Diabetes – ein Leben zwischen Kontrolle, Genauigkeit und Disziplin

4 Minuten

Community-Beitrag
Diabetes – ein Leben zwischen Kontrolle, Genauigkeit und Disziplin

Mein Name ist Carsten und ich lebe seit 20 Jahren mit Diabetes.

Ich habe zum Ende meiner Kindheit als junger Mensch Diabetes bekommen. Warum, das weiß ich nicht. Geschwister habe ich keine und meine Mutter und mein Vater hatten keinen Diabetes. Meine Großeltern auch nicht und in meiner Familie kam Diabetes bis dahin auch noch nicht vor. Ich habe mir oft die Frage gestellt, warum also ich plötzlich an Diabetes erkrankte.

Warum ich?

Wenn ich zurückdenke, war ich als Kind oft mit grippalen Infekten krank – so etwa alle vier bis sechs Wochen. Eine Vermutung eines Oberarztes von mir ging einmal dahin, dass die häufigen Infekte in meiner Kindheit ein Auslöser für meinen späteren Diabetes gewesen sein könnten. Bewiesen ist es aber nicht. Die Frage, warum ich Diabetes habe, konnte und kann mir bis heute keiner beantworten.

So saß ich in den ersten Tagen und Wochen nach meiner Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 auf meinem Zimmer im Krankenhaus oder zu Hause und überlegte, was sich jetzt alles für mich verändern würde. Wie wird das sein mit dem Insulinspritzen? Was darf ich essen? Werde ich meine Ausbildung abschließen und beruflich erfolgreich sein können? Wie wird es mir in den nächsten Jahren gesundheitlich gehen?

Antworten auf diese Fragen bekam ich nur langsam. Andere Menschen mit Diabetes, die ich hätte fragen können, kannte ich nicht. Das, was mir das Pflegepersonal erklären konnte, half zwar für den ersten Moment, aber mit jeder Antwort, die ich bekam, kamen neue Fragen und auch Ängste hinzu. Was ist eine Unterzuckerung? Werde ich es schaffen, meinen Blutzuckerspiegel gut einzustellen? Was mache ich auf Partys mit Freunden – was darf ich trinken? Bekomme ich Folgeerkrankungen? Werde ich blind oder werde ich nach 10 Jahren ein Bein verlieren, wie mir eine damalige Ärztin attestierte?

Quelle: Carsten Halbe

„Ich hatte weder Raum noch Zeit, den Diabetes zu akzeptieren“

Mein Umfeld, d. h. meine Eltern oder meine Freunde waren hier keine Hilfe. Meine Eltern waren schon mit der Situation der veränderten Ernährung völlig überfordert, sodass ich am Ende sie mehr beruhigen musste als sie mich. Auch meine damaligen Freunde haben meine Situation ignoriert. Es kamen sporadische Nachfragen, aber es gab zu keiner Zeit Interesse an einem Gespräch mit mir, wie ich die Veränderung in meinem Leben wahrnehme und wie es für mich weitergeht. Für sie ging der Alltag mit mir weiter, obwohl sich mein Alltag komplett verändert hatte.

Ich war so schnell in die Rolle des Starken gedrängt worden, obwohl ich eigentlich Menschen gebraucht hätte, die mir einen Raum gegeben hätten, in dem ich einmal alles raus- und loslassen konnte – einen Raum, in dem ich die Möglichkeit hätte, über meine Situation zu reden. Mein Leben hat sich von einem auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt. Ich bin an einer Krankheit erkrankt, die ich, egal was ich tue, mein gesamtes Leben nicht mehr loswerden werde. Der Diabetes wird mich jetzt mein ganzes Leben lang begleiten. Mir hat es an Gelegenheiten gefehlt, meine veränderte Situation zu reflektieren. Mein Umfeld hatte keine Zeit oder Interesse oder war selbst emotional betroffen, so dass keine Person für mich eine Unterstützung war. Und ich selbst war so sehr in Gedanken, dass ich meine Wut und Trauer über die Diagnose Diabetes auch nicht allein verarbeiten konnte. Mir hat eine Person gefehlt, die mir einen Raum und Zeit gibt und mich dabei begleitet, meine neuen Lebensumstände und die Situation anzunehmen.

