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Wenn im Herbst für Erstklässler das Schulleben beginnt oder ältere Kinder in eine weiterführende Schule wechseln, fragen sich Eltern, ob der Diabetes ihres Kindes dessen Schullaufbahn beeinflussen wird. Die 2022 aktualisierten Leitlinien der ISPAD (International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes) beziehen hierzu Stellung (1). Und auch in den aktuellen deutschen Leitlinien zum Diabetes bei Kindern und Jugendlichen ist die sogenannte kognitive Entwicklung ein Thema (2).
Die gute Nachricht gleich vorweg: In nationalen Registerstudien konnte z. B. in Dänemark, Schweden oder Australien kein Unterschied zwischen den Schulleistungen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Typ-1-Diabetes festgestellt werden (3, 4, 5). Dazu wurden z. B. in Dänemark die mittleren Schulnoten aller 631.620 Kinder des Landes in den Fächern Mathematik, Lesen, Schreiben und anderen zusammengetragen und für verschiedene Klassenstufen berechnet (4).
Anschließend verglichen die Autoren die erreichte Punktzahl der 2031 Kinder mit Typ-1-Diabetes mit der Punktzahl der Kinder ohne Diabetes in ganz Dänemark. Dabei konnten die Autoren keine Unterschiede in den mittleren Schulnoten zwischen Kindern mit und ohne Diabetes feststellen. Es gab sogar einige Hinweise darauf, dass junge Menschen mit einem optimalen Blutzuckermanagement bessere schulische Leistungen erbringen.
Selbstverständlich gab es in den Studien begabte Kinder mit besonders guten Leistungen und Kinder, die sich mit den Anforderungen der Schulen schwerertaten. Dabei spielen angeborene Begabungen und Intelligenz eine Rolle, aber auch die Anregungen und Unterstützungen, die Kinder in der Familie und im weiteren Umfeld erfahren. So wurde auch in diesen Studien deutlich, dass Kinder aus benachteiligten Familien mit niedrigem Bildungshintergrund eher schlechter in der Schule abschneiden als andere Gleichaltrige.
Wegen der unterschiedlichen Schulsysteme in den deutschen Bundesländern ist es kaum möglich, die Schulnoten aller Kinder mit Diabetes zu erfassen und einzuordnen. Da aber die Diabetestherapie in Dänemark und Schweden etwa vergleichbar mit dem Niveau der Behandlung in Deutschland ist, kann man vermuten, dass die Schulleistungen der deutschen Kinder mit Diabetes in der Regel auch nicht beeinträchtigt sind.
Einige kleine lokale Studien konnten z. B. in Niedersachsen zeigen, dass der Anteil junger Erwachsener mit Typ-1-Diabetes, der die Schule mit einem Abitur abgeschlossen hat, dem landesweiten Durchschnitt entsprach. Und überproportional viele junge Menschen mit Typ-1-Diabetes beginnen ein Medizinstudium mit einem entsprechenden Numerus clausus.
Mit diesem Wissen sollten Eltern ihre Kinder mit Diabetes so wie alle Kinder in die Schule schicken, ihnen zutrauen, die geforderten Leistungen zu erbringen, aber auch damit rechnen, dass eine Klassenarbeit oder Klausur mal danebengehen kann, ohne dass es mit dem Diabetes zu tun haben muss. Manchmal ist das Thema eben “doof”, das Kind hat sich nicht ausreichend vorbereitet, oder es hatte eben einen nicht ganz so guten Tag. Eltern sollten sich dabei gut überlegen, ob sie schlechte Schulleistungen durch den Diabetes erklären und entschuldigen. Denn das würde bedeuten, dass ein Kind hier nichts ändern kann und damit “Opfer” seines Diabetes ist.
Dagegen hilft einem Kind viel mehr, wenn es beim Lernen unterstützt wird, seine Fähigkeiten gewürdigt werden und es gute Tipps erhält, wie es besser mit schwierigen Aufgaben umgehen kann. Dabei sollten Eltern aber auch realistisch schauen, welche Stärken, aber auch Schwierigkeiten ein Kind hat und welche Schulform dazu passt. Ein ständig überfordertes Kind leidet unter seinen Misserfolgen, entwickelt Selbstzweifel und verliert die Freude am Lernen. Heute gibt es viele berufliche Wege und Qualifikationsmöglichkeiten lebenslang, sodass jedes Kind seinen schulischen Weg nach seinen Möglichkeiten gehen kann.
Wenn Eltern von vornherein für ihr Kind wegen des Diabetes Sonderregelungen oder Nachteilsausgleiche bei Klausuren oder Klassenarbeiten wünschen, dann gehen sie davon aus, dass ihr Kind in seiner Leistungsfähigkeit grundsätzlich beeinträchtigt ist – was aber in den allermeisten Fällen nicht begründet ist. Kinder und vor allem Jugendliche mit Diabetes sehen sich nicht eingeschränkt, wollen so sein wie alle anderen und nicht durch eine Sonderrolle auffallen.
Viele Beispiele von Leistungssportlern und anderen Prominenten zeigen, was Jugendliche und junge Erwachsene mit Diabetes leisten können. Und viele andere Erwachsene mit Diabetes kämpfen darum, in verantwortungsvollen Berufen, z. B. bei der Feuerwehr, Polizei, in der Medizin, im Anlagenbau, im Management und anderen, ohne Einschränkung tätig sein zu dürfen. Die Selbstdiskriminierung durch unbegründete Sonderregelungen schadet nicht nur den betroffenen Kindern und Jugendlichen, sondern auch vielen anderen Menschen mit Diabetes, die sich noch immer gegen Vorurteile wehren müssen.
