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„Lass mir bloß meine Ruhe mit Low Carb“, so häufig die Reaktion von anderen Typ-2-Diabetikern auf meine selbst gewählte Ernährungsweise mit weniger Kohlenhydraten.
Wenn die Diagnose Typ-2-Diabetes gestellt wird, kann man in Sachen Ernährung unterschiedlich reagieren. Ja wirklich, es gibt auch jenseits der offiziellen Leitlinien Optionen, nur werden die einem nicht in jeder Diabetesschulung verraten. Die meisten Diabetiker orientieren sich daher an der Empfehlung der DGE, die als Ansage rausgibt, weiterhin etwa 50% der Energiezufuhr über Kohlenhydrate zu bestreiten. Die Berechnung der Broteinheiten wird in der Diabetesschulung passend vermittelt und der Blutzucker dann mit Hilfe des Facharztes medikamentös in die Schranken gewiesen. Das ist normales Prozedere und Alltag in der Typ-2-Diabetes-Hochburg Deutschland.
Es gibt jedoch auch noch die Möglichkeit, die Richtung zu wechseln und auf den Pfad der Low-Carb-Ernährung einzuschwenken, also konsequent Kohlenhydrate zu reduzieren. Nicht wenige Diabetologen bieten inzwischen mit der LOGI-Ernährung (Low Glycemic and Insulinemic) den Einstieg in eine moderat kohlenhydratreduzierte Kost an.
Denken wir doch mal kurz logisch und schalten unser Hirn ein. Wenn ich an einer Kohlenhydratverwertungsstörung leide, ist es nicht wirklich schlüssig, weiterhin Kohlenhydrate zu futtern, als würde das Problem nicht existieren.
„Du kannst keine Kohlenhydrate abbauen? Macht nix. Iss doch viele Kohlenhydrate.“
Nachdem ich in meiner Diabetesschulung verstanden hatte, was mein gesundheitliches Problem ist, gab es für mich eigentlich nur die Schlussfolgerung, dass es wohl gesünder ist, wenn ich mit den Kohlenhydraten etwas auf die Bremse trete. Keine Vollbremsung, aber so viel, wie es braucht, um Wirkung zu zeigen.
Ich verließ also die breite Straße der DGE-Empfehlung und begann, mein eigenes Ding zu machen. Das kann man gut finden oder nicht, aber es war meine Entscheidung, und die bitte ich zu respektieren. Allen Skeptikern zum Trotz bin ich heute trotz mehr Fett und weniger Kohlenhydraten auf dem Teller eine Vielzahl Kilos leichter.
Da meine Bauchspeicheldrüse noch Insulin produziert, komme ich mit der reduzierten Zufuhr an Kohlenhydraten so gut zurecht, dass ich keinerlei Medikamente mehr nehmen muss. Ich pendele zwischen Langzeitwerten von 5,4 bis 5,7% und muss außer den Quartalsuntersuchungen keine Blutzuckermessungen mehr über mich ergehen lassen.
Ein toller Erfolg, und man sollte meinen, dass mir ein Rattenschwanz an Typ-2-Diabetikern an den Lippen hängt, um zu hören und zu lernen, wie ich das so super hinbekommen habe. Aber falsch gedacht, denn von einigen Ausnahmen abgesehen, weht mir in der Typ-2-Community immer wieder ganz schön Gegenwind um die Nase, wenn ich berichte, wie ich mit meiner Diabetes-Erkrankung umgegangen bin.
Schreiben Sie mal in einem allgemeinen Typ-2-Forum, dass Sie sich als Diabetikerin Low Carb ernähren, und ein kleiner Shitstorm ist Ihnen gewiss. Von energischen Hinweisen, dass man Low Carb als Diabetiker nicht darf, bis zu Belehrungen, dass Diabetiker zu jeder Mahlzeit zwingend eine Scheibe Brot essen müssen.
Es kommt noch schlimmer. Denn es kommt immer wieder der Einwurf, dass die eigene Diabetikerberaterin ausdrücklich gesagt hat, dass Kohlenhydrate zu reduzieren schlecht sei für Diabetiker und dazu sehr gefährlich. Natürlich gibt es auch immer noch die Fraktion, deren Leben ohne Pastazufuhr scheinbar unmittelbar endet, und dann die Gruppe an Diabetikern, die sich per se nicht vorstellen können, auch nur ein Minimum mehr an Zeit in der Küche zum Kochen aufzuwenden.