Die vermeintliche Kontrolle behalten

Ich habe versucht, den Diabetes, der so plötzlich, wie er zu mir kam, genauso schnell und für andere unauffällig in mein Leben zu integrieren und so normal wie möglich weiterzuleben. Das hieß für mich, dass ich viel Insulin einsetzte, um Normalwerte zu haben wie ein Nicht-Diabetiker. Denn ich war ja nicht krank. Ich wollte auch keine Anerkennung einer Schwerbehinderung und schon gar nicht war ich ein möglicher Kandidat für Folgeerkrankungen, denn mein Diabetes war ja sehr gut eingestellt. Mein HbA1c war in der Zeit zwischen 4,7 und 5,1%. Ich wollte die Krankheit kontrollieren und ihr keinen Raum geben.

Ich habe meine Ernährung nach der Diagnose nicht besonders verändert und aß nicht unbedingt gesund. Das war mit Anfang zwanzig auch noch nicht meine Welt, aber ich wog mein Essen ab – grammgenau. Und ich habe wenig beim Essen ausprobiert. Was ich nicht kannte, aß ich nicht. Mein Ziel war, den Blutzucker zu kontrollieren, und so habe ich viele Störfaktoren vermieden. Wenn ich unsicher war, spritzte ich mehr Insulin, denn ich konnte ja mit Traubenzucker gegenregulieren und so den Diabetes kontrollieren. Wenn ich wider Erwarten höhere Blutzuckerwerte hatte, bekam ich Panik. Ich war enttäuscht von mir selbst, habe mich als Versager gesehen, der es nicht schafft, gut für sich zu sorgen. Andere schaffen das auch, warum nicht ich, waren die Fragen, die mir dann durch den Kopf gingen. Ich hasste mich in diesen Phasen und wollte mich bestrafen. Und ich habe so reagiert wie immer – mit Kontrolle. Ich habe mit viel Insulin versucht, die Werte möglichst schnell wieder runterzuspritzen.

Beim Sport habe ich auch wenig experimentiert. Ich wusste, dass Zusatz-BEs eine gute Strategie sind, die zusätzliche Belastung beim Sport auszugleichen. Dadurch, dass dies bei mir sehr gut funktioniert hat, habe ich es nicht versucht, etwas anderes auszuprobieren, wie zum Beispiel die Insulinmenge vorher abzusenken. Ich war nicht besonders kreativ oder experimentierfreudig in meiner Therapie, obwohl es mir sehr wichtig war, all das mit Diabetes machen zu können, was ich vorher ohne Diabetes gemacht habe. Aber hier war meine Angst zu groß, etwas falsch zu machen und später unkontrollierte hohe Blutzuckerwerte zu haben. Dann hätte ich ja wieder etwas, was ich unbedingt vermeiden wollte – die Kontrolle verloren.

„Ich habe mein Leben mit Diabetes schließlich akzeptiert“

Was dann in den Jahren und mit der Zeit bei mir stattgefunden hat, war, dass sich meine Einstellung zu mir und meinem Diabetes zum Guten verändert hat. Es kam der Punkt, an dem ich in Gesprächen mit meinen Ärzten oder mit guten Freunden gelernt habe, meinen Diabetes zu akzeptieren und mit ihm zu leben. Dadurch, dass ich über gute Gespräche einen Raum gefunden habe, über meine Bedürfnisse und Ängste zu reden, habe ich gleichzeitig eine Gelassenheit gelernt und dabei meine innere Ruhe und Stärke gefunden und nicht mehr den Zwang empfunden, jeden Blutzuckerwert mir oder einem anderen erklären zu können oder müssen. Ich habe mit der Zeit meinem Diabetes einen Raum in meinem Leben gegeben.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Folge-Erkrankungen des Diabetes: Das solltest Du wissen, um Komplikationen zu verhindern

Nieren, Herz und Augenlicht in Gefahr: Dauerhaft erhöhte Glukosespiegel oder starke Blutzucker-Schwankungen können auf lange Sicht das Risiko für Folge-Erkrankungen des Diabetes erhöhen. Warum das so ist und welche Diabetes-Komplikationen häufig auftreten, erfährst du in diesem Beitrag.
Diabetes-Folgeerkrankungen: Das solltest Du wissen

3 Minuten

Wie zum Typ 1 noch ein Typ F dazu kam…

Ihr Typ-1-Diabetes begleitet Steffi schon seit einigen Jahrzehnten. Nun ist noch ein Typ F hinzugekommen, da ihr Partner ebenfalls einen Diabetes entwickelt hat.

