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Die junge Köchin, Sophie, krempelt wie gewohnt die Ärmel hoch und nimmt die Herausforderungen der Diabetesdiagnose an. Innerhalb kürzester Zeit hat sie den Diabetes akzeptiert und lernt, ihre Werte in den Griff zu bekommen. In einem bewegenden Interview erzählt Sophie, wie sie es innerhalb von ein paar Monaten geschafft hat. Mit dabei ist auch ihre Mutter Carmen (41). Das besondere Mutter-Tochter-Gespann zeigt die Bedeutung der Familie bei der Bewältigung einer solchen Diagnose und, dass eine Prise Humor alles einfacher macht.
Sophie: Es begann alles mit einer sehr starken Gewichtsabnahme. Ganze 25 kg. Ich hatte eine Diät gemacht und dachte deshalb, dass es davon kommen würde. Aber irgendwann habe ich mich wieder ungesund ernährt und auch wieder Getränke mit Zucker zu mir genommen. Dennoch ging das Gewicht weiter runter. Es kam ein starker Haarausfall dazu. Und natürlich das ganz typische Trinken. Ich habe irgendwann sogar schon heimlich getrunken, weil es solche Unmengen waren, und bin heimlich auf Toilette gegangen. Dort habe ich dann heimlich aus dem Hahn Wasser getrunken. Mir war es wirklich peinlich und unangenehm. Habe ich eine halbe Stunde lang nichts getrunken, hatte ich sofort einen trockenen Mund und das Gefühl zu verdursten. Nicht selten habe ich die leeren Flaschen wie ein Alkoholiker versteckt, damit es niemand mitkriegt. Unterbewusst gab es also den Gedanken, dass etwas nicht stimmte. Nachts hatte ich dann unglaubliche Zitteranfälle, aber gleichzeitig heftige Schweißausbrüche.
Carmen: Wir haben natürlich die Gewichtsabnahme bemerkt. Haben das aber darauf geschoben, dass sie ja Gewicht verlieren wollte. Dann haben mich aber schon Freunde darauf angesprochen und gesagt, dass es in den sozialen Medien einen Hype gibt, Hunger mit Wasser zu kontrollieren. Ich bekam den Rat, mal in diese Richtung zu schauen. Da habe ich mir dann schon Sorgen gemacht. Dachte aber eher an eine Essstörung. Ein weiteres Symptom, dass mir besonders auffiel, war, dass Sophie manchmal total abwesend war, wie eingetrübt, und sie lange Pausen in Gesprächen machte, weil ihr die Aufmerksamkeit fehlte.
Sophie: Ja, ich war immer so müde. Eine Zeitlang bin ich um 21 Uhr ins Bett gegangen und musste um 5 Uhr aufstehen. Acht Stunden Schlaf klingt ideal. Ich bin aber wach geworden und war erschöpft, weil ich auch nicht mehr durchgeschlafen habe. Jede Busfahrt habe ich genutzt, um zu schlafen. Ich wurde auch total träge und habe mich nicht mehr im Alltag bewegt. Es war einfach zu anstrengend und mir taten die Gelenke weh. Für zwei Haltestellen habe ich lieber den Bus genommen, anstatt die 10 Minuten zu laufen. Auch wenn ich dafür 20 Minuten in der Kälte an der Haltestelle sitzen musste. Manchmal war ich so schwach, dass ich mich abends entscheiden musste, ob ich die letzte Kraft nutze, um mir die Zähne zu putzen oder um noch eine Wasserflasche zu holen. Wenn ich nun im Nachhinein darüber nachdenke, fehlen mir die Worte und ich bin geschockt – auch von mir selbst.
Carmen: Ich mache mir auch große Vorwürfe! Ich habe zu lange nicht reagiert. Ich hatte zwar schon mal zwischendurch gesagt, dass Sophie in die Apotheke gehen sollte, um sich den Blutzucker messen zu lassen. Normal sein konnte das ja nicht, aber dass das dann so schlimm wurde, hätte ich niemals gedacht.
Carmen: Wir haben vor der eigentlichen Diagnose darüber gesprochen. Wie gesagt, sie sollte in die Apotheke gehen. Das war im November, drei bis vier Wochen, bevor es wirklich festgestellt wurde.
Sophie: Tja, und es kam halt immer zufällig etwas dazwischen. Ich dachte mir, dass da schon nichts sein wird. Geh ich halt morgen in die Apotheke… oder übermorgen… oder nächste Woche. Mir war aber auch nicht bewusst, dass da wirklich etwas sein kann. Irgendwann bin ich dann doch in die Apotheke, nachdem meine Oma nochmals ordentlich geschimpft hatte. Das war am Montag vor Nikolaus.
