Pflegegeld für Kinder mit Typ-1-Diabetes: Beim Pflegegrad die Bedarfe ganzheitlich betrachten und auch Ängste berücksichtigen

3 Minuten

Pflegegeld für Kinder mit Typ-1-Diabetes: Beim Pflegegrad die Bedarfe ganzheitlich betrachten und auch Ängste berücksichtigen | Foto: Dawid – stock.adobe.com
Foto: Dawid – stock.adobe.com
Pflegegeld für Kinder mit Typ-1-Diabetes: Beim Pflegegrad die Bedarfe ganzheitlich betrachten und auch Ängste berücksichtigen

Dass die Betreuung und Versorgung von Kindern mit Typ-1-Diabetes aufwendiger ist als bisher von Pflegekassen eingeordnet, wurde Ende letzten Jahres durch ein Urteil anerkannt.

Maria Vogel hat drei Kinder. Ihr ältester Sohn ist acht Jahre alt. Mit fünf wurde bei ihm Typ-1-Diabetes festgestellt. Seither kämpfen die Eltern um eine Höherstufung des Pflegegrads, der bei der Begutachtung auf Stufe 1 festgelegt wurde. „Wir Eltern sind rund um die Uhr im Einsatz“, beschreibt Vogel die Anforderungen:

„Wir begleiten unseren Sohn, wenn er eingeladen ist, planen und überwachen seine Mahlzeiten, nehmen Arztbesuche mit ihm wahr. Ständig sind wir erreichbar, falls er in der Schule oder unterwegs Schwierigkeiten bekommt, zum Beispiel wegen einer Unterzuckerung. Mehrmals pro Woche stehen wir nachts auf, um Traubenzucker zu geben oder die Insulindosis zu korrigieren …“

Bedarfe ganzheitlich betrachten

Die Bedarfe ihrer Kinder fanden viele Eltern im Pflegegutachten bisher nicht gut abgebildet: „Kinder mit Typ-1-Diabetes bekamen in den Modulen 4 und 5 quasi keine Punkte“, sagt Maria Vogel. In diesen zwei der insgesamt sechs Module, in denen die Pflegebedarfe einer Person ausgelotet werden sollen, geht es um die „Selbstversorgung“ der Betroffenen (Modul 4) und den „Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen“ (Modul 5).

„So landeten viele Kinder bei der Antragstellung bei etwa 15 Punkten und wurden im Pflegegrad 1 eingestuft“, weiß Maria Vogel. Hoffnung macht ihr jetzt ein Urteil des Bundessozialgerichts. Im Dezember letzten Jahres urteilte es, dass das enge Verständnis der Begutachtungsregeln nicht den weiter gefassten gesetzlichen Vorgaben entspricht. Denn die fordern eine ganzheitliche Betrachtung der zu pflegenden Person und ihrer Bedürfnisse.

Ängste zählen

Psychische Problemlagen beispielsweise, die durch die Grunderkrankung bedingt sind, sind dem Urteil zufolge bei der Einstufung in einen Pflegegrad zu berücksichtigen. Viele Pflegekassen berücksichtigten bisher zum Beispiel nicht, dass Ängste des Kindes beim Setzen der Kanüle für die Insulinpumpe die Prozedur erheblich erschweren und verlängern können. „Wir brauchen regelmäßig eine dreiviertel Stunde, manchmal kann es auch zwei Stunden dauern“, schildert Maria Vogel.

Das aktuelle Urteil des Bundessozialgerichts stellt nun klar: Es ist nicht erforderlich, dass die Ängste des Kindes auf eine eigenständige (psychische) Erkrankung zurückzuführen sind. Der Mehraufwand der Pflegenden – meistens der Eltern –, der entsteht, weil das Kind sich wehrt, weil es beruhigt und überredet werden muss, ist bei der Festlegung des Pflegegrads für ein Kind mit Typ-1-Diabetes zu berücksichtigen. Das gibt Punkte in Modul 3.

Ernährung überwachen

Auch der erhebliche Aufwand, den Pflegende oft betreiben, damit Kinder unter Insulintherapie die erforderlichen Mengen und Arten an Nahrung zu sich nehmen, soll laut dem Urteil nun beachtet werden. Im Modul 4 („Selbstversorgung“) soll es Punkte geben dafür, dass Pflegende beispielsweise überwachen müssen, ob ein Kind eine zugeteilte Portion auch aufisst.

Dass sie krankheitsbedingte Essvorschriften durchsetzen und das Kind zum Beispiel zu bestimmten Zeiten zum Essen anleiten müssen, gehört zur Therapiebewältigung und wird nun als Pflegebedarf in Modul 5 berücksichtigt. „Schon allein, wenn das Wiegen und Ausrechnen der Kohlenhydratmenge jetzt als Aufwand zählt, entspricht das eher dem tatsächlichen Zeitaufwand, den wir Eltern haben“, sagt Maria Vogel.

