- Eltern und Kind
Automatische Insulindosierung: wie unterscheiden sich die Systeme?
4 Minuten
Mittlerweile sind für Kinder und Jugendliche drei AID-Systeme auf dem deutschen Markt verfügbar. “PID”, “MPC” oder “Fuzzy Logic”? Das sind die Abkürzungen der unterschiedlichen Algorithmen die die Glukosewerte voraussagen und >120-mal am Tag die individuelle Insulinzufuhr berechnen. Wie unterscheiden sich die Systeme?
Alle AID-Systeme haben gemeinsam, dass sie aus drei Komponenten bestehen: einer Insulinpumpe, einem Glukosesensor und einem Rechenalgorithmus. Die Insulinpumpe wird mit dem System zur kontinuierlichen Glukosemessung zusammengeschaltet, während der Rechenalgorithmus die Steuerung der nahrungsunabhängigen basalen Insulinabgabe übernimmt. Der Rechenalgorithmus beruht dabei auf einem Vorgang, mit dem ein Problem mathematisch gelöst wird.
Unterschiedliche Rechenmodelle
Die in AID-Systemen verwendeten Algorithmen basieren auf komplexen Rechenvorgängen, die nicht extra für die AID-Therapie bei Menschen mit Typ-1-Diabetes entwickelt wurden, sondern aus der Regelungstechnik der Industrie stammen:
- Ein Messwert wird erhoben (Glukosewert).
- Ein Programm errechnet aus dem aktuellen Wert und dem Zielwert
die Differenz sowie die notwendige Änderung der abzugebenden Stellgröße (Insulin). - Das Insulin wird abgegeben und hat seine Wirkung im Körper.
- Der Kreislauf beginnt von vorn.
Für die automatischen Insulindosierungssysteme bedeutet dies, dass die Insulinzufuhr auf Basis der aktuellen Sensorglukosewerte und dem vorhergesagten Glukoseverlauf alle 5-12 Minuten verändert wird: das sind >120-288 Insulindosierungsveränderungen am Tag! So viele Anpassungen kann kein Mensch leisten- das schafft nur ein automatisiertes System! In den aktuell verfügbaren AID-Systemen kommen drei Arten von Rechenmodellen zum Einsatz:
PID (“proportional integral derivative”)
Im Wesentlichen handelt es sich um ein System, welches vergleichbar mit der Steuerung eines Schiffes ist: Ein Ziel liegt vor Augen – die Einflüsse von Wind und Wellen müssen ständig korrigiert werden, damit das Schiff an sein Ziel gelangt. Es betrachtet dabei aktuelle, vergangene und zukünftige Fehler. So funktioniert z.B. auch der Temperaturregler in der Heizungstechnik, der die Temperatur konstant auf einen definierten Zielwert regelt. Damit der Algorithmus arbeiten kann, benötigt er nur wenige Informationen (z.B. Insulinwirkdauer, Insulin: Kohlenhydratverhältnis).
MPC (“model predictive control”)
Hierbei wird ein Referenzmodell zugrunde gelegt, welches versucht, sich schrittweise in wiederholten Rechenvorgängen der exakten Lösung anzunähern. Dieses Modell ist vergleichbar mit den Abstandregel-Tempomaten im Auto. Die Qualität des Modells hängt entscheidend von der Qualität der voreingestellten Variablen ab (z.B. Insulin: Kohlenhydratverhältnis, Basalrate, Korrekturfaktoren, aktuelles Gewicht).
“Fuzzy logic”
Hierbei handelt es sich um ein Modell der mathematischen Unschärfe, das mit Hilfe sogenannter “Wenn-dann”-Regeln die Anpassungen vornimmt. Dieses System kann mit Unschärfen in der Entscheidung umgehen, benötigt aber Angaben über viele mögliche Szenarien, da es nur in bekannten Szenarien arbeiten kann. Prinzipien der “fuzzy logic” werden z.B. in der elektronischen Steuerung von Waschmaschinen oder bei intelligenten Ampelsteuerungssystemen eingesetzt. Zusätzliche Rechenregeln sorgen dafür, dass die zeitliche Verzögerung bei der kontinuierlichen Glukosemessung im Zellzwischenraum und auch die Insulinaufnahme aus dem subkutanen Fettgewebe bei den automatischen Insulinanpassungen berücksichtigt werden.
