Typ-1-Diabetes und ADHS: „Verpeilt“ den Diabetes managen

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Typ-1-Diabetes und ADHS: „Verpeilt“ den Diabetes managen | Foto: Berit Kessler – stock.adobe.com
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Typ-1-Diabetes und ADHS: „Verpeilt“ den Diabetes managen

Einen Typ-1-Diabetes zu managen, fordert einen durchaus schon heraus. Kommt aber eine ADHS hinzu, sind weitere Dinge zu beachten. Silvia berichtet aus ihrem Leben mit dieser Kombination.

Wenn schon ein Kind in der Familie Typ-1-Diabetes hat, kommen Eltern bei entsprechenden Symptomen eher auf die Idee, dass ein weiteres ihrer Kinder Typ-1-Diabetes haben könnte. So war es auch bei Silvia im August 2011. Im Urlaub an der Ostsee musste die damals Elfjährige ständig auf die Toilette und war völlig kaputt.

„Irgendwann sagten meine Eltern: ‚Vielleicht sollten wir bei ihr mal einen Blutzucker machen.‘ Man muss dazu sagen, mein Bruder ist auch Typ-1er“, berichtet die heute 24-Jährige. Er erkrankte im Alter von einem Dreivierteljahr, ist aber acht Jahre älter als sie, sodass sie seinen Diabetes eher nur am Rand mitbekam.

Ob beim Spazieren oder Skifahren: Silvia ist gern draußen in der Natur.

Zuerst nutze Silvia keine Insulinpumpe

Silvias Blutzuckerwert lag bei der ersten Messung durch ihre Eltern nüchtern bei 500 mg/dl (27,8 mmol/l), erinnert sie sich. So ging es nach Rostock ins Krankenhaus, wo sie direkt mit einer intensivierten Insulintherapie mit Insulinpens und Blutzucker-Messungen begann. „Ich kannte es nicht anders von meinem Bruder.“ Im Nachhinein bereut sie etwas, dass sie sich in der Anfangsphase nicht genauer über andere Möglichkeiten der Therapie, also mit Insulinpumpen, informieren ließ.

In der Diabetes-Schwerpunktpraxis im Allgäu, wo sie mit ihrer Familie wohnte, stieß sie, als sie mehr darüber wusste, erst einmal auf Widerstand: „Das war ein bisschen komplizierter, weil meine Diabetologin meinte, ich muss erst mal gute Werte bekommen, was in der Pubertät nicht so ganz einfach war.“ Mit 14 Jahren wechselte sie in die Erwachsenen-Diabetologie. „Da war das überhaupt kein Thema. Ich habe meine Pumpe bekommen.“ Ihr HbA1c-Wert sank schnell von 11 auf 10 % (97 auf 86 mmol/mol).

Erst Hilfsmittel-Bastelei, dann Closed Loop

Ein Sensor zum kontinuierlichen Glukose-Messen (CGM) kam zwei Jahre später hinzu: der FreeStyle Libre. Da man die erste Generation dieser Sensoren noch scannen musste, um den aktuellen Gewebezuckerwert zu sehen, fing Silvia an zu basteln. Mit entsprechenden Hilfsmitteln – das Internet war eine gute Quelle an Informationen – machte sie aus einem System zum Flash-Glukose-Monitoring ein System zum Realtime-Glukose-Monitoring.

Nun erhielt sie ihre Werte auf ihr Display, ohne dass sie den Sensor vorher scannen musste. „Ist halt immer eine ziemliche Fieselei“, meint sie. Mit dem wiederum zwei Jahre später erfolgenden Umstieg auf ein direkt zum Realtime-Glukose-Monitoring angebotenes System – den Dexcom G6 – und die Insulinpumpe Dana-i ging sie in ihrer Therapie gleich den nächsten Schritt: „Ich habe dann auch gleich mit Loopen angefangen.“

Zu Fuß unterwegs, ob beim Spaziergang oder bei einer Wanderung: Das ist für Silvia Erholung pur!

