Leistungssport mit Diabetes

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Leistungssport mit Diabetes

Prof. Dr. Karin Lange: Was haben Sie als Ärztin von den Leistungssportlern mit Diabetes gelernt?

Dr. Sandra Schlüter: Zunächst habe ich gelernt, dass Sportler mit Typ-1-Diabetes wie alle anderen Sportler sehr unterschiedliche Empfindungen bezüglich ihres körperlichen Wohlbefindens haben, auch in Bezug auf ihren Diabetes. Es gibt Sportler, die mit 80 mg/dl bzw. 4,4 mmol/l durch den Wettkampf gehen müssen, um ihre volle Leistung abrufen zu können. Es gibt aber auch die, die mit 180 mg/dl bzw. 10,0 mmol/l in den Wettkampf starten. Das hängt natürlich auch von der Sportart ab. Bei Ausdauersport liegt der Fokus auf einem längeren Zeitraum, bei Kraftsport auf einer deutlich kürzeren Zeit pro Wettkampf. Sportarten mit vorgegebenen Zeiten, wie Fußball, haben vielleicht einen kleinen Vorteil gegenüber Sportarten mit Open End wie Tennis. Das Ziel ist, für jede Phase – Wettkampf, Training, Erholung – einen möglichst konstanten Glukosespiegel zu erreichen. Und dabei können wir Sportler unterstützen. Uns Fachkräften sollte immer klar sein, dass wir es dabei mit drei Dingen zu tun haben: Zuerst betreuen wir einen Menschen, der einen bestimmten Charakter hat. Der ärgert sich unabhängig vom Diabetes, wenn er verloren hat, und ist super happy, wenn er gewonnen hat. Der Diabetes ist ein Teil des Menschen, der gerade gewonnen hat. In einem Moment des Triumphs möchte jedoch keiner auf den Diabetes reduziert werden. Gewonnen "mit" Diabetes oder noch schlimmer "trotz" Diabetes wäre gefühlt eine Katastrophe für die meisten. Das heißt, wir sind Ansprechpartner, Psychologe, Freund, Tröster, Problemlöser. Wir sind Vertrauenspersonen. Das Zweite ist die Sportart: Was sind die Besonderheiten, welche Leistungen müssen in welcher Zeit abgerufen werden, wie viel Energie kostet das? Und als Drittes kommt der Diabetes dazu: Wie passt der Diabetes zur Sportart, wie flexibel muss die Insulintherapie sein? Muss der Sportler während des Wettkampfs Insulin spritzen können? Wer übernimmt die Glukosekontrolle?
Die Betreuung von Leistungssportlern ist individuell und intensiv. Probleme müssen sofort behoben werden, damit der Trainingsplan eingehalten werden kann und damit die volle Konzentration auf dem Sport liegt. Es werden Trainingstage bis ins kleinste Detail besprochen und dabei wird der Sportler auch in der Diabetestherapie für den Wettkampf geschult. Also: Mensch, Diabetes und Sport müssen eine Einheit bilden. Das passiert häufig durch Vertrauen ins Trainerteam und dazu gehören wir als Diabetesfachkräfte ganz sicher!

Lange: Was können die Eltern von Kindern mit Diabetes tun, wenn ihre Kinder intensiv Sport treiben wollen?

Schlüter: Sie sollten ihre Kinder darin bestärken, ihren Sport zu treiben. Die Erkenntnis mitnehmen, dass es geht, sich zu bewegen und auch Leistung im Sport zu bringen. Aber vor allem, sich fachliche diabetologische Hilfe zu holen und nicht aufzugeben, wenn gesagt wird, das geht nicht! Aber das Wichtigste ist: mitdenken. Manchmal muss man im Sport individuelle, unkonventionelle Lösungen finden und das geht meist besser im Team, also Eltern und Diabetesteam. Denn niemand kennt das Kind und seinen Diabetes so gut wie die Eltern.

Lange: Was sind Ihre Tipps für Freizeitsportler mit Pen-, mit Pumpen-Therapie und mit Systemen zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-Systeme)?

Schlüter: Egal, mit welcher Therapie Sport getrieben wird, folgt die Insulinwirkung immer einer gewissen Logik. Zu einer guten Match-Vorbereitung gehört auch immer ein Plan oder eine Vorstellung, wie viel Insulin zu welchem Zeitpunkt wirkt. Wie ist meine optimale Glukosehöhe vor einem Training oder Wettkampf? Wie insulinempfindlich bin ich? Im Wettkampf mit viel Adrenalin-Ausschüttung brauche ich vielleicht sogar noch kurzwirkendes Insulin direkt vor dem Wettkampf. Im Training muss da eher die Insulinzufuhr reduziert werden. Aber was allen Sportlern hilft und zwar im Wettkampf und Training, aber auch rückblickend in der Analyse der Daten, ist eine Darstellung aller benötigten Parameter in einer Diabetes-Software, die auch direkt bei der sportlichen Betätigung eingesehen werden kann: Glukosehöhe, noch wirkendes Insulin, Puls – alles, was hilft, den Insulinbedarf so gut wie möglich abzuschätzen oder auch die Kohlenhydratzufuhr zu regulieren.

Lange: Und wie sind Ihre Erfahrungen heute mit AID-Systemen beim Sport?

Schlüter: Wie gesagt, jede Insulintherapie hat ihre eigenen Regeln. Bei AID und Sport sollte sich der Sportler mit seinem AID-System sehr gut auskennen. Was macht der Algorithmus bei welcher Einstellung? Wie reagiert der Algorithmus auf das, was der Sportler tut, wie, Kohlenhydrate zu sich zu nehmen ohne Eingabe in das AID-System? Wann erfolgt eine Korrektur durch das System, bei welcher Einstellung wird der Zielwert angehoben? Wichtig ist, dass Algorithmus und Sportler nicht gegeneinander arbeiten und sich neutralisieren. Das AID-System ist Teil des Teams. Außerdem ist darauf zu achten, dass bei AID-Nutzung häufig geringere Mengen an Insulin aktiv sind. Wichtig ist dabei, die Match-Taktik auch auf das AID-System anzuwenden – keine Grenzen setzen beim Erarbeiten von neuen Möglichkeiten! Warum nicht mal den Schlafmodus im Wettkampf nutzen, wenn die Insulinabgabe in diesem Modus zur Insulinempfindlichkeit im Wettkampf passt? Man schläft ja nicht ein, nur weil der Modus Schlafmodus heißt. "Think out of the box!" So wird man Weltmeister oder Olympiasieger!

Lange: Was ist Ihnen noch ganz wichtig beim Thema Sport?

Schlüter: Dass wir jeden, der Sport mit Typ-1-Diabetes treiben möchte, unterstützen, dies auch tun zu können – egal, ob es Leistungs- oder Freizeitsport ist. Ein Typ-1-Diabetes darf bei den Therapieoptionen, die wir heute haben, keinen Menschen ausbremsen. Klar, Typ-1-Diabetes und Sport sind kein Selbstläufer, besonders Leistungssport! Aber aufzugeben, ohne es auszuprobieren, das ist keine Option. Gut Sport!


Expertin:

Dr. med. Sandra Schlüter
Diabetologin
Kinderdiabetologe, Past Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft
Die Diabetespraxis Northeim Mühlenstraße 26, 37154 Northeim

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