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Arbeitnehmer mit Schwerbehindertenausweis genießen einen höheren Kündigungsschutz. Das bedeutet: Es kann nur dann wirksam gekündigt werden, wenn der Arbeitgeber zuvor die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt hat. Dieser erhöhte Kündigungsschutz kann aber auch für Menschen gelten, die weniger stark behindert sind. Unter welchen Voraussetzungen ist eine solche Gleichstellung mit Schwerbehinderten möglich?
Behinderte Menschen, die über einen Schwerbehindertenausweis verfügen, können zahlreiche staatliche Unterstützungsmaßnahmen erhalten, die als Nachteilsausgleiche bezeichnet werden. Neben der Möglichkeit, vorzeitig Altersrente zu beziehen und zusätzliche Steuerfreibeträge in Anspruch zu nehmen, ergibt sich durch eine amtlich festgestellte Schwerbehinderung vor allem auch ein erhöhter Kündigungsschutz.
Schwerbehinderten Arbeitnehmern kann nämlich nur gekündigt werden, wenn der Arbeitgeber zuvor das zuständige Integrationsamt informiert und dessen Zustimmung eingeholt hat. Ohne die Zustimmung des Amtes ist die Kündigung immer unwirksam. Wichtig: Dieser erhöhte Kündigungsschutz hängt nicht von der Betriebsgröße ab und gilt daher auch in Kleinstbetrieben.
Allein aufgrund des Diabetes wird zwischenzeitlich immer seltener eine Schwerbehinderung anerkannt; oftmals stellen die Ämter lediglich einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 bzw. 40 fest. Ein GdB unter 50 reicht jedoch nicht aus, um die mit einer Schwerbehinderung verbundenen Nachteilsausgleiche beanspruchen zu können.
Dennoch kann auch ein niedrigerer Behinderungsgrad Vorteile bringen: Behinderte, die einen GdB von mindestens 30 erreichen, können gemäß § 2, Abs. 3 SGB IX nämlich auf Antrag mit Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Durch diese Gleichstellung mit Schwerbehinderten genießen Menschen mit niedrigerem GdB grundsätzlich denselben Kündigungsschutz wie jemand, der als schwerbehindert anerkannt ist.
Weiterhin können durch die Gleichstellung folgende Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen werden:
Anders als bei Schwerbehinderten gibt es allerdings keinen Anspruch auf Zusatzurlaub.
Ein Antrag auf Gleichstellung setzt voraus, dass ohne Gleichstellung eine (Weiter-)Beschäftigung auf einem geeigneten Arbeitsplatz nicht möglich ist. Maßgeblich hierfür ist die mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der Behinderung.
Keine Rolle spielen dagegen Umstände, die mit der Behinderung nichts zu tun haben und auch alle übrigen Arbeitnehmer betreffen – allgemeine betriebliche Veränderungen, mangelnde Qualifikation oder eine schlechte Konjunkturlage reichen nicht aus, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu erhalten.
Wer bereits einen Arbeitsplatz hat, der Job aber aufgrund der Behinderung gefährdet ist, kann ebenfalls eine Gleichstellung beantragen. Dies setzt aber voraus, dass eine konkrete – und nicht nur befürchtete – Gefährdung des Arbeitsplatzes besteht. Diese Gefährdung muss auch tatsächlich auf die vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zurückzuführen sein.
Sie kommt also beispielsweise nicht in Betracht, wenn eine Kündigung aus anderen Gründen droht, die nichts mit der Behinderung zu tun haben (z. B. Fehlverhalten, allgemeiner Stellenabbau). Auch bei allgemeinen betriebsbedingten Kündigungen – z. B.wenn ganze Abteilungen oder Betriebe geschlossen werden – spielt die Behinderung in der Regel keine Rolle.
Auch bei Beamtenbewerbern kann ein Antrag auf Gleichstellung sinnvoll sein: Im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung wird geprüft, ob jemand, der sich für eine Beamtenlaufbahn bewirbt, seinen Dienst bis zum Erreichen der Pensionsgrenze erfüllen kann. Bei Menschen, die schwerbehindert oder gleichgestellt sind, werden in manchen Bundesländern lediglich die nächsten fünf Jahre berücksichtigt, in manchen Bundesländern wird sogar nur der aktuelle Zustand bewertet.
Wenn also aufgrund des Gesundheitszustands (z. B. wegen schon bestehender Folgeschäden) die Gefahr besteht, dass der Bewerber als nicht hinreichend dienstfähig angesehen wird, kann ein Antrag auf Gleichstellung auch bei Beamtenbewerbern zulässig und begründet sein (LSG Hessen, Urteil vom 19.6.2013, Az. L 6 AL 116/12).
Es gibt Kriterien, die darauf hindeuten können, dass Ihr Arbeitsplatz aufgrund der Behinderung gefährdet ist. Seien Sie wachsam,
Um mit Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden, müssen Menschen mit einem geringeren Grad der Behinderung bei der zuständigen Arbeitsagentur einen entsprechenden Antrag stellen. Die Arbeitsagentur prüft, ob die Voraussetzungen vorliegen und erteilt dann einen Bescheid, mit dem die Gleichstellung festgestellt oder abgelehnt wird.
Wird die Gleichstellung abgelehnt, ist ein Widerspruch möglich; wird auch diesem nicht entsprochen, können Betroffene Klage vor dem Sozialgericht erheben.
Eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten führt also dazu, dass auch Menschen mit weniger schweren Behinderungen (ab einem GdB von 30) Anspruch haben auf den erhöhten Kündigungsschutz für Schwerbehinderte. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber vor einer Kündigung immer die Zustimmung der Integrationsbehörde einzuholen hat.
Wird dies versäumt, so ist die Kündigung grundsätzlich unwirksam. Durch einen Gleichstellungsbescheid wird also auch der Arbeitgeber in seinen Rechten betroffen, da er dem betreffenden Arbeitnehmer ja nun nicht mehr ohne Zustimmung kündigen kann.
Damit das Integrationsamt nachprüfen kann, ob die behauptete Gefährdung des Arbeitsplatzes tatsächlich vorliegt, wird der Arbeitgeber daher zu dem Antrag angehört und kann Stellung nehmen. Er hat aber im Verfahren selbst keine weiteren Rechte; insbesondere kann er sich nicht dagegen wehren, wenn nach seiner Auffassung zu Unrecht eine Gleichstellung festgestellt wird. Und selbstverständlich braucht man auch nicht die Zustimmung des Arbeitgebers, um einen Gleichstellungsantrag zu stellen.
Wichtig: Anders als bei einem Antrag auf Feststellung einer Behinderung (beim Versorgungsamt) erfährt der Arbeitgeber also von einem Gleichstellungsantrag.
Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX wird die Gleichstellung rückwirkend mit Datum der Antragstellung wirksam. Der damit verbundene Sonderkündigungsschutz entfällt aber, wenn der Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde (BAG, Urteil vom 1. März 2007, Az. 2 AZR 217/06).
Im Klartext: Kündigungsschutz gibt es nur dann, wenn der Antrag auf Gleichstellung mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde und die Gleichstellung dann amtlich festgestellt wird.
Auch gilt der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen nicht immer bzw. nicht unbegrenzt. Gemäß § 90 SGB IX werden die Vorschriften zum besonderen Kündigungsschutz in folgenden Fällen nicht angewandt:
von Oliver Ebert
Kontakt:
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart
E-Mail: Sekretariat@rek.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (11) Seite 58-60
5 Minuten
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