Da sie die Diabetes-Versorgung in Deutschland durch ein neues Gesetz in Gefahr sahen haben verschiedene Diabetes-Verbände, u.a. aus der Selbsthilfe, erfolgreich für Anpassungen gekämpft.
Mit eindringlichen Worten haben viele Verbände, nicht nur die Verbände der Selbsthilfe, die Bundesregierung vor nicht beabsichtigten katastrophalen Folgen des „Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) gewarnt. Denn die Einführung einer einmaligen Jahres-Versorgungspauschale für Hausärzte hätte das Aus für zahlreiche diabetologische Schwerpunktpraxen bedeuten können.
Warum diese Befürchtung? Eine der Stoßrichtungen des GVSG war – und ist nach wie vor – die Reduktion von Verwaltungsaufwand für hausärztliche Praxen. Sie sollten künftig nicht mehr jeden chronisch Erkrankten einmal pro Quartal nur deshalb im Wartezimmer haben, um seine Versichertenkarte einlesen zu können, wenn es ansonsten nichts zu behandeln gibt.
Wörtlich hieß es in der Gesetzes-Begründung des Referenten-Entwurfs aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vom 12. April 2024:
„Die zu beschließende Versorgungspauschale ist für die Behandlung von Versicherten abrechnungsfähig, bei denen mindestens eine lang andauernde, lebensverändernde Erkrankung vorliegt, die der kontinuierlichen Versorgung mit einem Arzneimittel bedarf. Die Versorgungspauschale ist je betroffenem Versicherten durch nur eine Arztpraxis einmal jährlich abrechnungsfähig und beinhaltet die Vergütung aller Behandlungen für das laufende Quartal, in dem der erste Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakt stattfand, sowie für die drei darauffolgenden Quartale.“
Damit war beabsichtigt, monetäre Anreize zur „Überbehandlung“ zu vermeiden und die Mehrfach-Inanspruchnahme hausärztlicher Leistungen durch verschiedene Praxen zu reduzieren. Weiter hieß es dann im Begründungstext: „Die Versorgungspauschale ersetzt die Versicherten- und Chronikerpauschale sowie weitere kleinere Zuschläge und Pauschalen für vier Quartale.“
Diabetes-Regelversorgung durch Jahrespauschale in Gefahr
Spätestens jetzt war allen klar: Dieses System der einmaligen Jahrespauschale könnte dazu führen, dass die Regelversorgung für Menschen mit Diabetes in Gefahr ist, denn es sind nicht die wenigen als Facharztpraxen geführten diabetologischen Schwerpunktpraxen, sondern die vielen als Hausarztpraxen geführten diabetologischen Schwerpunktpraxen, die die Regelversorgung für uns Menschen mit Diabetes in den Kommunen übernehmen.
Wenn also die als Hausarztpraxen geführten Schwerpunktpraxen diese neu eingeführte Versorgungspauschale nicht abrechnen können, weil diese bereits durch den Hausarzt für „Husten, Schnupfen, Heiserkeit“ verbraucht ist, könnten etliche diabetologische Schwerpunktpraxen schließen oder würden ihre nicht mehr vergüteten Leistungen einstellen. Eine dramatische Lücke in der Diabetes-Versorgung könnte entstehen – und das bei jährlich steigenden Betroffenen-Zahlen! Ähnlich verhält es sich übrigens mit der neu einzuführenden „Vorhaltepauschale“. Auch hier befürchten die diabetologischen Schwerpunktpraxen neue Hürden, die ihnen die Abrechnung erschweren.
Überarbeiteten Entwurf trägt Bedenken in vielen Punkten Rechnung
Ich will es vorausschicken: Wir Verbände der Selbsthilfe sind keine Erfüllungsgehilfen einzelner Interessengruppen in dem immer härter werdenden Verteilungskampf um finanzielle Mittel im Gesundheitswesen. Ärzte, Apotheker oder auch die Pharmaindustrie können gut für sich selbst sprechen. Aber wir erheben unsere Stimme, wenn wir die Versorgung unserer Mitglieder und darüber hinaus der Gemeinschaft der Betroffenen gefährdet sehen. Und das war hier der Fall! Auf den vielfältigen Protest fast aller angefragten Verbände und Institutionen im Rahmen der Verbände-Anhörung am 6. Mai 2024 legte das Bundesgesundheitsministerium dem Kabinett am 22. Mai 2024 dann einen überarbeiteten Entwurf des GVSG vor, der gerade unseren Bedenken in vielen Punkten Rechnung trägt.
