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Streit über das Gesunde-Herz-Gesetz war sicher kein Grund für den Bruch der Ampel-Koalition, es gab sogar einen Kabinettsbeschluss. Unter den Akteuren des Gesundheitswesens war das Vorhaben im Detail aber durchaus umstritten. Was bleibt von der Idee über?
Der Tag, an dem das Gesunde-Herz-Gesetz (GHG) zur ersten Lesung im Bundestag aufgerufen wurde, wird wohl lange im politischen Gedächtnis Deutschlands bleiben – nicht wegen der Debatte zu dem Gesetzesvorschlag am 6. November, sondern weil kurz danach an diesem Abend die Ampelkoalition mit einem Knall zerbrochen ist. Die Zukunft des GHG und der anderen gesundheitspolitischen Projekte der bisherigen Bundesregierung, von der Krankenhausreform bis zum Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel, ist damit ungewiss.
Ein gesundes Herz per Gesetz: Wenn es so einfach wäre, hätte wohl nicht erst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein solches Vorhaben in den Bundestag gebracht. Auf das „Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit“ hatte sich die Ampelkoalition Ende August tatsächlich noch mit einem gemeinsamen Kabinettsbeschluss geeinigt.
Mehr Kosten und kaum Nutzen, urteilte Dietrich Monstadt, Berichterstatter für Diabetes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in der Debatte über den Entwurf. „Das GHG ist nicht nur realitätsfern, sondern bindet auch immense Mittel, die besser in bewährte Präventionsmaßnahmen investiert wären“, warnte er. Monstadt kritisierte auch explizit, dass die vor über vier Jahren verabschiedete Nationale Diabetes-Strategie bis heute nicht umgesetzt wurde.
In einem Änderungsantrag zum GHG kritisierte die Unions-Fraktion einen „Trend hin zu einer stärkeren Medikalisierung“ und plädierte für mehr Primärprävention. Und sie nahm einige Forderungen der Diabetologie auf: Die Bundesregierung solle sich mit den Ländern dafür einsetzen, Schulgesundheitsfachkräfte zu etablieren und verpflichtende Einheiten zur Gesundheitsbildung in Schulen einzuführen, die gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung in den Lehrplan integrieren.
Johannes Wagner sprach in der Debatte für Bündnis 90/Die Grünen vom GHG als „guten Anfang“. Es seien aber alle Säulen der Prävention wichtig, neben Früherkennung und Nachsorge auch die Vermeidung kardiovaskulärer Krankheiten, auch durch gesunde Lebensumstände und eine Umgebung, die Kinder schützt und Bewegung fördert. Hier habe sich, trotz des Einsatzes von Monstadt, auch die Union eher als Blockierer gezeigt, monierte er.
Für das nun wohl ausfallende parlamentarische Verfahren hatte er ein klares Ziel ausgegeben: „Mittel der Krankenkassen, die bisher dafür eingesetzt werden, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken und ihre Lebensumstände gesünder zu machen, müssen auch in Zukunft umfänglich hierfür zur Verfügung stehen. Alles andere würde die Prävention in Deutschland auch langfristig in falsche Bahnen lenken.“
Die Nationale Herz-Allianz gehörte zu den Unterstützern des Gesundes-Herz-Gesetzes, auch sie nannte es einen „guten Anfang“. Es solle aber in eine gezielte nationale Herz-Kreislauf-Gesundheitsstrategie münden, plädierte das Bündnis aller großen herzmedizinischen Fachgesellschaften Deutschlands und der Deutschen Herzstiftung als Patientenvertretung für Verbesserungen.
Diese sollte Verhältnis- und Verhaltensprävention, Beginn der Lebensstil-Modifikation im Kindesalter, Anerkennung genetischer Ursachen und der Nikotinsucht als Krankheit und vor allem auch Maßnahmen zur Steigerung der Laien-Reanimation adressieren, erklärt die Allianz. Allein durch Letzteres wären rund 10 000 Menschenleben pro Jahr zusätzlich zu retten, betont sie.
Explizit forderte die Nationale Herz-Allianz, dass die bisherigen Leistungen der Krankenversicherungen zur Verhaltensprävention nach § 20 Absatz 5 SGB V nicht zugunsten des GHG umgeschichtet werden dürfen. Insbesondere die qualitätsgeprüften Bewegungsangebote müssten erhalten bleiben, so die Herzexperten.
Als emotionales Argument gegen das „Gesunde-Herz-Gesetz“ wurde gern die angeblich geplante medikamentöse Therapie zur Cholesterin-Senkung auch bei Kindern ins Feld geführt. Der Entwurf sah einen gesetzlichen Anspruch auf erweiterte Leistungen zur Früherkennung einer Fettstoffwechsel-Erkrankung im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche vor.
Ziel war, insbesondere die familiäre Hypercholesterinämie (FH) frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Dabei handelt es sich um eine gar nicht so seltene angeborene Störung des Fettstoffwechsels, die bereits im Kindesalter zu einer ausgeprägten Erhöhung des LDL-Cholesterins und damit erhöhtem Herzinfarkt-Risiko schon in jüngeren Jahren führt.
Es gibt zwei Formen der familiären Hypercholesterinämie: Die heterozygote (nur ein Elternteil hat die Veranlagung vererbt) führt unbehandelt zu LDL-Cholesterin-Werten zwischen 200 und 450 mg/dl (statt 100 mg/dl bei Gesunden) und tritt bei 1 von 250 Menschen auf. Die homozygote (von beiden Elternteilen vererbt) führt zu noch drastischeren Erhöhungen des LDL-Cholesterins bis 1000 mg/dl und tritt bei 1 von 1 Million Menschen auf.
Um die Therapie auf die Kinder mit dem höchsten Risiko zu fokussieren, sollte laut Gesetzentwurf bei hohen Cholesterinwerten in der geplanten U-Untersuchung eine genetische Diagnose der FH folgen. Es sei nicht geplant, eine Statin-Therapie bei Kindern ohne genetisch determinierte FH zu initiieren, strich die nationale Herz-Allianz klar heraus.
Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische und adoleszente Endokrinologie und Diabetologie (DGPAED) hatte die Aufnahme eines FH-Screenings in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf sehr begrüßt und empfohlen, es an die U9 anzugliedern. Bei erkannten Patienten sei dann tatsächlich der frühzeitige Einsatz von Statinen, aber auch anderen medikamentösen Cholesterinsenkern erforderlich.
Ob es nun noch zu einem Herz-Gesetz kommt, ist zweifelhaft. Als noch vor der Bundestagsdebatte ein SPD-Landesminister überlegt hatte, das Gesetz in die kommende Legislatur zu verschieben, stieß er auf Ablehnung. Eine Parteikollegin befürchtete laut Medienberichten, ein solcher Stopp könnte eine „mehrjährige Verschiebung“ des wichtigen Themas zur Folge haben. Ob das stimmt, wird man nun sehen müssen.
von Marcus Sefrin
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (12) Seite 48-49
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