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Der Wechsel vom Kinder-Diabetesteam hin zum Erwachsenendiabetologen ist für Jugendliche und Eltern spannend, manchmal auch spannungsreich. Dieser Schritt bedeutet für junge Menschen, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen, während die Eltern sich nach und nach zurückziehen sollten. Wie kann dieser Prozess, Transition genannt, gelingen? Dr. Gundula Ernst (Entwicklerin der Transitions-Seite between-kompas.de) schildert mögliche Probleme und Lösungen.
Leon ist gerade 17 Jahre alt geworden und hat Diabetes. Seit der Diagnosestellung vor elf Jahren besucht er mehrmals pro Jahr seine Diabetesambulanz in der Kinderklinik. Er kennt das Behandlungsteam mittlerweile gut und fühlt sich sehr wohl dort. Neulich sagte sein Diabetologe, er würde ihm gerne einen Kollegen empfehlen, der eine Diabetologische Schwerpunktpraxis für Erwachsene hat.
Leon ist von der Idee, den Arzt zu wechseln, nicht begeistert. Er hat gehört, dass die Erwachsenenärzte sich nur wenig Zeit für ihre Patienten nehmen. Außerdem fühlt er sich unwohl, wenn er an das Wartezimmer mit den vielen alten und kranken Menschen denkt. Seinen Eltern geht es ähnlich. Sie befürchten, dass Leon dort nicht so gut betreut wird wie in der Kinderklinik.
So wie Leon und seinen Eltern geht es vielen Familien mit einem chronisch kranken Kind. Der Abschied von der vertrauten Kinderarztpraxis ist mit vielen Sorgen und Ängsten verbunden.
Dennoch ist der Arztwechsel in den meisten Fällen unvermeidlich. In der Regel dürfen Kinder- und Jugendärzte ihre Patienten nur bis zum 18. Geburtstag betreuen. Danach gelten sie vom Gesetz her als erwachsen, so dass die Erwachsenenmedizin zuständig ist. Dieser Arztwechsel wird Transition genannt. Ausnahmeregelungen gibt es bei einigen Erkrankungen oder in einigen Regionen, wenn keine qualifizierten Spezialisten zur Verfügung stehen.
Aber nicht nur der betreuende Arzt ändert sich: Die Atmosphäre im Behandlungs- und Wartezimmer ist weniger familiär. Persönliche und familiäre Themen werden seltener angesprochen. Eine größere Selbständigkeit und Zuverlässigkeit im Umgang mit der Erkrankung werden vorausgesetzt, und es wird erwartet, dass der Patient selbst sagt, was für ihn wichtig ist. Der junge Patient wird verstärkt in Entscheidungen über weitere Behandlungsschritte einbezogen. Und: Die Eltern haben nun weniger Einblick in die Therapie.
Ob diese Veränderungen positiv oder negativ sind, muss jeder für sich bewerten. Für manche ist die Übernahme von Verantwortung vielleicht ein Risiko, weil sie vergessen, zum Arzt zu gehen oder sich neue Rezepte geben zu lassen. Sie fühlen sich überfordert und allein gelassen. Für andere ist es eine Chance, weil sie nun eigene Entscheidungen treffen können und die größere Anonymität schätzen. Der neue Arzt hat noch keine Bild des Patienten im Kopf, und der Jugendliche kann sich von seiner “gereiften”, erwachsenen Seite zeigen.
Dass sich der behandelnde Arzt ändert, bedeutet nicht, dass sich auch die Therapieprinzipien und die Anzahl der Arztbesuche ändern. Gerade in Zeiten des Umbruchs ist eine regelmäßige Überwachung notwendig. Es ist wichtig, dass diese nicht abreißt, denn sonst kann es zu ernsthaften Komplikationen und langfristigen Folgeschäden kommen.
Erwachsenwerden ist ein Prozess, der nicht mit dem 18. Lebensjahr beginnt oder aufhört. Ähnlich wie Eltern ihre Kinder mit zunehmendem Alter immer stärker in das Diabetesmanagement einbeziehen, macht es auch der Kinder- und Jugendarzt. Zwar kommt der Jugendliche meist gemeinsam mit einem Elternteil in die Praxis, ab dem 14. Lebensjahr sollte jedoch ein Teil der Untersuchungen und des Gespräches alleine mit dem Arzt stattfinden.
Der Jugendliche kann dadurch langsam in die neue Aufgabe hineinwachsen und übernimmt zunehmend Verantwortung für sich und seine Erkrankung. Das Gespräch unter vier Augen gibt dem Jugendlichen und dem Arzt auch die Chance, sensible Themen anzusprechen, die man ungern vor den Eltern thematisiert, z. B. Alkoholkonsum, Sexualität oder Therapiefrust.
