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Auch 18 Monate nach dem Auftreten der COVID-19 Pandemie in Europa bestimmt dieses Virus in vielen Fällen noch den Alltag. Neben Abstandsregeln, Maskenpflicht, Antigentesten und Inzidenzwerten wird auch immer wieder über schwere Verläufe bei Menschen mit Diabeteserkrankung berichtet. Aber gelten diese Meldungen auch für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes?
Wenn Kinder und Jugendliche an COVID-19 erkranken – ist das eigentlich schlimm? Das Robert Koch-Institut verzeichnet seit Beginn der Pandemie etwa 3,8 Millionen Fälle einer COVID-19-Erkrankung in Deutschland (Stand 31.Juli 2021). Etwa 10 Prozent davon – also knapp 400.000 – entfallen auf die Gruppe von Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahre.
Dabei muss betont werden, dass der überwiegende Anteil der Jüngeren nur milde oder komplett symptomfreie Verläufe aufzeigte. Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) berichtet über etwa 1.600 Fälle einer stationären Aufnahme von Kindern/Jugendlichen der entsprechenden Altersklasse infolge COVID-19 bis Ende Juli 2021. Die Symptomatik im Kindes- und Jugendalter entspricht, wenn überhaupt Symptome auftreten, der eines sonstigen Virusinfektes: Fieber, trockener Husten und Abgeschlagenheit.
Neben diesen Akutkomplikationen kann im Kindes- und Jugendalter jedoch eine besondere Spätkomplikation, wenngleich selten, auftreten. Dieses als PIMS (Pädiatrisches Inflammatorisches Multisystem-Syndrom) bekannte Phänomen kann in seltenen Fällen bis zu 6 Monate nach einer – meist unbemerkten – COVID-19-Erkrankung auftreten. Hierbei kommt es infolge einer fehlerhaften Überreaktion des Immunsystems zu einer Erkrankung der Adern.
Diese als Vaskulitis bezeichnete Entzündung der Blutgefäße weist in den meisten Fällen eher milde Verläufe mit leichten Hauteinblutungen ohne weiterführende Beschwerden auf. In extrem seltenen Fällen können jedoch auch andere Organsysteme befallen werden und eine schwerwiegende Erkrankung des Verdauungstraktes, des Herzens sowie des Gehirns und weiterer Nervensysteme hervorrufen. Befindet sich die Erkrankung in diesem Stadium, so muss eine intensive stationäre Behandlung durchgeführt werden, die erfreulicherweise in den meisten Fällen sehr gut anspricht.
Betrachtet man die zumeist asymptomatischen oder milden Verläufe der COVID-19-Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen, so müssen auch bei Menschen mit Typ-1-Diabetes in dieser Alterskategorie keine besonderen Maßnahmen ergriffen werden.
Sollte die Infektion mit Fieber einhergehen, so ist – analog zu anderen Viruserkrankungen – mit einem Anstieg des Insulinbedarfs zu rechnen. In diesen Fällen ist es wichtig, den Blutzuckerspiegel engmaschig im Auge zu behalten. Die Glukosewerte sollten via Messgerät oder Sensor häufiger kontrolliert und die Insulindosis daraufhin entsprechend angepasst werden. Bei Unsicherheiten sollte rechtzeitig das behandelnde Diabetesteam kontaktiert werden.
Darüber hinaus gibt es weder Hinweise darauf, dass junge Menschen mit Typ-1-Diabetes einen schwereren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung haben, noch dass sie häufiger oder länger daran erkranken. Dadurch soll nicht der Eindruck entstehen, dass Typ-1-Diabetes einen schützenden Effekt vor der Corona-Erkrankung hat. Natürlich kann es auch bei jungen Menschen mit Typ-1-Diabetes schwere Verläufe geben.
Wichtig ist, dass der Stoffwechsel gut eingestellt ist. In Deutschland ist kein Fall eines Minderjährigen mit Typ-1-Diabetes bekannt, der aufgrund einer COVID-19-Erkrankung auf einer Intensivstation beatmet werden musste. Auch die erwähnte PIMS Erkrankung scheint bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes nicht gehäuft aufzutreten.
Die Anzahl der Neumanifestationen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland steigt seit einigen Jahren stetig. Als Ursache dafür werden u. a. Umweltfaktoren, Einflüsse auf das Immunsystem und psychische Stressoren diskutiert. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Phasen einer erhöhten psychischen Stressbelastung auf Kinder und Jugendliche u. a. zu einem Anstieg der Manifestationsrate von Typ-1-Diabetes führen kann.
Die Viruspandemie an sich und auch die damit einhergehenden Restriktionsmaßnahmen führten unweigerlich zu einer Alltagsveränderung mit teilweise erhöhtem Stresspotential für die Bevölkerung, weswegen ein weiterer Anstieg der Manifestationsrate von Typ-1-Diabetes generell denkbar wäre.
Intensive Forschungsarbeiten konnten jedoch für das Jahr 2020 und das bisherige Jahr 2021 in Deutschland keine zusätzlich gesteigerte Rate an Diabetes-Manifestationen feststellen. Die Corona-Pandemie an sich und auch die damit einhergehenden Maßnahmen führten also nicht zu einem weiteren Anstieg an neuen Diabeteserkrankungen im Kindes- und Jugendalter.
Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass insbesondere im ersten Halbjahr 2020, also in der Zeit des ersten Lockdowns, die Eltern aus Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus bei bestehenden Krankheitssymptomen später zum Arzt gegangen sind. Eine Folge davon ist ein deutlicher Anstieg an Ketoazidosen im Rahmen einer Diabetesmanifestation von etwa 24 auf 45 Prozent. Am stärksten von diesem Trend betroffen waren Kinder unter 6 Jahren.
Zu einer frühzeitigen ärztlichen Vorstellung bei typischen Symptomen einer Diabeteserkrankung, wie vermehrtem Trinken und Wasserlassen, muss daher weiterhin – auch in Lockdown-Zeiten – unbedingt geraten werden, um die Symptomatik abzuklären. Eine Verzögerung der Diagnose kann mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung einhergehen!
Die Schutzmaßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie führten zu Schulschließungen, Verbot von Vereinssport und teilweise Sperrung von öffentlichen Sport- und Spielplätzen. Zusätzlich wurde eine „Stay at home“-Empfehlung ausgesprochen. In vielen Situationen mussten Kinder und Jugendliche den Alltag ohne Betreuung von Erwachsenen bestreiten.
Die Maßnahmen erfolgten sehr kurzfristig und insbesondere zu Beginn ohne Vorbereitungsmöglichkeit. Sie führten bei sehr großen Teilen der Gesellschaft zu einer enormen Veränderung der Alltagsgestaltung, einer Veränderung des Schlafverhaltens, einem deutlichen Anstieg des Körpergewichts, einer Veränderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens sowie einer Reduktion der Lebensqualität.
Untersuchungen in Großbritannien, China, USA, Griechenland, Spanien und Italien konnten eine deutliche Veränderung der Diabetesstoffwechselführung bei Kindern und Jugendlichen aufzeigen. Dabei blieb der HbA1c-Wert häufig unverändert, bei jedoch deutlich gesteigertem Insulinbedarf. Dies ist gut mit der verringerten Bewegung und dem veränderten Essverhalten der Kinder und Jugendlichen zu erklären.
Für Deutschland konnten in einer sehr aufwendigen und gründlichen Studie keine entsprechenden Veränderungen für Kinder und Jugendliche nachgewiesen werden. Dies traf sowohl für Kleinkinder als auch für Schulkinder und Teenager zu. Der COVID-19-Lockdown ging also in Deutschland nicht mit einer allgemeinen Veränderung der Diabeteseinstellungen, des BMI oder der Insulinmenge für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes einher.
Wie bereits ausgeführt, stellen junge Menschen mit Typ-1-Diabetes keine besondere Risikokohorte für schwere Infektionsverläufe mit dem SARS-CoV2-Virus dar. Zu Zeiten der Impf-Priorisierung hatte die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD) sich daher dafür ausgesprochen, Jugendliche mit Typ-1-Diabetes nicht einer höheren Priorisierungsstufe zuzuführen. In der aktuellen Situation jedoch haben nahezu alle Personengruppen, für die ein erhöhtes Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung besteht, ein Impfangebot erhalten. Inzwischen sind zwei Impfstoffe auch für Jugendliche ab 12 Jahren zur Impfung zugelassen: Comirnaty (Biontech/Pfizer) und Spikevax (Moderna).
Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) sprach sich bereits in der ersten Empfehlung im Juni 2021 für eine COVID-Impfung bei Jugendlichen mit bestimmten Vorerkrankungen aus. Darunter zählten u. a. deutliches Übergewicht (Body Mass Index über der 97. altersbezogenen Perzentile) und Diabetes, wenn dieser „nicht gut eingestellt“ ist.
Diese Aussage ließ Interpretationsspielraum und führte bisweilen zu einer Unsicherheit bei Eltern und Jugendlichen hinsichtlich der Durchführung der Schutzimpfung. Mit der Aktualisierung der Richtlinie am 16.08.2021 wurde durch die STIKO eine Empfehlung zur COVID-Impfung für alle 12 – bis 17-Jährigen ausgesprochen. Grundlage für diese Entscheidung waren u. a. Daten von etwa 10 Millionen geimpften Jugendlichen aus dem amerikanischen Impfprogramm, die eine hohe Wirksamkeit bei sehr niedrigem Nebenwirkungsprofil aufweisen konnten.
Die extrem selten auftretenden Herzmuskelentzündungen nach Impfung müssen als Nebenwirkung gewertet werden. Sie hatten in fast allen Fällen bei entsprechender medizinischer Versorgung einen milden und unkomplizierten Verlauf. Es gibt keine Daten, dass dies bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes anders zu erwarten ist.
Macht man sich bewusst, dass eine Viruserkrankung mit Fieber durchaus Auswirkungen auf die Blutzuckerwerte haben kann und dass das Erkrankungs- und vor allem Übertragungsrisiko von vollständig Geimpften deutlich sinkt, rate ich den Eltern und Jugendlichen in meiner Sprechstunde zur Impfung. Dies gilt insbesondere unter dem Aspekt eines nunmehr ausreichenden Impfangebotes für die Bevölkerung und der aktuell fehlenden Möglichkeit zur Impfung von Kindern unter 12 Jahren.
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Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (3) Seite 8-10
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