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Die Diagnose Diabetes greift auf vielfältige Weise in das Leben ein. Die Krankheit bringt nicht nur aufgrund der medizinischen bzw. körperlichen Auswirkungen ziemliche Einschnitte. Auch im Alltag und Berufsleben kann der Diabetes erhebliche Auswirkungen auf die Betroffenen haben.
Die Wahrnehmung von Menschen mit Diabetes im Berufsleben hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Früher galten Menschen mit Diabetes für viele Berufe und Tätigkeiten als ungeeignet. Heute gibt es nur noch in wenigen Ausnahmefällen berufliche Einschränkungen aufgrund von Diabetes, denn bei den arbeitsmedizinischen Tauglichkeits-Untersuchungen wird inzwischen eine risikobasierte Bewertung vorgenommen.
Vorbehalte oder Einschränkungen wegen eines Diabetes sind daher nur selten ausreichend begründbar. Daher berichten Menschen mit Diabetes immer seltener, dass ihre Bewerbungen aufgrund ihrer Erkrankung erfolglos blieben, obwohl sie alle anderen Voraussetzungen für den gewünschten Arbeitsplatz erfüllten. Selbst für eine Verbeamtung stellt die Erkrankung mittlerweile kein grundsätzliches Hindernis mehr dar.
Dies unterstreicht den umfassenden Wandel in der beruflichen Integration von Menschen mit Diabetes: Durch neue Möglichkeiten wie kontinuierliches Glukose-Messen (CGM), Insulinpumpen und Systeme zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID) sowie moderne Insuline lassen sich die mit dem Diabetes verbundenen Risiken in der Regel auf ein akzeptables Maß senken. Dann gibt es eigentlich keinen Grund mehr, warum man den jeweiligen Beruf nicht ausüben können soll.
Allerdings ist noch nicht alles perfekt, besonders bei Berufen, für die es behördliche Tauglichkeits-Vorgaben gibt, z.B. für Polizei, Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. Diese Vorgaben können nach wie vor diskriminieren – obwohl sich in medizinischer und diagnostischer Hinsicht enorm viel getan hat.
So hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 21.12.2021 – 1B1152/21 festgestellt, dass mit dem Erfordernis der Polizeidienstfähigkeit sichergestellt werden soll, „dass der betreffende Beamte den körperlichen Anforderungen, die der Polizeivollzugsdienst stellt, gerecht werden kann“. Wenn nicht gewährleistet ist, dass man in jeder Situation in der Lage ist, einer Unterzuckerung (Hypoglykämie) durch geeignete Maßnahmen zu begegnen, sei von keiner Tauglichkeit für den Polizeivollzugsdienst auszugehen.
Denn auch bei guter Blutzuckereinstellung bestehe „die Gefahr von Hypoglykämien, gerade auch bei Diensten mit hohem körperlichem Einsatz“. Es bestünde daher das Risiko, dass der betroffene Polizist in einer Gefahrensituation „nicht mehr im erforderlichen Maß handlungsfähig“ ist. Dies könne auch Kollegen in Gefahr bringen, die womöglich auf die körperliche Unterstützung des betroffenen Polizisten angewiesen sind.
„Sie haben Diabetes, man kann Sie jetzt zu nichts mehr gebrauchen – am besten geben Sie sich gleich die Kugel.“ Das sagte eine Truppenärztin zu mir, als ich meinen frisch aufgetretenen Typ-1-Diabetes mitteilte – meine weitere Offizierslaufbahn hatte ein jähes Ende. Dass mich der Diabetes in Studium, Alltag und Sport – wie auch in der konkreten Verwendung als Führungsoffizier – nicht wirklich beeinträchtigte, spielte keine Rolle. Zwar ist das jetzt schon einige Jahre her – die diskriminierenden Tauglichkeits-Vorschriften bestehen aber noch immer.
Erst unlängst war in den Medien zu lesen, dass eine Frau mit Diabetes beim Zoll den Dienst an der Waffe antreten durfte. Es ist meines Erachtens auch nicht unwahrscheinlich, dass die der obigen Gerichtsentscheidung von Ende 2021 zugrundeliegende ärztliche Einschätzung bald überholt sein wird, denn die Diabetes-Technologie wird immer besser und zuverlässiger.
Nicht berücksichtigt hat diese Rechtsprechung bislang auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Glor./Schweiz, AZ 13444/04 vom 30.04.2009). Dieser hatte die Schweiz verurteilt, weil auch dort Menschen mit Diabetes pauschal als wehruntauglich angesehen wurden, was als unzulässige Diskriminierung angesehen wurde.
Aufgrund veralteter Vorschriftenlage ist es Piloten mit insulinpflichtigem Diabetes in Deutschland (und den meisten Nachbarländern) noch immer pauschal nicht erlaubt, Flugzeuge für den kommerziellen Betrieb zu steuern.
Allerdings gibt es Bestrebungen, dies zu ändern: Großbritannien war 2012 Vorreiter, als man insulinpflichtigen Piloten mit Typ-1-Diabetes erstmals erlaubte, kommerzielle Passagierflugzeuge unter Einhaltung bestimmter Auflagen zu steuern. Irland und Österreich folgten dem britischen Beispiel und implementierten ähnliche Regelungen für Piloten mit Diabetes.
Diese Entwicklungen zeigen, dass mit entsprechenden Maßnahmen und moderner Technologie ein sicherer Flugbetrieb auch für Piloten mit Diabetes grundsätzlich möglich ist.
