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Hallo, mein Name ist Thomas, ich bin 25 Jahre alt und wohne in der Nähe von Köln. Ich studiere an der Universität zu Köln Französisch und Geschichte und bin inzwischen im 2. Semester des Masters, habe also schon 4 Jahre Studium hinter mir.
Mein Diabetes begleitet mich seit fast 6 Jahren – er wurde während meiner Zeit beim Bund diagnostiziert und ist seitdem mal bester Freund, mal größter Feind… Je nachdem, wie es halt gerade so läuft. Allerdings ist nicht nur allein der Diabetes mein steter Begleiter. Seit einiger Zeit kommt auch noch das so genannte Binge-Eating hinzu. Das macht die Behandlung des Diabetes noch ungleich komplizierter.
Binge-Eating bedeutet wortwörtlich übersetzt so viel wie Ess-Gelage. Ich glaube, umgangssprachlich passt am besten der Begriff „Fressanfall“. Im Endeffekt handelt es sich um Heißhungerattacken, bei denen ein kompletter Kontrollverlust über das Essverhalten entsteht. Wo manche Leute vielleicht eine Tafel Schokolade essen würden, esse ich gleich zehn Stück auf einmal – und das innerhalb kurzer Zeit. Unvorstellbar? Nein, denn körperliche Signale werden einfach nicht mehr wahrgenommen. Erst später kommen dann die Folgen. Ausgelöst werden kann es dabei durch viele verschiedene Faktoren, zum Beispiel bestimmte Gefühlslagen, Handlungen o.ä. Im Endeffekt wird auch versucht, durch Essen andere Dinge, wie z.B. Trauer oder soziale Bindungen, zu kompensieren. Die Kalorienmenge, die schnell mal innerhalb einer Stunde vertilgt wird schwankt zwischen 5000 und 8000 kcal.
Wie es bei mir zu diesem Verhaltensmuster kam, kann ich nicht sagen. Es hat sich einfach irgendwie eingeschlichen. Allerdings glaube ich, dass der Diabetes eine besondere Stellung bei der Entwicklung hat. Die besondere Fixierung auf Nahrungsmittel wegen ihres Kohlenhydratgehalts, die intensive Beschäftigung mit der Wirkung von Lebensmitteln – das hat dazu geführt, dass das Essen einen viel zu hohen Stellenwert eingenommen hat. Und dann kamen noch negative Gefühle, teilweise auch durch den Diabetes verursacht. Schließlich die unbewusste Erkenntnis meines Körpers, dass Essen ja gut geeignet ist, um Trauer zu bekämpfen. Und zack, fing es irgendwie an. Leider ist das Ganze auch ein ziemlicher Teufelskreis. Die negativen Emotionen sollen ja ursprünglich durch das Essen bekämpft werden, was auch kurzzeitig gut gelingt. Allerdings lösen die Folgen des Essanfalls erneut negative Emotionen aus, die mit Essen bekämpft werden. Und schon ist es ein Teufelskreis. So ging es bei mir seit mindestens 2 Jahren und wurde immer mehr zum Problem. Allerdings gab es zwischendurch immer wieder Phasen, in denen überhaupt keine Fressanfälle aufgetreten sind, teilweise monatelang, in denen ich mich von den Folgen des Binge-Eatings kurzzeitig wieder erholen konnte. Erst ein Klinik-Aufenthalt in der Motivations- und Akzeptanzgruppe Bad Mergentheim hat mir das Problem so richtig bewusst gemacht. Anschließend habe ich mich um einen Platz für eine ambulante Psychotherapie bemüht, in der ich mich seither versuche damit auseinanderzusetzen.
Man kann die Folgen prinzipiell nach mehreren Faktoren unterscheiden. Zuerst wäre da die physische Seite: Nachdem ich 3 Monate lang eine Phase ohne Fressanfälle hatte, kamen sie Ende Oktober mit voller Wucht zurück. Ich habe innerhalb von 5 Wochen 12 Kilo zugenommen. Nach jedem Fressanfall geht es mir körperlich schlecht, ich bin schlaff, mir ist übel, ich bin müde und abgeschlagen. Hinzu kommen noch unkontrollierbare Blutzuckerwerte.
Kommen wir nochmal zu dem Bsp. der 10 Tafeln Schokolade. Hier hätten wir, je nach Kakaogehalt 5 KE pro Tafel + FPE. Wären bei 10 Tafeln 50 KE + FPE. Das zu kontrollieren ist unheimlich schwierig. Die Menge an KE und die Unberechenbarkeit durch die FPE machen ein normales „Wegspritzen“ unverhältnismäßig schwierig. Lediglich die Tatsache, dass ich eine Pumpe habe, erleichtert mir den Umgang damit. Aber selbst damit ist es extrem schwierig. Mein HbA1c leidet sehr darunter.
Psychisch gesehen ist das Ganze wie oben beschrieben ein echter Teufelskreis. Ich bin oft deprimiert, weil ich das Gefühl habe, zu schwach zu sein, um mich selbst zu kontrollieren. Und das führt wieder erneut zu Essattacken. Gleichzeitig sinkt das Selbstwertgefühl.
Wie soll man das beschreiben? Es ist einfach so, als hätte sich vor der Essattacke eine enorme Menge psychischer Druck aufgebaut, der mit dem Beginn der Attacke nachlässt. Also ist es gewissermaßen eine Erleichterung und es entstehen natürlich auch Glücksgefühle dabei. Allerdings wird einem auch im selben Moment bewusst, wie selbstzerstörerisch das Verhalten eigentlich ist. Und dann kommen wieder die negativen Gefühle… Nun ja…
Ich sollte vielleicht vorher sagen, dass eigentlich niemand außer meiner Freundin darüber Bescheid weiß. Natürlich ist das Verhalten für unsere Beziehung ziemlich belastend, vor allem dadurch, dass ich stets unausgeglichen und launisch bin. Ich habe lediglich einmal mit meinen Eltern darüber gesprochen, aber irgendwie kam es dann nie wieder zur Sprache. Was den Freundeskreis betrifft, so weiß auch dort niemand Bescheid. Ich glaube, das ist auch das Spezielle daran – man is(s)t wirklich alleine.
Ich versuche es seit geraumer Zeit, mithilfe einer Psychotherapie gegen die Essstörung vorzugehen. Bislang leider erfolglos. Selbst wenn es mal eine längere Zeit lang gut funktioniert, kommt sie irgendwann wieder zurück. Nichtsdestotrotz versuche ich weiter, dagegen vorzugehen und etwas zu ändern. Und genau das würde ich auch allen anderen Betroffenen raten: nicht einfach aufzugeben, sondern immer wieder von Neuem zu versuchen, dagegen anzukämpfen.
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