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Immer mehr Diabetesprofis öffnen sich der DIY-Closed-Loop-Bewegung. Daher war es auch Thema bei der diesjährigen DDG-Herbsttagung in Leipzig. In Teil 1 von Der Widerstand bröckelt – es bewegt sich was im Umgang mit „Loopern“! stelle ich u.a. den Loop-Nutzer Timm K. vor, der seit seiner Entscheidung für den DIY Closed Loop nachts höchstens von seiner kleinen Tochter, aber nicht mehr von CGM-Alarmen geweckt wird.
Mehr Zeit im Zielbereich, stabilere Glukosewerte, kaum noch Hypos und nur noch selten schlafraubende CGM-Alarme – aus rein medizinischer Sicht spricht einiges dafür, den Diabetes mit einem DIY Closed Loop zu managen. Doch was den Diabetespraxen die meisten Bauchschmerzen bereitet, ist ja bekanntlich die rechtliche Einschätzung. Und die ist leider nicht ganz trivial, wie der Medizinrechtler Dr. Alexander Dorn erläuterte. Die Nutzung geschlossener Systeme sei zwar nicht verboten, damit sei das Loopen erst einmal grundsätzlich erlaubt. „Es gibt hierzu bislang aber keine Gerichtsurteile“, warnte er. Man könne derzeit auch nicht seriös prognostizieren, wie Richter urteilen würden, sollte es einmal zu einem Gerichtsverfahren kommen.
Manche Typ-Einser halten solche Bedenken vielleicht für übertrieben und argumentieren: „Ich würde doch nie meinen Arzt verklagen, wenn er mich in Sachen DIY Closed Loop berät!“ Doch der Anwalt gab zu bedenken, dass bei einem Unfall oder Todesfall unter Umständen auch andere Parteien auf den Plan treten: ein Ehepartner, Kinder, Eltern oder auch die Anwälte möglicher geschädigter Personen. Die Diabetesprofis in den Praxen stecken also in einer ziemlichen Zwickmühle: Sie sind einerseits aufrichtig daran interessiert, dass ihre Patientinnen und Patienten ihren Stoffwechsel möglichst gut managen können. Und andererseits dürfen sie aus haftungsrechtlichen Gründen keine Systeme empfehlen, die nicht zugelassen sind.
Wie Dr. Dorn weiter berichtete, existiert als einzige Rechtsquelle bis dato ein 23-seitiges Gutachten zweier Rechtsanwälte, das 2018 von der DDG in Auftrag gegeben wurde. Darin wurde überprüft, welche medizin-, straf-und zivilrechtlichen Vorgaben beim (ärztlichen) Umgang mit Loopern zu beachten sind. „Dieses Gutachten fasst die aktuelle unsichere Rechtslage in meinen Augen ziemlich gut zusammen. Ärztinnen und Ärzte fühlen sich dem Patientenwohl verpflichtet, doch das Patientenwohl steht in den geltenden Normen ganz offenbar nicht im Fokus“, sagte der Anwalt.
> Der Eigengebrauch eines selbst zusammengebauten geschlossenen Systems ist weder strafbar noch ordnungswidrig.
> Die zweckfremde Nutzung führt ggf. zum Ausschluss von Haftungsansprüchen gegenüber dem jeweiligen Hersteller.
> Die Herstellung eines geschlossenen Systems ohne CE-Kennzeichnung zum Vertrieb an andere verstößt gegen das Medizinproduktegesetz (MPG) und ist strafbar.
> Wer das geschlossene System zusammenbaut und weiterveräußert, ist nach dem Produkthaftungsgesetz verantwortlich.
> Praxen sollten ihren Patienten keine Schulungen zum Closed Loop anbieten, da eine Schulung als Anwendung bzw. Betreiben eines zweckentfremdeten Medizinprodukts und mithin als strafbare Handlung eingestuft werden könnte.
> Aus straf- und haftungsrechtlicher Sicht sollten Ärztinnen und Ärzte Loopern keine Plattform zum Austausch über Erfahrungen im Umgang mit selbstgebauten geschlossenen Systemen bieten.
> Verstöße gegen das MPG oder die Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) können zu zivilrechtlicher Haftung oder strafrechtlicher Verantwortlichkeit führen.
Das vollständige Gutachten findet man hier.