Warum geben so viele Typ-2-Diabetiker einer kohlenhydratreduzierten Ernährung keine Chance und verteidigen diese Haltung so überaus energisch?
Natürlich muss man die Reduzierung der Kohlenhydrate behutsam angehen, besonders wenn die Gefahr einer medikamentenverursachten Unterzuckerung besteht. Aber die pauschalen Aussagen, manchmal sogar von vermeintlich fachkundigem Beratungspersonal, sind eher bedenklich. Wir wollen doch mündige und verantwortungsbewusste Patienten? Dann sollten wir diese auch mit umfassenden Informationen füttern und ihnen alle Möglichkeiten und Wege aufzeigen, die es gibt. Klar und transparent, im Sinne und zum Nutzen der betroffenen Diabetiker.
Pauschal “Bäääh!” und “Böööse!” rufen ist einfach kindisch
Es gibt immer ein Für und Wider, egal welche Ernährung das Rennen macht. Entscheiden muss jeder Diabetiker für sich, wie er seine Ernährung gestalten will und auch dauerhaft kann. Es gibt nicht einen Weg, der für jeden Diabetiker passt, auch wenn es das Lehrbuch oder die Wissenschaft vielleicht gerne so hätte. Sind wir realistisch, auch an diesen „einen“ offiziellen Weg halten sich ja viele Diabetiker nicht.
Diabetiker sind Menschen und die lassen sich nicht immer in theoretische Schemata pressen
Wenn jetzt die Ausrede kommt, dass weniger Kohlenhydrate nicht als Option benannt wird, weil Diabetiker das auf Dauer nicht aushalten können, dann kann ich nur sagen, dass fettreduziert mit ordentlicher Kohlenhydratzufuhr auch nur schlecht langfristig durchgehalten wird. Fettarme Kost schmeckt häufig nicht wirklich lecker und hat in der Sättigung echte Schwächen. Außerdem will ich betonen, dass sich die Low-Carb-Ernährung in den letzten Jahren gewandelt hat. Ganze Kochbücher werden inzwischen mit gemüselastigen Low-Carb-Schmausereien gefüllt, wie ich aus allererster Hand berichten kann.
Könnte man meinen, denn man wird mir gegenüber teilweise richtig bissig. Als wollte ich den Leidgenossen das Brot vom Teller klauen, sind die häufig für keine sachlichen Argumente offen. Dabei bin ich nie überschäumend missionierend unterwegs, sondern will einfach erreichen, dass quergedacht wird und jeder für sich selbst prüft, ob Low Carb nicht doch ein gangbarer Weg ist, der der Gesundheit und dem Genuss guttut.
Vielleicht sind die massiven Vorbehalte das Ergebnis der Diabetesschulungen, in denen die Low-Carb-Ernährung nicht immer sehr wohlwollend betrachtet wird. Häufig ist es wahrscheinlich einfach auch die Unkenntnis darüber, was weniger Kohlenhydrate auf dem Teller ganz praktisch bedeuten. „Schmeckt nicht“, und damit ist die Sache dann schon vom Tisch. Ganz bestimmt schwingt auch oft die Angst vor Veränderung mit. Vielleicht, nachdem man sich gerade mit einer Krankheit arrangiert hat, ist das Maß voll und die Lust, sich mit der Krankheit und dem Drumherum erneut zu beschäftigen, gering.
Alles nachvollziehbar, da könnten wir doch toll drüber quatschen. Nur rechtfertigt das eben nicht, seine eigene Meinung als Diabetesgesetzmäßigkeit wild blökend kundzutun. Ich will nicht für meine kohlenhydratreduzierte Gemüsepfanne virtuell erdolcht werden. Mache ich im Gegenzug auch nicht, wenn im Diabetikerforum gelegentlich kohlenhydratgeschwängerte Torten und Berge von Nudeln als Essensbilder gepostet werden, bei denen die Broteinheiten in meinem Kopf gerade so durchrattern. Ich halte es mit dem Grundsatz: „Wenn du nichts Nettes oder zumindest Konstruktives beizutragen hast, dann besser die Klappe halten“, und fahre damit ganz gut. In diesem Sinne freue ich mich über einen netten Austausch in der Blood Sugar Lounge.
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