Aufwand anerkennen

Dem Einsatz der Eltern trägt unter anderem das Pflegegeld Rechnung, das Eltern eines erkrankten Kindes ab dem Pflegegrad 2 zusteht. „Bisher zahlen wir für die Inklusion unseres Kindes“, sagt Vogel. Ob in Form von Eintrittskosten für die begleitenden Eltern, wenn das Kind eingeladen ist, oder den Kosten für das ständig am Körper zu tragende Mobiltelefon, das häufiger mal kaputt geht und ersetzt werden muss – die Eltern zahlen.

„Und natürlich würde es uns helfen, Verhinderungspflege oder auch bestimmte Reha-Maßnahmen in Anspruch nehmen zu können. Außerdem wird es einfacher, die Individual-Begleitung für das Kind durchzusetzen“, schildert Vogel, die selbst auch beruflich Kinder mit Diabetes in Kita und Schule begleitet.

Teilhabe vollständig umsetzen

Glukosewerte entgleisen, erst recht und häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen. „Das passiert aufgrund des Tagesverlaufs, eines Wachstumsschubs, eines sich anbahnenden Infekts, vor Stress – oder auch ohne klar erkennbaren Grund“, erklärt Maria Vogel. Und Menschen sind individuell unterschiedlich. „Diabetes ist nicht gleich Diabetes. Und mit Kindern ist es sowieso immer anders.“ Genau auf diese individuellen und kindlichen Eigenheiten nimmt das Urteil nun Rücksicht.

„Der DDB begrüßt diese Entscheidung sehr“, sagt Vorsitzende Sandra Schneller. „Wir sehen darin endlich eine einheitliche Regelung zum Wohle der Versorgung sehr junger Patienten und deren Angehöriger.“ Bisher wird der Therapieaufwand – von Ängsten im Umgang mit der Therapie bis hin zum Lesen, Schreiben und Rechnen, das die Kinder erst lernen müssen, – von den Pflegekassen und im Umfeld der Familien meist völlig unterschätzt.

„Das Urteil macht aber auch klar, dass die Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes von 2017 immer noch nicht vollständig umgesetzt werden“, ergänzt sie. „Daraus entstehen sehr viele Unsicherheiten und Unwägbarkeiten zum Leid der Familien mit betroffenen Kindern.“ Dabei sind sie allein durch die Krankheit schon enorm belastet. „Das wird sich nun zum Besseren wenden“, hofft Sandra Schneller.


Beitrag erstellt mit freundlicher Unterstützung von Maria Vogel, Inhaberin des Unternehmens SchuBiL

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (6) Seite 60

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Bilanz eines bewegten Jahres: Was hat die Diabetes-Selbsthilfe in diesem Jahr erreicht?

Zum Jahreswechsel wird in den Publikationen von Parteien, Verbänden und Interessengruppen regelmäßig eine Rückschau gehalten: Was hatte man Tolles vor? Was hat man alles erreicht? Wie gut ist man doch gewesen!
Bilanz eines bewegten Jahres: Was hat die Diabetes-Selbsthilfe in diesem Jahr erreicht? | Foto: Meow Creations - stock.adobe.com

2 Minuten

Rückblick des DDB auf das Jahr 2025: Besonders Kinder und Familien im Blick

Der Deutsache Diabetikerbund (DDB) blickt auf ein engagiertes Jahr zurück – mit besonderem Einsatz für Kinder und Familien. Von Früherkennung über Schule und Alltag bis Politik: Dank starker Gemeinschaft, Spenden und Ehrenamt wächst Unterstützung für Menschen mit Diabetes.
Rückblick des DDB auf das Jahr 2025: Besonders Kinder und Familien im Blick | Foto: skynesher - gettyimages

4 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • carogo postete ein Update vor 2 Tagen, 14 Stunden

    Hallo zusammen! Ich habe mich mit einer Freundin über die Rezepte in der Zeitschrift unterhalten und wir haben uns gefragt, was es eigentlich konkret mit den Nähwertangaben und der Unterscheidung zwischen Kohlenhydraten und anrechnungspflichtign KH auf sich hat?

    • Das wüsste ich auch gerne.

    • Liebe Carogo,
      anrechnungspflichtige KH sind Kohlenhydrate, die den Blutzuckerspiegel erhöhen. Es gibt auch KH, die nicht direkt blutzuckersteigernd wirken und damit für die Insulintherapie nicht oder nicht voll angerechnet werden müssen, wie bspw. Ballaststoffe oder KH, die nur sehr langsam den Blutzucker beeinflussen.
      VLG
      Gregor aus der Diabetes-Anker Redaktion

    • @gregor-hess: danke für die Antwort! Könntest du hierfür mal Beispiele nennen?

  • cesta postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

    • Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)

    • @kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!

    • @moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • mayhe antwortete vor 3 Wochen

      Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

Verbände