4 Minuten

Community-Beitrag

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • bloodychaos postete ein Update vor 3 Tagen, 1 Stunde

    Hey, brauche Eure Hilfe. Habe den G7 genutzt. Als der über mehrere Monate (Frühjahr/Sommer 2025) massive Probleme (teils Abweichungen von 150 mg/dL, Messfaden schaute oben heraus) machte bin ich zum G6 zurückgegangen. Dessen Produktion wird nun eingestellt. Ich habe solche Panik, wieder den G7 zu nutzen. Habe absolut kein Vertrauen mehr in diesen Sensor. Aber mit meiner TSlim ist nur Dexcom kompatibel. Ich weiß nicht was ich machen soll, ich habe solche Angst.

    • Mit “meinem” Omnipod 5 wird der Dexcom G7 Ende 2026 voraussichtlich der einzige verfügbare Sensor sein.

      So richtig begeistert über die Einstellung des G6 bin ich auch nicht, auch wenn es absehbar war.
      Ich habe einfach die Hoffnung, dass die Qualitätsprobleme beim G7 bis dahin ausgestanden sind.

      Ich warte das Thema noch einige Monate ab.
      Wenn ich Ende 2026 feststelle, dass die Kombination aus meiner Pumpe und dem CGM für mich nicht funktioniert, bin mir sicher, dass meine Diabetes-Ärztin und ich eine gute Lösung für mich finden.

      Hier habe ich aufgeschnappt, dass für die t:slim wohl eine Anbindung des Libre 3 in der Mache ist:
      https://insulinclub.de/index.php?thread/36852-t-slim-mit-libre-3-wann/
      Leider steht keine überprüfbare Quelle dabei. 🤷‍♂️

      Ein weiterer mir wichtiger Gedanke:
      Angst und Panik sind in diesem Zusammenhang vermutlich keine hilfreichen Ratgeber. Hoffentlich schaffst Du es, dem Thema etwas gelassener zu begegnen.
      (Das sagt der Richtige: Ich habe in meinem letzten DiaDoc-Termin auch die Hausaufgabe bekommen, mal zu schauen, was mir gut tut.)

    • @ole-t1: Hey Ole, ganz lieben Dank für Deine Nachricht. Die Produktion des G6 endet laut einem Artikel auf dieser Seite ja zum 1. Juli 2026. Wann der Libre3 mit der TSlim kompatibel sein wird weiß man ja noch nicht. An sich gefällt mir Dexcom auch besser als Libre und die erste Zeit lief der G7 ja auch super bei mir. Ich kann mir schwer vorstellen, dass der G7 von heute auf Morgen nicht mehr bei mir funktioniert? Es gab ja auch das Gerücht das Dexcom eine zeitlang Produktionsprobleme hatte, dass wäre ja eine Erklärung, aber da geht Dexcom natürlich auch nicht mit hausieren.

    • @bloodychaos: Moin, ich benutze den G 7 seit Dezember 2022 (vorher G 6). Seit Dezember 2024 in Kombination mit der t:slim X 2 Ja, es hat immer mal wieder einen Sensor gegeben, der nicht richtig funktioniert hat . Dann wurde ein neuer gesetzt, der Vorfall an Dexcom gemeldet und es gab dann wenige Tage später einen neuen Sensor.
      Wie ole-t1 schon geschrieben hat, erst einmal die Ruhe bewahren und nicht in Panik verfallen. Alle auf dem Markt erhältlichen Sensoren haben Schwankungen in der Genauigkeit ihrer Angaben. Wichtig ist daher zu beurteilen, ob das, was der Sensor anzeigt, überhaupt sein kann.
      Zum Beispiel durch blutiges Nachmessen (dabei bitte dran denken, dass der Gewebezucker, den die Sensoren messen, rd. 20-30 Minuten hinter dem Blutzucker hinterher hinkt).

  • loredana postete ein Update vor 4 Tagen, 22 Stunden

    Die Registrierung mit dem Geburtsjahr war echt sportlich. Wollte es schon fast wieder abbrechen.

  • ambrosia postete ein Update vor 5 Tagen, 19 Stunden

    Ich wünsche allen einen schönen Mittwoch.

Verbände