Sophie: Der Test wurde fix von einem Mitarbeiter gemacht. Auf dem Display vom Blutzuckermessgerät stand nur „HI“ – heute weiß ich, dass das für „High“ steht. Der Mitarbeiter wusste leider genauso wenig wie ich damals, was dieses „HI“ bedeutet. Er wollte das am Computer recherchieren und kam zurück mit der Aussage, dass diese Anzeige bedeutet, dass das Gerät kaputt ist oder mein Wert nicht lesbar wäre. Er bat mich, am nächsten Tag nochmal nüchtern wiederzukommen. Ich sollte davor zwei Stunden lang nichts trinken. Das war für mich das Schlimmste. Am nächsten Tag wurde das Ganze also nüchtern wiederholt, aber der Wert war wieder nicht lesbar. Der Mitarbeiter in der Apotheke riet mir, in den nächsten zwei Tagen mal zum Hausarzt zu gehen.
Sophie: Beim Hausarzt bekam ich nicht wirklich einen Termin. Ich rief meine Mutter an und die hatte die Idee, dass wir noch Teststreifen für Urin kaufen könnten. So einen Test habe ich dann auch zu Hause gemacht.
Carmen: Der Teststreifen zeigte dann eine dunkelgrüne Verfärbung an. Das war der höchste Wert auf der Skala. Ich dachte mir, dass das ja nicht sein könne, sonst würde sie hier ja nicht so sitzen. Ich habe dann eine Freundin angerufen, die Krankenschwester ist. Die hat uns dann ins Krankenhaus geschickt. Ich dachte, dass wir mit sowas ja nicht in die Notaufnahme fahren können. Die lachen uns dort doch aus, wenn wir da ankommen. Sophie war zwar müde, aber im Grunde fit. Wir sind dann trotzdem da hin und haben uns bei der Pforte gemeldet. Innerlich waren wir auf eine lange Wartezeit eingestellt. Nachdem ich den Fall an der Pforte – also noch nicht einmal einem Arzt oder Pflegepersonal – geschildert hatte, ging alles ganz schnell. So schnell konnten wir gar nicht gucken. Sie kam zu einem Arzt, es wurde getestet und der Blutzucker war wieder nicht messbar.
Sophie: Das war wie ein schlechter Film. Für die Urinprobe wollte man mich begleiten, weil man Angst hatte, ich würde zusammenklappen. Ich dachte mir auch nur: „Leute, was soll das? Ich war arbeiten! Mir geht es gut! Reißt euch bitte mal am Riemen!“ Die diensthabende Ärztin kam auch und schnell fiel das Wort Intensivstation. Ich dachte, dass die alle übertreiben.
Carmen: Als Sophie dann auf die Intensivstation kam und wir mit der Ärztin im Fahrstuhl waren, bekam sie einen Anruf mit den ersten Laborergebnissen. Ihr Blutzucker lag bei 1150 mg/dl (63,9 mmol/l). Man erklärte uns, dass das auch nur langsam gesenkt werden dürfe, weil es durch die Ketoazidose lebensgefährlich sei. Dass es Diabetes ist, hat zu dem Zeitpunkt aber noch niemand gesagt. Mir war es aber klar. Es war zunächst von einer Insulinunverträglichkeit die Rede und ein ganz schlauer Assistenzarzt hat Sophie dann erst einmal gesagt, dass sie wieder gesund werden würde, wenn sie einfach eine Diät und Sport macht. Zum Glück kam bald die Diabetesberaterin, eine ganz tolle Frau! Sie hat sich Zeit genommen und uns das alles erklärt.
Carmen: Ich hatte keine Zeit, um etwas zu fühlen. Ich habe nur noch reagiert und versucht, meine Tochter aufzufangen. Sophie war total fertig. Auch wenn es etwas absurd klingt, ich war erleichtert, dass wir endlich eine Diagnose hatten. Es gab endlich eine Erklärung für alles, was in den Monaten davor merkwürdig oder beängstigend war. Ich habe Sophie immer wieder gesagt, dass Diabetes etwas ist, mit dem man mittlerweile gut leben kann. Man führt seinem Körper nur das zu, was er selbst nicht mehr produzieren kann. Natürlich ist man dennoch geschockt von der Diagnose, weil es kein Zurück mehr gibt. Aber es gibt auch schlimmere Dinge.
