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Der Diabetes spielt auch im Arbeitsleben eine Rolle. Oft bewirkt der Druck, „alles richtig“ machen zu müssen, genau das Gegenteil. Fatal wird es, wenn der Diabetes neben den gesundheitlichen Problemen im Job zusätzliche Schwierigkeiten mitbringt. Rechtsanwalt Oliver Ebert schildert häufige Problemursachen im Arbeitsalltag und gibt Ihnen goldene Regeln dafür, wie man nicht in Fallen tappt.
Viele Diabetiker wissen keine so richtige Antwort, ob denn die Diabetes-Erkrankung vor Kollegen und dem Arbeitgeber geheim gehalten werden sollte. Aus Angst vor vermeintlichen Nachteilen verhalten sich manche Betroffene nämlich oft über Jahre hinweg möglichst unauffällig, verbergen Blutzuckermessungen bzw. verschweigen die Erkrankung beim Betriebsarzt.
Dies geht so weit, dass die Krankheit sogar dann hartnäckig geleugnet wird, wenn längst alle schon darüber Bescheid wissen. Meist kommt jedoch irgendwann einmal das böse Erwachen – nämlich dann, wenn eine unvorhergesehene Unterzuckerung eintritt und keiner der Kollegen auf die Situation vorbereitet ist oder sich nicht traut, dann die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.
Aus diesem Szenario ersehen Sie schon die einzig richtige Antwort: Selbstverständlich sollten Sie Ihre Erkrankung nicht komplett verheimlichen – zumindest nicht vor den engsten Kollegen. Informieren Sie diese sachlich über die Krankheit und die Notwendigkeit, zu spritzen, zu messen und ggf. bei Hypoglykämie zu essen.
Denn diese müssen im Ernstfall mit der Situation auch umgehen können: Erläutern Sie daher ausführlich die Symptome einer beginnenden oder eingetretenen Unterzuckerung – wie Zittern, fahriges Auftreten, blasse Hautfarbe, unkontrolliertes Schwitzen, stockender Rede- und Reaktionsfluss, Stimmungsschwankungen. Und erklären Sie den Kollegen, was in einer solchen Situation zu tun ist.
Gleichzeitig ist es wichtig, dass Sie den Kollegen die Angst nehmen; denken Sie daran, dass oftmals falsche Vorstellungen über Diabetiker herrschen! Verzichten Sie daher auf dramatische Schilderungen und Ausschmückungen – denn Sie tun sich selbst keinen Gefallen, wenn Sie den Kollegen Angst machen.
Selbstverständlich sollten Sie alles tun, um eine Notfallhilfe durch Kollegen gar nicht erst erforderlich zu machen: Am Arbeitsplatz sollten unbedingt ausreichend Kohlenhydrate sowie ein Glukagon-Notfallset und ausreichend Traubenzucker griffbereit sein; ein Hinweisblatt mit Erläuterungen für den Notfall, wie auf vielen “Diabetiker-Notfallausweisen” enthalten, ist auch empfehlenswert.
In manchen Fällen sollte auch der Arbeitgeber über die Krankheit informiert werden, vor allem wenn es Probleme bei der Arbeitszeitgestaltung oder den Mahlzeiten gibt. Aber das sollte der Ausnahmefall sein – zum Beispiel wenn damit zu rechnen ist, dass dieser es ohnehin mitbekommt (in Kleinbetrieben etc.). Soweit möglich, sollten Sie aber unbedingt die ersten sechs Monate beziehungsweise eine Probezeit abwarten.
Manche Diabetiker fragen besorgt, ob sie denn während der Arbeitszeit ihre Blutzuckermessung durchführen bzw. Insulininjektionen vornehmen dürfen. Meines Erachtens wird kaum ein Arbeitgeber etwas dagegen haben, dass Sie in regelmäßigen Abständen Ihren Blutzucker bestimmen und so auch Ihre Arbeitsfähigkeit sicherstellen und aufrechterhalten. Genauso wie das Spritzen von Insulin ist dies regelmäßig, quasi nebenher, in wenigen Sekunden erledigt und dürfte den Arbeitsfluss kaum beeinträchtigen. Auf keinen Fall darf Ihnen der Arbeitgeber die Messung bzw. Insulininjektion verbieten; allerdings haben Sie auch kein Recht auf zusätzliche Pausen.
Auch ist es sehr wichtig, mit den Kollegen offen über etwaige Einschränkungen zu sprechen. Probleme am Arbeitsplatz entstehen oftmals durch unausgesprochene Konflikte, die sich hochschaukeln. Es kommt dann nicht selten zu Mobbing und einem sehr unguten Klima im Betrieb. Diabetiker haben ein Recht darauf, dass man auf die mit der Krankheit verbundenen Einschränkungen Rücksicht nimmt. Umgekehrt ist der Diabetes kein Freibrief, gegenüber Kollegen jede Rücksichtnahme vermissen zu lassen:
Wenn sich Kollegen durch den Anblick von Blut oder einer Kanüle belästigt fühlen und sich hier keine Lösung im Gespräch finden lässt, so sollten Sie Rücksicht nehmen und sich hierzu eben etwas zurückziehen. Zu diesem Problem gibt es bislang meines Wissens kein Gerichtsurteil, was daran liegen mag, dass dies in der Praxis eher kein unlösbares Problem darstellt. Im schlimmsten Fall können hierzu ja auch Rauch- oder Toilettenpausen genutzt werden.
