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Das Echt Essen-Gasthaus im März: Eine exzellente Vitalküche kreiert der 2-Sterne-Koch Heinz Winkler in seiner Residenz im bayerischen Aschau.
„Ja, geht’s noch!?“, werden jetzt viele kopfschüttelnd sagen: „Spitzenküche und Diabetes?“ – Ja, das geht! Restlos begeistert hat mich die elegante und leichte Küche in der Residenz in Aschau nahe dem Chiemsee.
Cuisine Vitale nennt sie der 2-Sterne-Koch – eine kluge Bezeichnung, denn Heinz Winkler versammelt in ihr alle Elemente einer modernen Gesundheitsküche: Hervorragende Grundprodukte, die schonend zubereitet werden; kaum schnelle, dickmachende Kohlenhydrate, dafür viele hochwertige Proteine.
Das Konzept des Südtirolers bildet für mich den Nukleus einer Nouvelle Cuisine Diabète – und es wäre schön, wenn sich führende Diabetologen in der frischen Bergluft einmal Inspirationen für die kommende Diabetesküche holten.
Eine Luxusherberge ist die Residenz die vor 23 Jahren ihre Tore im beschaulichen Aschau unterhalb des Gipfels der Kampenwand öffnete. Aber es ist ein Luxus mit Herz. Obwohl ich tropfnass bin, weil es auf dem kurzen Weg vom Bahnhof kübelig schüttet, werde ich herzlichst begrüßt.
Leicht barock, manche würden auch sagen plüschig, ist es hier. Doch der sehr freundliche Service lässt gar keine Steifigkeit aufkommen. Die Zimmer sind wunderschön, es gibt eine kleine Spalandschaft und vor allem ein großartiges Frühstück mit frischem Preßsack, Weißwürsten vom Dorfmetzger Angermann und eine kräftige Rinderbouillon.
Die große Gourmetoper wird hier mittags und abends aufgeführt. Aber in den Speisesälen, die tatsächlich ein wenig an die berühmt-berüchtigten Gourmettempel erinnern, herrscht ein lockerer Ton – und vor allem wird eine moderne Küche aufgetragen.
Obwohl an dem Abend rund 60 Gäste (maximal gehen 80 Gäste) von zwölf Kellnerinnen und Kellnern bewirtet werden, entsteht keine Hektik. Die Stimmung ist gelassen, das Personal unter der umsichtigen Leitung von Alexander Winkler, dem Sohn des Chefs, erläutert gerne die Details der Produkte, des Kochprozesses.
Trotzdem, viele Menschen haben eine unwillkürliche Scheu, ein solches Restaurant zu betreten. Das lässt sich auch nicht ändern. Da habe ich einen natürlichen Vorteil: Mein erstes, mühsam als Stoffdrucker in 12-Stunden-Schichten (so was gab’s früher!) verdientes Geld habe ich mit 18 Jahren in ein 3-Sterne-Haus ins Elsaß getragen – und habe keinen Franc bereut!
Das fängt mit drei kleinen Küchengrüßen an: Eine Steinpilzessenz mit Madeira auf Basis einer Rinderkraftbrühe, serviert als kleiner Würfel, zum Reinbeißen gut! Dann ein Gazpacho-Gelee mit Gurke, Tomate, Paprika und als Drittes ein Avocadobällchen mit hauchzarten Streifen aus Wan Tan-Teig.
Das Auge isst mit. Der Satz passt hier perfekt. Mit einem durchsichtigen Tomatengelee überzogen ist der rohe Wildlachs, die weißen Flocken sind geriebener Plaque Pitou, einer der besten Ziegenkäse aus Frankreich. Dazu Blättchen vom Blutampfer, Kerbel, Koriander, ein paar Scheiben Oliven.
Das hat Geschmack, das hat Tiefe – und ist trotzdem leicht und raffiniert. Seltsam dazu nur die durchsichtigen „Hörnchen“, eine krispelige Hommage an den Kindergeburtstag ohne kulinarischen Wert. Genial dazu der Wein, ein 2012er Weißburgunder von Bürklin-Wolf aus der Pfalz. Er hat genau so viel Substanz, um die verschiedenen Aromen wunderbar gegen zu balancieren.
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Perfekt auf den Punkt gebraten, von superber Qualität ist die Jakobsmuschel, die in einer frisch aufgeschäumten Verveinesauce schwimmt. Ein konzentrierter Fischfonds ist das, aromatisiert mit zitroniger Verveine (eines meiner Lieblingskräuter).
War so eine Sauce früher (und im Elsaß heute noch) sahneschwer, ist sie hier spritzig-elegant. Eine Wucht die drei kleinen Bällchen aus konzentrierter Petersilie.
Eine rare Delikatesse war bis vor kurzem der im Nordatlantik gefangene Wander- oder Winterkabeljau, der Skrei. Inzwischen gibt es ihn an jeder Supermarkttheke, wo immer er da auch herkommt. Kein Zweifel an der Herkunft besteht bei dem Exemplar, was ich auf dem Teller hatte: Genau so muss der Skrei sein, intensiv im Geschmack, die Scheiben fallen glasig auseinander.
Umkränzt ist der Fisch von knackig klein geschnittenem Gemüse, veredelt mit wenig Wildreis, einem Hauch Zitronenbutter.
Kongenial der Wein, ein 2012er Sauvignon von der Loire von Vincent Ricard. Normalerweise sind mir die Sauvignons zu blumig, aber der harmonierte mit seinen moderaten 12 Prozent Alkohol trefflich mit den beiden Fischgerichten.