Sophie: Ich habe vorher nur einen Menschen mit Typ-2-Diabetes gekannt. Auch der Arzt sagte, dass ich das mit Ernährung und Sport in den Griff bekommen könnte. Deswegen hatte ich die ersten zwei Tage gar nicht so das Gefühl, dass ich wirklich krank sei. Erst am dritten Tag im Gespräch mit der Diabetesberaterin wurde mir bewusst, dass es doch etwas anders ist. Da verstand ich erst, dass Typ 1 etwas anderes ist, und dann habe ich erst einmal zwei Stunden lang geheult. Mir wurde klar, dass ich ja nicht ohne Grund auf der Intensivstation lag. Da bin ich innerlich zusammengebrochen.
Sophie: Ich wusste nicht mehr, wo rechts und links ist. Ich habe mich aber immer zusammengerissen, wenn meine beiden kleinen Geschwister im Krankenhaus zu Besuch waren. Ich wollte auch wieder nach Hause zurück und zu meiner Familie, die mir einfach alles bedeutet. Wichtig waren auch meine Freunde. Eine Freundin hat nachts so lange mit mir telefoniert, bis ich einschlafen konnte. Mein soziales Umfeld hat mir einfach sehr geholfen, mich schnell zu fangen.
Carmen: Ich habe das gar nicht so sehr in Frage gestellt, dass etwas akzeptiert werden muss. Wir wussten, es muss Insulin gespritzt werden, damit es Sophie besser geht. Dem stellt man sich dann und nimmt das in Angriff. Sie wollte schnell nach Hause und je schneller sie lernt, sich selber Insulin zu spitzen, umso eher kann sie nach Hause zu uns.
Sophie: Ich musste mich erst einmal durchsetzen, dass ich sofort selber berechnen und spritzen durfte, weil ich wusste, dass das der Weg nach Hause ist. Klar hatte ich Angst zu spritzen, aber noch schlimmer wäre es gewesen, länger als nötig von meiner Familie getrennt zu sein. Meine Mutter hat mir auch unheimlich viel Halt gegeben. Wir haben schon immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander und ich konnte mit ihr immer wie mit einer guten Freundin reden. Durch den Diabetes habe ich auch wieder gemerkt, dass sie immer hinter mir steht, egal was ist. In solchen Momenten merkt man auch, was Familie ist und was sie bedeutet.
Sophie: Meine Großeltern und meine Eltern waren immer da. Sie wechselten sich ab, damit ich praktisch nie alleine war. Besonders cool reagierten meine Freunde. Als sie das Krankenhausessen sahen, war klar, dass sie Döner und Chips besorgen. Meine Familie fragte viel nach den Werten und nach meinem Befinden, während meine Freunde das Ganze mit Humor gesehen haben. Da bekam ich auch mal gesagt, dass ich nach dem Heulen wie Sponge Bob aussehe. Das war aber Normalität! Ich wurde behandelt wie immer und nicht wie eine Kranke. Es geht ja nicht nur darum, selbst den Diabetes zu akzeptieren, sondern auch vom Umfeld als Diabetikerin akzeptiert zu werden. Wir haben als Familie anschließend auch nicht anders gegessen. Klar, die Kohlenhydrate werden berechnet, aber es blieb ansonsten alles wie immer.
Sophie: Das ist ein bisschen lustig. Wir sagen immer bei uns in der Familie, dass wenn wir was machen, dann machen wir es richtig. Man kriegt dann eben vom Leben richtig einen verpasst. Aber das nimmt man dann an, sonst würde es auch langweilig werden. Deswegen war auch klar, dass ich mich dem Ganzen stelle. Klar habe ich noch immer Unsicherheiten beim Berechnen oder Spritzen, aber es muss halt gemacht werden.
Sophie: Glaube an Dich selbst! Das ist wohl das Wichtigste. Ich denke meist erst an andere und zuletzt an mich selbst. Im Krankenhaus habe ich realisiert, dass ich jetzt nur an mich denken muss, dass ich schauen muss, wie ich schnell mit der Situation klarkomme. Man muss sich in dem Moment auf sich konzentrieren und danach Schritt für Schritt aufarbeiten, was einem da passiert ist. Es prasseln ja unglaublich viele Informationen auf einen ein. Wenn man wahre Freunde und eine gute Familie hat, dass die hinter einem stehen in dieser Zeit und akzeptieren, dass man jetzt nur an sich denken kann. Ich wünsche jedem, der gerade mit einem Loch sitzt und sich überfordert fühlt, dass er die Herausforderung annimmt und es wieder nach oben schafft. Schritt für Schritt.
Sophie: Es wäre falsch, sich Heilung oder sein früheres Leben zu wünschen. Ich wünsche mir mehr Sicherheit, dass ich das weiter alles lerne und besser verstehe mit dem Berechnen und Spritzen. Ich wünsche mir Geduld für die idiotischen Sprüche, die manchmal kommen. Natürlich wünsche ich mir auch, dass meine Freunde und Familie hinter mir stehen.
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