Plädoyer für Schulgesundheitsfachkräfte: Selbsthilfe fordert nachhaltige Lösungen statt Träger-Gerangel

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Plädoyer für Schulgesundheitsfachkräfte: Selbsthilfe fordert nachhaltige Lösungen statt Träger-Gerangel | Foto: DNI
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Plädoyer für Schulgesundheitsfachkräfte: Selbsthilfe fordert nachhaltige Lösungen statt Träger-Gerangel

Der Bedarf nach einer Begleitperson für ein kleines Kind mit Diabetes in Kita oder Schule wächst sich für viele Eltern leider oft genug zu einem Albtraum aus. Festangestellte Schulgesundheitsfachkräfte könnten das Gerangel um die Kostenübernahme weitgehend obsolet machen, so die Diabetes-Selbsthilfeverbände in einem gemeinsamen Plädoyer.

Eltern, die für ihr Kind mit Diabetes auf eine Begleitperson in der Kita, der Schule oder auch der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen angewiesen sind, stehen oft vor einer ganzen Reihe von Problemen. Das fängt schon damit an, dass ein Dienstleister vor Ort überhaupt eine geschulte Kraft zur Verfügung stellen können muss. Ist eine solche vorhanden, geht ein teilweise entwürdigendes Gerangel um die Kostenübernahme los.

Denn ob es sich bei der kontinuierlichen Beobachtung des Kindes um eine medizinische oder zumindest teilweise um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt, ist unter den in der Teilhabe-Gesetzgebung definierten „Rehabilitationsträgern“ – in diesem Fall die gesetzlichen Krankenkassen bzw. die Beihilfe und die Sozial-/Jugendämter – hoch umstritten.

Seit der Überführung der speziellen Krankenbeobachtung von der Richtlinie zur Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie, HKP-RL) in die Richtlinie zur Verordnung von Außerklinischer Intensivpflege (Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie, AKI-RL) pochen die Krankenkassen im Verbund mit dem Medizinischen Dienst (MD) darauf, dass ein Diabetes Typ 1 grundsätzlich nicht die Kriterien zur Genehmigung einer AKI erfülle, während die Kommunen darauf beharren, dass es sich bei der kontinuierlichen Beobachtung eines Diabetes um eine rein medizinische Leistung handle.

Ablehnung statt Teilhabe

So weit, so gut – regelt der Paragraf 19 des neunten Sozialgesetzbuchs doch eindeutig, dass angegangene Rehabilitationsträger auch bei nur teilweiser Zuständigkeit einen Teilhabeplan für den Antragsteller initiieren müssen. Da auch für die Krankenkassen unstrittig ist, dass kleine Kinder, die noch nicht selbstständig ihren Diabetes managen können, einer steten Kontrolle ihrer Glukosewerte bedürfen, müssten sie sich also mindestens darum kümmern, dass der Bedarf nach einer steten Beobachtung von einem anderen Träger übernommen wird. Die bundesdeutsche Realität ist jedoch häufig eine andere: Die Eltern bekommen schroff ablehnende Bescheide, eine Teilhabeplanung findet in der Regel nicht statt.

Viele Eltern müssen erst mühsam vors Sozialgericht ziehen, damit ihr Kind in die Kita oder die Schule gehen kann. Dabei könnte es viel einfacher sein: Gesundheitsfachkräfte, die fest in einer Schule tätig sind, sind bundesweit mehrfach erprobt und bewährt. Die „Schulkrankenschwester“ zeigte sich in allen Auswertungen der Modellversuche als sinnvolle Ergänzung des Schulpersonals.

„Schulkrankenschwester“ hat sich bewährt

Warum sollte also solch eine Fachkraft in Kita und Schule nicht auch ein Auge auf die Glukosewerte von Kindern mit Diabetes haben können? Die punktuelle HKP als eindeutige und unumstrittene medizinische Leistung wäre damit ausreichend und die Krankenkassen und Kommunen würden enorm Kosten sparen, weil die erforderliche kontinuierliche Beobachtung und ggf. nötige Notfall-Intervention sich gleich für mehrere Kinder in einer Person bündeln würden.

Seien wir ehrlich: Am Ende geht es beiden Trägern um die Kosten. Der Streit darum, welcher Art die erbrachte Leistung ist, ist aus unserer Sicht nur vorgeschoben. Schulgesundheitsfachkräfte sind für die Gesellschaft (am Ende sind es Versichertenbeiträge und/oder Steuern, aus denen die Leistung bestritten wird) in jedem Fall die günstigste und für Kinder mit Diabetes auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit wohl auch die nachhaltigste Lösung.

Wille und Überzeugung

Aufgrund der Lage in strukturschwachen Regionen ist dies ein Ansatz, der nicht von heute auf morgen flächendeckend umgesetzt werden kann. Auch alte Zöpfe wie das Kooperationsverbot, welches eine direkte finanzielle Beteiligung des Bundes an Bildungseinrichtungen in den Ländern verbietet, sind ein Hindernis – allerdings keins, welches im Rahmen einer Modernisierung des deutschen Föderalismus nicht leicht behoben werden könnte. Hier zählt der politische Wille und, wie sehr Entscheider von der Konzeption überzeugt werden können.

Natürlich gibt es auch viele großartige Lehr- und Erziehungskräfte quer durch die Republik, die gern die Krankenbeobachtung von Kindern mit Diabetes nach Schulung übernehmen. Ist weder dies noch eine Gesundheitsfachkraft gegeben, müsste vorerst eben weiterhin der Anspruch auf spezielle Krankenbeobachtung durchgesetzt werden. Eins steht in jedem Fall fest: So entwürdigend, wie es derzeit für viele Eltern ist, kann es nicht bleiben.

Vertiefende Quellen
  • relevante Gesetze (Auswahl): §§ 14, 19 und 20 SGB IX, §§ 117 – 121 SGB IX, §§ 53 – 60 SGB XII, § 37 SGB V, Bundesteilhabegesetz (BTHG)
  • relevante Richtlinien: AKI-RL, HKP-RL, Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes, § 283 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V „Außerklinische Intensivpflege nach § 37c SGB V (BGA AKI)“ (in Kraft seit 26.09.2023)
  • Studie zu Schulgesundheitsfachkräften: Leroy ZC, Wallin R, Lee S: The Role of School Health Services in Addressing the Needs of Students With Chronic Health Conditions. J Sch Nurs 2017; 33: 64 – 72

gemeinsame Positionen der organisierten Selbsthilfe und Patientenvertretung im Diabetes-Anker


Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (5) Seite 58-59

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