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Und jetzt? Vor dem Übergang auf die weiterführende Schule machen sich viele Eltern Sorgen: Wie kann ich mein Kind auf die neue Schule und die Anforderungen vorbereiten? Professor Karin Lange hat Tipps für den Schulwechsel zusammengestellt.
Stella (10) ist schon ganz gespannt auf die neue Schule, das Gymnasium am anderen Ende der Stadt, das sie nach dem Ende der Grundschulzeit besuchen wird. Ihre ältere Cousine geht dort auch hin und ist total begeistert von den vielen Angeboten und AGs, vor allem von der Musical-AG.
Sehr viel gelassener sieht Paul (11) den Wechsel aus der Grundschule in eine integrierte Gesamtschule; es wird sich nicht viel ändern. Die Schulen sind benachbart, über die Hälfte seiner Freunde geht mit, und viele ältere Schüler kennt er vom Fußball.
Die Elternpaare der Kinder machen sich schon mehr Gedanken, weil beide an Typ-1-Diabetes erkrankt sind – Stella mit sechs und Paul mit drei Jahren. Sie fragen sich, wie sie ihre Kinder auf den Schulwechsel und die neuen Anforderungen vorbereiten können.
Stella und auch Paul haben die Grundschule in den ersten Jahren dank engagierter Unterstützung ihrer Lehrerinnen gut gemeistert. Bei Stella wurde der Diabetes festgestellt, als sie gerade sechs Wochen lang die Schule besuchte. Sie hatte bereits gute Freunde gefunden und die Schule war nur fünf Minuten vom Elternhaus entfernt.
Zunächst hatten die Eltern überlegt, Stella wegen des Diabetes aus der Schule zu nehmen und ein Jahr später neu einzuschulen. Stellas wütender Protest (“erst Diabetes und dann nicht mehr zur Schule gehen dürfen”) und das Engagement der Klassenlehrerin führten dazu, dass Stella in der Klasse blieb und bis zum Abschluss der Vierten neben ihrer besten Freundin Lea sitzen durfte.
Bei den ersten Klassenausflügen hat einmal ihr Vater und einmal ihre Mutter Stella begleitet. Danach war das nicht mehr erforderlich. Stella kannte sich gut aus und Lea war eine perfekte “Hypofrüherkennerin” bei ihrer Freundin.
Bevor Paul die Grundschule zum ersten Mal betrat, hatte er in den Ferien einen Kurs Fit für die Schule absolviert – ein Angebot seiner Kinderklinik. Eine Diabetesberaterin begleitete seine Mutter, als sie den Lehrern von Pauls Diabetes und seiner Pumpentherapie berichteten. Nach erstem Zögern willigten die Klassenlehrerin und der Sportlehrer ein, Paul beim Messen und Bolen zu helfen.
Nur einmal ging es Paul wegen des Diabetes so schlecht, dass die Lehrerin seine Mutter zu Hilfe rufen musste. Beim Toben morgens vor der Schule muss der Katheter aus der Haut gerutscht sein, ohne dass Paul es gemerkt hatte. Gegen 12:00 Uhr waren die Anzeichen einer Ketoazidose nicht mehr zu übersehen: Blutzuckerwert über 500 mg/dl (27,8 mmol/l). Paul kam für zwei Tage in die Kinderklinik.
Ansonsten verlief die Grundschulzeit für ihn, sowohl als Stürmer der Schulmannschaft, bei Klassenfahrten und im Unterricht, ohne große Probleme durch den Diabetes.
Nun steht für beide Kinder der Schulwechsel an. Stella hat sehr gute Noten und eine Empfehlung fürs Gymnasium. Leider ist Lea, Stellas beste Freundin, mit ihren Eltern weggezogen, sodass nur Stella und ein anderer Junge aus ihrer Klasse das Gymnasium am anderen Ende der Stadt besuchen werden. Dafür müssen sie etwa 30 Minuten mit dem Bus und der U-Bahn fahren.
Zunächst reagierte Stella ärgerlich, als ihre Eltern die neuen Lehrer über den Diabetes informieren wollten: “Ich bin doch kein Baby mehr und kann schon auf mich selbst achten.” Nach vielem Hin und Her einigten sie sich darauf, dass Stella ihrer neuen Klassenlehrerin den Diabetes bei einem Vorgespräch erklärt und einen Notfallplan für die Lehrer vorbereitet. Die Eltern kommen aber mit und helfen nur, wenn Stella es möchte.
Als Unterlage hat sich Stella die Informationsbroschüre für Lehrer der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD) ausgewählt und mit persönlichen Kommentaren versehen, z. B. ihre eigenen typischen Hypoanzeichen. Außerdem hat sie die Handynummern ihrer Eltern und für den größten Notfall die des Diabetesteams ihrer Kinderklinik dick eingetragen.
Da Stella auch an zwei Nachmittagen jeweils eine AG besuchen will, wird sie in der Schulmensa essen und sich passend Insulin mit ihren Pens spritzen. Eine pädagogische Mitarbeiterin der Schule hat sich bereit erklärt, Stella zu unterstützen, wenn sie ihre Insulindosis zum Essen berechnen muss. Den Plan zur Insulindosierung hat Stella zusammen mit ihren Eltern geschrieben. Außerdem hat sie ihn eingescannt und noch mal per E-Mail an die Mitarbeiterin geschickt.