Nie wieder werde ich versuchen, eine Entenbrust selbst zuzubereiten: Schlicht, weil das daheim selten so gut gelingt, kernig im Biss, saftig, voller Entengeschmack, aromatisiert durch die wunderbare Fettschicht (Fett ist übrigens nicht nur Geschmacksträger, sondern eine wichtige Grundlage für den Aufbau von Hormonen). Interessant zur Ente aus Oldenburg ein wenig Rote Bete, Saft von der Bete, ein amalgierender Kalbsfonds, frischer Meerrettich und Quinoa. So einfach geht große Küche!
Das Inkakorn Quinoa strotzt vor Mineralien, Proteinen und hat im Gegensatz zu Reis, den sonst viele Köche verwenden, einen geringeren glykämischen Index, macht also nicht dick. Genau so wirkt der Wildreis, den es zum Skrei gab. Das nenne ich Natural Functional Food, eine Küche, die danach trachtet, das Wohlbefinden der Gäste zu optimieren, ohne Abstriche beim Genuss zu machen.
Weil ich es geschafft habe, das ausgezeichnete Brot wegzulassen, habe ich vier Gänge lang praktisch keine Kohlenhydrate gegessen, die am Abend prinzipiell in der Nahrung eh wenig verloren haben. Aber weil’s so großartig geschmeckt hat, verputzte ich dann doch das wunderbare Dessert, eine Art Crepe Suzette mit Grand Marnier, ein fluffiger, nicht zu süßer Traum.
Eine Offenbarung dazu der 2009er Süßwein aus der Traube Petit Manseng vom südfranzösischen Gut Philippe de Nazelle, das von einer Thailänderin geleitet wird. Hervorragend war zur Ente auch der 2011er Barbera vom piemontesischen Traditionsgut Pio Cesare. Es kommt auch in den besten Häusern ganz selten vor, dass alle Weine so perfekt mit den Speisen harmonieren – vielleicht liegt das daran, dass Sommelier Alberto de Val im Friaul selbst ein Fass Sauvignon ausbaut.
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155 Euro kostet ein solches Menü am Abend – angesichts des Aufwands, der hohen kulinarischen Klasse, korrekt. Heiter beschwingt stand ich vom Tisch auf – und war natürlich höchst gespannt, was der Zucker am nächsten Morgen denn so sagt: „98“, zeigt das Display, 98 mg/dl, perfekt – und eine Steilvorlage, das eingangs geschilderte großartige Frühstücksbüfett in vollen Zügen zu genießen.
Übrigens: Bis auf einen Apfel, ein Vollkornbrot mit Käse habe ich sonst an dem Tag nichts mehr gegessen. Dieses Essen nach Messwerten nenne ich GeMessen Essen.
Als Bergbauernbub kam Heinz Winkler in Südtirol zur Welt. Als Koch arbeitete er in ersten Häusern Europas, war Nachfolger der Kochlegende Eckard Witzigmann im Münchner Tantris – und wurde dort 1982 der jüngste 3-Sterne-Koch der Welt. Fast 20 Jahre behielt er diese höchste Köche-Auszeichnung, bis ins Jahr 2008 auch in der Residenz.
2008 senkten dann seltsamerweise die Gourmet-Götter in Paris (hier ist die Guide Michelin-Zentrale) den Daumen auf 2 Sterne. Für mich nicht nachvollziehbar, denn Winklers Wohltuküche ist nach wie vor Spitze, ist Maßstäbe setzend.
„Heilpflanzen für Genießer. Die natürliche Gourmetküche“ heißt sein wegweisendes Buch, das schon 2004 auf den Markt kam. Beraten von einem nahen Naturarzt nahm es einen Trend vorweg, der heute in aller Kochtöpfe ist: Kochen mit Wildkräutern, da gibt es etwa Brennesselrezepte.
Das Buch, das mir Heinz Winkler vor Jahren schon schickte, ist heute vergriffen. Geblieben aber ist sein raffinierter Umgang mit den Kräutern, die bei ihm gourmet-klug in die Gerichte integriert sind, was sich leider nicht von allen „modernen“ Kräuterköchen behaupten lässt.
Unabhängig von Sponsoren oder großen Hotels hat Heinz Winkler seine Residenz aufgebaut. Das war (und ist wahrscheinlich) immer ein harter Kampf, der seine Spuren hinterlassen hat. Allerdings war der Meister auch nie ein Kind von Traurigkeit. Als ich mich mit ihm unterhalte, stellt er mir freudestrahlend eine hochattraktive Frau vor. Die Schönen, sie sind neben dem Kochen die noch größere Leidenschaft des bald 65-Jährigen.
Am Herd steht er wohl nicht mehr allzu oft, getreu der Maxime seines Lehrmeisters Paul Bocuse, der auf die Frage, wer bei ihm kocht, wenn er nicht da ist, antwortet: „Der, der auch kocht, wenn ich da bin“.
Eine der besten Produktküchen der Welt. Eine Gesundheitsküche, die schmeckt. Wem das Restaurant zu plüschig ist, tafle mittags im Sommer auf der prächtigen Terrasse mit dem Blick zur Kampenwand. Wer danach noch auf den Berg kraxelt (geht rund vier Stunden, habe ich häufig gemacht, ein Traumblick lockt, eine Seilbahn fährt runter), kann hinterher sogar noch ein kleines Abendessen genießen.
Wer in die Residenz will, sollte sich die Arrangements anschauen, etwa das „Frühlingssonderangebot“. Es umfasst: 1 Übernachtung im Doppelzimmer, 2 fünfgängige Menüs, plus die Weinbegleitung – und das alles für rund 400 Euro. Für 2 Personen!
So wird Luxus bezahlbar. Sie können die 400 Euro natürlich auch in mobilen Luxus investieren: Etwa ein „Multifunktionslenkrad im 3-Speichen-Design“ für die Mercedes A-Klasse.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
5 Minuten
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