Automatische Insulindosierung: wie unterscheiden sich die Systeme?

4 Minuten

© vegefox.com - stock.adobe.com
Automatische Insulindosierung: wie unterscheiden sich die Systeme?

Mittlerweile sind für Kinder und Jugendliche drei AID-Systeme auf dem deutschen Markt verfügbar. “PID”, “MPC” oder “Fuzzy Logic”? Das sind die Abkürzungen der unterschiedlichen Algorithmen die die Glukosewerte voraussagen und >120-mal am Tag die individuelle Insulinzufuhr berechnen. Wie unterscheiden sich die Systeme?

Alle AID-Systeme haben gemeinsam, dass sie aus drei Komponenten bestehen: einer Insulinpumpe, einem Glukosesensor und einem Rechenalgorithmus. Die Insulinpumpe wird mit dem System zur kontinuierlichen Glukosemessung zusammengeschaltet, während der Rechenalgorithmus die Steuerung der nahrungsunabhängigen basalen Insulinabgabe übernimmt. Der Rechenalgorithmus beruht dabei auf einem Vorgang, mit dem ein Problem mathematisch gelöst wird.

Unterschiedliche Rechenmodelle

Die in AID-Systemen verwendeten Algorithmen basieren auf komplexen Rechenvorgängen, die nicht extra für die AID-Therapie bei Menschen mit Typ-1-Diabetes entwickelt wurden, sondern aus der Regelungstechnik der Industrie stammen:

  1. Ein Messwert wird erhoben (Glukosewert).
  2. Ein Programm errechnet aus dem aktuellen Wert und dem Zielwert
    die Differenz sowie die notwendige Änderung der abzugebenden Stellgröße (Insulin).
  3. Das Insulin wird abgegeben und hat seine Wirkung im Körper.
  4. Der Kreislauf beginnt von vorn.

Für die automatischen Insulindosierungssysteme bedeutet dies, dass die Insulinzufuhr auf Basis der aktuellen Sensorglukosewerte und dem vorhergesagten Glukoseverlauf alle 5-12 Minuten verändert wird: das sind >120-288 Insulindosierungsveränderungen am Tag! So viele Anpassungen kann kein Mensch leisten- das schafft nur ein automatisiertes System! In den aktuell verfügbaren AID-Systemen kommen drei Arten von Rechenmodellen zum Einsatz:

PID (“proportional integral derivative”)

Im Wesentlichen handelt es sich um ein System, welches vergleichbar mit der Steuerung eines Schiffes ist: Ein Ziel liegt vor Augen – die Einflüsse von Wind und Wellen müssen ständig korrigiert werden, damit das Schiff an sein Ziel gelangt. Es betrachtet dabei aktuelle, vergangene und zukünftige Fehler. So funktioniert z.B. auch der Temperaturregler in der Heizungstechnik, der die Temperatur konstant auf einen definierten Zielwert regelt. Damit der Algorithmus arbeiten kann, benötigt er nur wenige Informationen (z.B. Insulinwirkdauer, Insulin: Kohlenhydratverhältnis).

MPC (“model predictive control”)

Hierbei wird ein Referenzmodell zugrunde gelegt, welches versucht, sich schrittweise in wiederholten Rechenvorgängen der exakten Lösung anzunähern. Dieses Modell ist vergleichbar mit den Abstandregel-Tempomaten im Auto. Die Qualität des Modells hängt entscheidend von der Qualität der voreingestellten Variablen ab (z.B. Insulin: Kohlenhydratverhältnis, Basalrate, Korrekturfaktoren, aktuelles Gewicht).

“Fuzzy logic”

Hierbei handelt es sich um ein Modell der mathematischen Unschärfe, das mit Hilfe sogenannter “Wenn-dann”-Regeln die Anpassungen vornimmt. Dieses System kann mit Unschärfen in der Entscheidung umgehen, benötigt aber Angaben über viele mögliche Szenarien, da es nur in bekannten Szenarien arbeiten kann. Prinzipien der “fuzzy logic” werden z.B. in der elektronischen Steuerung von Waschmaschinen oder bei intelligenten Ampelsteuerungssystemen eingesetzt. Zusätzliche Rechenregeln sorgen dafür, dass die zeitliche Verzögerung bei der kontinuierlichen Glukosemessung im Zellzwischenraum und auch die Insulinaufnahme aus dem subkutanen Fettgewebe bei den automatischen Insulinanpassungen berücksichtigt werden.

Wie die AID-Systeme Glukosewerte vorhersehen und die individuelle Insulinzufuhr berechnen, beruht also auf vielen mathematischen Rechenschritten, die nicht immer im Einzelnen nachvollzogen werden können und auch nicht nachvollzogen werden müssen, um ein System erfolgreich anzuwenden.