Durch die weite Nutzung von CGM- und zunehmend auch AID-Systemen ist die Häufigkeit von Hypoglykämien weiter zurückgegangen. Trotzdem lassen sich zu niedrige Werte nicht ganz vermeiden. Der Glukosemangel bei einer Hypoglykämie vermindert die Konzentrationsfähigkeit, die Lösung von Aufgaben dauert sehr viel länger, die Fehlerquote ist hoch, wenn es überhaupt gelingt, einen Gedanken zu Ende zu führen.
Die meisten Menschen mit Diabetes spüren erste Konzentrationsprobleme bereits, bevor der Glukosesensor bei einem Glukosewert von 70 mg/dl (3,9 mmol/l) alarmiert. Mit etwas Traubenzucker ist das Problem innerhalb weniger Minuten behoben. Trotzdem sollten alle Lehrkräfte Rücksicht nehmen, wenn es zum sehr seltenen Fall einer Hypoglykämie gekommen ist, von der sich ein Schüler nicht innerhalb weniger Minuten erholt. Das sollte selbstverständlich sein und keiner besonderen Regelung bedürfen.
… wirken sich ebenfalls ungünstig auf die geistige Leistungsfähigkeit aus. Ein Insulinmangel beeinträchtigt die Leistung des Gehirns. Unter anderem sind der Hippocampus, der präfrontale Kortex und der Hypothalamus besonders betroffen. Der Hippocampus spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau von Gedächtnisinhalten und damit der Merkfähigkeit. Der präfrontale Kortex ist zentral für die Planung komplexer Handlungen, das Arbeitsgedächtnis und die Kontrolle von Impulsen, d. h. auch des Therapieverhaltens. Der Hypothalamus ist das wichtigste Steuerungszentrum des vegetativen Nervensystems.
Einige Studien konnten im Labor und auch unter Alltagsbedingungen zeigen, dass die kognitiven Leistungen bei deutlich erhöhten Blutglukosewerten beeinträchtigt sind. Es gibt auch Hinweise darauf, dass sich die Stimmung und der Antrieb von Menschen mit Diabetes unter diesen Bedingungen verschlechtern. Anders als bei Hypoglykämien treten diese Veränderungen bei anhaltend hohen Glukosewerten nicht plötzlich, sondern eher schleichend auf.
Vor allem für Jugendliche, die sich mit ihrer Diabetestherapie schwertun, kann daraus ein Teufelskreis entstehen. Eine unzureichende Diabetestherapie führt zu anhaltenden Hyperglykämien, die wiederum beeinträchtigen die geistige Leistung und den Antrieb, außerdem wird die Stimmung schlechter.
Jugendliche mit Diabetes sollten wahrheitsgemäß über diese aktuellen Folgen einer unzureichenden Stoffwechseleinstellung für ihr Gehirn informiert werden, ohne dass ihnen vor einzelnen erhöhten Werten unbegründet Angst gemacht wird. Vielmehr sollten sie wissen, dass bei stabilen Glukosewerten nahe dem Normbereich ihre geistige Leistungsfähigkeit optimal ist.
Besondere “Nachteilsausgleiche” in der Schule wegen zu hoher HbA1c-Werte sollten jedoch sehr kritisch überdacht werden. Wichtiger wäre hier zu überlegen, ob zu hohe Anforderungen in der Schule oder Konflikte in der Klasse zu den Schwierigkeiten bei der Diabetestherapie beitragen und ob diese Ursachen verändert werden können.
Schließlich gibt es noch eine kleine Gruppe von Kindern mit einem erhöhten Risiko für milde kognitive Beeinträchtigungen, z. B. der Informationsverarbeitung und der exekutiven Funktionen (zielgerichtete Handlungssteuerung). Dies betrifft in erster Linie Kinder mit sehr früher Diabetesdiagnose, schwerer Ketoazidose bei Manifestation, wiederholten schweren Hypoglykämien und/oder anhaltenden Hyperglykämien. Sie sollten in ihrer schulischen Entwicklung beobachtet und es sollte auf Hinweise neurologisch bedingter Lernschwierigkeiten geachtet werden.
Ein Verdacht sollte durch eine neurokognitive Untersuchung ausgeräumt oder bestätigt werden, um einem Kind ggf. frühzeitig spezielle Förderangebote zu machen. Hier sollten sich Eltern nicht scheuen, das Diabetesteam frühzeitig anzusprechen.
Die Autoren sowohl der ISPAD- als auch der DDG-Leitlinie empfehlen zum Schutz der neurologischen und damit auch kognitiven Entwicklung von jungen Kindern mit Typ-1-Diabetes, extreme Blutzuckerwerte zu vermeiden. Dies wird seit Jahren im deutschsprachigen Raum durch intensive Schulungen der Eltern, moderne Insulintherapien und Diabetestechnologien sowie ambitionierte Zielwerte angestrebt. Einzelne Ausreißer sollten Eltern dabei nicht zu sehr beunruhigen.
Mit Blick auf die Zukunft konnte in einigen Studien weltweit und in Deutschland gezeigt werden, dass Kinder mit Diabetes unter diesen Bedingungen in der Schule und später im Studium und Beruf ebenso erfolgreich sind wie alle anderen Gleichaltrigen.
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Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2024; 12 (2) Seite 16-18
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