Mit dem Heranwachsen der Kinder verändern sich auch für die Eltern die Aufgaben. Ihre Rolle wandelt sich vom verantwortlichen Versorger hin zum beratenden Coach. Statt das Gespräch zu gestalten und die Entscheidungen zu treffen, sollten sie sich im Hintergrund halten und ihr Kind auf Fragen antworten lassen. Dabei fällt es nicht immer leicht, die Kontrolle aus der Hand zu geben. Als Eltern hat man jahrelang dafür gesorgt, dass es dem Kind gut geht und die Therapie erfolgreich umgesetzt wird. Mit der Abgabe der Verantwortung steigt die Gefahr, dass sich die Werte verschlechtern.
Eltern sollten sich aber vor Augen führen, dass es für das Kind wichtig ist, diesen Teil seines Lebens in naher Zukunft eigenverantwortlich zu managen. Keine Angst, die Werte verbessern sich in der Regel bald wieder, und auch bei großen Kindern bleiben die Eltern noch lange der wichtigste Ansprechpartner bei Gesundheitsfragen!
Manche Jugendliche wechseln schon mit 14 Jahren in die Erwachsenenmedizin, andere erst, wenn es wirklich sein muss. Wann der richtige Zeitpunkt zum Wechsel ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einerseits muss man sich fragen, ob man sich in der kinderärztlichen Praxis noch wohlfühlt und ob man sich “reif” genug fühlt, um die neue Herausforderung anzunehmen. Andererseits muss man prüfen, ob es in der Nähe einen geeigneten Arzt gibt. Am besten bespricht man dieses Thema mit dem bisherigen Arzt, ebenso die Frage, wie der Wechsel vonstattengehen soll.
Es gibt verschiedene Modelle für die Transition. Häufig reicht eine einfache Überweisung mit einem ausführlichen schriftlichen Abschlussbericht. Manchmal gibt es Extra-Übergangssprechstunden vom Kinderarzt und dem neuen Arzt gemeinsam. Manche Jugendliche besuchen eine Zeit lang beide Ärzte parallel, d. h. nach dem ersten Termin beim neuen Arzt gehen sie noch einmal zu ihrem Kinder- und Jugendarzt und besprechen mit ihm die Erfahrungen.
Wieder andere nehmen an einem Transitionsworkshop oder einem strukturierten Fallmanagement wie beim Berliner Transitionsprogramm teil. Dabei betreut ein Fallmanager den Jugendlichen über zwei Jahre, erinnert ihn an Termine und stattet alle Beteiligten mit den notwendigen Unterlagen aus.
Bei der Suche nach einem geeigneten Diabetologen ist der bisherige Behandler bestimmt gerne behilflich. Er weiß, welche Kollegen es in der Region gibt und kann hilfreiche Tipps geben. Selbstverständlich kann man auch andere Betroffene und Selbsthilfevereinigungen nach ihren Erfahrungen fragen. Eine Übersicht über die niedergelassenen Diabetologen, Diabeteszentren und Kliniken findet man auch im Internet auf den Seiten der Deutschen Diabetes Gesellschaft, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen.
Bevor man auf die Suche geht, sollte man sich jedoch überlegen, was einem bei einem neuen Arzt wichtig ist (z. B. Wohnortnähe, Qualifikation, spezielle Ausstattung, Geschlecht).
Und Leon? Zum ersten Termin beim neuen Arzt hat seine Mutter ihn begleitet. Hinterher ist er sehr erleichtert. Der “Neue” hat sich viel Zeit für ihn genommen und kannte seine Krankengeschichte schon aus dem Arztbrief. Das Verhältnis war zwar nicht so fröhlich und herzlich wie in der Kinderambulanz, aber Leon meint, dass sie miteinander zurechtkommen werden.
Die Transition sollte vom Kinderdiabetologen gemeinsam mit dem Jugendlichen und seinen Eltern so geplant werden, dass ausreichend Zeit für die Vorbereitung bleibt. Die Zeit vor dem Arztwechsel sollte genutzt werden, um schrittweise die Selbständigkeit im Umgang mit der Erkrankung zu trainieren.
Der Jugendliche sollte sich gedanklich auf den Wechsel einstellen und sich überlegen: “Was ändert sich für mich, und was habe ich für Fragen dazu?” Im Gespräch mit dem Kinderdiabetologen können alle anfallenden Fragen besprochen werden, und es kann überlegt werden, ob weitere Beratungen oder Hilfen sinnvoll sind.
von Dipl.-Psych Dr. Gundula Ernst
Medizinische Psychologie
Medizinische Hochschule Hannover
E-Mail: ernst.gundula@mh-hannover.de
Internet:
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (3) Seite 14-16
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