Auch wenn man bestimmte Tätigkeiten nicht mehr machen kann und Kollegen diese dann übernehmen müssen, sollte man kein böses Blut entstehen lassen. Denn man sieht Ihnen den Diabetes ja nicht an – wer nichts äußerlich Erkennbares hat, aber als Schwerbehinderter keine Überstunden machen muss, gilt im Kollegenkreis recht schnell als Drückeberger.
In manchen Betrieben ist vorgesehen und durch Betriebsvereinbarung geregelt, dass die Arbeitnehmer an der Gemeinschaftsverpflegung in der werkseigenen Kantine teilzunehmen haben. Auch wenn dort Mahlzeiten diabetikergerecht angeboten werden – hierunter verstehe ich die Angabe der enthaltenen Kohlenhydrate und Inhaltsstoffe –, kann man Sie nicht zwingen, in der Kantine zu essen.
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist zwar möglich, jedoch an recht hohe Voraussetzungen geknüpft; insbesondere ist eine “negative Zukunftsprognose” erforderlich. Das bedeutet, dass aus Fehlzeiten in der Vergangenheit und dem Gesundheitszustand die Prognose abgeleitet werden können muss, dass auch in Zukunft mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen ist und hiermit eine erhebliche Störung des Betriebsablaufs verbunden ist. Schließlich muss eine Interessenabwägung auch ergeben, dass die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen.
Insgesamt kann man also Entwarnung geben: Die Schwelle für eine krankheitsbedingte Kündigung ist recht hoch; die Diabetes-Erkrankung allein ist daher erst recht kein ausreichender Kündigungsgrund.
Viele Kündigungen halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand – oftmals werden nämlich die vom Gesetzgeber oder von der Rechtsprechung geforderten Kriterien und Voraussetzungen nicht erfüllt. Die möglichen Kündigungsgründe werden herkömmlich unterteilt in
und bringen jeweils unterschiedliche Voraussetzungen mit sich.
Bei einer verhaltensbezogenen Kündigung liegt ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers vor, welches dieser trotz wiederholter Aufforderung nicht abgestellt hat. Beispiele hierfür sind permanente Verspätungen oder Arbeitsverweigerung. Eine Kündigung ist dann aber regelmäßig nur zulässig, wenn zuvor eine Abmahnung durch den Arbeitgeber erfolgt ist, d. h.dem Arbeitnehmer das Fehlverhalten vorgehalten und für weitere Verstöße die Kündigung angedroht wurde.
Eine personenbezogene Kündigung beruht auf Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen; häufigster Fall hierfür ist die Langzeiterkrankung, welche zu einer erheblichen Störung des Betriebes führen muss.
Schließlich kann auch aus betriebsbezogenen Gründen gekündigt werden, beispielsweise dann, wenn Entlassungen erforderlich sind, um die (Fort-)Existenz des Betriebes sicherzustellen. Hierzu muss der Arbeitgeber aber nachweisen, dass er eine hinreichende Sozialauswahl getroffen hat, d. h. er bei Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer deren soziale Verpflichtungen (Kinder, Familie), körperliche Benachteiligungen (Schwerbehinderung) oder auch Faktoren wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit hinreichend berücksichtigt hat.
Der gesetzliche Kündigungsschutz gilt allerdings nur für Betriebe mit mehr als 10 Mitarbeitern. Arbeitnehmer solcher Betriebe können innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage erheben, um die Unzulässigkeit bzw. Unwirksamkeit der Kündigung feststellen zu lassen. In kleineren Betrieben gibt es keinen gesetzlichen Kündigungsschutz: der Arbeitgeber kann dort ohne Grund innerhalb der gesetzlichen bzw. (tarif-)vertraglichen Fristen kündigen.
In vielen Fällen wird Arbeitnehmern angeboten, das Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung, sondern einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag zu beenden; meist ist dies mit dem Angebot einer Einmalzahlung verbunden: Solche Aufhebungsverträge sollten Sie jedoch niemals unterzeichnen, ohne zuvor gründlich über die Offerte nachgedacht und fachkundigen – am besten anwaltlichen – Rat eingeholt zu haben. Auch wenn die angebotene Einmalzahlung recht hoch erscheint – mitunter relativiert sich dieser Betrag recht schnell.