Das ist auch für Ulrike Thurm das Kernproblem. Die Vorsitzende der IDAA und selbst bekennende Looperin sprach in Leipzig aus der Perspektive als Diabetesberaterin über den Umgang mit Loopern und meinte: „Beim Loopen dreht sich doch alles um das Patientenwohl!“ Sie geht das Thema als Diabetesberaterin pragmatisch an: Wenn Patientinnen oder Patienten Interesse am DIY Closed Loop bekunden, darf sie ihnen zwar nicht erklären, wie man den Loop konkret baut. „Doch wir können ihnen sehr wohl sagen, wo sie die entsprechenden Informationen dazu finden“, meinte Ulrike.
Die meisten Interessierten wüssten genau, dass sie beim Loopen selbst aktiv werden müssen, und besorgen sich eigenständig die erforderlichen Informationen und das nötige Equipment. Doch Ulrike hat auch schon Ausnahmen erlebt: „Neulich legte mir ein Patient sein Smartphone auf den Tisch und forderte mich auf, ihm einen Loop zu bauen. Ich fragte ihn dann, welches der drei Worte DO IT YOURSELF er nicht verstanden hat…“ Damit waren die Fronten in diesem Fall dann wohl geklärt. Doch wer mit einem fertigen Loop zu ihr in die Praxis kommt, wird beraten wie alle anderen Insulinpumpen- und CGM-Nutzer auch: „Auch Looper müssen die Analyse von Glukosedaten, individuelle Insulinanpassungen beherrschen und Basiswissen z.B. zu Wechselintervallen beim Verbrauchsmaterial haben.“ Looper bräuchten also keine Spezialbehandlung, sondern ganz reguläre Pumpen- und CGM-Schulungen, „und das ist völlig legal und auch notwendig“, betonte Ulrike.
Ähnlich äußerte sich auch der Diabetologe Dr. Scheper: „Es gibt keinen Grund, einem Looper beispielsweise kein Insulin mehr aufzuschreiben. Es ist die freie Entscheidung unserer Patientinnen und Patienten zu loopen, und wir sollten sie dabei begleiten. Wir können sogar eine Menge von ihnen lernen!“ Doch offenbar haben viele Looper Sorge, in ihren Diabetespraxen nicht auf aufgeschlossene Ärztinnen und Ärzte zu treffen, wie Ulrike erzählte: „In Looper-Foren wird oft sehr emotional diskutiert, ob und wann man seinem Diabetologen das Loopen beichten sollte. Sie können sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie angstbesetzt so ein Geständnis für viele ist. Immerhin ist der Diabetologe eine Vertrauensperson, der man gern zeigen möchte, wie man seine Therapie verändert und auch verbessert hat.“
Ein Arzt aus dem Publikum meinte dazu: „Überall wird die Digitalisierung der Diabetestherapie gefordert. Hier treiben nun Patienten etwas voran und brauchen dabei die Unterstützung der DDG!“ Diese Unterstützung will die Fachgesellschaft den Loopern keinesfalls verweigern, wie Moderator und DDG-Vorstandsmitglied Prof. Dirk Müller-Wieland betonte: „Mit ihrem Gutachten hat sich die DDG positioniert. Doch wir haben natürlich den Wunsch, Menschen zu helfen, ihre Therapieziele und eine gute Lebensqualität zu erreichen.“
Obwohl Ärztinnen und Ärzte sich beim Thema DIY Closed Loop derzeit in einem juristischen Graubereich bewegen, warb Rechtsanwalt Dr. Dorn um Vertrauen in die Gerichtsbarkeit: „Das Recht will Leben regeln, nicht hemmen. Es kann auch flexibel reagieren. Man sollte die Haftungsrisiken kennen, sich aber nicht ausschließlich von ihnen leiten lassen.“ Für die Ärzteschaft und die DDG hatte er aber auch noch einen ganz praktischen Tipp parat: Anstatt auf erste Gerichtsurteile in Sachen Loop zu warten, solle man lieber eine gesetzliche Regelung anstreben: „Wir haben ja einen Gesundheitsminister, der sehr gern Gesetze verabschiedet. Der ist für die Gestaltung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen sicher ein besserer Ansprechpartner als die Bundes- oder Landesärztekammern, die meist doch eher den Status quo wahren wollen.“ Und auch wenn ich mittlerweile längst mal die Augen rolle, wenn Jens Spahn mal wieder eine neue eilige Gesetzesinitiative ankündigt – in diesem Fall halte ich das für eine ziemlich gute Idee.
Auf dem Weg zum Closed Loop: Was die Diabetes-Industrie für uns in der Pipeline hat – So war die Situation rund ums Loopen vor knapp zwei Jahren. Spannend, die Entwicklung beobachten zu können, oder?
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