut auskennt, aber so einen zu finden, ist natürlich echt schwierig.
DEJ: Was musst Du bei der Wahl der Geburtsklinik beachten?
Antonia: Mir wurde nahegelegt, ein Krankenhaus zu wählen, das ein Perinatalzentrum Level 1 hat, also eine Neugeborenen-Intensivstation. Hier in Hamburg gibt es vier solcher Kliniken.
DEJ: Habt Ihr Euch Gedanken darüber gemacht, dass Euer Kind auch Typ-1-Diabetes bekommen könnte?
Antonia: Uns war von vornherein klar, dass dieses Risiko besteht. Aber es ist sehr gering, und wir haben uns gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht passiert, ist viel, viel größer. Klar wäre es nicht toll, wenn unser Kind Diabetes bekäme, aber es wäre auch kein Drama – ich kenne mich ja schon aus.
Wir werden auch an der SINT1A-Studie teilnehmen [In dieser Studie bekommen Kinder, bei denen ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes festgestellt wurde, ein Probiotikum, das helfen soll, die Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen zu verhindern, Anm. d. Red.]. Wir wollen nicht einmal unbedingt wissen, ob bei unserem Kind ein erhöhtes Risiko besteht, sondern möchten die Forschung unterstützen. Vielleicht helfen die Ergebnisse der Studie den Generationen danach – und das wäre ja wichtig und gut. Und natürlich wäre es auch gut, selbst das Risiko früh zu kennen, damit nicht am Ende eine Ketoazidose droht.
DEJ: Noch eine Frage zu Deiner Berufswahl Grundschullehrerin: Hat dabei der Diabetes eine Rolle gespielt?
Antonia: Am Anfang habe ich mir Gedanken gemacht, ob das so möglich ist – und dann relativ schnell entschieden: Warum sollte es nicht gehen? Wenn ich das machen möchte, wird es schon klappen. Inzwischen hoffe ich, dass Kinder mit Diabetes an meiner späteren Schule einen Vorteil davon haben werden, dass sich eine Lehrkraft gut auskennt.
DEJ: Möchtest Du Dich auch über die eigene Schule hinaus engagieren?
Antonia: Das könnte ich mir durchaus vorstellen. Zumal ich ja schon einmal ein Mädchen während einer Klassenfahrt betreut habe. Die Lehrer haben sich das nicht zugetraut. Aber eine Lehrerin konnte es sich nach der Fahrt dann doch vorstellen. Die Lehrer waren vorher nicht gut genug aufgeklärt worden; sie hatten zu viel Angst.
DEJ: Im Blog geht es einmal auch um die Angst vor Folgekomplikationen …
Antonia: Große Angst vor Folgekomplikationen habe ich nicht, weil die Therapien heute doch echt besser sind als früher. Aber klar, ich habe es immer so ein bisschen im Hinterkopf. Ich weiß auch: Selbst wenn man noch so gut eingestellt ist, es kann trotzdem passieren. Aber es gibt ja heute viele Möglichkeiten, Betroffenen zu helfen. Mir wurde als Jugendliche von der Kinderdiabetologin gesagt: „Wenn das so weitergeht, hast du irgendwann nur noch ein Bein.“ So dramatisch ist das heute aber eher selten – da muss schon ganz viel schieflaufen.
DEJ: Was würdest Du Familien raten, in denen ein Kind mit Diabetes lebt?
Antonia: Nicht zu ängstlich zu sein. Meine Eltern waren nicht extrem ängstlich oder haben es mich nicht spüren lassen. Es ist für ein Kind viel leichter, weiter als normaler Mensch behandelt zu werden und relativ viele Freiheiten zu haben. Ich durfte bei Freunden spielen und übernachten, mit den Großeltern Ausflüge machen usw. Es hilft ganz viel, wenn man einfach so normal wie möglich weitermacht. Bei einem Mädchen, das ich in einer Schulung getroffen hatte, war das anders: Sie wurde in Watte gepackt und durfte kaum was – und hatte es so eindeutig schwerer als ich.
Interview:
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Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 13 (2) Seite 20-22
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