Erfreulicherweise hat sich auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Diabetes in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Die Erkrankung und ein offener Umgang damit werden zunehmend als normal angesehen. Nicht zuletzt aufgrund der Öffentlichkeitsarbeit von Verbänden, einer umfassend zu beobachtenden Thematisierung in Fernseh-, Rundfunk- und Printwerbung sowie Prominenten und Bloggern als Testimonials ist in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, dass Menschen mit Diabetes kaum weniger leistungsfähig sind als Menschen ohne Diabetes.
Auch Prominente gehen zunehmend offen mit ihrem Diabetes um. Ein Beispiel hierfür ist die ehemalige britische Premierministerin Theresa May: Während ihrer Regierungszeit ging sie offen mit der Krankheit um und nutzte ihre Stellung, um auf den Diabetes aufmerksam zu machen. So sagte sie in einem Interview: „(…) being a diabetic doesn’t stop you from doing anything.“ – Diabetes hindert niemanden daran, alles zu machen. Bekannt wurde ein Foto, auf dem der Glukose-Sensor der Premierministerin deutlich sichtbar ist – allein dieses Bild dürfte viel zum Abbau von Stigmatisierung beigetragen haben.
Dass trotz Diabetes auch sportliche Höchstleistungen möglich sind, zeigten zahlreiche Sportler in der Vergangenheit. Aktuell steht der Tennis-Star Alexander Zverev im Rampenlicht. Trotz anfänglicher Prognosen, dass Leistungssport mit Diabetes nicht möglich sei, schaffte Zverev es an die Weltspitze. In einem Interview erklärte er: „Die Krankheit selbst in die Hand zu nehmen und der eigene Experte zu werden, ist der beste Ratschlag, den ich geben kann.“
Neben Alexander Zverev gibt es zahlreiche Prominente, die offen mit ihrem Diabetes umgehen und damit ein wichtiges Zeichen setzen, beispielsweise die Schauspieler Tom Hanks und Halle Berry oder Gewichtheber Matthias Steiner.
Sprüche wie „Dick, dumm, Diabetes“ sind heute kaum mehr zu hören. Trotzdem sehen sich Menschen mit Diabetes im Alltag manchmal aber noch immer mit negativen Reaktionen und Vorurteilen konfrontiert, die zu Stigmatisierung und psychischer Belastung führen können. Dies liegt daran, dass in der Bevölkerung noch immer zu wenig Wissen über die Erkrankung und ihre Risikofaktoren besteht.
Besonders in Situationen, in denen man den Diabetes sichtbar managen muss, treten manchmal Probleme auf. So ist das Spritzen von Insulin oder das Zeigen des Sensors bzw. der Insulinpumpe in der Öffentlichkeit für manche noch immer ein heikles Thema. Nicht selten kommt es zu missbilligenden Blicken, wenn in der Öffentlichkeit Insulin gespritzt wird oder im Kino die Insulinpumpe alarmiert. Betroffene wurden irrtümlich auch schon für Drogensüchtige gehalten.
Solche Erfahrungen können dazu führen, dass aus Scham notwendige Insulin-Injektionen hinausgezögert oder ausgelassen werden, was aber zulasten der Gesundheit geht. Auch bei gemeinsamen Mahlzeiten oder Feiern entsteht manchmal Unverständnis, wenn man aufgrund der Glukosewerte bestimmte Speisen oder Getränke ablehnt oder nicht alle Aktivitäten mitmachen kann.
Gemäß §2 Absatz 12 Straßenverkehrsgesetz (StVG) muss die Polizei „Informationen über Tatsachen, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, den Fahrerlaubnisbehörden“ übermitteln.
Dies bedeutet: Wenn der Diabetes in einer Polizeikontrolle auffällt – beispielsweise durch Diabetes-Utensilien im Fahrerraum, sichtbaren Sensor oder sichtbare Insulinpumpe oder Tattoo mit Diabetes-Bezug, kann es passieren, dass die Führerscheinbehörde darüber informiert wird. Im schlimmsten Fall hat dies zur Folge, dass man regelmäßig teure Gutachten bringen muss, um die Fahreignung nachzuweisen – auch wenn nichts passiert ist und man sich korrekt verhalten hat.
Allerdings ist dies keine Diskriminierung, denn diese Vorschriften dienen dem Schutz der Allgemeinheit. Zum besseren Verständnis: Ein blinder Mensch darf nicht Auto fahren. Er wird dadurch zwar gegenüber sehenden Menschen benachteiligt, diese Ungleichbehandlung hat aber einen triftigen sachlichen Grund.
Dennoch gibt es noch immer zahlreiche Formen der Diskriminierung.
Manche falschen Vorstellungen sind noch immer nicht aus der Welt, z.B. dass Diabetes ansteckend sei oder alle Diabetestypen gleich seien. Vor allem übergewichtige Menschen müssen häufig mit Vorurteilen kämpfen. Oft macht man Betroffene für ihre Erkrankung selbst verantwortlich. Anders als früher werden solche Vorurteile zwar meist nicht mehr offen ausgesprochen, aber sie sind weiterhin vorhanden.
Es ist daher wichtig, durch weitere Aufklärung und Sensibilisierung in der Öffentlichkeit ein besseres Verständnis für die Erkrankung zu schaffen. Nur so werden Vorurteile abgebaut und ein unterstützendes Umfeld geschaffen, in dem Menschen mit Diabetes offen und ohne Scham mit ihrer Erkrankung umgehen können.
von Rechtsanwanlt Oliver Ebert
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (12) Seite 11-13
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