Der normale Diabetiker

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Der normale Diabetiker

Normal sein. So wie alle anderen sein. Durch den Diabetes nicht eingeschränkt sein. Wie meine Freunde auch auf Klassenfahrt fahren. Dem Sportverein beitreten. In der U-Bahn nicht um den Sitzplatz bitten, weil ich unterzuckert bin. Bloß nicht auffallen. Die Insulinpumpe im Sommer unter dem Kleid verstecken und den Dexcom-Sensor mal nicht sichtbar am Arm platzieren, weil man keine Lust auf unangenehme Fragen hat.

Unbedingt „normal“ sein

In meiner Kindheit mit Diabetes habe ich es häufig zu spüren bekommen: Als Kind darfst du nicht anders sein, musst unbedingt normal sein. So sehr ich es auch wollte, normal war ich als Kind nicht. Auf der ersten Klassenfahrt schlief ich bei meiner Mutter im Zimmer, damit sie nachts auf meine Blutzuckerwerte schauen konnte. In den Schulpausen konnte ich mir nicht spontan eine Laugenstange am Kiosk holen, weil es nicht in meinen Spritzplan passte. Beim Sportunterricht musste ich wegen Unterzuckerungen häufig Pause machen. Bei Kindergeburtstagen wurde ich manchmal gar nicht erst eingeladen, damit „die anderen Kinder mir nichts voressen würden“. Und bei der sechsstündigen Abiturprüfung durfte ich häufiger auf Toilette als alle anderen, weil mein Blutzucker hoch und ich tierisch durstig war. Dieselbe – „normale“ – Bewertung habe ich dennoch bekommen.

Diabetes war für mich nicht „normal“

Lange Zeit war es mir aufgrund meiner Erlebnisse unangenehm, meinen Diabetes offen zu zeigen. Nichts wünschte ich mir in der Pubertät mehr, als einfach normal zu sein. Normal bedeutete für mich alles – nur eben, keinen Diabetes zu haben. Auch jetzt, als junge Erwachsene, ertappe ich mich noch dabei, dass ich sauer auf den Diabetes bin, weil er mich nicht „normal“ sein lässt. Doch was ist eigentlich „normal“? und was ist „nicht normal“? Wieso wollen wir überhaupt einer Norm entsprechen, die jemand anderes angeblich festgelegt hat?

Ich denke, jeder Mensch weiß, wie diese Gedanken sich ab und zu in den Kopf setzen können und für einige Zeit nicht wieder gehen. Der Mensch hat eine natürliche Angst davor aufzufallen – und doch bestehen wir jeder auf unsere Individualität. Wir vergleichen uns mit unseren Mitmenschen und wollen aber doch immer selbst bestimmen, ob wir normal sind oder nicht. Das ganze Leben streben wir danach, eine Balance zu halten zwischen Anderssein und Gleichsein.

Quelle: Pixabay

Auf der Suche nach einer Balance

Gleichsein bedeutet, man bekommt keine unangenehme Aufmerksamkeit. Steht nicht im Mittelpunkt, durch Dinge, die wir anders machen als andere. Keine unangenehmen Fragen beantworten. Mitziehen mit der Masse. Anderssein bedeutet, man hebt sich von anderen ab. Macht sein eigenes Ding. So, wie es einem gefällt. Man fällt auf, wird vielleicht zum Gesprächsthema. Und man kann Aufklärung leisten, Dinge hinterfragen und Menschen inspirieren.

Wo ordne ich mich denn als Mensch mit Diabetes ein?

Ich bin anders als andere Menschen. Muss ich mich doch jeden Tag darum kümmern, dass meine Insulinpumpe läuft. Statt Schokolade esse ich eine Möhre, wenn ich Lust auf Süßes habe. Und in meinem Schrank zu Hause ist eine Schublade mit unzählig vielen Kanülen gefüllt. Ganz zu schweigen von den ganzen Arztterminen – die Kollegen sind viel weniger krank.

Ich bin gleich wie andere Menschen. Jeden Morgen stehe ich auf, gehe duschen und zur Arbeit. Neben der Arbeit studiere ich auch noch. Drei bis vier Mal die Woche treibe ich Sport. Am Wochenende gehe ich mit meinem Freund ins Kino oder mit meinen Freundinnen etwas trinken. Und wenn ich traurig bin, muntert mich Schokolade eigentlich viel besser auf als eine Möhre.

Herrlich normal nicht normal

Und nun? Wer sagt überhaupt, ob ich damit jetzt normal bin? Ob ich gleich oder anders als andere Menschen bin? Und warum soll der Diabetes daran Schuld haben? Jede und jeder von uns Diabetikern und Nicht-Diabetikern ist anders und gleich zur selben Zeit. Der Diabetiker sieht sich in einer Gruppe voller Nicht-Diabetiker vielleicht als nicht normal. In einer Gruppe voller Diabetiker hingegen ist er immer noch derselbe Mensch – aber normal. Wir sind alle individuelle Menschen mit eigenen Zielen, Träumen und Wünschen. Herrlich normal nicht normal. Erlebnisse, Erinnerungen und Erfahrungen prägen unsere ganz eigene Norm, welche die einzige ist, die für uns ein Maßstab sein sollte.

Wenn wir alle anders sind, sind wir dann nicht auch irgendwie gleich? Wenn jeder danach strebt, gleich zu sein, macht ihn das nicht anders? Niemand außer uns selbst kann entscheiden, ob wir normal sind, es sein wollen, oder nicht. Ein Vergleich mit anderen findet immer auf subjektiver Ebene statt, doch die hohe Kunst ist es, sich selbst zu akzeptieren. Dann bin ich schnell normal, wenn ich möchte. Ganz für mich selbst. Und an anderer Stelle bin ich anders, so wie ich es möchte. Hauptsache, ich akzeptiere und liebe mich selbst. So wie ich bin. Mit Diabetes und ohne.

 


Die Kindheit und Jugend mit Diabetes ist nicht immer leicht. Kathy hat über die Schulzeit ihrer Tochter berichtet: Aus dem Schulalltag mit Diabetes Typ 1 – Diabetes Mobbing

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