Keine Lust auf Diabetes – was kann helfen?

4 Minuten

© radachynskyi - AdobeStock
Keine Lust auf Diabetes – was kann helfen?

Wer lange Typ-1-Diabetes hat, weiß: Es gibt immer wieder Phasen, in denen der Diabetes nur noch nervt. Das ist normal und gehört bei einer lebenslangen Erkrankung dazu. Damit das aber kein Dauerzustand wird, gibt es verschiedene Möglichkeiten und Strategien, wieder „Lust auf Diabetes“ zu bekommen. Und das gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche …

Vor allem Eltern von Jugendlichen berichten immer wieder besorgt, dass ihr Sohn oder ihre Tochter „keine Lust auf Diabetes“ habe. Ist das wirklich ein Problem? Nein, das ist ganz normal und betrifft Menschen mit Dia­betes aller Altersstufen immer mal wieder, die sich kontinuierlich um ihre Selbsttherapie kümmern müssen.

Diabetes ist wie ein lebenslanger Marathon: Er hört nie auf, und niemand hat sich freiwillig dazu entschlossen, daran teilzunehmen. Deshalb muss auch kein Mensch „Lust“ dazu haben, es gibt schönere Hobbys. Und wenn Diabetes das einzige „Hobby“ – besser Lebens­inhalt – ist, dann ist das sicher auch bedenklich.

Wahrscheinlich bedeutet die kurze Bemerkung „keine Lust auf Diabetes“ aber auch viel mehr, nämlich: „Diabetes passt nicht in mein Leben“, „die Behandlung überfordert mich“, „die ständigen Schwankungen machen mir Angst“, „die Kontrollen und Kommentare anderer kränken mich“ oder „ich möchte normal sein – behandelt werden wie alle anderen“. Was kann helfen?

Kein Perfektionismus

Jeder Mensch mit Diabetes und auch seine Angehörigen sollten sich erlauben, Dia­betes doof, ätzend oder noch krasser zu empfinden. Das ist er im Alltag nämlich öfter, als es sich Außenstehende vorstellen können. Selbst die besten neuen Technologien geben mitten in einem Vortrag Alarm, Sensoren messen komische Werte oder der Katheter ist plötzlich zu und kein Ersatz zur Hand. Die Liste lässt sich unendlich verlängern. Hier hilft es schon, sich vom Perfektionismus bei der Diabetestherapie zu verabschieden und Fehler als normal menschlich zu akzeptieren. Das verhindert Schuldgefühle und nervige Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen.

Besser ist, aus typischen Problemen zu lernen und kreativ vorzubeugen. Dazu gehört auch, sich nicht von irgendwelchen „Diabetes-Profis“ in den sozialen Medien demotivieren zu lassen, die stolz verbreiten, wie spielend leicht es ihnen gelänge, 99 % Time in Range, also Zeit im Zielbereich, zu erreichen – manche erreichen scheinbar auch schon 110 % Time in Range. Wie bei den Selfies in den sozialen Medien werden auch hier einige Filter zur Optimierung darübergelaufen sein.

Gefühle von Schuld und Scham vermeiden

Niemand hat etwas dazu beigetragen, dass er oder sie Diabetes bekommen hat – und jeder, der sich um seine Behandlung bemüht, tut mehr für seine Gesundheit als viele andere Menschen ohne die Stoffwechselstörung. Das gilt auch für Menschen mit Typ-2-Dia­be­tes, denen oft unterstellt wird, sie hätten die Erkrankung durch ihr eigenes Verhalten hervorgerufen. Heute ist klar, dass es viele Ursachen für starkes Übergewicht (Adipositas) und Typ-2-Diabetes gibt, die nicht durch „etwas Disziplin“ aus der Welt zu schaffen sind. Wenn die Glukose­werte mal wieder nicht so sind wie erwartet, dann kann jeder darauf mit Insulin oder Kohlenhydraten reagieren und versuchen, die Fehlerquelle zu finden.

Zusätzliche (Selbst-)Vorwürfe oder Scham helfen hier nicht, sondern verstärken nur die negativen Gefühle zum Dia­be­tes. Gerade Eltern, die sich oft viele Jahre um ihr früh an Diabetes erkranktes Kind gekümmert und deshalb auf vieles verzichtet haben, sind berechtigt tief gekränkt und verärgert, wenn der inzwischen zum Teenager herangewachsene Sohn gerade keine Lust auf Diabetes hat und sich nicht um seine Werte schert. Statt sofort mit Vorwürfen zu reagieren, sollten Eltern warten, bis sich der Ärger etwas gelegt hat, und dann mit dem Sohn über realistische Regeln bei der Dia­be­tes­behandlung und gewünschte Hilfe zu sprechen.

