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„Zeit im Zielbereich“ statt HbA1c-Wert: Was internationale Experten raten
5 Minuten
Wer in den sozialen Medien in Diabetes-Gruppen unterwegs ist oder den entsprechenden Hashtags folgt, der kennt diese Beiträge: Posts, in denen jemand nach dem Quartalsbesuch beim Diadoc seinen aktuellen HbA1c-Wert mitteilt, gefolgt von unzähligen Kommentaren. Ist der Wert eher hoch, sind es entweder mehr oder weniger zartfühlende Mahnungen vor Folgeerkrankungen oder solidarische Beileidsbekundungen wie: „Mein letzter Wert war auch so hoch, jetzt habe ich den Zucker zum Glück wieder besser im Griff – du schaffst das, Kopf hoch!“ Je niedriger das HbA1c, desto häufiger schreiben die Kommentarschreiber Sätze wie: „Hauptsache nicht mit Hypos erkauft!“ oder „Bei einem HbA1c von 5,6% wäre ich permanent unterzuckert!“
HbA1c sagt nichts über die Schwankungsbreite der Glukosewerte aus
Dabei ist das HbA1c nur ein grober Anhaltspunkt dafür, ob wir in den vergangenen zwei bis drei Monaten in Sachen Diabetes einen guten Job gemacht haben oder nicht. Denn schließlich sagt der Anteil verzuckerter roter Blutfarbstoffe nur etwas darüber aus, welchen durchschnittlichen Blutzuckerwert man in letzter Zeit hatte – nicht aber, welche Schwankungsbreite die Werte hatten. Ein HbA1c von 7,0 Prozent etwa entspricht einem durchschnittlichen Blutzuckerwert von 147 mg/dl (8,2 mmol/l). Das ist nur dann ein erfreuliches Ergebnis, wenn die Werte nie allzu stark von diesem Durchschnitt abweichen. Schwanken sie allerdings wild zwischen 28 mg/dl (1,6 mmol/l) und 430 mg/dl (23,9 mmol/l) hin und her, ohne jemals in der Mitte Halt zu machen, dann kommt als Durchschnitt möglicherweise ebenfalls ein akzeptables HbA1c heraus – doch damit kann niemand ernstlich zufrieden sein.
Ähnlicher Durchschnittswert, aber die linke Kurve gefällt mir trotzdem viel besser!
Zeit im Zielbereich: der neue Marker für ein gutes Diabetesmanagement
Seit immer mehr Menschen mit Diabetes Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) nutzen, ist ein neuer Wert auf den Plan getreten: „Zeit im Zielbereich“ oder auf Englisch „Time in Range“ (TIR). Man findet ihn in den Smartphone-Apps oder Software-Auswertungen aller CGM-Systeme, und er gibt an, wie viel Prozent der Zeit sich die gemessenen Glukosewerte in den vergangenen Tagen, Wochen oder Monaten innerhalb eines zuvor definierten Bereichs befunden haben. Den Zielbereich kann man als Nutzer – ggf. mit Hilfe des Diabetesteams – selbst am CGM-Gerät einstellen. Doch da wird es dann schon wieder kniffelig: Was ist denn ein sinnvoller Glukose-Zielbereich?
Warum setzen sich manche einen so engen Zielbereich wie 90-120 mg/dl (5,0-6,7 mmol/l)?
Auch dieses Thema wird in den einschlägigen Facebook-Gruppen mittlerweile häufig diskutiert. Und zwar immer dann, wenn ein Gruppenmitglied mal wieder ein Torten- oder Balkendiagramm mit seinem persönlichen Ergebnis postet. Der Verlauf dieser Diskussionen ist ziemlich gut vorhersehbar. Erst teilt jemand ein Bild, aus dem hervorgeht, dass seine Glukosewerte z. B. in den vergangenen zwei Wochen zu 85 Prozent der Zeit im Zielbereich lagen, bezogen auf seinen Zielbereich von 90–160 mg/dl (5,0-8,9 mmol/l). Es dauert meist nicht lang, dann trudeln die ersten Kommentare ein. Glückwünsche, Daumen hoch, aber auch Neid: „Wie schaffst du das bloß? Ich komme nie über 55 Prozent!“ Und dann, so sicher wie das Amen in der Kirche, auch Kommentare à la: „Kunststück, bei dem breit gefassten Zielbereich kann das doch jeder! Mein Zielbereich liegt bei 90-120 mg/dl (5,0-6,7 mmol/l)!“ Ich kann bei solchen Diskussionen nur den Kopf schütteln, denn ich verstehe den Ehrgeiz nicht, seine Glukosewerte auf Biegen und Brechen zwischen so engen Grenzen zu halten. Nicht einmal Stoffwechselgesunde haben durchgehend Glukosewerte in einem solch straffen Zielbereich! Warum sollte man sich selbst das Leben unnötig schwer machen, noch mehr kalkulieren als ohnehin schon, noch engmaschiger kontrollieren, noch rascher korrigieren?
