Erhobener Zeigefinger und schlechtes Gewissen ade: Die Einstellung macht´s

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Erhobener Zeigefinger und schlechtes Gewissen ade: Die Einstellung macht´s

Zeigefinger
© Sebastian Gauert – Fotolia

Darf ich vorstellen: Das ist Kai. Kai geht gar nicht gerne zu seinem Diabetologen. Warum? Weil dieser ihm wegen seines nicht ganz perfekten HbA1c jedes Mal einen Vortrag hält. Und jedes Mal geht er mit einem schlechten Gefühl nach Hause und rutscht doch immer wieder in die Verhaltensweisen, die das HbA1c negativ beeinflussen können. Den Besuch beim Arzt findet Kai also sinnlos, nicht zielführend, ja, sogar kontraproduktiv.

Wer ist schuld an dieser Situation? Ist es eventuell der Diabetologe mit seiner wenig motivierenden Arbeitsweise, der dafür sorgt, dass der Patient nicht aus der HbA1c-Spirale herauskommt? Ist etwa der Patient selbst schuld daran, weil er es nicht schafft, sich selber zu motivieren? Oder kann man doch alles einfach auf den blöden Diabetes schieben, der ohnehin macht, was er will, und dafür sorgt, dass jeder gut gemeinte Versuch, etwas zu ändern, im Keim erstickt wird?

Natürlich wissen wir alle, dass die Frage nach der Schuld ziemlich sinnlos ist. Selbst wenn man einen Schuldigen ausmachen könnte, wäre man keinen Schritt weiter, denn ein Schuldiger zieht sich trotzig zurück und wird im Normalfall nichts verändern. Außerdem wissen wir alle, dass beim Thema Diabetes immer mehr als nur ein Faktor berücksichtigt werden muss, wenn es um Veränderungen und Neueinstellungen geht.

Das Geheimnis liegt in der Einstellung

Auch ich habe mir einst die Frage gestellt, wie man diesen Teufelskreis denn nun durchbrechen könnte. Und wenn ich eines gelernt habe, dann, dass es in erster Linie alleine um die Einstellung des Betroffenen geht. Kai, der Typ-1-Diabetiker, den ich zu Beginn erwähnt habe, müsste eigentlich eine sinnvolle Zusammenarbeit mit seinem Diabetologen anstreben, um so das HbA1c zu verbessern. Aber schon Kais Grundeinstellung erstickt jegliche Motivation im Keim. Er muss nur an seinen Arzt denken und schon verkrampft sich alles in ihm. Er erinnert sich an die unangenehmen Fragen und fühlt sich schlecht dabei.

Kai sollte sich darüber bewusstwerden, dass er an der Persönlichkeit des Arztes nichts ändern wird. Natürlich könnte er sich einen anderen Diabetologen suchen, der diese Dinge vielleicht angenehmer und weniger direkt thematisiert. Aber das geht nun einmal nicht immer. Und Weglaufen ist auch keine Lösung.

Was, wenn Kai stattdessen seine Einstellung ändern würde? Er könnte sich die Vorteile eines besseren HbA1c klarmachen (wobei sich ja auch darüber streiten lässt) und dann überlegen, wem er eigentlich eine Erklärung dazu schuldig ist. Schnell würde er merken, dass einzig und allein er selber ein Interesse an einer Verbesserung hat. Der Diabetologe ist lediglich ein Helfer auf dem Weg dahin. Und dazu gehören seiner Meinung nach nun einmal unangenehme Fragen und ein schlechtes Gewissen.

Kai weiß nun also, dass es ihm guttäte, an seiner Disziplin zu arbeiten. Der Arzt ist nunmehr Mittel zum Zweck, ein Wegweiser, aber nicht mehr der Auslöser eines schlechten Gewissens. Das schlechte Gewissen macht Kai sich nun selber jedes Mal, wenn er ein Stück Schokolade zu viel nascht.

Kai hat also seine Einstellung zum Diabetologen und dessen Rolle geändert. Dadurch ist er in der Lage, den Arzt als Sparringspartner und Berater zu sehen und nicht mehr als Gegner oder erhobenen Zeigefinger.

Wer ist hier eigentlich wer?

Aber hilft ihm das im Alltag? Denn – und hier kommt die Hauptbotschaft – am Ende bist Du niemandem auf der Welt mehr Rechenschaft schuldig als Dir selbst. Es liegt an Dir, was Du tust und was Du nicht tust. Es ist Deine Entscheidung, mit welchem HbA1c Du Dich wohl fühlst.

Menschen mit Diabetes haben eine große Fanbase (das Thema hatte ich in einem früheren Artikel schon einmal bearbeitet). Da ist der Partner, da sind die Eltern, da sind die Kinder, da ist der Diabetologe, der Hausarzt, der Diabetesberater. Und je nach Konstellation gibt es noch mehr Menschen, die es gut mit einem meinen. In naher Zukunft kommt vielleicht noch die eine oder andere Krankenkasse dazu, die einen gut gemeinten Hinweis zu den gerade per Diabetes-App frisch übermittelten Gesundheitsdaten beisteuern möchte.

Kai sollte sich bewusstwerden, dass er am Ende derjenige ist, der mit dem Diabetes zurechtkommen muss. Und zwar für den Rest seines Lebens. All die außenstehenden Personen meinen es gut mit Kai und wollen nur sein Bestes. Entscheiden muss (und darf) am Ende er selbst.

Diabetes ist kein Zustand, der immer gleich ist. Berechenbar ist er schon gar nicht. Und niemand – wirklich niemand – kann sich gedanklich und gefühlsmäßig in eine andere Person hineinversetzen.

Dazu ein Beispiel. Zwei Freunde gehen spazieren und unterhalten sich. „Das Haus da hinten ist aber hässlich“, sagt der eine. „Ja, das stimmt allerdings“, antwortet der andere. Beide sind froh, dass der jeweils andere die Ansicht teilt und gehen fröhlich weiter. Aber in Wirklichkeit ist das Haus für den einen komplett anders hässlich als für den anderen.

Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit, seine eigene Komfortzone und seine eigenen Vorstellungen von richtig und falsch. Und weil das so ist, bist Du Dein wichtigster Sparringspartner. Natürlich sind gute Ratschläge wertvoll und hilfreich. Und natürlich sollte man jeden Ratschlag ernst nehmen und zur Entscheidungsfindung nutzen. In letzter Konsequenz ist man aber selber verantwortlich und hat die Folgen zu tragen.

Und wieder gilt: jeder Mensch ist anders

Kürzlich wurde ich in eine HbA1c-Diskussion verwickelt (wer kennt das nicht?). Eine Dame hat mich während dieser Diskussion sehr beeindruckt, indem sie sagte, dass sie sich mit einem HbA1c unterhalb von 7,5% nicht wohlfühle und ihr Arzt das inzwischen auch verstanden habe. Seitdem ginge es der Dame körperlich und psychisch wesentlich besser und das Verhältnis zu ihrem Arzt sei wesentlich entspannter. Ich konnte die Einstellung der Dame total nachvollziehen. Das darf natürlich nicht verwechselt werden mit Menschen, die zu bequem sind, auf sich zu achten, und solche Aussagen als Ausrede zum Schludern nutzen. Aber am Ende muss sich doch – bei allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und aller medizinischer Ratio – der Betroffene wohlfühlen. Ich würde mir wünschen, dass sich diese Denkweise noch ein wenig mehr durchsetzt, denn dann hätten es alle einfacher, die mit dem Thema ohnehin schon belastet genug sind.

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