Zum einen sollen hiermit regelmäßig alle noch bestehenden Ansprüche gegen den Arbeitgeber abgegolten werden, z. B. Lohnzahlungen oder Ausgleich von Resturlaub. Zum anderen ist zu bedenken, dass man durch die einvernehmliche Beendigung eine nachfolgende Arbeitslosigkeit quasi selbst verschuldet und dadurch regelmäßig mit einer dreimonatigen Sperre der Arbeitslosenunterstützung zu rechnen ist. Schließlich muss die Abfindungssumme auch versteuert werden, so dass unterm Strich oft recht wenig von der ursprünglichen Summe verbleibt.
Beim Umgang mit dem Diabetes am Arbeitsplatz sollten Sie folgende “goldene” Regeln beherzigen:
Diabetiker sind grundsätzlich genauso leistungsfähig wie gesunde Menschen – Sie sollten daher durch Ihr Verhalten am Arbeitsplatz kein anderes Bild abgeben: Gehen Sie sachlich mit der Krankheit um, und vermeiden Sie übertriebene Schilderungen von Unterzuckerungssituationen. Zeigen Sie, dass Vorurteile oder Vorbehalte gegenüber Diabetikern meistens schlichtweg unzutreffend sind.
Ursachen für Probleme am Arbeitsplatz sind oftmals über längere Zeit aufgebaute Aggressionen und Neidgefühle. Absolut fatal ist es, sich unter Hinweis auf die Diabetes-Erkrankung vor unangenehmen Arbeiten, Überstunden oder Terminen zu drücken: Bedenken Sie, dass diese Arbeit dann ja von irgendjemandem aus dem Kollegenkreis zusätzlich übernommen werden muss – und hiervon wird auf Dauer niemand begeistert sein. Denn selbst wenn Sie am Anfang noch auf Verständnis und Toleranz stoßen mögen: Nach einiger Zeit wandelt sich das oft in Neid und Missgunst und führt nicht selten zur schleichenden Ausgrenzung. Die Tätigkeiten, die Sie machen können, sollten Sie daher auch ordnungsgemäß erledigen, auch wenn es mitunter unangenehm ist oder schwerfällt!
Viele Diabetiker erwarten Rücksichtnahme und Toleranz von ihrer Umwelt, zeigen jedoch oftmals selbst recht wenig Einfühlungsvermögen gegenüber Dritten im Umgang mit ihrer Krankheit. Wenn am Arbeitsplatz eine Kollegin beispielsweise kein Blut sehen kann, dann gebietet es einfach die Höflichkeit, die Messung entweder diskret oder zumindest nicht vor deren Augen durchzuführen. Gebrauchte Messstreifen, Kanülen oder Spritzen sollten umgehend entsorgt werden und nicht offen am Arbeitsplatz herumliegen.
Auch scheinen leider viele Diabetiker unter einem Drang zu leiden, die Krankheit in übertriebener Form zur Schau stellen zu müssen: Es zeugt von selbstbewusstem Umgang mit der Krankheit, wenn man sich am Mittagstisch das Hemd öffnet und vor allen Leuten das Insulin spritzt – viele Menschen werden ein solches Verhalten aber in erster Linie als unhöflich und als Ausdruck schlechten Benehmens sehen. Man braucht sich seiner Krankheit nicht zu schämen und sollte damit auch nicht sprichwörtlich in den Keller gehen – ich denke aber auch nicht, dass man die Mitmenschen damit über Gebühr belästigen sollte.
Die Diabetes-Erkrankung sollte insgesamt auch keinen zu hohen Stellenwert in Ihrem Arbeitsleben einnehmen. Am Arbeitsplatz sollte logischerweise Ihre Tätigkeit und nicht Ihre Erkrankung im Vordergrund stehen.
Vermeiden Sie es daher, überall und jedem von Ihrem Diabetes zu erzählen. Ich habe schon viele Menschen getroffen, die mir, ohne mich überhaupt zu kennen, umgehend und ohne konkreten Anlass erzählten, dass sie Diabetiker seien. Hier sollte man doch etwas zurückhaltender sein.
Denken Sie auch immer daran: Wenn Arbeitgeber und Kollegen mit Ihrer Person zuerst die Krankheit Diabetes verbinden (müssen) und erst in zweiter Linie sich auch an Ihre Leistung(en) erinnern, dann läuft etwas verkehrt.
Manche Aufgaben lassen sich möglicherweise mit den vorhandenen Arbeitsmitteln und innerhalb der vorgegebenen Zeit nicht erledigen, ohne dass dies mit Ihrem Diabetes zu tun hat. Mitunter werden Sie auch mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben, die nicht in Zusammenhang mit Ihrer Diabetes-Erkrankung stehen. Nennen Sie dann das Kind beim Namen – es sollte in diesen Fällen nicht das Gerücht kursieren, dass Ihr Diabetes hieran schuld sei.
Wehren Sie sich auch, wenn man Ihnen unter falscher Rücksichtnahme auf Ihren Diabetes manche Aufgaben nicht zutraut oder Sie deshalb von bestimmten Tätigkeiten fernhält.
von RA Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte, Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart
sowie Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de
,
Internet: www.diabetes-und-recht.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (6) Seite 47-51
5 Minuten
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