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In der Diabetes-Community Blood Sugar Lounge hat sich Huda El Haj Said durch ihre DIAlog-Texte einen Namen gemacht, in denen sie mit ihrem Diabetes auf oft witzige, ungewöhnliche und erhellende Weise kommuniziert. Aber auch sonst hat sie viel zu sagen …
Huda, wie wurde bei Dir 2009 der Diabetes festgestellt?
Huda El Haj Said: Es gab die typischen Anzeichen: Ich habe unglaublich viel getrunken, bin ständig auf Toilette gegangen, habe viel Gewicht verloren. Natürlich wurden meine Eltern stutzig. Wir sind zum Hausarzt gegangen, der hat den Blutzucker gemessen. Der Wert lag bei 500 ml/dl (27,8 mmol/l), und ich kam direkt für zwei Wochen nach Hamburg ins Wilhelmstift. Und seitdem ist der Diabetes mit dabei.
Hast Du eine Pumpe bekommen?
Huda El Haj Said: Zwei, drei Jahre habe ich mit Pens gespritzt. Im Krankenhaus wurde gesagt, ich wäre zu alt für eine Pumpe; das würde die Krankenkasse nie genehmigen. Wir haben dann eine Praxis in Lüneburg gesucht, einfach auch, weil es näher dran ist. Meine Diabetesberaterin dort meinte, dass ich natürlich probieren kann, eine Pumpe zu bekommen. Nach einer Weile hat es geklappt; seit 2011 habe ich eine Pumpe, erst eine Accu-Chek Spirit Combo und seit mittlerweile drei Jahren die Patch-Pumpe Omnipod von Insulet.
Kannst Du Dich erinnern, wie Du auf die Diagnose reagiert hast?
Huda El Haj Said: Ich selbst kann mich nur noch bruchstückhaft erinnern. Nach dem, was mir meine Eltern erzählt haben, habe ich es in dem Moment einfach akzeptiert. Es gab keinen großen Wutanfall oder Tränen. Natürlich war ich am Anfang verwirrt, weil ich nicht wusste, was jetzt los ist. Aber die Schwestern im Krankenhaus waren alle nett, und ich habe mich gefreut, wenn ich gelobt wurde, weil ich etwas schnell verstanden habe oder schnell gut umsetzen konnte. Die Probleme kamen erst später, als ich älter wurde.
Was waren das für Probleme?
Huda El Haj Said: Es kam eine Phase, in der ich keine Lust auf die Diabetestherapie hatte. Ich hatte da zwar schon eine Pumpe und war auch glücklich damit, aber irgendwie hat es mich doch gestört, dass etwas an mir dranhing und mir ständig dieser blöde Diabetes in mein Leben funkte. Ich war 13 oder 14, als es damit anfing, dass ich nicht mehr so genau gespritzt, nicht mehr so genau gemessen habe. Dabei war das Messen das größere Problem. Und weil ich oft nicht wusste, wie mein Wert war, hatte ich auch keine Ahnung, wie ich richtig korrigieren musste. Und dann habe ich nicht mehr gemessen, aus Angst davor, wie hoch der Wert jetzt wahrscheinlich ist – das war wie eine Spirale, die sich immer weiter gedreht hat.
Natürlich hatten meine Eltern ein Auge auf mich und ich ging auch weiterhin zu meinem Diabetologen. Deshalb hat es nur ein paar Wochen gedauert, bis alles aufflog. Aber es hat lange gebraucht, bis ich nicht immer wieder einmal in dieses Muster zurückgefallen bin. Es ist nicht so, dass ich nur einmal in so einer Phase war, sondern über die Jahre war es immer wieder einmal so, dass es ein paar Wochen lang gut ging, ich dann meine Therapie aber auch sehr schnell wieder vernachlässigt habe und mich einfach nicht damit auseinandersetzen wollte. Mir war zu jedem Zeitpunkt klar, dass das nicht o.k. ist, aber auch heute kann ich mir nicht wirklich die Schuld dafür geben: Ich war ein Kind und musste plötzlich diese Riesen-Verantwortung mit mir herumschleppen, ohne die Möglichkeit, mal zu sagen: „Ich kann nicht mehr.“
Wie haben Deine Eltern reagiert?
Huda El Haj Said: Sie haben immer versucht, mein Verhalten zu verstehen und mich zu unterstützen, standen mir aber natürlich mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber. Ich wiederum hatte ihnen gegenüber Schuldgefühle. Für sie ist das Wichtigste, dass es mir so gut geht wie möglich und dass ich möglichst lange gesund bleibe. Es tat ihnen weh, zu sehen, dass ich mich nicht so um den Diabetes kümmere, wie ich es tun müsste. Ich wusste das, und das hat es für mich noch schwerer gemacht. Zu dem Druck durch den Diabetes war zusätzlich der Druck der Familie da, die man nicht enttäuschen möchte.
Zweimal war es dann auch so schlimm, dass ich im Krankenhaus war, weil der Blutzucker viel zu hoch war. Danach habe ich darauf geachtet, dass es nicht mehr so schlimm wird. Der erste große Umschwung kam, als ich 2017 das CGM-System bekam. Plötzlich konnte ich mich nicht mehr vor meinen Werten verstecken; ich war gezwungen, mich damit auseinanderzusetzen. Das hat mir geholfen, und es war für mich auch ein Ansporn, einen schönen Wert auf dem Display stehen zu haben. Das war der erste Schritt, und ich war mit 16 Jahren auch schon reflektierter. Die Werte waren nach wie vor nicht gut, aber nicht mehr ganz so katastrophal. Und ich hatte nicht mehr die Haltung „Ich will absolut nichts mit dem Diabetes zu tun haben“.
Das Ganze ist ein Prozess – und das ist mit die größte Erkenntnis, die ich aus den 11 Jahren gezogen habe. Es war einfach notwendig. Damit meine ich nicht die Art und Weise, wie das Ganze geschehen ist. Dass das nicht richtig lief und absolut nicht gesund, sondern gefährlich war, ist keine Frage und hätte sicherlich vermieden werden können. Aber das Rebellieren gegen den Diabetes ist eng damit verbunden, überhaupt richtig zu begreifen, was es eigentlich bedeutet, ein Leben lang mit Diabetes zu leben. Hätte ich diese Erkenntnis auch auf einfacheren Wegen erlangen können? Definitiv. Die Phase war anstrengend und schmerzhaft und hat die Beziehung in der Familie durchaus auf eine Probe gestellt. Es war keine schöne Zeit, natürlich nicht, und es ging mir auch nicht gut damit, meine Eltern anzulügen und vor ihnen zu verbergen, dass ich nicht gemessen und nicht gespritzt hatte.
Aber Tatsache ist: Diabetes ist nicht einfach. Und darum bin ich trotz allem froh, dass auch die schwierige Zeit mich zu dem Punkt gebracht hat, an dem ich jetzt tatsächlich sagen kann: Es ist o.k. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann immer mit ein bisschen Scham, aber ich kann es mir auch nach wie vor nicht übelnehmen. Wenn ich daran denke, denke ich an das kleine Mädchen, das sich in dem Moment einfach nur absolut überfordert gefühlt hat. Ich kann nicht wütend auf es sein, sondern möchte ihm sagen: „Es wird irgendwann wieder o.k. Aber jetzt musst du da durch, egal, wie schwer es ist.“
Wie der Diabetes ihre Persönlichkeit beeinflusst, was ihr das Schreiben bedeutet und warum schlechte Tage sie endlich nicht mehr so negativ beeinflussen, erfahrt Ihr im zweiten Teil des Interviews, der am 15. Oktober 2020 erscheint.
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