Neben der Art des Rechenalgorithmus unterscheiden sich die Systeme insbesondere hinsichtlich des Zulassungsalters, der erforderlichen Insulinmenge, die der Algorithmus benötigt, um sicher zu arbeiten, der kompatiblen Sensoren und der Plattform des Algorithmus. Eine kurze Übersicht wichtiger Unterschiede der in Deutschland für Kinder und Jugendliche verfügbaren und zugelassenen AID-Systeme zeigt Tabelle 1.

Doch welches ist nun der “beste” Algorithmus für mein Kind? Glücklicherweise zeigen die Studienergebnisse zu den verfügbaren AID-System für alle Rechenalgorithmen immer wieder die gleichen Muster:

  • Mehr Zeit im Zielbereich → Verbesserung des HbA1c-Wertes
  • Weniger Unterzuckerungen
  • Verminderung von Glukoseschwankungen
  • Besserer Effekt in der Nacht
  • Bessere Glukosewerte, wenn
    Mahlzeitenboli VOR der Mahlzeit
    abgegeben werden
  • Sichere Systeme

Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen aus der Praxis. Die Teilautomatisierung der Systeme nimmt vielen Eltern wie auch Kindern und Jugendlichen das Gefühl, den (unerklärlichen) Schwankungen der Glukosewerte nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein. Das alltägliche Diabetesmanagment ist einfacher geworden. Übereinstimmend hören wir von Eltern und Kindern in den Sprechstunden: “Wir können alle endlich wieder gut schlafen” oder “Die Werte beim Aufstehen sind fast immer super” oder auch “Es gibt nicht mehr soviel Ärger wegen des Diabetes zu Hause”. Um das für Ihr Kind geeignete AID-System auszusuchen, sprechen Sie am besten mit Ihrem Diabetesteam.

Erfolg nur durch Schulung

Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Anwendung eines AID-Systems ist eine systemspezifische Schulung. Neben dem technischem “Know-how” wie etwa dem sicheren Anlegen der Insulinpumpe und des Glukosesensors, sollten die Unterschiede zwischen den Funktionen im manuellen Modus und im automatischen Modus geschult werden. Hier sind insbesondere folgende Fragen wichtig: welche Parameter sind noch justierbar? Wie werden die Daten ausgelesen und interpretiert, wann sollten Veränderungen der Einstellungen vorgenommen werden?

Tabelle 1: Übersicht der in Deutschland für Kinder und Jugendlichen verfügbaren AID-Systeme (Stand Oktober 2022)

Ausblick

Alle aktuell in Deutschland verfügbaren AID-Systeme sind Schlauchpumpen. Der schlauchlose Omnipod 5 ist in den USA bereits seit Anfang des Jahres als AID-System in Kombination mit dem Dexcom G6 Glukosesensor verfügbar. Wann das System auch in Deutschland zugelassen und über die gesetzlichen Krankenkasse verfügbar sein wird, ist noch nicht bekannt.

“Let the algorithm do the work”

Bisher haben die Eltern die Insulintherapie ihrer Kinder gesteuert. Die Berechnungen des Algorithmus nicht immer im Detail nachvollziehen zu können, kann deshalb anfangs herausfordernd sein. Unsere Empfehlung: dem System, den Kindern und Jugendlichen und sich selbst Zeit geben. Erfahrungsgemäß dauert es einige Wochen, bis alle Beteiligten mit dem System “warm geworden” sind. Am besten klappt’s mit dem Leitspruch: “Let the algorithm do the work” (Lass den Algorithmus die Arbeit machen).|


Autorin:

Dr. med. Thekla von dem Berge
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Diabetologie
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin “Auf der Bult”, Hannover

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2022; 13 (4) Seite 8-10

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Nachgefragt | Recht: Kindergarten, Schule, Studium – welche Rechte und Ausgleiche es bei Diabetes gibt

Der Diabetes bringt in Kindergarten, Schule und Studium zusätzliche Herausforderungen mit sich. Oft wird eine Begleitperson benötigt, welche sich um den Diabetes kümmert, damit der Besuch von Kindergarten oder Schule überhaupt möglich ist. Auch bei Klassenarbeiten, Prüfungen wie dem Abitur oder Klausuren kann der Diabetes sich nachteilig auswirken. Welche Unterstützungen, Rechte und Ausgleiche stehen den Betroffenen zu?
Kindergarten, Schule, Studium – welche Rechte und Ausgleiche es bei Diabetes gibt | Foto: ArtBySalea07 – stock.adobe.com

3 Minuten

Laktose-Intoleranz: Wenn Milch nicht gut vertragen wird

Ein Glas Milch – für viele ein Genuss, für andere der Auslöser von Bauchschmerzen. Wenn Milch und Milchprodukte regelmäßig Beschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfall auslösen, steckt dahinter oft eine Laktose-Intoleranz. Diese kann auch bei Menschen mit Diabetes vorkommen und wirft dann oft zusätzliche Fragen auf.
Laktose-Intoleranz: Wenn Milch nicht gut vertragen wird | Foto: denis_vermenko - stock.adobe.com

3 Minuten

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

Verbände