Für den langen Schulweg hat Stella ein Handy bekommen, mit dem sie ihre Eltern immer erreichen kann. Außerdem haben sie für die erste Zeit besprochen, dass Stella den Eltern eine SMS schickt, wenn sie in der Schule angekommen ist. Das fand Stella blöd, aber besser, als gebracht oder angerufen zu werden.
Den gut gemeinten Vorschlag der Klassenlehrerin, die auch Biologie unterrichtet, dass Stella vor der ganzen Klasse über ihren Diabetes berichten könne, lehnte Stella zunächst ab. Sie wollte nicht gleich “als Diabetikerin abgestempelt” werden, bevor die anderen sie richtig kennengelernt haben. Als Kompromiss einigten sich Stella und ihre Eltern darauf, dass sie zunächst einigen Klassenkameraden, mit denen sie engeren Kontakt hat, von ihrem Diabetes erzählt.
Ähnlich wie in der Grundschule hat Stella eine Box für den Notfall in der Schule vorbereitet – mit ausreichend Traubenzucker, Saft, Ersatzkanülen, Teststreifen, Ersatzmessgerät, Lanzetten, Ketonteststreifen und Einmalspritzen für den Fall, dass ein Pen nicht funktioniert. Passend zu ihrer neuen Schultasche hat sie außerdem ein Mäppchen bekommen, in dem alle wichtigen Dinge für ihren Diabetes zusammengestellt sind. Das legt sie morgens auf ihr Handy – damit sie beides nicht vergisst.
Nächste Seite: Auch für Paul gibt es Umstellungen und manchmal etwas Hilfestellung bei der Insulindosierung. Außerdem: Tipps für den Schulwechel
Für Stellas Eltern ist es ein großer Schritt, ihre Tochter den weiten Schulweg alleine fahren zu lassen. Andererseits hält der Bus fast vor ihrer Haustür, der Anschluss mit der U-Bahn ist zuverlässig, und andere Klassenkameraden nehmen denselben Weg. Stella spürt ihre Hypos verlässlich und kann sich früh genug selbst helfen. Für den äußersten Notfall hat Stella einen gut sichtbaren Hinweis auf den Diabetes in ihrer Schultasche.
Unter diesen Umständen können die Eltern die fast 11-Jährige den nächsten Schritt in die Selbständigkeit gelassen gehen lassen. Stella ist eine gute Schülerin und auch ihre Stoffwechseleinstellung mit einem HbA1c um sieben Prozent lassen erwarten, dass sie den neuen hohen Anforderungen des Gymnasiums gewachsen sein wird.
Der Schulwechsel bei Paul ist für seine Eltern mit weniger Sorgen verbunden als bei Stellas Eltern, denn: Der Schulweg, die Umgebung und selbst die Schulmensa bleiben gleich. Jedoch wird Paul neue Lehrer bekommen und an vier Tagen bis in den Nachmittag in der Schule bleiben.
Aber auch seine Eltern setzen sich bewusst damit auseinander, dass ihr Sohn den nächsten Schritt in die Selbstständigkeit gehen soll und wird. Sie haben sich in den Ferien mit Paul zusammengesetzt und überlegt, welche Teile seiner Diabetestherapie er schon selbstverantwortlich übernehmen kann und wo er sich Unterstützung durch die Eltern wünscht.
Während die Mutter sich weiter um den Nachschub und die Rezepte für die Diabetestherapie kümmert, sorgt Paul dafür, dass er alles Nötige morgens selbst in seine Schultasche packt. In seinem Spind in der Schule hat er nicht nur seine Fußballsachen, sondern auch eine Diabetesbox für alle Notfälle mit ausreichend Ketonteststreifen und einem Plan, einer Ketoazidose vorzubeugen. Er will nicht noch mal direkt aus der Schule in die Klinik gebracht werden.
Seine Insulindosis kann Paul eigentlich schon recht sicher zu den Mahlzeiten berechnen, aber manchmal vertut er sich doch. Deshalb hat er mit seiner Mutter abgesprochen, dass er kurz vor dem Mittagessen bei ihr anruft und die Insulindosis abspricht. Sein Kumpel Joe, der später auf jeden Fall Arzt werden will, hilft ihm, daran zu denken. Die Insulinpumpe gehört für Paul schon immer dazu, er trägt sie offen und erzählt jedem, der ihn danach fragt, offen über die Technik und seinen Diabetes. Das hat er immer so gemacht und will auch in der neuen Klasse dabei bleiben.
Die zwei Beispiele zeigen, dass mit dem Schulwechsel neue wichtige Schritte in die Selbstständigkeit von Kindern mit Diabetes angestoßen werden können. Welche Aspekte Eltern dabei bedenken sollten, finden Sie hier zusammengefasst:
von Prof. Dr. Karin Lange
Diplom-Psychologin, Leiterin Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover
Kontakt:
E-Mail: Lange.Karin@MH-Hannover.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (2) Seite 12-14
5 Minuten
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