Den eigenen Weg gehen – ein Interview mit Jürgen Schultz

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Den eigenen Weg gehen – ein Interview mit Jürgen Schultz

Was war Ihr erster Impuls, warum wollten Sie an der Interview-Aktion teilnehmen?

Ich dachte: Ok, ich schneide mir den Aufruf aus dem Diabetes-Journal aus und rufe dort an. Vielleicht ist ja meine Vorgehensweise, den Typ-1-Diabetes ohne Unterstützung eines Diabetologen zu behandeln, für andere interessant.

Jürgen Schultz unterwegs im Urlaub
Jürgen Schultz im Urlaub unterwegs Quelle: Jürgen Schultz

Wann haben Sie die Diagnose Typ-1-Diabetes erhalten und wie war das für Sie?

Während eines Skiurlaubs, den ich 1987 mit meiner Frau in Österreich verbrachte, merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Ständig musste ich zur Toilette. Auf der Rückfahrt nach Hause mussten wir an jeder Raststätte anhalten. Zu Hause angekommen wurde beim Arzt ein sehr hoher Blutzuckerwert festgestellt. Es folgte die direkte Einweisung ins Krankenhaus. Dort erhielt ich im März 1987 die Diagnose Diabetes Typ 1.

Wie ist es dann weitergegangen?

Erst einmal wusste ich mit der Diagnose gar nichts anzufangen. Im Krankenhaus erfolgte die Diabeteseinstellung mit einem Mischinsulin. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus brach dann eine Welt für mich zusammen. Bislang war ich noch nie ernsthaft krank gewesen. Ich tat mich zunächst sehr, sehr schwer mit der Diabetesdiagnose. Ich wollte die Diagnose nicht wahrhaben und versuchte, mich ohne Kohlenhydrate und nur mit Fett zu ernähren. Schnell wurde mir klar: „So geht das nicht – ich muss mich um die Erkrankung kümmern!“

„Ich tat mich zunächst sehr, sehr schwer mit der Diabetesdiagnose.“

Ich begann, über den Diabetes zu lesen, und besuchte einen Vortrag in Kiel. Der Arzt traf Aussagen, an denen ich mich bis heute orientiere: „Versuche, Deine Krankheit selbst zu behandeln, Du machst Fehler, lerne aus den Fehlern. Du wirst weitere Fehler machen, lerne auch aus diesen Fehlern. Irgendwann bist Du so weit, dass Du Dich selbst behandeln kannst.“

Wie hat sich Ihre Diabetesbehandlung entwickelt?

Nach relativ kurzer Zeit schossen die Werte nach den Mahlzeiten in die Höhe, weil das kurzwirksame Insulin im Mischinsulin nicht individuell eingestellt werden konnte. Die Umstellung auf die intensivierte Insulintherapie brachte dann den Erfolg. Um meine Therapieanpassungen kümmerte ich mich immer selber, d.h. ohne Behandlung durch einen Diabetologen oder Unterstützung durch ein Diabetesteam. Das kurzwirksame Insulin spritze ich als Bolus mit dem Pen, das NPH-Basalinsulin ziehe ich aus einer Durchstechflasche in eine Insulinspritze auf. Um Folgeerkrankungen zu vermeiden, achte ich darauf, meinen HbA1c-Wert konstant in einem niedrigen Bereich zu halten. Nach dem Motto: „Ich habe nur einen Körper – wenn ich mich gut behandele, habe ich auch weniger Probleme.“ Es ist weniger aufwendig, sich vernünftig zu verhalten, als im Nachhinein zu versuchen, den entstandenen Schaden zu reparieren.

„Ich habe nur einen Körper – wenn ich mich gut behandele, habe ich auch weniger Probleme.“

Meine Ernährung stellte ich überwiegend auf Obst und Gemüse um. Seit dem Ruhestand, mit 65, genieße ich auch öfters mal schönes Essen in Restaurants oder trinke zwei Gläschen Wein.

