Nachgefragt | Medizin: Angst vor Diabetes-Folgen – wird es Matthias so schlecht gehen wie seinem Onkel?

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Nachgefragt | Medizin: Angst vor Diabetes-Folgen – wird es Matthias so schlecht gehen wie seinem Onkel?

Sie haben medizinische und/oder psychosoziale Fragen bezüglich Kindern und Jugendlichen mit Diabetes? Die Experten des Diabetes-Eltern-Journals geben Ihnen in der Rubrik Nachgefragt Antwort!

Die Frage

Bei unserem 13-jährigen Sohn Matthias wurde vor fünf Jahren ein Typ-1-Diabetes diagnostiziert. Das hatte uns anfangs vor allem deshalb in tiefe Verzweiflung gestürzt, weil mein Bruder, Matthias’ Onkel, im Alter von 38 Jahren an den Folgen seines Diabetes verstorben ist. Er hatte ihn 1976 bekommen; er war damals sechs Jahre alt.

Seit einigen Monaten kommt Matthias mit seinem Diabetes nicht mehr gut zurecht. Der HbA1c-Wert ist in den letzten Monaten angestiegen, der letzte Wert lag bei 8,2 %; beim nächsten Ambulanzbesuch wird er wahrscheinlich noch weiter angestiegen sein. Der Grund: Matthias ist in der Pubertät, er vernachlässigt seinen Diabetes, vergisst manchmal das Spritzen in der Schule und schreibt seine Werte kaum noch auf. Er ist begabt und lebenslustig. Nur: Wenn wir ihn an seinen Diabetes erinnern, gibt es Streit.

Mein Mann und ich machen uns große Sorgen um die Zukunft unseres Sohnes. Wird auch er, wie sein Onkel, bald Folge-Erkrankungen bekommen? Wird sein Leben wegen des Diabetes früher beendet sein? Was können wir für Matthias tun?

Frau C.

Die Antwort von Dr. Wolfgang von Schütz

In Ihrem Brief sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Fast alle Eltern machen sich Sorgen, fühlen sich hilflos und haben Angst, wenn sich die Stoffwechseleinstellung ihres Kindes deutlich verschlechtert. Insbesondere dann, wenn bereits im Familien- oder Bekanntenkreis ein derart dramatischer Krankheitsverlauf aufgetreten ist.

Es gilt jedoch, in diesem Zusammenhang einige wichtige Entwicklungen in der Diabetestherapie zu bedenken: Noch in den 1970er und 1980er Jahren hatten Kinder und Jugendliche mit Diabetes einen sehr viel schlechteren Start als heute. Die Insulintherapie war starr und unflexibel, die Stoffwechselkontrollen waren völlig unzureichend, Diabetesschulungen fanden nur selten und unstrukturiert statt, die HbA1c-Werte waren anhaltend viel zu hoch. Insofern waren noch bis vor etwa 25 Jahren diabetische Folge-Erkrankungen nahezu vorprogrammiert.

Mit Einführung der intensivierten Insulintherapie mit modernen Insulinen, konsequenten Stoffwechselselbstkontrollen und regelmäßigen ambulanten Folgeschulungen verbesserten sich die Behandlungsergebnisse des Diabetes dramatisch. Daher haben heute die meisten Kinder und Jugendlichen von Beginn an und über viele Jahre gute bis sehr gute HbA1c-Werte.

Moderne Diabetes-Therapien verringen das Risiko für Diabetes-Folgen

Die modernen Behandlungsformen des Diabetes, sowohl die Insulinspritzentherapie (ICT) als auch die Insulinpumpentherapie (CSII), haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten endgültig durchgesetzt. Ihrem Bruder standen sie zu seiner Zeit nicht zur Verfügung. Insofern hatte Ihr Sohn nach der Manifestation seines Diabetes einen deutlich besseren Start. Er hat deshalb eine deutlich bessere Prognose als Ihr Bruder und hat daher langfristig eine nahezu normale Zukunft für ein Leben mit Diabetes vor sich.

Folge-Erkrankungen des Diabetes (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie) treten in der Regel nur auf, wenn die Qualität der Stoffwechseleinstellung über viele Jahre und Jahrzehnte völlig unzureichend war, z. B. die HbA1c-Werte deutlich über 9,0 % lagen. Kürzer andauernde Erhöhungen des HbA1c über einige Monate bzw. wenige Jahre verursachen keine Folge-Erkrankungen, Ihr Sohn ist daher in diesem Sinne derzeit ganz sicher nicht gefährdet.

Weiterhin gilt es zu bedenken, dass nach dem Auftreten erster Anzeichen von Folge-Erkrankungen und anschließender konsequenter Verbesserung des HbA1c sich die Symptome der Folge-Erkrankungen in der Regel wieder normalisieren. Wann erste Anzeichen einer Folgeerkrankung auftreten, ist nicht genau vorherzusagen, vor allem deshalb, weil neben langfristig zu hohen HbA1c-Werten auch weitere Faktoren einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung von Folge-Erkrankungen haben können: Rauchen, zu hoher Blutdruck, zu hohe Blutfettwerte, deutliches Übergewicht.

Viel bessere Prognose für Kinder und Jugendliche mit Diabetes

Zusammenfassend möchte ich Ihnen sagen, dass die Folge-Erkrankungen des Diabetes in den letzten Jahrzehnten drastisch abgenommen haben, im Kindes- und Jugendalter sehr selten geworden sind und frühestens, wenn überhaupt, erst nach etwa 15 Jahren auftreten.

In den letzten 20 Jahren hat sich die Prognose für Kinder und Jugendliche mit Diabetes dramatisch verbessert. Sie haben im Vergleich zu früher sehr gute Chancen, ein nahezu normales Leben zu führen und ein normales Lebensalter zu erreichen. Dies konnte in vielen nationalen und internationalen Studien belegt werden.

Begleiten Sie Ihren Sohn mit “liebevoller Konsequenz”. Zeitlich begrenzte krisenhafte Entwicklungen sind normal. Scheuen Sie sich aber auch nicht, dieses wichtige Thema beim nächsten Ambulanzbesuch anzusprechen und, wenn Sie es wünschen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

“Be dogmatic about outcome and flexible in approach” (“Sei unbeirrt, das Behandlungsziel zu erreichen, jedoch flexibel auf dem Weg dorthin.”), schrieb 2013 Fergus Cameron, ein berühmter Kinderdiabetologe am Royal Children’s Hospital in Melbourne, Australien. Ein guter Behandlungsgrundsatz.

Jugendliche mit Typ 1: Das sagt die TEENS-Studie

Für die TEENS-Studie wurden die Daten von ca. 6 000 jungen Menschen mit Typ-1-Diabetes ausgewertet. Die Analyse zeigt, dass die Belastung durch den Diabetes von den Eltern durchgehend höher eingeschätzt wurde als von den Jugendlichen. Außerdem zeigte sich, dass sich die Bemühungen der Diabetesteams und der Familien lohnen: Gute Schulungen und eine intensive und flexible Behandlung führen auch unter schwierigen Rahmenbedingungen zu einem besseren Stoffwechselergebnis und weniger Komplikationen.


von von Dr. med. Wolfgang von Schütz

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (1) Seite 30-31

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  • cesta postete ein Update vor 1 Tag, 16 Stunden

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • mayhe antwortete vor 2 Tagen

      @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • mayhe antwortete vor 1 Tag

      @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • mayhe antwortete vor 1 Tag

      @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

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