Typ-1-Diabetes früh erkennen: Screening zum Nutzen für Betroffene

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Typ-1-Diabetes früh erkennen: Screening zum Nutzen für Betroffene | Foto: Alexandr Vasilyev - stock.adobe.com
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Typ-1-Diabetes früh erkennen: Screening zum Nutzen für Betroffene

„Wir sind wahre Weltmeister im Screening“, sagt Prof. Dr. Olga Kordonouri. Sie ist Diabetologin im Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult in Hannover. Fast 300.000 Neugeborene wurden bisher in Deutschland auf ihr genetisches Risiko getestet, einen Typ-1-Diabetes zu entwickeln. Und mehr als 230.000 Kinder im Alter von einem bis 10 Jahren wurden auf Antikörper untersucht, die einen Typ-1-Diabetes im Frühstadium anzeigen.

Viel wichtige Forschung findet in Deutschland statt, die diese Möglichkeiten hervorgebracht hat und die Tests und Auswertungen ständig weiterentwickelt. Heute ist es zum Beispiel tendenziell möglich, positiv getestete Menschen danach zu unterscheiden, wie schnell die Krankheit bei ihnen ausbrechen wird – wann also damit zu rechnen ist, dass Symptome auftreten.

Dass die Früherkennung sich lohnt, für jedes einzelne Kind und auch für das Gesundheitssystem, belegen zahlreiche Untersuchungen: Eine diabetische Ketoazidose tritt nur selten auf bei Kindern, deren Familien das Risiko bekannt war. Denn ihre Glukose-, HbA1c- und andere Blutwerte werden regelmäßig überprüft und bei Bedarf kann rechtzeitig eine Therapie eingeleitet werden. Das schützt die Betroffenen vor langfristigen Auswirkungen des Diabetes auf den Körper.

Screening für alle, Nutzen für Betroffene

Aber Deutschland bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Fachleute erklären: Etwa eins von 100 Kindern in Deutschland wird mit einem erhöhten Risiko geboren, an Typ-1-Diabetes zu erkranken. Im Rahmen des Neugeborenen-Screenings sollten alle Kinder auf ihr genetisches Risiko getestet werden. Daraus ergäbe sich eine überschaubarere Anzahl an Kindern, die im Verlauf der Kindheit gezielt auf Antikörper untersucht werden müssten.

Das wäre ein entscheidender Fortschritt. Denn eine große Hürde für die Früherkennung von Typ-1-Diabetes ist bisher die Schwierigkeit, Eltern flächendeckend aufzuklären und zu sensibilisieren, sodass sie ihre Kinder auf Antikörper testen lassen oder Symptome eines auftretenden Diabetes rechtzeitig erkennen. Und während Italien die Früherkennung von Typ-1-Diabetes inzwischen in die Grundversorgung aufgenommen hat und England auf dem besten Weg dahin ist, können Kinder in Deutschland weiterhin nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien auf eine genetische Prädisposition oder auf bereits vorhandene Antikörper getestet werden.

Versorgung bei positivem Screening

Und in der Versorgung der Kinder und ihrer Familien, bei denen ein Screening positiv ausgefallen ist, gibt es noch Leerstellen und Fragezeichen. Eine Schwierigkeit für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist, dass die asymptomatischen Frühstadien des Typ-1-Diabetes bisher nicht in die Internationale Klassifikation von Krankheiten (International Classification of Diseases, ICD) aufgenommen wurden. Für die Versorgung und Therapie von Personen mit diesen frühen Krankheitsstadien kommen die Krankenkassen deshalb in der Regel nicht auf. „Wenn wir die Kinder beispielsweise für einige Zeit einen Sensor tragen lassen, müssen wir das aus eigenen Mitteln bezahlen“, erklärt Olga Kordonouri.

Der Deutsche Diabetiker Bund e. V. macht sich stark für die Früherkennung für alle und die angemessene Versorgung von Familien, in denen ein Test positiv ausgefallen ist. „Wir möchten, dass die Familien von allen Vorteilen der frühen Diagnose voll profitieren können“, sagt Vorsitzende Sandra Schneller. Ziel ist es, möglichst früh und möglichst sanft in das Diabetes-Management einzusteigen, etwa mit Hilfe von Systemen zum kontinuierlichen Glukose-Messen (CGM), Insulinpumpen und Systemen zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID). Das erspart Familien nicht nur das Trauma der Ketoazidose, also der starken Übersäuerung des Körpers aufgrund des Insulinmangels. Langfristig schont es auch die Gesundheit der betroffenen Kinder.

Versorgung so niedrigschwellig wie möglich

Eine wichtige Säule der Begleitung betroffener Familien ist die psychologische Unterstützung. Für viele bringt das positive Test-Ergebnis große Unsicherheit. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass Familien nicht zu den Folgeuntersuchungen im Rahmen der Studien kommen – aus Angst vor neuen schlechten Nachrichten. „Die Familien müssen deshalb bestmöglich beraten und unterstützt werden – von Medizinern, Psychologen, Sozialarbeitern …“, sagt Sandra Schneller. Bisher finden die Beratungen, Untersuchungen und Therapieschritte nur in den Studienzentren statt. Für so manche Familie bedeutet das lange Anfahrtswege und -zeiten, ein logistisches Hindernis. Alle Aspekte der Versorgung sollten aber so niedrigschwellig wie möglich ausfallen. Wer diese übernehmen kann, bleibt bisher ungeklärt und angesichts überfüllter Kinderarztpraxen eine wichtige Frage.

Geschützte Räume für Austausch

Die organisierte Selbsthilfe unterstützt den Austausch zwischen Betroffenen. Menschen mit jahrelanger Diabetes-Erfahrung stehen mit Rat und Tat zur Seite und bieten ein offenes Ohr für alle Sorgen an. „Wir schaffen geschützte Räume für diesen essenziellen Austausch“, erklärt Sandra Schneller. Zudem baut die Selbsthilfe auf ein großes Netzwerk von Expertinnen und Experten für medizinische, rechtliche und soziale Belange, aus dem sie Rat für Betroffene vermitteln kann. Sandra Schneller fasst das so zusammen: „Entscheidend ist, dass Familien mit einem positiven Screening-Ergebnis, dem Krankheits-Management und all den Einflüssen auf ihr Leben nicht alleingelassen werden!“


von Dr. Ulrike Schneeweiß

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (5) Seite 60-61

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