Beim Diabetes gilt es, selber Verantwortung zu übernehmen und nicht zu sagen: „Der Arzt hat mich schlecht eingestellt.“ Menschen, die Hilfestellungen bei der Therapie benötigen, sollten diese dann aber auf jeden Fall vom Arzt bekommen.

Motivfoto Abbildung eines Weges mit  dem Text den eigenen Weg gehen
Den eigenen Weg gehen Quelle: Susanne Thiemann

Hat der Diabetes Ihren Alltag oder Ihre Aktivitäten beeinflusst?

Ich bin ein sportlicher Mensch und ich habe meine sportlichen Aktivitäten auch nach der Diabetesdiagnose beibehalten. Immer mit Blick, auch Vorsorge für Unterzuckerungen zu treffen.

Meine Frau und ich unternahmen im Laufe der Jahre einige Fernreisen: 1991 Florida, 1992 Ägypten, 1993 China, 1998 Norwegen, 2005 Jemen usw. Als Vorbereitung auf eine Nepal-Reise war ich streckenweise alleine in den Alpen unterwegs. Auch beim Reisen wählte ich immer meinen Weg. Inzwischen verreisen meine Frau und ich auch öfters innerhalb von Deutschland, um schöne Ecken im eigenen Land zu entdecken, ohne andere Länder und auch Kreuzfahrten zu vernachlässigen. Unser Lieblingsziel ist der Norden, z.B. die Insel Föhr.

Welche medizinische Vorsorge nehmen Sie in Anspruch?

Den HbA1c-Wert, Albumin und die gängigsten Laborwerte lasse ich regelmäßig bestimmen und ziehe daraus meine Schlüsse. Die Augenuntersuchungen erfolgen jährlich, bisher ohne diabetische Folgeschäden. Das Herz, die Schilddrüse, Koloskopie, Hautkrebsscreening und die Füße lasse ich ebenfalls untersuchen. Erfreulicherweise wurden bei mir bis jetzt keine Folgeerkrankungen des Diabetes festgestellt.

Haben Sie jemals über technische Hilfsmittel wie eine Insulinpumpe oder einen Sensor zur Gewebezuckermessung nachgedacht?

Über die aktuellen technischen Entwicklungen bin ich informiert, habe aber für mich entschieden, dass ich diese bisher nicht nutzen möchte.

„Mein Wunsch ist es, dass ich mich so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt um meine Diabetestherapie kümmern kann.“

Eine Insulinpumpe ist für mich keine Option, da ich nichts am Körper tragen möchte. Ein Sensorsystem benötige ich nicht, da ich eine gute Körperwahrnehmung habe. Es gibt Indikatoren, an denen ich z.B. einen fallenden und niedrigen Blutzucker bemerke. Dann handele ich direkt. Bei den technischen Hilfsmitteln sehe ich auch den wirtschaftlichen Aspekt der Unternehmen, Gewinne zu erzielen.

Ich möchte allerdings nicht ausschließen, dass ich in der Zukunft in einen Status kommen könnte, wo ich dann z.B. auch technische Unterstützung nutzen würde. Das wäre der Fall, wenn ich nicht mehr in der Lage wäre, z.B. meinen Blutzucker selber zu messen.

Wenn sie an Ihre künftige Diabetesbehandlung denken, welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Vielleicht gelingt es, den Diabetes irgendwann zu heilen. Bedenklich finde ich die Situation in Alten- und Pflegeheimen. Es fehlt an Personal, um eine individuelle Betreuung von Menschen mit Diabetes zu leisten. Hinzu kommt, dass die Pflegekräfte sich kaum mit Diabetes auskennen.

Mein Wunsch ist es, dass ich mich so lange wie möglich selbstständig und selbstbestimmt um meine Diabetestherapie kümmern kann.

Herzlichen Dank an Jürgen Schultz für das offene und sehr interessante Gespräch.


Alles zum aktuellen Monatsthema findet ihr hier: Du kannst nicht immer 17 sein – älter werden mit Diabetes

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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