Auch hierbei halfen ihr Informationen aus dem Internet, denn zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein kommerzielles (fast) geschlossenes System (Hybrid-Closed-Loop) aus Insulinpumpe, Glukose-Sensor und dazwischengeschaltetem Algorithmus, um die Insulin-Dosierung automatisiert steuern zu lassen. „Das war der Moment, wo meine Werte immer eigentlich im einigermaßen guten Bereich waren.“

Auch heute noch nutzt sie einen Do-it-yourself-Loop. Sie ist überzeugt, nachdem sie intensiv recherchiert hat: „Die Einstellmöglichkeiten gibt mir einfach kein kommerzieller Loop im Moment.“ Inzwischen nutzt sie mit dem Dexcom G7 die nächste Generation des Glukose-Sensors. Ihr aktueller HbA1c-Wert liegt bei 6,1 % bzw. 43 mmol/mol, ihre Zeit im Zielbereich, auch bekannt als Time in Range, liegt im Durchschnitt um 80 Prozent.

Mit Technik jedesmal einen Schritt nach vorn

Faszinierend für Silvia war, dass die Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten auch sie immer weiterbrachte: „Ich habe bei jeder technischen Entwicklung gemerkt, dass mein HbA1c jedes Mal besser geworden ist. Also: erste Pumpe bekommen – besser geworden, FreeStyle Libre bekommen – besser geworden, zum CGM umgebaut – besser geworden, richtiges CGM – besser geworden, neue Pumpe – besser geworden. Technik hat es mir wirklich sehr erleichtert.“

In ihrer Freizeit genießt Silvia das Reiten und auch mit Typ-1-Diabetes und ADHS lässt sich Silvia die Freude am Reisen nicht nehmen.

Neben Typ-1-Diabetes an ADHS erkrankt

Aber Typ-1-Diabetes ist nicht die einzige chronische Erkrankung, die Silvia begleitet. Seit März 2023 weiß sie, dass sie eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) hat. „Ich war davor auch schon öfter mal in Therapie wegen Depressionen. Mir ging es halt nie wirklich gut. Aber mir haben die Therapien nichts gebracht.“ Dann kam ihr ein Gedanke: „Der kleine Bruder von meinem Freund, der ADHS hat, ist genau wie ich.“ Sie sah sich daraufhin die Kriterien für eine ADHS-Diagnose an und dachte: „Das passt zu mir.“ Sie begab sich erneut in ärztliche Behandlung, wo dann die Diagnose gestellt wurde.

Was genau ist es, was sie wahrnimmt und sie auf die Idee einer ADHS brachte? Silvia konkretisiert: „Sachen nicht zu Ende denken, nicht fertig bekommen. Es ist manchmal so ein Unruhig-Sein. Manchmal bin ich bockig zu anderen Leuten, weil die irgendwas wollen, obwohl die nichts böse meinen.“ Zappelig oder unruhig ist sie eher nicht: „Bei mir ist diese Unruhe eher im Kopf.“ Gedanken hämmern hintereinanderweg in ihren Kopf. Aber während des Gesprächs mit ihr berichtet sie auch: „Beim Telefonat jetzt – ich laufe auch schon wieder einen Kilometer.“

Typ-1-Diabetes und ADHS – alles Wichtige auf einen Blick
  • Studien zeigen, dass das gemeinsame Auftreten von Typ-1-Diabetes und unbehandelter ADHS häufig zu erhöhten HbA1c-Werten führt.
  • Krankenhaus-Aufnahmen, diabetische Ketoazidosen (Übersäuerungen des Körpers wegen absoluten Insulinmangels) und Unterzuckerungen treten bei unbehandelter ADHS häufiger auf.
  • Auch Folgeerkrankungen wie Nerven-Erkrankungen, Durchblutungsstörungen und Nieren-Erkrankungen sind bei unbehandelter ADHS häufiger.
  • Die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von Typ-1-Diabetes und ADHS liegt bei Kindern und Jugendlichen um 4 Prozent.