Hilfe annehmen

Manchmal ist der Alltag so stressig, dass wirklich kaum Zeit und Kraft für die Dia­be­tes­therapie bleibt. Zunächst können Routinen helfen, nichts zu vergessen. Beispielsweise kann man es sich zur Gewohnheit machen, abends bereits alles für den nächsten Tag zusammenzustellen, z. B. Traubenzucker, ausreichend Insulin in der Pumpe, Ersatzkatheter, ggf. Blutzuckerteststreifen und Messgerät. Ebenso können Rituale am Morgen helfen, alle wichtigen Behandlungsschritte zu bedenken. Einigen hilft am Anfang auch eine Checkliste.

Trotzdem kann es gerade für Jugendliche, die durch Schule, Freizeit, Freunde und Hob­bys überfordert sind, entlastend sein, sich mal eine kleine Auszeit von einigen Aufgaben zu erlauben und die Unterstützung der Eltern anzunehmen. Wenn es verbindliche Absprachen gibt, an die sich alle halten, kann das funktionieren. Eltern erinnern freundlich – ohne Vorwürfe –, der Jugendliche tut das Notwendige – ohne Widerspruch und Streit – und hat den Kopf frei für seine Aufgaben. Das funktioniert in allen Lebensphasen, wenn andere Probleme sehr viel Kraft und Aufmerksamkeit erfordern.

Diabetes eine Nebenrolle geben

Wenn der Diabetes gerade erst festgestellt wurde, dann scheint kein Stein mehr auf dem anderen zu bleiben. Alles muss sich der Therapie unterordnen, ständig muss gerechnet, auf die Uhr geschaut und das Essen analysiert werden. Dazu kommen noch die ganzen Geräte am Körper, die mehr als fremd sind. Und dann sagen noch ein paar altgediente „Diabetiker“, das alles sei doch super und früher sei alles noch viel schlimmer gewesen. Am Anfang überfordern die vielen neuen Informationen, Therapien und technischen Hilfen beim Diabetes. Es braucht einige Wochen, bis sich ein Alltag mit Diabetes eingestellt hat und vieles fast schon automatisch läuft. Dann sollte der Diabetes immer mehr in den Hintergrund treten und das Leben begleiten, aber nicht mehr bestimmen.

Der Blick auf die Sensorwerte ist dabei verführerisch und verleitet dazu, ständig zu schauen, ob etwas getan werden sollte. Dies führt oft zu einer ständigen Beschäftigung mit dem Dia­betes, oft überzogenen Reaktionen und Schwankungen der Werte. Besser ist es, Alarmgrenzen klug auszuwählen und erst dann zu reagieren, wenn es wirklich notwendig ist. Dazu braucht es oft Disziplin und gute Nerven. Auf Dauer gelingt es so aber, den Diabetes im Hintergrund mitlaufen zu lassen.

Optimismus

Menschen mit langer Diabetesdauer, die auf manche Anfänger durch ihre Begeisterung für die neuen Geräte an ihrem Körper (z. B. Systeme zur automatischen Insulindosierung, AID-Systeme) zunächst etwas befremdlich wirken mögen, geben Anlass für einen gut begründeten Optimismus. Diese Menschen haben lange Jahre Erfahrungen mit unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten erlebt und überlebt. Sie haben den rasanten Fortschritt der Diabetesbehandlung und der Technologien in den letzten Jahrzehnten erfahren und können berichten, wie sich dies positiv auf ihr Leben allgemein ausgewirkt hat.

Wenn dieser Fortschritt nur etwa das gleiche Tempo beibehält, sind in den nächsten Jahren enorme Verbesserungen zu erwarten, die vielleicht auch etwas „Lust“ machen, sich mit dem Diabetes zu beschäftigen. Die jungen Menschen verschiedener Diabetes-­Communitys, die sich mit Optimismus und großem Engagement für verbesserte Therapien einsetzen oder selbst daran forschen, sind eindrucksvolle, relevante „Influencer“.


von Prof. Dr. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (1) Seite 20-21

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Diabetesberaterin Tanja Braun: Die Menschen richtig kennenlernen und lange begleiten

Tanja Braun ist begeistert von ihrem Beruf. Die Diabetesberaterin kam eher zufällig in die Diabetologie. Heute empfindet sie Kongresse zum Thema als Freizeit. Die Arbeit in einer Praxis liebt sie, da sie Menschen richtig kennenlernen und lange begleiten kann.
Diabetesberaterin Tanja Braun: Die Menschen richtig kennenlernen und lange begleiten | Foto: Kirsten Römermann

8 Minuten

Halt in der Familie: Wie Daniel Kaul die Herausforderung Doppel-Diabetes meistert

Halt in der Familie: Wie Daniel Kaul die Herausforderung Doppel-Diabetes meistert | Foto: Jennifer Sanchez / MedTriX

16 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • cesta postete ein Update vor 1 Woche, 2 Tagen

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • kw antwortete vor 1 Woche

      Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • moira antwortete vor 1 Woche

      Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

Verbände