Wie die AID-Systeme Glukosewerte vorhersehen und die individuelle Insulinzufuhr berechnen, beruht also auf vielen mathematischen Rechenschritten, die nicht immer im Einzelnen nachvollzogen werden können und auch nicht nachvollzogen werden müssen, um ein System erfolgreich anzuwenden.
Neben der Art des Rechenalgorithmus unterscheiden sich die Systeme insbesondere hinsichtlich des Zulassungsalters, der erforderlichen Insulinmenge, die der Algorithmus benötigt, um sicher zu arbeiten, der kompatiblen Sensoren und der Plattform des Algorithmus. Eine kurze Übersicht wichtiger Unterschiede der in Deutschland für Kinder und Jugendliche verfügbaren und zugelassenen AID-Systeme zeigt Tabelle 1.
Doch welches ist nun der “beste” Algorithmus für mein Kind? Glücklicherweise zeigen die Studienergebnisse zu den verfügbaren AID-System für alle Rechenalgorithmen immer wieder die gleichen Muster:
- Mehr Zeit im Zielbereich → Verbesserung des HbA1c-Wertes
- Weniger Unterzuckerungen
- Verminderung von Glukoseschwankungen
- Besserer Effekt in der Nacht
- Bessere Glukosewerte, wenn
Mahlzeitenboli VOR der Mahlzeit
abgegeben werden - Sichere Systeme
Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen aus der Praxis. Die Teilautomatisierung der Systeme nimmt vielen Eltern wie auch Kindern und Jugendlichen das Gefühl, den (unerklärlichen) Schwankungen der Glukosewerte nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein. Das alltägliche Diabetesmanagment ist einfacher geworden. Übereinstimmend hören wir von Eltern und Kindern in den Sprechstunden: “Wir können alle endlich wieder gut schlafen” oder “Die Werte beim Aufstehen sind fast immer super” oder auch “Es gibt nicht mehr soviel Ärger wegen des Diabetes zu Hause”. Um das für Ihr Kind geeignete AID-System auszusuchen, sprechen Sie am besten mit Ihrem Diabetesteam.
Erfolg nur durch Schulung
Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Anwendung eines AID-Systems ist eine systemspezifische Schulung. Neben dem technischem “Know-how” wie etwa dem sicheren Anlegen der Insulinpumpe und des Glukosesensors, sollten die Unterschiede zwischen den Funktionen im manuellen Modus und im automatischen Modus geschult werden. Hier sind insbesondere folgende Fragen wichtig: welche Parameter sind noch justierbar? Wie werden die Daten ausgelesen und interpretiert, wann sollten Veränderungen der Einstellungen vorgenommen werden?
Tabelle 1: Übersicht der in Deutschland für Kinder und Jugendlichen verfügbaren AID-Systeme (Stand Oktober 2022)
Ausblick
Alle aktuell in Deutschland verfügbaren AID-Systeme sind Schlauchpumpen. Der schlauchlose Omnipod 5 ist in den USA bereits seit Anfang des Jahres als AID-System in Kombination mit dem Dexcom G6 Glukosesensor verfügbar. Wann das System auch in Deutschland zugelassen und über die gesetzlichen Krankenkasse verfügbar sein wird, ist noch nicht bekannt.
“Let the algorithm do the work”
Bisher haben die Eltern die Insulintherapie ihrer Kinder gesteuert. Die Berechnungen des Algorithmus nicht immer im Detail nachvollziehen zu können, kann deshalb anfangs herausfordernd sein. Unsere Empfehlung: dem System, den Kindern und Jugendlichen und sich selbst Zeit geben. Erfahrungsgemäß dauert es einige Wochen, bis alle Beteiligten mit dem System “warm geworden” sind. Am besten klappt’s mit dem Leitspruch: “Let the algorithm do the work” (Lass den Algorithmus die Arbeit machen).|
Autorin:
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Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2022; 13 (4) Seite 8-10
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cesta postete ein Update vor 2 Tagen, 5 Stunden
Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche, 5 Tagen
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 2 Tagen, 17 Stunden
@mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 2 Tagen, 14 Stunden
@sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike -
sveastine antwortete vor 2 Tagen, 3 Stunden
@mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻♀️
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mayhe antwortete vor 1 Tag, 13 Stunden
@sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike
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mayhe antwortete vor 1 Tag, 13 Stunden
@mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.
LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c
Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)