Verpeiltheit durch ADHS beeinflusst Diabetes-Management

Für das Managen ihres Diabetes hat das – trotz der hohen Zeit im Zielbereich und des niedrigen HbA1c-Werts – Konsequenzen. „Es ist diese extreme Verpeiltheit, die das Leben sehr schwer macht. Wenn ich am Kochen bin und mir denke, ‚Jetzt rühre ich noch einmal um, dann gebe ich meinen Bolus ab, dass ich meinen Spritz-Ess-Abstand habe‘, dann rühre ich um. Dann fällt mir ein, ich muss noch nachsalzen. Dann setze ich mich an den Tisch und esse. Und dann erinnert mich der Alarm für erhöhte Werte daran, dass ich ja immer noch Typ-1-Diabetes habe … Das ist mit das größte Problem, dass ich ganz oft einfach esse und vergesse, dass ich mir eigentlich Insulin abgeben sollte.“

Der Gedanke an die Insulingabe wurde einfach durch andere Gedanken verdrängt, war komplett weg. Die ADHS betrifft auch ihren sonstigen Alltag: „Wäsche in der Waschmaschine vergessen, die Pizza im Ofen ein bisschen zu dunkel werden lassen …“


„Es ist diese extreme Verpeiltheit, die das Leben mit ADHS und Typ-1-Diabetes sehr schwer macht.“

Silvia


Dennoch gelingt ihr eben ihr Diabetes-Manegement im Großen und Ganzen, was vielen mit der Kombination Typ-1-Diabetes und ADHS nicht gelingt, wie Studien zeigen (siehe Kasten). Hilfe durch medizinisches Personal bekommt sie kaum. Sowohl ihre Neurologin als auch ihr Diabetes-Team hatten und haben damit keine Erfahrung. „Die können mir dann auch nicht großartig weiterhelfen, weil ich ja weiß, wie es richtig geht. Aber ich kriege es halt einfach nicht gebacken. Und das ist auch das extrem Ermüdende daran.“ Sie ergänzt: Zu dem ‚Hä, was macht der Diabetes jetzt schon wieder?‘ kommt noch dieses ‚Ah, der macht das gerade, weil ich voll verpeilt bin.‘.“

Mit anderen Menschen, die ebenfalls mit der Kombination aus Typ-1-Diabetes und ADHS leben, hat sie kaum Kontakt. „Die Bubble ist nicht groß. Und ADHS-Menschen, die vergessen nicht nur, Insulin abzugeben, sondern auch, dass sie Kontakte pflegen wollen.“ Wünschen würde sie sich solche Kontakte aber schon, um sich mit Menschen auszutauschen, die die Situation wirklich nachvollziehen können.

Auch Konzertbesuche sind eine große Leidenschaft von Silvia.

Studium: spannend, aber auch anstrengend

Natürlich gibt es auch bei ihr Situationen außerhalb der ADHS, die den Diabetes durcheinanderbringen: zum Beispiel ihr stressiges Master-Studium der Verpackungstechnik in München, wo sie aktuell lebt. Dort lernt sie, Verpackungen zu designen, die ein Produkt möglichst gut schützen. Auch Werkstoffkunde gehört dazu. Grundlagen von Maschinenbau spielen ebenfalls eine Rolle. Wo sie, wenn sie im Lauf des Jahres ihren Abschluss in der Tasche hat, einmal arbeiten wird, weiß sie noch nicht. Möglichkeiten gibt es einige.

Und wenn sie doch mal Freizeit hat, reitet sie gern. „Und ich bin ziemlich viel draußen im Wald unterwegs zu Fuß. Auch ein bisschen Joggen, mit Freunden was unternehmen.“ Trotz ihrer Geselligkeit braucht sie auch ihre Ruhe. Und auf die Frage nach ihrem Wunsch in Bezug auf Diabetes und ADHS denkt Silvia ganz praktisch: „Eine automatische Handy-Erinnerung, sobald ich was esse.“


von Dr. Katrin Kraatz

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (1/2) Seite 56-58

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