So soll die Versorgungspauschale je betroffenem Versicherten durch ausschließlich eine Arztpraxis jetzt pro chronische Erkrankung abrechenbar werden, d.h. diese Versorgungspauschale ist für Menschen mit Diabetes nicht bereits durch den „Husten-Schnupfen-Heiserkeit“-Hausarzt verbraucht, sondern kann von der diabetologischen Schwerpunktpraxis speziell für die Behandlung von Diabetes abgerechnet werden. So jedenfalls verstehen wir die Anpassung im nunmehr vom Bundeskabinett in die parlamentarische Beratung geschickten Gesetzes-Entwurf und so muss es auch sein. Die Versorgungspauschale soll die Hausarztpraxen von unnötigem Verwaltungsaufwand und Patienten ohne intensiven Betreuungsaufwand von unnötigen Praxisbesuchen entlasten. Für uns ist von zentraler Bedeutung, dass die geplanten Veränderungen die Versorgung von Menschen mit Diabetes nicht gefährden!
Selbsthilfe erhebt die Stimme: Protest mit Erfolg
Zusammenfassend kann derzeit davon ausgegangen werden, dass der nun bereits aktualisierte Entwurf erfreulicherweise Folgendes berücksichtigt:
- Die Anwendung bezog zuerst alle Menschen ein, jetzt sind Kinder und Jugendliche ohnehin nicht davon betroffen.
- Die Pauschale findet ohnehin keine Anwendung für Menschen mit erhöhtem Betreuungsaufwand. Die bisherige Behandlung ist nicht gefährdet. Es kommt nicht zu Einnahme-Ausfällen einer Praxis.
- Eine Versorgungspauschale gilt je Indikation in einer jeweiligen Arztpraxis. Somit können Patienten in ihrer Hausarztpraxis z.B. mit Bluthochdruck betreut und mit Diabetes Typ 1 in ihrer diabetologischen Schwerpunktpraxis behandelt werden.
Auch bei der „Vorhaltepauschale“ muss die Gesetzgebung darauf achten, dass es keine unerfüllbaren Anforderungen für diese Leistung gibt, die diabetologische Schwerpunktpraxen nicht oder nur mit hohem Aufwand erfüllen können. Bei dieser muss der erhöhte Personal- und Sachaufwand einer diabetologischen Schwerpunktpraxis berücksichtigt werden, wie spezialisierte Wundassistenten für die Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms, Diabetesassistenten oder eigens vorgehaltene Schulungsräume.
Mitwirkende der Selbsthilfe verstetigen Online-Treffen „Politik | Insights“ zur politischen Interessenvertretung
Im Juni fand eine erste gemeinsame Videokonferenz zum aktuellen Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes statt. Ein Appell eines Arztes aus Thüringen wurde durch die hiesige DDF-Landesorganisation an den Bundesverband herangetragen und gab den Startschuss für die digitale Konferenz-Reihe Politik | Insights. Die DDF hat alle Selbsthilfeverbände zur Diskussion und Beratung weiterer Schritte eingeladen. Nach reichlich Information, Abwägung einzelner Standpunkte und reger Beteiligung haben alle Akteure eine gemeinsam gezeichnete Stellungnahme an den Gesundheitsminister und Abgeordnete des Deutschen Bundestags auf den Weg gebracht. Die DDF freut sich sehr über das neu entstandene Online-Format und man kann gespannt sein auf die nächsten Themen und Aktionen.
Deshalb haben wir in einem gemeinsamen Brief der Verbände der Diabetes-Selbsthilfe den Bundesgesundheitsminister und die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen im Deutschen Bundestag dringend um erhöhte Aufmerksamkeit im weiteren parlamentarischen Prozess gebeten. Unser Appell: Vergesst die Menschen mit Diabetes nicht! Dieser Vorgang zeigt, wie wichtig eine starke Interessenvertretung von Menschen mit Diabetes gegenüber der Politik ist und welche entscheidende Rolle hier den Selbsthilfeverbänden zukommt. Mit einer Stimme zu sprechen, ist wichtiger denn je!
von Leonard Stärk, DDF-Vorsitzender