Mit welchem Kurvenverlauf sollte man zufrieden sein?
Zum Glück haben sich vor einer Weile einmal ein paar internationale Diabetesexperten zusammengesetzt und darüber diskutiert, wie man CGM-Daten standardisiert auswerten kann und welchen Zielbereich man Menschen mit Typ-1-Diabetes, die zunehmend CGM-Systeme nutzen, als Ergänzung oder gar Ablösung für das gute alte HbA1c ans Herz legen sollte. Schließlich waren auch Diabetologen bislang noch eher unschlüssig, welche Schlüsse sie aus den umfangreichen CGM-Daten ziehen sollen: Mit was für einem Kurvenverlauf sollte man zufrieden sein, bei welchen Verläufen sollten sie stutzig werden?
Expertenrat: Mindestens 70% der Zeit im Zielbereich von 70-180 mg/dl (3,9-10,0 mmol/l)
Beim ATTD-Kongress in Wien im Februar 2018 wurde dann ein internationales Konsenspapier dazu verabschiedet. Und das sollten sich meiner Meinung nach ganz besonders auch die Leute mal zu Gemüte führen, die sich in den sozialen Medien mit absurd eng gesteckten Zielbereichen brüsten oder tolle Ergebnisse anderer schlechtreden, nur weil sie einen großzügigeren Zielbereich abgesteckt haben. Ganz allgemein empfehlen die Experten nämlich, einen Zielbereich von 70-180 mg/dl (3,9-10,0 mmol/l) einzustellen. Je nach Alter, Begleiterkrankungen und persönlichem Ehrgeiz kann dieser Zielbereich natürlich auch enger gefasst werden, damit meinen die Experten dann 70-140 mg/dl (3,9-7,8 mmol/l). Doch aus dem Konsens geht klar hervor: Wenn die Glukosewerte sich überwiegend (also mindestens 70 Prozent der Zeit) in diesem Bereich bewegen, dann ist der Diabetologe zufrieden.
Jede Minute ohne Nachdenken über den Diabetes ist unbelastete Lebenszeit
Mich hat dieses Konsenspapier enorm beruhigt. Meinen Zielbereich, den ich zuvor auf 80-160 mg/dl (4,4-8,9 mmol/l) eingestellt hatte, habe ich seither auf 70-180 mg/dl (3,9-10,0 mmol/l) angepasst. Denn zum einen habe ich wenig Lust, mir strengere und damit deutlich arbeitsaufwändigere Ziele zu setzen, als die Creme de la Creme internationaler Experten es für notwendig erachtet. Ich verbringe ohnehin schon viel Zeit am Tag damit, über meinen Diabetes sowie die nächsten notwendigen Berechnungen und Therapieschritte nachzudenken. Jede Minute, die ich nicht mit diesem Kram verbringe, ist für mich eine Minute mehr unbeschwerte Lebenszeit. Außerdem ist dieser neue, etwas großzügigere Zielbereich tatsächlich auch der Glukosebereich, außerhalb dessen ich meine Werte in der Regel mit einem Hypohelfer oder mit Insulin korrigiere – zumindest sofern nicht noch ein Bolus wirkt oder ich gleich eine intensive Sporteinheit vor mir habe. Es mag euch vielleicht albern vorkommen, aber wenn ich bei der Auswertung nun sehe, dass meine Glukosewerte statt zuvor etwa 80 Prozent nun in der Regel 90 Prozent der Zeit im Zielbereich sind, dann macht mich das noch einen Tick zufriedener. Und Zufriedenheit ist bekanntlich auch gut für stabile Glukosewerte.

Übrigens: Wer sich eingehender mit der Auswertung von CGM-Profilen und der Einstellung seines persönlichen Zielbereichs befassen möchte, dem kann ich die neue AGP-Fibel aus dem Kirchheim-Verlag empfehlen, wobei AGP für „ambulantes Glukoseprofil“ steht. In dieser Fibel lernt man, was man unter Begriffen wie „Median“, „Interquartil-Bereich“ und „Interdezil-Bereich“ versteht. Klingt komplizierter, als es ist – denn obwohl sich die Fibel vorrangig an Diabetologen bzw. Diabetesberaterinnen richtet, ist die Sprache durchaus auch für Menschen mit Diabetes verständlich. Die AGP-Fibel kann man hier im Online-Shop von Kirchheim bestellen.
Mehr zum Thema “Zeit im Zielbereich” findet ihr auch bei Diabetes-Online.
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 5 Tagen, 2 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 6 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 5 Tagen, 23 Stunden
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike